\bf Von den Ansichten einer k"unftigen Germanistik zu den Germanisten ohne Zukunft?\\[1ex] \large "Uber alternative T"atigkeitsfelder f"ur Philologen in einer ver"anderten kommunikativen Infrastruktur unserer Gesellschaft\thanks{Erschienen in: \textit{Deutschunterricht} 4 (1983), Klett (Stuttgart), S.~59--75.}

Von den Ansichten einer künftigen Germanistik zu den Germanisten ohne Zukunft?
Über alternative Tätigkeitsfelder für Philologen in einer veränderten kommunikativen Infrastruktur unserer Gesellschaft1

Burghard Rieger

Der Aufsatz nimmt Gedanken und Vorstellungen eines Vortrags (Rieger 1981) auf und stützt sich auf Ergebnisse und Erfahrungen eines inzwischen mehrfach wiederholten 2semestrigen Kurses zu ,Alternativen Berufsbildern für Germanisten/Textverarbeitung und praktische Kommunikation', den Verf. im Rahmen eines Lehrauftrags an der RWTH Aachen entwickelte.

Die thematische Frage dieses Aufsatzes verknüpft die Titel zweier Buchveröffentlichungen, die im Abstand von rund zehn Jahren 1969 und 1978 erschienen sind.

Sie markieren für die Germanistik so etwas wie Aufbruch und Krise einer Reformdiskussion mit den ihr folgenden Veränderungsbestrebungen. Diese nahmen ihren Ausgang bei der unzulänglichen Vorbereitung der Germanistikstudenten auf den angestrebten Lehrerberuf, zu dessen Ausübung ein reformierter Studiengang - so die damals allgemein akzeptierte Zielvorstellung - seine zukünftigen Absolventen besser als bisher müsse ausbilden und vorbereiten können. Da heute, angesichts zunehmender administrativ-bürokratischer Maßnahmen anstelle von inhaltlich-konzeptionellen Neuansätzen in der praktischen Arbeit ein Scheitern der Studienreform kein bloß verbaler Pessimismus mehr ist (EWH-RP 1982), mag ein kurzer Rückblick gerechtfertigt sein.

1  Die anstehenden Probleme

Als Kolbe (1969) den Sammelband Ansichten einer künftigen Germanistik' mit Beiträgen von Studenten, Assistenten, Professoren und Schriftstellern vorlegte, geschah dies im Zusammenhang eines allenthalben geforderten Aufbruchs zu notwendigen Veränderungen. Die seit langem konstatierte ,,Krise der Germanistik'' sollte in Kritik überführt werden, mit dem Ziel, durch selbstkritische Reflexion der ,,Voraussetzungen und Bedingungen des Germanistenberufs'' Aussichten auf eine zukünftige Disziplin zu eröffnen.

,,Sprach- und Literaturwissenschaft werden, wenn sich verwirklicht, was dieser Band ziert, in Zukunft anders aussehen als bisher. Literaturgeschichte und die Kunst' der Interpretation treten zugunsten linguistischer Fragestellungen in den Hintergrund. lm gleichen Maße wird das Verhältnis zwischen akademisch-wissenschaftlicher Ausbildung und pädagogischer Praxis des Philologen neu bestimmt.'' (Kolbe, S. 7 f.)

Unter dem Eindruck dieser für die Germanistik zwar nicht neuen, wohl aber so bisher nicht akzeptierten Bindung von akademisch-wissenschaftlicher Ausbildung und pädagogisch-didaktischer Praxis des Lehrerberufs gerieten andere Anwendungsbereiche der durch ein Studium von Sprach- und Literaturwissenschaften erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten nur vereinzelt in den Blick (Pinkerneil 1973). Dagegen wurde die eigene Vermittlung in Schule und Hochschule zum dominierenden, vielfach einzigen noch wahrgenommenen Praxisfeld der Germanistik. Dessen Anforderungen haben in der Folge inhaltliche, methodische, organisatorische und institutionelle Veränderungen des Faches fast ausschließlich bestimmt (Bronsema 1979).

