Die Thiopoulos’sche
Dissertation
Semiosis
und Topoi
beschäftigt sich mit der
semiotischen Fundierung der natürlichsprachlichen
Semantik: es geht um die mathematisch einwandfreie, formal befriedigende und algorithmisch
operationale Modellierung jenes Prozesses, durch den bestimmten Entitäten
in bestimmten Zusammenhängen eine
bestimmte, sich dynamisch verändernde Eigenschaft zukommt, die man Bedeutung nennt.
Den vielschichtigen
Problemen, die bei der Analyse und Repräsentation von Bedeutungen
natürlichsprachlicher Ausdrücke – als zentraler Aufgabe der Semantik – noch
einer Lösung harren, stellt der Autor ein dynamisches
Modell der Bedeutungskonstitution
gegenüber. Die Berechtigung und
Notwendigkeit seines Angangs,
der einige der Probleme teils obsolet werden, teils lösen läßt, leitet sich
dabei aus Phänomenologie (Husserl, Heidegger), Semiotik (Peirce,
Eco) und autopoietischer Kybernetik (Maturana,
Varela) ab. Die Plausibilität seines Ansatzes kann
der Autor mit Hilfe Kategorien- und Topos-theoretischer Konzeptionen der Mathematik (Mac Lane,
Goldblatt) herleiten, wobei die Realisierung seines Unternehmens schließlich in
Form ‚semiotischer Topoi’ geleistet
wird, die er im Rahmen eines gebrauchssemantischen Ansatzes (Wittgenstein) auf linguistisch-lexematischer Ebene (Rieger) als ein
lauffähiges System implementierter Algorithmen vorlegt. Das dynamische Verhalten dieses Systems
simuliert dabei die Konstitution von Bedeutungen als Generierung von
Beziehungsstrukturen, welche die Elemente natürlichsprachlicher
Zeichenaggregate interpretieren und sich aufgrund des Gebrauchs, den Sprachverwender von diesen Zeichen in tatsächlichen
Situationen der kommunikativen Interaktion machen, als interne Struktur des
Systems selbst aufbauen und verändern. Damit führt Thiopoulos
den erfolgreichen Versuch einer umfassenden Neuorientierung der
computerlinguistischen Semantik fort, welcher – über verbal-metaphorische
Modellvorstellungen hinaus – erstmals zur formal-theoretischen Charakterisierung
und operational-simulativen Realisierung eines selbstorganisierenden Zeichensystems
einer prozeduralen Semiotik vordringt. Seine Zielvorstellung, das
Zustandekommen von Bedeutungen approximativ zu entfalten und als einen Prozeß
zu modellieren, dessen strukturbildende Dynamik sich aus den wechselseitigen
Abhängigkeiten der (veränderbaren) Organisation eines Systems von seiner Systemumgebung
ableiten läßt, kann der Autor so durchaus umsetzen.
Der Aufriß der vorliegenden Arbeit dient gleichzeitig
als Exposé und einführende Orientierung in die engere Thematik. Sie liefert zunächst eine Untersuchung (und
Revision) der cartesischen Weltsicht die Basis des
rationalistischen Erkenntnis- und Wissenschaftsverständnisses. Von ihm wird
gezeigt, daß seine Vermittelheit erst die Probleme
schafft, welche ein diesem Paradigma verpflichteter Ansatz nicht zu lösen
vermag. Entlang der Unterscheidung von objektiver
Realität und subjektiver Wahrnehmung
sowie der Trennung von Wirklichkeit und Erfahrung zeichnet der Autor die
phänomenologische Erkenntniskritik nach, die er anhand der Husserl’schen
Theorie der Intentionalität des Bewußtseins entfaltet. Deren Systematik (noematische
Aktivitäten, Habitualitäten, nicht mehr objektivierbare Objektivationen),
die zur Annahme einer im Bewußtsein ursprünglichen Gegenstandskonstitution mit
der ihr eigenen Beziehungsstruktur (Motivationskausalität) geführt hatte, wird
– auch für den philosophisch nicht spezialisierten Leser erkennbar – zur Grundlage
des fundamental-ontologischen Angangs, der ''Dasein als In-der-Welt-Sein''
deutet. Die Heidergger'sche Analytik von Sein und
Zeit liefert dem Autor dabei die Begrifflichkeiten (Präsenz, Geworfenheit, Verfallensein, Zeug, Zuhandenheit,
Bewandtnisganzheit, Bedeutsamkeit), welche das Problem der Objekt- und
Gegenstandskonstitution als eine formale Struktur der Existenz und des Daseins
zu fassen erlauben. Deren drei Momente (Befindlichkeit,
Verstehens, Sprache) konstituieren über die Auslegung (Vorhabe, Vorsicht, Vorgriff) Sinn. In einer sehr gut gelungenen
Erweiterung auf zeichentheoretische Positionen (''Dasein und Semiosis'') werden vom Autor Bewußtein,
In-der-Welt-sein und Sinnkonstitution – bemerkenswerterweise anhand eines klug gewählten Frege-Zitats – verbunden und zur Begründung eines
Zeichenbegriffs, der Aussagen und Symbole nicht als mentale Repräsentationen
externer Weltobjekte, sondern als Interpretationsregeln (Peirce)
faßt, denen die Modi der Auslegung (Vorhabe,
Vorsicht, Vorgriff) als Aufzeigung, Prädikation
und Mitteilung entsprechen.
