Die Analyse von Erzählkunst ist ihre Leidenschaft

Die Gräzistin Prof. Dr. Irene de Jong wurde mit dem Ausonius-Preis ausgezeichnet.

Universitätsvizepräsident Prof. Dr. Torsten Mattern, Laudator Prof. Dr. Stephan Busch, Preisträgerin Prof. Dr. Irene de Jong, Gräzistik-JProf. Dr. Diego De Brasi, Prodekanin Prof. Dr. Claudia Ritzi und Dekan Prof. Dr. Sebastian Hoffmann (von links) bei der Preisverleihung.

„In Anerkennung ihres wissenschaftlichen Werkes ist dieser Preis mehr als nur berechtigt.“ Mit diesen Worten würdigte der Altphilologe Prof. Dr. Stephan Busch als Laudator Prof. Dr. Irene de Jong, die in einer Feierstunde den Ausonius-Preis 2022 in Empfang nahm.

„Wäre bei der heutigen Preisverleihung ausschließlich Fachpublikum anwesend, könnte ich die Vorstellung der Preisträgerin an dieser Stelle beenden, denn Irene de Jong ist in der Gräzistik bestens bekannt“, sagte Busch zu Beginn seiner Laudatio. Da im Hörsaal aber nicht nur Altphilologen die Festrede der Wissenschaftlerin der Universität Amsterdam hören wollten, gab Stephan Busch dem Publikum einen summarischen Überblick über das imposante wissenschaftliche Schaffen Irene de Jongs, das unter anderem aus teils bahnbrechenden Studien, weit über 100 Einzelbeiträgen in Fachzeitschriften und Sammelbänden, der (Mit-)Herausgeberschaft von Handbüchern bis hin zur Mitwirkung an Unterrichtsmaterialien besteht. Mit ihrer Forschung habe sie beträchtliche Resonanz gefunden und einen Paradigmenwechsel eingeleitet, so Professor Busch.

Neuer Ansatz

Bereits in ihrer Dissertation führte Irene de Jong den aus der Literaturwissenschaft bekannten Ansatz der Narratologie in die Klassische Philologie ein. Erzählkunst zu analysieren, bezeichnet sie als ihre Leidenschaft, der sie sich bis heute hingibt. In ihrer Festrede führte sie das Publikum in ihr neuestes Narratologie-Projekt ein, in dem sie sich mit Herodots Erzählungen der Schlacht von Salamis beschäftigt. In ihren Studien rückt de Jong nicht die in der Erzählung enthaltenen Fakten und Informationen in den Mittelpunkt, sondern den Erzähler und die Erzählung.

Während sich die moderne historische Forschung vielfach enttäuscht von Herodots Geschichtsschreibung zeigt – zu wenig Fakten, zu viel Fiktion – trifft gerade dieser Aspekt den Nerv der Narratologie. „Meine Aufgabe sehe ich darin zu analysieren, wie Herodot seine Geschichten erzählt und zu verstehen, was Herodot uns erzählen will und nicht was wir von ihm hören wollen“, beschrieb die Ausonius-Preisträgerin ihren wissenschaftlichen Antrieb.

Preisträgerin Prof. Dr. Irene de Jong beim Festvortrag.
Preisträgerin Prof. Dr. Irene de Jong beim Festvortrag.
Prof. Dr. Torsten Mattern, Vizepräsident der Universität, übergibt die Ausonius-Statuette an Preisträgerin Prof. Dr. Irene de Jong.
Prof. Dr. Torsten Mattern, Vizepräsident der Universität, übergibt die Ausonius-Statuette an Preisträgerin Prof. Dr. Irene de Jong.

Drei Wunder

Herodot habe mit seiner Erzählstrategie das Ziel verfolgt, die 480 v. Chr. in der Meerenge bei Salamis geführte Schlacht als dreifaches Wunder darzustellen. Das erste beschrieb de Jong als „David und Goliath-Wunder“, das in dem Sieg der militärisch weit unterlegenen griechischen Flotte gegen die persische Übermacht bestand. Das zweite Wunder sei darin zu sehen, dass es überhaupt zu diesem Seegefecht gekommen ist. Die Griechen waren lange zerstritten über die Strategie, die Schlacht in einer Meerenge zu führen, was sich schließlich als ihr Erfolgsmodell gegen die auf dem engen Raum in der Manövrierfähigkeit eingeschränkte persische Flotte erweisen sollte.

Das dritte Wunder liege in der Rolle, die Herodot der Artemisia einräumt. Der scheinbar heldenhafte Kampfesmut der Befehlshaberin eines persischen Flottenschiffs löst auf persischer Seite Bewunderung und bei den griechischen Gegnern Unmut darüber aus, in der Schlacht gegen eine Frau kämpfen zu müssen. Herodot, so Irene de Jong, nehme in diesem Gender-Thema eine Mittelposition zwischen Bewunderung und Verärgerung ein. Gleichwohl widme sich Herodot in seinen geschichtlichen Erzählungen einer ganzen Gruppe starker Frauen, für die er eine gewisse Faszination empfinde.

Narratologische Analyse

„Ich wollte in meinem Festvortrag einen Eindruck vermitteln, was eine narratorische Analyse erbringen kann“, wandte sich Irene de Jong zum Abschluss ihres Festvortrags an das Publikum. Dieses Vorhaben gelang ihr eindrücklich, auch dank des ausgewählten Stoffs und des Erzählers. Denn Herodots Erzählkunst, so de Jong, „ist spannend und seriös“.

Weniger spannend, vielmehr zupackend verlief die Preisübergabe durch den Vizepräsidenten der Universität, Prof. Dr. Torsten Mattern, der sich von dem Gewicht der überreichten Ausonius-Statuette überrascht zeigte. „Das Gewicht dieses Preises beruht aber nicht auf dem Material der Statuette, sondern auf seinem ideellen Wert“, so Mattern, der damit den Wunsch verband, dass sich die Auszeichnung als inspirierend für weitere Studien erweise.

Der Preis

Der Ausonius-Preis wird jährlich gemeinsam vom Fachbereich II, vertreten durch Dekan Prof. Dr. Sebastian Hoffmann, und vom Fachbereich III vergeben, dessen Prodekanin Prof. Dr. Claudia Ritzi, die Urkunde und das Preisgeld in Höhe 1.500 Euro überreichte. Mit dem Preis wird eine herausragende wissenschaftliche Arbeit oder ein wissenschaftliches Gesamtwerk auf dem Gebiet der Klassischen Philologie oder der Alten Geschichte gewürdigt. Benannt ist er nach dem spätantiken römischen Lehrer, Dichter und Staatsmann Ausonius."