Trierer Professor wählte „Volksverräter“ zum Unwort

"Volksverräter" ist das Unwort 2016

„Volksverräter“ ist das Unwort des Jahres 2016. Das hat die so genannte Sprachkritische Aktion heute Morgen mitgeteilt. Ein Mitglied der fünfköpfigen Jury ist der Trierer Germanist Prof. Dr. Martin Wengeler.

Mehr als 1.000 Einsendungen mit knapp 600 verschiedenen Vorschlägen waren bis zum Ende des Jahres 2016 bei der Organisation eingegangen, darunter allein 48 Mal „postfaktisch“, was bereits zum Wort des Jahres gekürt worden war. Häufig genannt wurden unter anderem auch „Obergrenze“, „biodeutsch“ oder „Armlänge“ – alles Begriffe, die allerdings zu wenig den Kriterien der Jury entsprachen und demnach auch nicht in die engere Wahl kamen.

Nach langer Diskussion hat sich die Jury schließlich auf ein Wort geeinigt, das lediglich drei Mal eingesandt worden war: „Volksverräter“. „Ausschlaggebend für unsere Wahl ist nicht die Anzahl der Einsendungen“, betont Martin Wengeler. „Mit unserer Aktion wollen wir in erster Linie auf öffentliche Formen des Sprachgebrauchs aufmerksam machen und dadurch das Sprachbewusstsein und die Sprachsensibilität in der Bevölkerung fördern.“  Vor diesem Hintergrund gestaltete sich die Entscheidungsfindung dieses Mal eher schwierig: „Wir haben uns gefragt: Sollen wir erneut einen Begriff wählen, der von Rechtspopulisten benutzt wird? Würden wir damit genau denen nicht wieder Futter geben?“

„Volksverräter“ war zwar schon in den vergangenen Jahren auf Pegida-Demonstrationen und in ähnlichen Zusammenhängen oft verwendet worden. "Durch die Vorfälle während der Einheitsfeierlichkeiten ist der Begriff 2016 dann doch sehr deutlich in den Fokus gerückt, auch das war ein Grund für die Wahl“, so Wengeler. Insgesamt zeigten die Einsendungen, „dass sich der Großteil öffentlicher Sprachkritik gegen einen diffamierenden Sprachgebrauch im Themenfeld Migration richtet“, so die offizielle Begründung der Jury.

Weiter heißt es: „Die Aktion „Unwort des Jahres“ versteht sich als eine sprachkritische Initiative, die in einer Zeit, in der der gesellschaftliche Konsens über die Grundprinzipien der Demokratie in Gefahr zu sein scheint, die Grenzen des öffentlich Sagbaren in unserer Gesellschaft anmahnen sollte. (…) Volksverräter ist ein Unwort im Sinne unserer Kriterien, weil es ein typisches Erbe von Diktaturen, unter anderem der Nationalsozialisten ist. Als Vorwurf gegenüber PolitikerInnen ist das Wort in einer Weise undifferenziert und diffamierend, dass ein solcher Sprachgebrauch das ernsthafte Gespräch und damit die für Demokratie notwendigen Diskussionen in der Gesellschaft abwürgt.“

Während der Bekanntgabe des Unwortes hängt Martin Wengeler am Telefon. Pünktlich um 10 Uhr hat er das erste Interview, weitere folgen, bis er in seine Vorlesung muss. Danach geht es wahrscheinlich den ganzen Tag so weiter, unterbrochen von einer weiteren Lehrveranstaltung. Auch wenn es etwas anstrengend ist, dass sich die Medienanfragen meist an einem Tag im Jahr ballen, freut sich der Professor über die Aufmerksamkeit. Schließlich kommt sie seinem Forschungsanliegen entgegen: „Ich sehe die Unwort-Aktion als eine Chance, in der Öffentlichkeit sprachwissenschaftlich reflektierte Sprachkritik zu vermitteln.“

Seine ehrenamtliche Tätigkeit bei der sprachkritischen Aktion scheint auch in seiner Arbeit an der Universität Trier durch. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören die deutsche Sprachgeschichte nach 1945, Sprachkritik, Argumentationsanalyse, Politische Sprache, Linguistische Diskursgeschichte, Linguistik als Kulturwissenschaft.

Informationen und Hintergründe zum Unwort des Jahres
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