Andrea Haller

Einflußnahmen des weiblichen Publikums auf die Programmgestaltung des frühen Kinos und Veränderungen der Rezeptionshaltung (1906-1918)

In meinem Dissertationsvorhaben möchte ich den wechselseitigen Einfluss von weiblichem Publikum und Kino-Programmgestaltung in der Zeit von der Gründung erster ortsfester Kinos um 1906 bis zum Ende des 1. Weltkrieges analysieren. Dabei soll der Kinobesuch von Frauen, die Konstruktion von Geschlechteridentität im/ durch das Kinoprogramm und der wechselseitige Einfluss von weiblichem Publikum und Programmgestaltung, die Veränderung von Filmgenres und -längen und die Veränderung des Rezeptionsverhaltens das Paradigma der Analyse bilden.
Der Fokus auf das weibliche Publikum ist bewusst gewählt, da Frauen einen großen Anteil am Kino-Publikum ausmachten. Dies ist besonders bemerkenswert unter der Prämisse, dass Frauen traditionell aufgrund der bürgerlichen Trennung zwischen privater und öffentlicher Sphäre nicht Teil eines öffentlichen Publikums waren. Daher liegt es nahe zu vermuten, dass das Auftreten dieses völlig neuen Publikumssegments nicht spurlos am Kino vorbeigegangen ist. Es hat Einfluss genommen auf die Filme, aber auch auf das Kino als Ort und die Programmierung seiner Filme.
Das Aufkommen eines weiblichen Publikums bewirkte, so meine Leitthese, eine Veränderung der Kinoprogrammstruktur weg von Slapstick und dokumentarischem Material hin zu Filmen mit fiktionalem Inhalt. Unter Zuhilfenahme des Gender-Aspekts möchte ich einen Erklärungsversuch unternehmen, wie und warum es zu einer Veränderung vom Kurzfilm-Nummernprogramm zum Standardprogramm des langen Spielfilms kam. Wie erklärt sich der Prozess, daß das von klassen- und geschlechtsspezifischer und kultureller Diversität geprägte frühe Kino, dem Heide Schlüpmann eine heimliche Komplizenschaft mit der weiblichen Emanzipationsbewegung des Wilhelminischen Deutschlands zuspricht, abgelöst wird durch ein stabilisiertes, institutionalisiertes, nationalisiertes deutsches Kino.