Die Republick der Spiele

versammelt in demokratischer Eintracht Glücksspiel und Brettspiel, Turnier und Labyrinth, Literatur und Magie, König, Päpstin oder Queen of Hearts.

Wenn selbst namhafte Künstler des 20. Jahrhunderts mehr über Schachbrettern als über der Bedeutung des Flaschentrockners brüteten, ...   Schlägst du meinen Eierbecher oder ich deinen Turm? Marcel Duchamp war eigentlich viel lieber Schachspieler als Künstler.   Abbildung: Strouhal, Ernst: Duchamps Spiel Wien: Sonderzahl-Verl.-Ges., 1994. 163 S.: zahlr. Ill. Signatur: pb 16977


...die Einführung portugiesischer Spielkarten in Japan wahre Schlachten auslöste,   Weniger Hauen, mehr Stechen und Übertrumpfen war angesagt, wenn portugiesische cartas, zu japanischen karuta mutiert, samuraipanzer-
rasselnd aufeinander losgingen (undatierter Holzschnitt der Edo-Zeit).   Abbildung:
Miyatake, Gaikotsu: Tobakushi (Geschichte des Glücksspiels) Repr. der Ausgabe Tôkyô 1923. Nagareyama: Ron Shobô, Shôwa 49 [1974]. 3, 107 S.: Ill.
Signatur: od 24526


... ganz zu schweigen von den Wirkungen britischen Ochsenblasentretens auf den deutschen Seelenhaushalt, ...

Mit einer bohnengefüllten Ochsenblase zu spielen: „Am günstigsten ist es, wenn der herbeifliegende Ball mit dem Beine nicht nur aufgehalten, sondern auch durch denselben Schlag wieder zurückbefördert werden kann...“ Ahnte der Autor, was er bei den Germanen lostrat, als er sie mit englischem foodball (sic) bekanntmachte? Er ahnte es: „...denn erst dann kommt volles Leben ins Spiel.“

Abbildung:
GutsMuths, Johann Christoph Friedrich: Spiele zur Übung und Erholung des Körpers und des Geistes Mit den Erweiterungen der 4. Auflage von F. W. Klumpp in 5. Auflage neu herausgegeben, überarbeitet u. sehr vervollständigt von O. Schettler Hof: Grau, 1878. XIII, 395 S.: Ill.
Signatur: pw 865(5)


... dann heißt das, daß man die Faszination des Phänomens in seinen mythischen Grundlagen suchen sollte.   Abbildung:
Daszewski, Wiktor A.: La mosaïque de Thésée: études sur les mosaïques avec représentations du labyrinthe, de Thésée et de Minotaure Varsovie : PWN, Ed. Scientifiques de Pologne, 1977. 144, [84] S.: zahlr. Ill. (Nea Paphos; 2)
Signatur: 32 = PN.PA/pa 2949-2

 

 

Riskantes Geduldsspiel oder Vorläufer des Computerspiels? Das Labyrinth und den Minotaurus bewältigte Theseus wohl, auf dem nächsthöheren Level machte er eine weniger gute Figur (Römisches Fußboden-mosaik, Sarajevo).

 

 


Spiel ist Risiko: nicht selten lebensgefährlich, wie man weiß, im alten Rom...   Ludi? Circenses! Vom Kinderspiel bis zur künstlichen Seeschlacht - der Spielbegriff der Römer war, beim Jupiter, weitgefaßt.   Abbildung:
Montfaucon, Bernard de: L' antiquité expliquée et representée en figuresBd. 3,2. Les bains, les mariages, les grands & les petits jeux, les pompes, la chasse, la pêche, les arts, &c. Paris: Delaulne [u.a.], 1719. S. 202 - 390, Bl. 122 - 197, teilw. gef.: zahlr. Ill.
Signatur: 99 = pa 3589-3,2 RA


