Superslow

Super-Slow: Der neue Fitness-Hype aus den USA

25.03.01 Originalartikel aus Wirtschaftswoche.

Wer keine Zeit für stundenlanges Trainieren in der Muckibude aufwenden will, kann jetzt zu einer neuen Trainingsmethode wechseln, die Fitness mit wenig Zeitaufwand verheißt: „Super-Slow“ heißt das neueste Zauberwort aus den USA. Es findet dort immer mehr Anhänger. Wir sind der Frage nachgegangen, ob ein Training zweimal die Woche für 20 Minuten wirklich etwas bringt...

Schlank und stark wollte er schon immer sein – doch irgendwie hat es nie so recht geklappt. Hanteln stemmen, laufen, Rad fahren: Jahrzehntelang hat Wes Scarberry alles Mögliche ausprobiert, „doch nie war ich zufrieden“. Nach vorübergehenden Anfangserfolgen in den ersten Wochen hat er stets frustriert aufgegeben. Eine neue Traings-Methode verspricht endlich Besserung...

Nur noch zwei Mal pro Woche 20 Minuten

Seit 1995 ist für Wes Scarberry alles anders: Seither trainiert der 60-jährige Kalifornier nur noch zweimal 20 Minuten pro Woche und gewinnt dennoch „langsam, aber stetig“ Kraft hinzu. Nebenbei hat er gut zehn Kilogramm Gewicht verloren – ohne seine Ernährung umzustellen oder nebenher andere Sportarten zu betreiben. Scarberrys Erfolgsrezept ist eine Variante des Krafttrainings, die in den USA eine kleine, aber schnell wachsende Anhängerschaft besitzt: „Super-Slow“.

Das Prinzip ist im Grunde einfach: Trainingsgeräte werden im Schneckentempo bedient. 15 bis 20 Sekunden soll es dauern, ein Gewicht zu stemmen und wieder zu senken – statt der bei herkömmlichem Krafttraining üblichen sechs bis acht Sekunden. Folge: Der Schwung, der bei schnellen Bewegungen die Muskeln entlastet, fehlt bei Super-Slow, schon nach Minuten versagt der trainierte Muskel. Und dieser Kollaps ist gewollt – sonst, so die Theorie, ist die Belastung nicht groß genug.

Workout darf nicht länger als 30 Minuten dauern

Insgesamt dauert eine Trainingseinheit daher nur rund 20 Minuten, Könner kommen sogar mit sieben bis acht Minuten hin. „Wenn ein Workout länger als 30 Minuten dauert, ist es nicht intensiv genug“, sagt Ken Hutchins.

Der Fitnesstrainer aus Florida, der Mitbegründer von Super-Slow ist und die Urheberrechte an dem Begriff besitzt, schreibt dieser Methode geradezu magische Kraft zu: Super-Slow sei effektiver, weniger zeitaufwendig und nicht so verletzungsträchtig wie gewöhnliches Krafttraining. Und im Vergleich zu Ausdauersportarten wie Joggen oder Schwimmen sei es viel besser dazu geeignet, unliebsamen Fettpolstern den Garaus zu machen.

Immer größere Anhängerschaft

In Wes Scarberry jedenfalls hat Hutchins einen treuen Anhänger gefunden. Kurz entschlossen hängte Scarberry seinen Beruf als Illustrator an den Nagel, ließ sich zum Super-Slow-Trainer ausbilden und eröffnete im südkalifornischen San Clemente selbst ein Super-Slow-Studio.

Noch gibt es auch in Amerika nur wenige solcher Studios. Doch die, die es gibt, sind derzeit meist ausgebucht – wie etwa das Fitnesscenter im Fairfax Racquet Club. In dem Sportverein in Fairfax, einem der Zentren der High-Tech-Industrie im Westen Washingtons, wird Super-Slow bereits seit zehn Jahren praktiziert.

Für jedes Alter geeignet

Wie in anderen Super-Slow-Studios gibt es hier keine Spiegel, auch Musik oder Fernseher fehlen – nur wer sich voll konzentriere, glauben Super-Slow-Anhänger, könne wirklich die Belastungsgrenze seiner Muskeln erreichen.

150 Kunden zwischen 11 und 87 Jahren trainieren im Fairfax Racquet Club, manche nehmen zwei Stunden Anfahrt dafür in Kauf. Der 49-jährige Robert Duff kommt dreimal in der Woche in den Club. Dreimal, so die Theorie, ist das Höchstmaß. Häufiger solle nicht trainiert werden, um den extrem belasteten Muskeln Zeit zur Regeneration zu geben. Hart gesottene Super-Slow-Fans wie Clubpräsident Richard Szymczyk quälen ihre Muskeln sogar so sehr, dass sie nach jedem Training eine ganze Woche Pause brauchen.

Skepsis ist vorhanden

Szymczyk, selbst ein Fitnesstrainer, beschränkt sein wöchentliches Trainingspensum auf ganze 15 Minuten. Das reicht dem 44-Jährigen, um in Form zu bleiben. Nebenher spielt er Tennis und Football – aber nicht zur Ertüchtigung, sondern „nur zum Spaß“. Er joggt auch, hält es „eigentlich“ aber für „Zeitverschwendung“.

Super-Slow gibt es seit den Achtzigerjahren, lange aber wurde es in der amerikanischen Fachwelt mit Argwohn beäugt – nicht zuletzt deshalb, weil Super-Slow-Erfinder Hutchins mit religiösem Eifer andere Formen der Ertüchtigung als nutzlos bis schädlich verunglimpft.