Inzwischen ist - als Konsequenz geburtenstarker Jahrgänge - aus dem Mangel an Lehrern bei größter Nachfrage eine Sättigung bei mangelndem Aufnahmevermögen des Schulsystems geworden, und gleichzeitig füllt derzeit die Hochschulen noch eine große Zahl von Studierenden in den traditionell auf das Lehramt ausgerichteten Fächern, denen zunehmend geringere Schülerzahlen aus geburtenschwächeren Jahrgängen gegenüberstehen werden. Erst diese - im übrigen durchaus nicht unvorhersehbar eingetretene (KM-NRW 1972) - Situation ließ eine Fehlentwicklung erkennbar werden, die deutlich macht, daß das Praxisfeld Schule' für Germanisten und die übrigen Philologien in Zukunft bestenfalls ein Tätigkeitsbereich unter anderen würde sein können, wie dies etwa für zahlreiche naturwissenschaftliche Disziplinen seit je gilt.

Das belegen unter anderem die Arbeiten einer vom Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft eingesetzten Expertenkommission, deren Ergebnisse Gaier (1978) unter der thematischen Frage Germanisten ohne Zukunft? vorlegte. Darin werden - laut Untertitel - Empfehlungen zur Erhöhung der beruflichen Flexibilität germanistischer Studienabsolventen gegeben.

In diesen Überlegungen zu Ausbildungsmöglichkeiten und Tätigkeitsfeldern, zu Studiengängen und Studienplänen, sowie in den daraus abgeleiteten Vorschlägen für kurzfristig und langfristig realisierbare Maßnahmen zu personellen, institutionellen und curricularen Veränderungen des Germanistikstudiums wird zumindest versucht, aus der Tatsache Konsequenzen zu ziehen,

Dabei wird der Germanistik durchaus ein ,,in semiotischer und kommunikations-wissenschaftlicher Hinsicht breites Qualifikationspotential'' unterstellt, dem deswegen auch ein nicht minder ,,breites Anwendungspotential in den Bereichen Erziehung, Kultur, Beratung und Nachrichten/Information/Medien'' entspräche.
,,Vergleicht man die Anforderungen an den Deutschlehrer mit den Anforderungen an einige alternative germanistische Berufe, so schälen sich 5 Hauptbereiche eines reformierten germanistischen Kernstudiums heraus: Semiotik, Textinterpretation, Untersuchungen der Kommunikationsbedingungen, Textherstellung und Vermittlung.'' (Gaier, S. II)
Auf diese als Schlüsselqualifikationen bezeichneten Bereiche des Kernstudiums sollen die Einheiten eines neu-konzipierten Zielstudiums aufbauen, das neben dem Ziel Gymnasiallehrer auch das des Andragogen, Journalisten oder Dokumentars vorsieht. Das Dilemma freilich, daß schon die derzeitige Ausbildung der Studenten in den Schlüsselqualifikationen ,,starke Defizite'' aufweist, ,,verschwindend gering'' ist und ,,ungenügend'' genannt wird (S. 30-33), scheint eher verdeckt als hervorgehoben worden zu sein.

Auf der Suche nach Alternativen zum Lehrerberuf macht sich vielmehr die auf Schulberuf und Lehrerausbildung konzentrierte akademische Isoliertheit der Philologien von der übrigen Berufswelt bemerkbar. Außer den bekannten Beispielen von Journalisten, Verlagslektoren und Bibliothekaren mit germanistischem Studium werden andere, nicht primär dem edukativen Bereich zuzuordnende Tätigkeitsfelder kaum gesehen. Und angesichts der bereits zum etablierten Standard gehörenden, immer wieder genannten Ausweichtätigkeiten und Berufsalternativen im Bereich der Medien/Werbung/Public Relation, sowie im Fort- und Weiterbildungssektor fällt es schwer, an neue Anstellungsträger unter den dem öffentlichen Dienst nicht zuzurechnenden Unternehmen und Betrieben auch nur zu denken. Denn schon aus (wechselseitiger) mangelnder Informiertheit können die auf den Lehrerberuf zugeschnittenen sprach- und literaturwissenschaftlichen Studiengänge bisher noch nicht jene Qualifikationen vermitteln, die man potentiellen Arbeitgebern auf dem freien Berufsmarkt als Fertigkeiten und praktische Vermögen deswegen erfolgreich anzubieten vermöchte, weil sie von diesen etwa nachgefragt würden.

