Die
Reichert’sche Dissertation
Konnektionistische Modellierung lexikalischer
Prozesse der Bedeutungskonstitution
beschäftigt
sich mit einem vieldiskutierten Aspekt der semiotischen Fundierung der natürlichsprachlichen Semantik, die als ein Resultat von kognitiven
Prozessen erscheint, welche Bedeutung konstituieren. Dabei handelt es sich um
jene Prozesse, durch die (mehr oder weniger) bestimmten Agglomerationen von
Entitäten in (mehr oder weniger) bestimmten Zusammenhängen eine (mehr oder
weniger) bestimmte Eigenschaft zuwächst, die als Bedeutung dieser Entitäten erscheint. In der vorliegenden Arbeit
geht es um die prozedurale Rekonstruktion derartiger
Prozesse der Emergenz lexikalischer Bedeutungen und
wie sie im Rahmen eines konnektionistischen Modellansatzes sich simulieren und
ihre Resultate repräsentieren lassen.
Mit
dieser Themenstellung ergreift die Arbeit gleichzeitig auch Partei in der seit
Jahren anhaltenden Diskussion zur maschinellen Sprachverarbeitung, die von der
Kontroverse geprägt ist zwischen Verfechtern der sog. regelbasierten,
symbolverarbeitenden Modellierung sprachverarbeitender Mechanismen einerseits,
und den Vertretern der numerischen, vektoriellen
Darstellung und Verarbeitung von Zeichenrepräsentationen andererseits, wie dies
in den konnektionistischen Modellen künstlicher
neuronaler Netzwerke realisiert wird. Darüber hinaus kommt dem von der Autorin
vorgelegten Modell der selbstorganisierenden semantischen Karten (SOSM)
besondere Bedeutung deswegen zu, weil es ihr gelungen ist, eine im Zusammenhang
der Unscharfen Semantik (Rieger 1989) mengentheoretisch
definierte und erklärte semiotische Teilfunktion der sog. paradigmatischen oder
d-Abstraktion nun auch konnektionistisch zu modellieren.
Damit liefern die Ergebnisse der Reichert'schen Untersuchung indirekt ein
deutliches Argument für die – zumindest (aber möglicherweise nicht nur) in
diesem Fall – mögliche, nicht-konnektionistische Rekonstruierbarkeit
von Struktur-emergierenden Prozessen durch unscharfe
(Mengen-)Systeme.
Aufbauend
auf Ideen der strukturalen Semantik in der Sprachwissenschaft (Saussure, Trier), auf sprachphilosophischen Prinzipien einer
Gebrauchssemantik (Wittgenstein) und auf deren empirisch
motivierten quantitativ-linguistischen Operationalisierungen
der Unscharfen Semantik (Rieger) in der Computerlinguistik,
werden von der Autorin nach kurzer
Einführung in die Problemlage zunächst die modelltheoretischen Voraussetzungen
des von ihr gewählten Ansatzes entfaltet. Sodann legt sie die Grundlagen,
spezifischen Entwicklungen und praktischen Umsetzungen ihres eigenen Modells
dar, um dessen Ergebnisse abschließend vorzustellen. Der Anhang enthält die der
Modellierung zugrundeliegende Datenbasis, das sehr gute Literaturverzeichnis,
ein verständliches Glossar, sowie einen Namen- und Stichwortindex.
Verzeichnisse der Abbildungen, der Tabellen, der verwendeten Siglen, Kürzel und
Symbole vervollständigen das technisch wie graphisch perfekte
Erscheinungsbild der Arbeit. Der überzeugende Aufbau der vorgelegten
Untersuchung, die transparente Gliederung des komplexen Stoffs und die durchweg
klare und verständliche, teilweise brillante Darstellung sprachlich schwierig
zu fassender formaler und/oder prozeßhafter
Zusammenhänge machen die Lektüre – aufgrund geschickt eingesetzter tabellarischer
Zusammenfassungen und illustrativer Abbildungen, nicht zuletzt auch wegen des
unprätentiösen, meist sicheren Stils der
Autorin – zu einer interessanten und (auch für den Gutachter) spannenden Leseerfahrung mit beträchtlichem wissenschaftlichen Gewinn.