... und noch beim ritterlichen Kräftemessen mit splitternden Lanzen, ...   Abbildung:
Mittelalterliches Hausbuch: Bilderhandschrift des 15. Jahrhunderts mit vollständigem Text und facsimilierten Abbildungen Hrsg. vom Germanischen Museum. Leipzig: Brockhaus, 1866. VIII, 53 S., [27] Bl.: zahlr. Ill.
Signatur: 99 = pb 80022 Mittelalterliche Spiele konnten leicht ins Auge gehen, und in der Tat scheint der Bildchronist des 15. Jahrhunderts hier eher die bedrohliche Seite ritterlicher Turniervorbereitungen festgehalten zu haben (Kupferstichreproduktion von H. Petersen, 1866).


... sonst glücklicherweise oft bloß ein komplizierter Mechanismus zur Umverteilung des Reichtums. Doch nicht vergessen: ...   Aus der Geschichte der Geldvermehrung (1924): Kaum war die Rentenmark stabil, half der Universal-Katalog mit Neuheiten- Nachtrag der Republik erneut junge Spielernaturen heranzubilden.   Abbildung:
Bachmann, Manfred [Hrsg.]: Der Universal-Spielwaren- Katalog 1924 mit Neuheiten-Nachtrag 1926 Repr. München: Hugendubel, 1985. 386, 23 S.: zahlr. Ill.
Signatur: ln 93495


... ob im kolonialen Hongkong...

Aus der Geschichte der Geldvermehrung (1886): Kein „one-armed bandit“, sondern der Chef eines der größten Hongkonger Glücksspieletablissements höchstpersönlich entbietet seinen Triadengruß.

Abbildung:
Ng, Kwai-shang: A book on Chinese games of chance [S.l.], 1886. V, II, 138 S.: graph. Darst.
Signatur: od 10640


... oder in den Hinterzimmern des Wilhelminismus - die Bank gewinnt immer.   Aus der Geschichte der Geldvermehrung (1895): Der „Moloch Spiel“ forderte seinen Tribut auch in der wilhelminischen Unterwelt (Razzia in Berlin W).   Abbildung:
Ferber, Christian [Hrsg.]: Berliner Illustrirte Zeitung: Zeitbild, Chronik, Moritat für jedermann; 1892 - 1945 Reprint (Auswahl). Berlin: Ullstein, 1982. 399 S.: zahlr. Ill.
Signatur: me 1791


Bleibt noch zu erwähnen: das Spiel als Instrument der Romanorganisation, ...

Der Roman als Tarockspiel: Im „Schloß, darin sich Schicksale kreuzen“ formen sich Lebensläufe aus Päpstin, Sonne und Gehängtem, in Herzmanovsky-Orlandos „Maskenspiel der Genien“ (1929) ist das Spiel gar die Verfassungsgrundlage des Staates „Tarockei“.

Abbildung:
Calvino, Italo: Il castello dei destini incrociati Torino: Einaudi, 1973. 128 S.: Ill.1
Signatur: mt 8825


... als surrealistisches Gesellschaftsexperiment...  

Abbildungen:
La révolution surréaliste Reprint der Jahrg. 1924 - 1929 (= No. 1-12. Paris: Gallimard). Paris: Place, 1975
Signatur: z 4935: a
hier: No. 9-10, 1927, S. 34/35

 


Die Surrealisten spielten nicht nur mit Hopi- Puppen: Unter dem Markennamen „Köstlicher Leichnam“ verschaffte ihnen ein revitalisiertes Kinder- und Gesellschaftsspiel zur Erzeugung disparater Wort- und Bildkombinationen wohlige ästhetische Schocks.

 


und schließlich als „weiße Magie“ - aber sind das nicht alle Spiele?   Die letzten Mystifikationen des ancien régime: Was mit der Oriflamme und königlichem Handauflegen begann, endete mit Kartentricks vor bourbonischer Lilientapete.   Abbildung:
Encyclopédie méthodique / Recueil de planches de l’encyclopédie Bd. 8. Paris: Pancoucke, 1790.
Signatur: 99 = a 2554 RA-8