Urteil der Woche (KW 47)

Mit Urteil vom 28.07.2021 (X R 35/20) hat sich der BFH mit einigen verfahrensrechtlichen Fragen zur AO auseinandergesetzt.

Im Fall hat der Kläger und Revisionsbeklagte am 30.12.2019 eine Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 2012 eingereicht. In einem Begleitschreiben beantragte er die Durchführung der Einkommensteuerveranlagung für 2012. Das FA lehnte die Durchführung einer Einkommensteuerveranlagung mit Bescheid vom 21.01.2020 ab. Die Voraussetzungen für eine Pflichtveranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG seien nicht erfüllt, weil die positive Summe der Einkünfte, die nicht dem Steuerabzug vom Arbeitslohn zu unterwerfen seien, nicht mehr als 410 € betrage. Für eine Antragsveranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG sei die Festsetzungsfrist bereits am 31.12.2016 abgelaufen, weil die dreijährige Anlaufhemmung nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 der AO insoweit nicht anzuwenden sei.

Nach Zurückweisung des Einspruchs hatte die Klage Erfolg. Zur Begründung führte das FG an, dass der Verlust aus Gewerbebetrieb des Klägers zu hoch angesetzt wurde, sodass nach Neuberechnung der in § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG genannte Schwellenwert von 410 € überschritten wurde. Die Festsetzungsfrist sei gewahrt, weil der Kläger die Einkommensteuererklärung innerhalb dieser Frist beim FA eingereicht habe. Mit seiner Revision macht das FA geltend, das FG habe sich nicht mit der Regelung des § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 AO auseinandergesetzt. Insbesondere sei die Abgabe einer Einkommensteuererklärung, zu der man verpflichtet sei, nicht als "Antrag" anzusehen, der die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 3 AO auslöse.

Der BFH stimmt dem FA zu. Nach seiner Ansicht wäre selbst bei gegebenen Veranlagungsgrund aus § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG, die Festsetzungsfrist gleichwohl nicht gewahrt. Das FG hat die für den Streitfall grundlegende Rechtsnorm des § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 AO übersehen, wonach für die Wahrung der Festsetzungsfrist nicht die Einreichung der Steuererklärung maßgeblich ist, sondern der Zeitpunkt, zu dem der Steuerbescheid den Bereich der zuständigen Finanzbehörde verlässt. Die --vom FG ebenfalls nicht erwähnte-- Ablaufhemmung des § 171 Abs. 3 AO ist im Streitfall nicht anwendbar. Die Abgabe einer gesetzlich vorgeschriebenen Steuer- oder Feststellungserklärung ist nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht als Antrag i.S. des § 171 Abs. 3 AO anzusehen. Nichts anderes ergibt sich daraus, dass der Kläger in einem Begleitschreiben zu seiner Einkommensteuererklärung 2012 ausgeführt hat, er stelle einen "Antrag auf Einkommensteuer-Veranlagung". Dieser sei deklaratorischer Natur. Die Revision des FA ist begründet.

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