Ideal für Leute, die wenig Zeit haben

Doch inzwischen bröckelt die Abwehrfront im Fitnessestablishment. Heute loben auch unabhängige Experten Super-Slow. „Eine sehr effektive Methode für den Muskelaufbau“, urteilt James Graves, ein Professor für „Exercise Science“ an der Syracuse University im Bundesstaat New York. „Vor allem für Leute, die wenig Zeit haben, ist das eine gute Alternative“, sagt Graves.

Praktiker verweisen darauf, dass die meisten Verletzungen beim Krafttraining durch abrupte Bewegungen entstehen. Bei Super-Slow dagegen sind die Bewegungen so langsam, dass vorher nicht einmal aufwärmende Dehnübungen nötig sind. Super-Slow sei daher „sehr sicher gerade auch für Anfänger“, sagt Hank Drought, Vorstandsmitglied des amerikanischen Fitnesstrainerverbands NSCA.  

Hantelheben ist Massensport

Krafttraining steht in Amerika ohnehin nicht mehr in der Schmuddelecke. Früher war Bodybuilding eine Sache von Möchtegern-Schwarzeneggers, denen es mehr auf bewundernde Blicke denn auf Fitness ankam. In den Neunzigerjahren wurde es in den USA zum Breitensport.

Experten finden das gut so. Selbst der Vater der Aerobics-Bewegung, der texanische Kardiologe Kenneth Cooper, erkennt die Nützlichkeit des Hantelhebens inzwischen an. Krafttraining sei „für die Fitness wichtig“, glaubt auch die American Heart Association.

Medizin erkennt Prinzip an

Das Super-Slow-Prinzip, beim Krafttraining die Muskeln bis zur völligen Erschöpfung zu belasten, ist in der Fachwelt mittlerweile herrschende Lehrmeinung – so zum Beispiel beim angesehenen American College of Sports Medicine.

Weiterhin umstritten ist dagegen die Behauptung der Super-Slow-Fans, dass es viel effektiver ist, Gewichte gemächlich zu stemmen. Immerhin einen wissenschaftlichen Beleg gibt es allerdings inzwischen: Wayne Westcott, Research Director von South Shore YMCA, einem Sportverein in Quincy, Massachusetts, hat 147 Probanden aus allen Altersklassen zwei Monate lang zwei- bis dreimal wöchentlich unter Aufsicht trainieren lassen. Die eine Hälfte absolvierte herkömmliches Krafttraining, die andere probierte es mit Super-Slow.

Effektiver als „normales“ Krafttraining?

Ergebnis: Bei den Super-Slow-Probanden gewannen die Armmuskeln 50 Prozent mehr Kraft hinzu als in der Kontrollgruppe. „Wir waren selbst überrascht, wie effektiv Super-Slow ist“, sagt Westcott, dessen Forschungsbericht in Kürze im renommierten Journal of Sports Medicine and Physical Fitness erscheinen wird.

Aber selbst wenn Super-Slow die beste Methode zum Muskelaufbau ist – kann es auch Ausdauertraining ersetzen, wie Super-Slow-Erfinder Hutchins glaubt? Nein, sagen viele Wissenschaftler. Viele Experten glauben außerdem, dass sich Fett am besten wegtrainieren lässt, wenn während des Sports viele Kalorien verbrannt werden.

Diät überflüssig?

Super-Slow-Obervater Hutchins hält dagegen, nicht auf die Leibesübungen selbst, sondern auf die dabei entstehenden Muskeln komme es an. Beim Ausdauertraining würden so wenig Kalorien verbrannt, dass es als Mittel gegen den Schmerbauch „einfach ineffizient“ sei. Wer dagegen Muskeln aufbaue, steigere seinen Grundverbrauch an Kalorien. Mit jedem Kilogramm Muskelmasse zum Beispiel, den eine erwachsene Frau gewinne, steige die benötigte Nahrungszufuhr um rund 200 Kalorien. Auf diese Weise, verheißt Hutchins, könne ein jeder auch ohne Diät abnehmen.

Unabhängige Fachleute bestreiten diesen Effekt nicht – viele halten ihn jedoch für geringer als von Hutchins behauptet. Doch selbst wenn Hutchins Recht hat, und er mit seiner Methode tatsächlich das Patentrezept für Fitness gefunden hat – einen Nachteil hat Super-Slow auf jeden Fall: Es ist kein Zuckerschlecken. „Welch ein Workout“, schreibt die „New York Post“ ehrfürchtig: „Wenn du es richtig machst, beben deine Muskeln, und du keuchst wie ein Pornostar.“ Folgerichtig hat das Boulevardblatt bei der Recherche vor Ort ein neues „Schlagwort der Fitneßcenter-Welt“ aufgeschnappt: „Arrgghhh.“

Kein Zuckerschlecken 

„Das Gehirn versagt eher als die Muskeln“, erklärt Fitnesstrainer Szymczyk, „das ist ein ganz natürlicher Schutzmechanismus.“ Die Herausforderung sei, den Schmerz zu überwinden: „Wenn ich wirklich aufhören will, mache ich noch 20 bis 40 Sekunden weiter.“ Selbst Ken Hutchins vergleicht denn auch den Spaßfaktor von Super-Slow mit Tätigkeiten wie Rasen mähen oder Toiletten putzen.

Fans wie der Washingtoner Unternehmer Robert Duff sagen allerdings, auch daran könne man sich gewöhnen. Duff, der sich selbst „eine sehr niedrige Schmerztoleranz“ zuschreibt, ist nach drei Jahren Super-Slow „regelrecht geschockt, wie viel man aushalten kann“.

Anweisungen

Da die Bewegungen hier sehr langsam ausgeführt werden, ist die Verletzungsgefahr gering. Trotzdem sollten Sie vorher mobilisieren und allgemein und speziell aufwärmen. Beginnen Sie den Trainingsprozess mit einen zu leichten Gewicht und tasten Sie sich langsam an die Ausbelastungsgrenze heran.