2  Die derzeitigen Gegebenheiten

Der durch Ausbildungsgang und Berufstätigkeit in den philologischen Disziplinen vorgezeichnete Kreislauf von der Schule über die Hochschule zurück zur Schule oder Hochschule (Finkenstaedt 1977) ist leider auch für die germanistische Sprach- und Literaturwissenschaft charakteristisch. Die dadurch induzierte Isolation der Germanistik erschwerte die so notwendige Öffnung von Hochschule und Wirtschaft zu einer Art gesamtgesellschaftlicher Abstimmung von Bedürfnissen und Anforderungen. Beide, akademische Wissenschaft und industrielle Wirtschaft verbindet vielmehr - zumindest auf dem Gebiet der primär sprachorientierten, geisteswissenschaftlichen Disziplinen - ein wechselseitiger Kenntnismangel (Gaier 1978). Dieser betrifft einmal die in der nicht-schulischen Wirklichkeit des wirtschaftlichen Berufsalltags auftretenden sprachlich-kommunikativen Probleme, die von der Hochschule und ihrer Forschung in nicht ausreichendem Maße aufgenommen werden, und er betrifft zum anderen die während einer sprachwissenschaftlichen Ausbildung tatsächlich erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten, über die sich die Wirtschaftspraktiker nicht informiert zeigen.

So existiert bisher weder ein verbindliches Qualifikationsprofil, das Leistungs- und Einsatzmöglichkeiten eines Germanisten für den potentiellen Anstellungsträger des nicht-öffentlichen Dienstes transparent machen könnte; noch gibt es etwa verläßliche Anforderungsprofile, aufgrund deren curriculare Modifikationen des germanistisch-linguistischen Studiums im Hinblick auf nicht primär lehr- bzw. ausbildungsorientierte Tätigkeiten vorgenommen werden könnten. Ernstzunehmende Versuche, diesem für nahezu alle geisteswissenschaftlichen Disziplinen geltenden Mangel abzuhelfen (Floeck 1980), oder doch wenigstens die Voraussetzungen dafür zu schaffen (Feuerstein/Heringer 1981), haben zweierlei erkennen lassen:

Die Vorstellung, daß die derzeit etwa außerhalb von Schule und Hochschule beschäftigten Philologen und Linguisten die geeignete empirische Basis zur Ermittlung eines solchen Qualifikationsprofils darstellen (Bielefelder PG 1982), ist wohl ebenso wenig tragfähig wie die Hoffnung, daß die Auflistung bzw. Befragung potentieller Anstellungsträger außerhalb von Schule und Universität (Ostermann 1980) nach der eventuellen Einsetzbarkeit von Philologen und Linguisten in den verschiedensten Wirtschaftszweigen zu einem gültigen Anforderungsprofil führe (Richter 1980).

Es scheint von daher absehbar, daß die beruflichen Chancen für den Absolventen eines sprach- und literaturwissenschaftlichen Studiengangs langfristig nur dann steigen, wenn es der Germanistik gelingt, sich den neuen Aufgaben und Problemen zu stellen. Von einer heute noch weitgehend isolierten Disziplin, deren Praxisbezug sich bisher in dem sie reproduzierenden Anwendungsbereich ihrer eigenen Vermittlung (in Schule und Hochschule) erschöpft, könnte insbesondere die germanistische Linguistik zu einer gesellschaftlich wirksameren, weil praktischen Wissenschaft werden, die im Kommunikationsbereich nicht nur theoretische Problemlösungen in Aussicht stellt, sondern für die Betroffenen in diesem Bereich auch praktisch erfahrbare Lösungen anbietet (Clement 1978).

