Burghard Rieger:

Wissensrepräsentation und empirische Semantik.
Aufgaben der Computerlinguistik?

In: Pasternack, G. (Hrsg.): Theorie und Empirie. [Schriften des Zentrum Philosophische Grundlagen der Wissenschaft], Bremen (Universitätspresse) 1987, S. 99-149


Kurzfassung

Titel und Untertitel verweisen auf ein neues Paradigma sprachwissenschaftlicher Forschungen, die Sprache als einen Informationen und Wissen verarbeitenden kommunikativen Prozeß zu studieren beginnen.
Für zahlreiche Ansätze der kognitionstheoretischen Forschung ist heute ein sie verbindender Strukturbegriff kennzeichnend, der auf ein erkenntnistheoretische Konzept des Schemas zurückgeführt werden kann. Es liegt den zahlreichen neuen Begriffsbildungen in Psychologie, Kognitionstheorie und  künstlicher Intelligenz-Forschung zugrunde, die unterschiedliche Aspekte der Verstehensproblematik, des Wissenserwerbs und der Bedeutungsrepräsentation akzentuieren.
Seit die Psychologie sich verstärkt der Erforschung jener Verarbeitungsprozesse widmet, die beim Hervorbringen und Verstehen natürlich-sprachlicher Äußerungen ablaufen, wird die Analogie zu vergleichbaren Prozessen der Verarbeitung von (sprachlichen) Zeichenketten durch den Computer strapaziert. Neue, aus der Informatik entlehnten Begriffsbildungen eröffnen dabei aktuelle, weiterführende Perspektiven.
Daß mit dem Konzept der Prozeduralität eine neue Ebene formaler Rekonstruktionen semantischer Strukturzusammenhänge erreicht wurde, ist dabei methodisch wie methodologisch beachtlich. Sie geht nicht nur über die Explikation von Bedeutung als mengentheoretisch beschreibbare Extension oder als Eigenschaften festlegende Intension eines Ausdrucks hinaus, sondern erschließt gleichzeitig noch eine neue Dimension der Überprüfbarkeit dadurch, daß prozedurale Rekonstruktionen sich über die Strukturen-produzierenden Prozesse simulieren lassen, die sie repräsentieren.
Anders als bisherige Untersuchungen, welche die Bedeutung von Wörtern und Begriffen und deren Beziehungen schon voraussetzen, um sie als Mengen von Entitäten und deren Eigenschaften darzustellen und formal als statische Graphenstrukturen zu repräsentieren, wäre in einem semiotisch orientierten Forschungsansatz von der semantischen Strukturiertheit des Sprachspiels auszugehen. Dessen dynamische Strukturiertheit wird dabei in einem kontinuierlichen Prozeß andauernder Bedeutungskonstitution durch kommunikative Akte innerhalb eines Gegenstandsgebiets (als Fragment des Universums) der Rede über alle semiotischen Ebenen hinweg gleichzeitig schon vorausgesetzt und erst bewirkt werden.
Damit lassen sich die Ziele und Aufgaben umreißen, welche sich für eine empirischen Semantik ergeben. Sie bestehen im wesentlichen in der Möglichkeit, unabhängig vom individuellen Kenntnisstand des jeweiligen Analysators eine Schicht von Weltwissen und/oder Gedächtnisstruktur (bzw. Fragmente davon) aufgrund von Beziehungen zu rekonstruieren, wie sie sich aufgrund der regelhaften Verwendung sprachlicher Einheiten in zu kommunikativen Zwecken geäußerten Texten einer Sprache über ein Sach- und/oder Gegenstandsgebiet ergeben.


Full text

HTML Format

PDF Format (213 Kb)


zurück zu Aufsätze / back to Articles