Reform des Sexualstrafrechts

Nach geltendem Recht stehen bisher nur Taten gegen die sexuelle Selbstbestimmung einer Person unter Strafe, die unter Anwendung von Zwangsmitteln durchgeführt werden. Ein Gesetzentwurf des BMJV hat in Bezug auf sich dadurch ergebende tatbestandliche Lücken die einschlägigen Paragraphen neu gefasst und reagiert damit insbesondere auf die nach den Vorfällen der Kölner Silvesternacht lautgewordenen rechtspolitischen Forderungen.

Reform des Sexualstrafrechts

Nach bisher noch geltendem Recht stehen nur Taten gegen die sexuelle Selbstbestimmung einer Person unter Strafe, die unter Anwendung von Zwangsmitteln durchgeführt werden. Tatbestandliche Lücken ergeben sich daher vor allem hinsichtlich solcher Taten, bei denen der Täter gar nicht erst auf Zwangsmittel zurückgreifen muss, weil er sich einen Überraschungsangriff oder eine lediglich subjektiv schutzlose Lage zu Nutze macht, oder weil er das Opfer in eine Zwangslage versetzt, bei der es keine Schäden an Leib oder Leben, sondern andere Nachteile, zum Beispiel beruflicher Natur, zu befürchten hat. Häufig scheiterte eine Verurteilung auch an der notwendigen Finalität zwischen dem Nötigungsmittel und der Vornahme sexueller Handlungen. Diese durch den Gesetzentwurf des BMJV als ebenfalls strafwürdig – und zwar über die Vergehensgrenze hinausgehend – hervorgehobenen Handlungen sollen künftig durch die tatbestandlich neu gefassten Paragraphen § 177 StGB und § 179 StGB aufgefangen werden. Gestrichen wird im Gegenzug § 240 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 StGB. § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB wird ferner als besonders schwerer Fall in den § 179 Abs. 3 StGB-E integriert. Dies diene laut Gesetzentwurf vor allem der verbesserten Umsetzung von Artikel 36 Istanbul-Konvention, der nicht einverständliche sexuelle Handlungen unter Strafe stellen will. Bei der Istanbul Konvention aus dem Jahre 2011 handelt es sich um eine Übereinkunft des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt. Die Konvention wurde von Deutschland unterzeichnet, aber noch nicht ratifiziert.

Nach den Vorfällen der Silvesternacht in Köln wurden jedoch vermehrt Stimmen laut, die eine weitere Verschärfung des Gesetzentwurfs forderten. Vorgeschlagen wurden Ergänzungen hinsichtlich der tatbestandlichen Erfassung sexueller Übergriffe aus einer Gruppe heraus und des sogenannten „Begrapschens“. Der Grundsatz "Nein heißt Nein", der in der vom Kabinett beschlossenen Fassung noch fehlte, sollte zunächst nach einem Bericht der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" (FAS) zufolge nun in das Gesetz aufgenommen werden. Demnach soll der Straftatbestand der Vergewaltigung bereits erfüllt sein, wenn ein eindeutiges "Nein" bei der körperlichen Annäherung missachtet wird. Auch die geforderten Ergänzungen bezüglich des „Begrapschens“ oder sexueller Übergriffe aus einer Gruppe heraus sollten laut dem Bericht der FAS in das Gesetz mit aufgenommen werden. Der Bundestag hat nun in seiner Sitzung vom 07. Juli 2016 die Reform des Sexualstrafrechts, inklusive des Grundsatzes „Nein heißt Nein“, beschlossen. Insbesondere wird mit § 184j StGB ein neuer Straftatbestand der sexuellen Belästigung eingeführt, welcher sich gegen Personen richtet, die aus einer Gruppe heraus eine andere Person bedrängen, um sie zu „begrapschen“ oder sexuell zu nötigen. Künftig macht sich bei einer Haftstrafe von bis zu zwei Jahren schon derjenige strafbar, der Teil einer solchen Gruppe ist.

Darüber hinaus wurde der Grundsatz „Nein heißt Nein“ kurzfristig auch in das Ausweisungsrecht mit aufgenommen. Bereits seit einer ersten Verschärfung im Januar können ausländische Straftäter ohne Asylanspruch ausgewiesen werden, wenn sie Sexualdelikte begangen haben. Voraussetzung war bisher allerdings, dass Gewalt angewendet oder zumindest angedroht wurde. Diese Einschränkung soll nun wegfallen. Im kurz vor der Abstimmung von CDU/CSU und SPD eingebrachten Änderungsantrag hieß es, dass auch in diesen Fällen der "Nein heißt Nein"-Grundsatz gelten solle. Dadurch werden die Gründe, die zu einer Abschiebung führen können, erweitert – ein Schritt, der von der Opposition als "Verschärfung durch die Hintertür" und doppelte Bestrafung abgelehnt wird.

Auch wenn eine Reform des Sexualstrafrechts grundsätzlich begrüßt wird, gibt es von Seiten der Berufsverbände von Richtern und Anwälten auch Kritik dahingehend, dass die Gerichte vor erhebliche Probleme gestellt werden könnten. Verfahren, bei denen künftig ein „Nein“ des Opfers für eine Bestrafung eines Sexualtäters ausreichen solle, seien kompliziert, sagte der Vorsitzende des Richterbundes, Jens Gnisa. Er argumentierte weiter, dass diese Prozesse in der Regel schwierig zu führen seien, weil Aussage gegen Aussage stehe und es regelmäßig an eindeutigen Indizien fehle. Der Strafrechtsexperte Rüdiger Deckers vom Deutschen Anwaltverein verwies auf die Möglichkeit, dass auch falsche Beschuldigungen ausgesprochen werden könnten.

Hinsichtlich des neuen § 184j StGB führte Prof. Monika Frommel, ehemalige Direktorin des Instituts für Sanktionenrecht und Kriminologie der Universität Kiel, aus, dass unklar sei, worin genau die Tathandlung des "Beteiligens" an einer Gruppe bestehe, und worin dann noch der Unterschied zu einer als Mittäter oder Teilnehmer begangenen Tat nach § 177 bzw. § 184i liegen solle.