Eine solche Öffnung der Philologien zu potentiell neuartigen Praxisfeldern wird aber im Zusammenhang des verändernden Einflusses gesehen werden müssen, den die neuen elektronischen Technologien besonders im kommunikativen Sektor gewinnen. Im Hinblick darauf, daß für die heute Ausgebildeten der größere Teil ihres (berufs-)tätigen Lebens im nächsten Jahrtausend stattfindet, können Uberlegungen zur Veränderung von wissenschaftlichen Forschungs- und Entwicklungsaufgaben ebenso wie von Ausbildungsgängen nicht von Entwicklungen absehen, die - bereits erkennbar - übergreifende gesellschaftliche Veränderungen bewirken werden (Hansen/Schröder/Weihe 1979). Sie stellen den telematischen' Rahmen (Brunet 1979) dar, innerhalb dessen allein sich die Bedingungen und Möglichkeiten von auch in Zukunft realistischen Berufsperspektiven und Tätigkeitsfeldern für nahezu sämtliche (nicht nur sprachwissenschaftliche) Ausbildungsgänge abschätzen lassen werden (Gizycki/Weiler 1980).

3  Die veränderten Rahmenbedingungen

Man wird heute bestenfalls die veränderten Bedingungen umreißen können, die für die Entwicklung der hier relevanten Kommunikationsbereiche sowie für die darin sich zunehmend etablierenden Institutionen maßgebend werden könnten. Eine historische Analogie mag das verdeutlichen.

Gutenbergs Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern kann als die technologische Voraussetzung bezeichnet werden, die unseren heutigen - gegenüber dem Mittelalter quantitativ wie qualitativ veränderten - Umgang mit Sprache ermöglichte. Durch sie hat sich das sprachlich repräsentierte und vermittelte Wissen und seine schriftsprachliche Fixierung in Texten und Büchern in dem Maße ausgeweitet, wie deren drucktechnische Vervielfältigung und das Lese- und Schreibvermögen sich in der Gesellschaft ausbreitete. So gesehen könnte man - unter Hinweis auf zusätzliche historische, ökonomische und gesellschaftliche Einflüsse und Rückwirkungen - die rund 400jährige Entwicklung hin zur europäischen Industriegesellschaft auf die Erfindung des Buchdrucks, auf die Entwicklung einheitlicher, nationaler Schriftsprachen und auf die Durchsetzung der allgemeinen Alphabetisierung zurückführen.

Diese zugegebenermaßen verkürzende Darstellung der historischen Entwicklung scheint gerechtfertigt angesichts eines möglicherweise analogen Entwicklungsprozesses in der Gegenwart. Er ist ebenfalls an eine neue Technologie gebunden, er läßt sich wiederum durch einen veränderten Umgang mit Sprache und Information kennzeichnen, und er stellt inzwischen sogar schon so etwas wie einen Gemeinplatz dar, von dem sich mit Zustimmung auch durch jene ausgehen läßt, die die Auswirkungen des neuartigen Vermögens zwar erfahren, es selber aber (noch) kaum zu steuern vermögen:

Die Rede ist vom Einsatz der Mikroprozessor-Technologie in fast allen Bereichen der Wirtschaft und Verwaltung sowie von den damit verbundenen Veränderungen, die nicht nur Handel und Industrie, Behörden und Dienstleistungen betreffen, sondern zunehmend das gesamte öffentliche und private Leben erfassen und beeinflussen (Friedrichs/Schaff 1982; Marbach 1982).

Die Auswirkungen dieser Technologie waren bisher weitgehend auf den industriellen Fertigungssektor beschränkt (Curnow/Curran 1982), sie haben seit wenigen Jahren die Organisationsstrukturen zunächst der Betriebe und Unternehmen, dann auch der öffentlichen Verwaltung erfaßt (Lamborghini 1982), und sie beginnen derzeit den gesamten Informations- und Kommunikationsbereich nachhaltig zu verändern (Kalbhen 1979). Der allgemein herrschende Rationalisierungsdruck ließ dabei die Einführung Mikroprozessor-gesteuerter Fertigungstechniken in der Produktion ebenso wie der Management-Informations-Systeme im Organisationsbereich noch als besonders effiziente Problemlösungen erscheinen (Plötzeneder 1979). Die Anwendung der informationsverarbeitenden Technologien und ihre Weiterentwicklung zur Lösung von kommunikativen, den Menschen einbeziehenden Aufgabenstellungen wird dagegen nicht nur schon vorhandene Probleme lösen helfen, sondern auch ganz neuartige Probleme - etwa der Benutzer-Akzeptanz - erst noch entstehen lassen (Briefs 1979).

