Burghard Rieger:

Unscharfe (fuzzy) Modellierung natürlichsprachlicher Bedeutung

Zu einer computerlinguistischen Neuorientierung der Semantik

In: Pohl, Inge (Hrsg.): Methodenpluralismus und Interdisziplinarität. [Sprache, System und Tätigkeit 29], Frankfurt/ Berlin/ Bern/ Paris (Peter Lang) 1999, S. 99-121


Kurzfassung

In der Computerlinguistik zeichnen sich derzeit weltweit Veränderungen ab, die ihre Untersuchungsmethoden ebenso wie ihre Forschungsgegenstände betreffen und damit eine Neubestimmung auch ihres Erkenntnisinteresses kennzeichnet, das die traditionellen Ansätze der computerlinguistischen Forschung wie der sprachverarbeitenden künstlichen Intelligenz in sehr grundsätzlicher Weise in Frage stellt.

Bekanntlich basieren nicht triviale, maschinelle Analyse- und Synthesesysteme in der Sprachverarbeitung auf formalen Beschreibungen syntaktischer Strukturen und den ihnen zuordenbaren semantischen Interpretationen. Diese werden in geeignete Formalismen überführt, damit eine Verarbeitung durch Automaten möglich wird. Hierbei lassen sich zwei Bereiche formaler Wissensrepräsentationen unterscheiden: das (syntaktische und lexikalische) Sprachwissen in Form von Produktionen (Ersetzungsregeln) sowie geeigneten Prozeduren zur kontrollierten Abarbeitung (Grammatikformalismen) einerseits und das (referenzielle und situative) Weltwissen in Form von prädikatenlogisch motivierten Strukturen (Propositionen) sowie Prozeduren zur inferenzfähigen Aufarbeitung (Wissensrepräsentationsformalismen) andererseits. Derartige Repräsentationsformalismen sind Bestandteil der eben deswegen wissensbasiert genannten Modellbildungen in der kognitiver Linguistik, die auf der Grundlage und mit Hilfe symbolanalytischer Techniken (monotone Logiken, symbolische Repräsentationen, regelbasierte Operationen, serielle Verarbeitung etc.) zunehmend komplexere Systeme entwickelt hat. Akzeptiert man dagegen ein eher semiotisches Konzept der Semantik, wie es auch - anders als in der kognitiven Linguistik - von performanztheoretischen Ansätzen der kognitiven Sprachverarbeitung nahegelegt wird, dann läßt sich Bedeutung kaum mehr als bloß relationale Zuordnung mehr oder weniger fixierter, jedenfalls weitgehend statischer Gegebenheiten analysieren und erklären, sondern sie wird eher als dynamisch und kontextabhängig sich veränderndes Resultat mehrstufiger, auf lernend sich verändernden Wissensbasen operierender Konstitutionsprozesse verstanden werden müssen, deren Relationalität in der Zuordnung von etwas besteht, das ohne diese Prozesse nicht faßbar ist: Bedeutungen von Zeichen, die nicht definiert oder verbal expliziert werden, sondern erst aufgrund ihres kommunikativen Gebrauchs in Texten entstehen und aus diesen berechnet und dargestellt werden können.


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