Der systemtheoretische
Zusammenhang von Welt- und Wirklichkeitskonstitution wird anschließend in drei
Schritten (''Bewußtsein und Autopoiesis'') als
strukturbildendes Prinzip der Selbstorganisation aus biologischer Sicht
vorgestellt und mit einem Übergang zur Sprache erweitert. Zunächst wird dem reduktionistischen
ein systemtheoretischer Ansatz gegenübergestellt (''Biologie und Kybernetik''),
der die Funktionen des lebenden
Organismus in seiner Umwelt als einen auf Gleichgewicht gerichteten, über
Informationsaustausch (Rückkopplung) gesteuerten Anpassungsprozeß deutet.
Sodann wird das Prinzip der
Gleichgewichtung (homeostasis)
als eine quasi System-interne Eigenschaft eingeführt (''Autopoiesis''),
deren prozessuale Wechselwirkungen (Störung
und Kompensation) nicht nur die Identität eines Systems (strukturelle Kopplung) ausmacht, sondern
auch das Prinzip der Selbstorganisation lebender Organismen begründet. Und
schließlich wird die wechselseitige Orientierung (direkte Interaktion, Kommunikation) strukturell gekoppelter Systeme
(''Autopoiesis und Sprache'') als deren gemeinsame, erfahrbare Umwelt (consensual domain)
vorgestellt. Deren Konstitution ist mit der Menge der möglichen Stabilität-sichernden Interaktionen identisch, von denen
Teilstrukturen als Sprachperformanz solcher Systeme beobachtbar sind. Auf dieser
Grundlage stellt der Autor eine konzeptuelle Verbindung her, die aus den
unterschiedlichen Begriffsbildungen philosophischer, semiotischer, systemtheoretischer,
linguistischer und ökologischer Einsichten eine erste Modellbildung und ihre Formaliserung versucht. Danach funktioniert ein ökotopos (''ökotopoi und
Sprachspiele'') als ein Modell der strukturellen Kopplung von Organismus und
Umwelt, dessen Organisationsprinzipien (sein In-der-Welt-sein)
und dessen aktuelle Struktur (seine Präsenz) die Möglichkeiten seines
Verhaltens (seinen Horizont) bestimmen. Die Bestimmungsstücke eines ökotopos (Aktor, Situation,
Orientierung) erscheinen dabei wie die funktionalen Entsprechungen zu denen
lebender Systeme (Organismus, Umwelt, Anpassung). Die Idee des Autors (''Topoi
und Deduktionssysteme''), die Strukturprinzipien der Wittgenstein'schen
Sprachspiele mit Hilfe der Kategorientheorie (MacLane)
und der Toposmathematik (Goldblatt) zu formalisieren, ist höchst einfallsreich.
Diese Verbindung erweist sich – einmal hergestellt – als überraschend
naheliegend und fruchtbar in den Entsprechungen, welche die
sprachphilosophischen Positionen Wittgensteins mit den proto-mathematischen
Positionen einer nicht-axiomatisch begründeten Mathematik und ihren Aussagen
verbindet. Sie erlauben es (''Der semiotische Topos''), sowohl den Prozeß der
Bedeutungskonstitution selbst wie seine mathematische Beschreibung als Topos zu
modellieren, wobei die wechselseitigen Entsprechungen zwischen den
Abstraktionen der topostheoretischen Formalismen eines Informationssystems
(Scott) und den (durch die Heidegger'schen Begriffsbildungen bezeichneten)
fundamental-ontologischen Zusammenhängen überrascht.
Die Auseinandersetzung mit
der Situationssematik (''Situationen und Topoi'') und
eine brilliante Analyse des propositionalen
Situationsbegriffs (Barwise/Perry) erlaubt dem Autor,
Situationen in seinen eigenen Entwurf einer phänomenologisch und fundamental-ontologisch
begründeten Semiologik einzubetten. Ihre Instantiierung auf lexematischer
Ebene (''Lexeme und Topoi'') gelingt sowohl formal-theoretisch im Rahmen der
entwickelten topostheoretischen Formalismen, als auch computerlinguistisch im
Rahmen der syntagmatischen Textanalyse von lemmatisierten
Lexemfolgen. Die programmtechnische Umsetzung (''Ein zyklischer
Metainterpreter'') in Form eines lauffähigen PROLOG-Programms,
das die gewichtete Morphismen aus einem C-Programm
wie Fakten verarbeitet, erlaubt darüber hinaus, die Veränderungen der
Interpretationen der Lexeme, die sich bei Verarbeitung zunehmender Mengen
unterschiedlicher Texte ergeben, als die durch das (Quasi-) Verständnis dieser
Texte sich verändernde (Quasi-)Weltsicht des Systems anschaulich zu machen.
Die Ausblick auf eine Logik der semiotischen Topoi bildet den Gegenstand des abschließenden
Versuchs, diese Semiologik einerseits als eine
formale Logik des Lebendigen (''Semiosis und
Logik''), andererseits als einen Formalismus übergeifender
bzw. grundlegender Strukturierung (''Hypertopos'') zu entwerfen. Ein Hypertopos
wird dabei als eine mögliche Formalisierung der Prinzipien verstanden, aufgrund
derer unterschiedliche semiotische Topoi über gleichen Zeichenmengen (aber
unterschiedlichen Texten) aufgebaut werden. Als Objekte eines Hypertopos erscheinen seine semiotischen Topoi und
als seine Morphismen
die zwischen ihnen etablierten Funktoren. Sie können zur Spezifizierung der
Unterschiedlichkeit ''interner Logiken'' der verschiedenen Topoi wie zur
Grundlage der Kommunikationsmöglichkeiten dieser Topoi untereinander
herangezogen werden.