Das betrifft im Bereich der Administration (3.1) die Erhebung, Strukturierung, Speicherung, Verknüpfung und den Austausch personaler Daten einerseits, die Identitätsbedürfnisse der so Erfaßten andererseits; im Bereich der Medien (3.2) das Sammeln, Verteilen, Formulieren, Anbieten von Nachrichten und von Unterhaltung einerseits, das Nachfragen, gezielte Auswählen oder Konsumieren und im Bereich des davon nicht unabhängigen Bildungssektors (3.3) das Einüben von neuen kommunikativen Fertigkeiten, die Vermittlung von Erfahrungen und Kenntnissen einerseits, den Erwerb von Wissen, die Entwicklung neuer sprachlicher Kompetenzen und sozialer Interaktionstechniken andererseits.

3.1  

So bildet etwa die Kontrolle der schon heute in zahlreichen (privaten wie staatlichen) Dateien gesammelten personenbezogenen (numerischen wie sprachlichen) Daten, ihr Austausch und ihre Verknüpfbarkeit und Verfügbarkeit für Interessengruppen, einzelne (öffentliche wie private) Interessenten und Institutionen ein neuartiges Problem (Gola 1979). Dessen bisherige administrative Lösungsversuche (im Sinne der Datenschutzgesetzgebung) haben bisher noch zu keinem alle Seiten befriedigenden Ergebnis geführt (BDSG 1979). Vielmehr beginnt das Bewußtsein dafür sich erst zu bilden, welche tiefgreifenden Konsequenzen für Staat, Verwaltung und Recht (Reese 1979; Brinckmann 1979; Hoffmann 1979) sich aus mangelnden Kontrollmöglichkeiten auf diesem Gebiet für die Realität demokratisch verfaßter Gemeinwesen und für das Selbstverständnis der in ihnen lebenden Menschen ergeben (Steinmüller 1979).

3.2  

Die technische Entwicklung der Medien (Buch, Presse, Funk, Fernsehen, telekommunikative Informationsdienste) als vermeintlich immer bessere, schnellere und umfassendere Versorgung immer breiterer Schichten mit Nachrichten und/oder Unterhaltung hat - angesichts des Informationsüberflusses (Steinbuch 1978) - die Bedürfnisse und das Vermögen ganzer Bevölkerungsteile im Umgang mit Informationsträgern tiefgreifend zu verändern begonnen. Im Hinblick auf die absehbare Verkabelung der Bundesrepublik wird die Erweiterung des TV-Programmangebots (von derzeit drei bzw. vier Programmen) mit sich erhöhendem Fernsehkonsum pro Zuschauer (von derzeit etwa 3 Stunden/Tag) verbunden sein. Verminderung kommunikativ-sozialer Interaktionen mit zunehmender, nicht unmittelbar empfundener Isolation wird die unausbleibliche Folge sein.

