Burghard Rieger:
Computerlinguistik und Verstehenstechnologie.
Zur Abschätzung ihrer Aufgaben und möglichen Folgen
In: Gatzemeier, M. (Hrsg.): Verantwortung in Wissenschaft und Technik. Mannheim/Wien/Zürich (B.I. Wissenschaftsverlag) 1989, S. 256-276
Kurzfassung
Im Zeichen einer allgemeinen Informatisierung unserer Gesellschaft und
unter dem Druck wie den Verheißungen tiefgreifender
kommunikations-technologischer Veränderungen werden derzeit weltweit große
Anstrengungen unternommen und beträchtliche Mittel in die Forschung
investiert zur Untersuchung und Analyse jener Strukturen und Prozesse,
aufgrund deren die Menschen in der Lage sind, Sprachen zu erlernen und zu
verwenden, um miteinander zu
kommunizieren. Die jüngsten Fortschritte in der maschinellen
Verarbeitung natürlicher Sprache (NLP: natural language processing )
im Schnittbereich der Forschungen zur künstlichen Intelligenz (AI:
artificial intelligence ), der Kognitionstheorie (CS: cognitive
science ) und der Computerlinguistik (CL: computational
linguistics ), sowie der Umsetzung ihrer zunächst theoretischen
Ergebnisse in praktische Anwendungszusammenhänge etwa in der Entwicklung
von Expertensystemen, Arbeitsumgebungen, Ausbildungswerkzeugen, etc. sind
bisher im wesentlichen dem Bereich der Ingenieur- und Naturwissenschaften
zugute gekommen.
Trotz zahlreicher entweder schon als Software-Produkte auf dem Markt
befindlicher oder aber noch in der Entwicklung stehender sogenannter
''intelligenter'' Systeme, kann von einer erfolgreichen Anwendung und
Übertragung dieser Ansätze im Bereich der Geisteswissenschaften bisher
jedoch nicht die Rede sein.
Den weitgehend in logischen Ausdrücken formalisierbaren
Wissensbeständen der exakten Wissenschaften stehen die in
sprachlichen Texten formulierten (oder doch formulierbaren)
Verstehenszusammenhänge der Geistenwissenschaften gegenüber, wobei
letztere - nicht zuletzt durch das Medium der natürlichen Sprache -
ihrem Mangel an methodischer Strenge und formalem Rigorismus ihre
Flexibilität in Richtung und Skopus ihres Verstehens- und
Erklärungsanspruchs entgegensetzen kann. In dieser Offenheit liegt
begründet, daß es bisher noch keine - den Algorithmen der
logisch-deduktiven Verarbeitungsprozesse vergleichbaren -
Algorithmisierungen
jener hermeneutischen Prozesse zu geben scheint, die unscharfes
Wissen und vage Bedeutungen in analoger Weise zu
verarbeiten vermöchten.
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