Veranstaltungsbericht: „Ordinary judges as constitutional judges: Norway“ von Prof. Dr. Dr. h.c mult. Eivind Smith (University of Oslo, Norwegen)

Den Abschluss der institutseigenen Ringvorlesung „Rechtsstaatsprinzip vs. Demokratie“ im Wintersemester 2018/2019 bildete am Montag, dem 21. Januar 2019, der Vortrag von Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Eivind Smith.

Prof. Smith berichtete anschaulich von den Probleme und Herausforderungen Norwegens als „kleinem skandinavischen Land“ ohne spezialisiertes Verfassungsgericht. In Ermangelung einer solchen Kontrollinstanz wird die Überprüfung von Legislativakten auf ihre Verfassungsmäßigkeit traditionell (seit 1866) von den Richtern des norwegischen Obersten Gerichtshofs ((Norges) Høyesterett) übernommen. Die norwegische Verfassung von 1814 schweigt jedoch zum Thema der richterlichen Überprüfbarkeit der Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen. Daher, so Smith, seien die Richter des Obersten Gerichtshofs noch bis in die 1970er-Jahren wenig „selbstbewusst“ gewesen, was die mit ihrer Rolle als „Verfassungsrichter“ einhergehende Einmischung in legislative und damit in politische Prozesse anging. Heute trete die Bereitschaft der Richter, ihrem – ungeschriebenen – Auftrag zur Weiterentwicklung der norwegischen Verfassung im Rahmen ihrer Tätigkeit gewissenhaft nachzukommen, deutlicher zu Tage.

Die Richter des Obersten Gerichtshofs werden, auf Vorschlag der Regierung und – seit ca. 15 Jahren – einer unabhängigen Kommission, bestehend aus Rechtsanwälten und Richtern, vom norwegischen König ernannt. Sie dürfen keine politischen Ämter bekleiden oder sich in sonstiger Weise politisch engagieren. Diese Vorgabe soll die politische Unabhängigkeit des Gerichtshofs sichern, über die in Norwegen aktuell diskutiert wird. Das Ministerkomitee des Europarates empfiehlt, die Richter nationaler Verfassungsgerichte ausschließlich von einer unabhängigen Kommission, die größtenteils aus Richtern besteht, vorschlagen zu lassen. Sie solle das „letzte Wort“ in der Sache haben, um so eine zu große Einflussnahme der Regierung auf den Auswahlprozess auszuschließen. Nach Prof. Smith kann diesem Vorschlag nicht gefolgt werden. Verfassungsgerichte griffen mit ihren Entscheidungen unmittelbar in das politische Geschehen ein, sodass es gar nicht möglich sei, sie von einer Beteiligung an der Auswahlkommission auszuschließen. Abgesehen davon spiele es an sich keine Rolle, wer die Richter vorschlage. Von größerer Bedeutung sei die Unabhängigkeit der Richter in ihren Entscheidungen.

Die Kontrolle von Legislativakten durch den Gerichtshof erfolgt stets aus einer Perspektive ex post, die Überprüfung von Gesetzen auf ihre Verfassungsmäßigkeit im Vorfeld ihrer Verkündung (ex ante) ist nicht vorgesehen. Die Wirkung der Urteile ist beschränkt auf das Verhältnis der Parteien des konkreten Rechtsstreits (inter partes). Wird also ein Gesetz wegen Verstoßes gegen die Verfassung im konkreten Fall für nicht anwendbar erklärt, so bleibt der Rechtsakt trotzdem weiterhin gültig (wobei der Gesetzgeber das Gesetz in der Praxis aber aufhebt).

Während der anschließenden Fragerunde, moderiert durch den ehemaligen Direktor des Instituts, Prof. Dr. Alexander Proelß, diskutierte Prof. Smith mit dem interessierten Publikum u.a. über die Unabhängigkeit der norwegischen „Verfassungsrichter“ vom Parlament, das Verfassungsrecht im Spiegel der Medien und in der öffentlichen Wahrnehmung sowie den Einfluss eventueller aktueller populistischer Tendenzen in Norwegen auf das Ansehen des Obersten Gerichtshofs.

Eine schriftliche Version des Vortrags wird in der institutseigenen Schriftenreihe „Rechtspolitisches Forum“ erscheinen. Weitere Informationen erhalten Sie unter www.irp.uni-trier.de oder wenden Sie sich an irpsekuni-trierde.

Herr Prof. Dr. Smith ist Professor für Öffentliches Recht an der Universität Oslo. Prof. Smith absolvierte diverse Auslandsaufenthalte (u.a. in Frankreich, Deutschland, Großbritannien, den Vereinigten Staaten, Südamerika, Asien und Afrika) als Gastprofessor und Gastwissenschaftler. Neben dem Amt des Vizepräsidenten der „International Association of Constitutional Law“ (IACL) bekleidet Prof. Smith zudem u.a. den Posten des stellvertretenden Vorsitzenden der „Group of independent experts on the European Charter of local self-government (GIE)“ und wird darüber hinaus regelmäßig vom Europarat als Experte in Fragen der lokalen Selbstverwaltung und zu den Themen Parlamentarismus, Ombudsstellen und gerichtlicher Rechtsschutz zu Rate gezogen.