Bisher ist nicht abschätzbar, welche gesellschaftlichen Auswirkungen der weitgehende Verlust des direkten zwischenmenschlichen Kontakts und die Isolierung des Individuums vor dem Bildschirm (Lenk 1982) haben werden. Diese wie auch immer sich auswirkenden Tendenzen werden jedenfalls noch verstärkt werden durch erweiterte Informationsversorgungssysteme für den Bürger. Denn es scheint nicht mehr utopisch, daß an die Stelle der heutigen Fernsehempfangsgeräte in über 90 Prozent der Haushalte mit Telefonanschluß nach und nach interaktive Bildschirmterminals mit zahlreichen Funktionen treten (Rupp 1980). Videozeitung, Tele- und Bildschirmtext, Daten- und Informationsdienste, zahlreiche TV-Programme, etc. könnten so schon bald über Benutzer-führende Betriebs- und Kommunikationssysteme sowie durch standardisierte Anwendersoftware allgemein verfügbar sein. Die hier auftretenden Probleme werden weniger auf dem Gebiet der technischen Realisierungen liegen, sondern vielmehr die Auswirkungen betreffen, welche diese Systeme auf die Benutzer haben. Deren Anpassung an solche Technologien wirft - trotz der vorgeblichen interaktiven Struktur dieser Frage-Antwort- bzw. Dialog-Systeme - schwerwiegende Probleme auf, die unter dem Stichwort der Akzeptanz technischer Systeme inzwischen intensiv diskutiert und zum Teil auch untersucht werden (Witte 1980). Danach scheint das eigenverantwortliche, aktive Handeln-Können des Systembenutzers zurückgedrängt zu werden zugunsten eines normierten, re-aktiven Verhalten-Müssens, welches die Systeme - mit teilweise nachteiligen Auswirkungen für ihre Benutzer - fordern (Brügge 1982).

Gleichwohl aber werden sich diese neuen Kommunikationsformen in fast allen Bereichen der Verwaltung, Wirtschaft, Werbung, Unterhaltung und Kultur schon aufgrund ökonomischer, energiewirtschaftlicher wie ökologischer Zwänge durchsetzen (Balkhausen 1980). Durch sie wird der notwendige Informationsaustausch zunehmend weniger über Begegnungen der Kommunikationspartner hergestellt, sondern vermehrt durch Transport der auszutauschenden Informationen sichergestellt werden. Dabei werden diese Informationen nicht mehr durch die Beförderung etwaigen Trägermaterials (Papier, Film, Kassette, Tape etc.) zugänglich gemacht werden, sondern ihre elektronisch übermittelte Verbreitung durch Kabelnetze finden (Menke-Glückert 1978). Inter- und innerbetriebliche Kommunikation sowie ganz neue Bereiche der Dienstleistungen (Reisebüro, Kaufhaus etc.) werden ohne Personalkontakt elektronisch abwickelbar sein mit den genannten möglichen Folgen (Rosenberg/Hirschman 1981).

3.3  

Viele Beobachter beunruhigt schon heute, daß für jüngere Menschen ganze Wirklichkeitsbereiche zunehmend über elektronische Informationsmedien vermittelt anstatt über eigene Erfahrungen konstituiert werden (Winn 1979; Mander 1979). Bei immer größeren Teilen der Gesellschaft wird hierdurch eine immer geringer werdende Bereitschaft und Fähigkeit zur Interaktion bewirkt. Konflikte, die aus der unmittelbaren Erfahrung von umgebender Realität, des direkten sozialen Kontaktes und der eigenen zwischenmenschlichen Kommunikation entstehen, werden nicht mehr als Probleme verstanden, die analysiert, aktiv verändert und handelnd gelöst werden können (Lenk 1979). Die Fähigkeit zu kommunikativem Handeln entweder zu erhalten und angesichts auch komplexer Sachzusammenhänge zu erweitern oder gar neu zu vermitteln, stellt daher einen Aufgabenbereich dar, welcher die Einübung praktischer Fertigkeiten, nicht nur die Vermittlung theoretischer Kenntnisse erfordert.

Soweit dies überhaupt absehbar ist, zeichnet sich hier ein neuartiges Aufgabenfeld für die Bildungsinstitutionen ab. Deren bestehende Curricula sind nach Inhalt und Methodik (Robinsohn 1967) noch von einer vor-elektronischen kommunikativen Infrastruktur unserer Gesellschaft bestimmt. Diese konnte noch eine verbale Artikulations- und Interaktionsfähigkeit bei ihren Einzel- und Gruppenmitgliedern voraussetzen, die inzwischen durch die Säkularisation ehemals sozialisierender Umgangsformen und Verhaltensweisen nicht mehr selbstverständlich sind. Die Tatsache, daß ein Schulanfänger schon über beträchtliche (passive) Fernseherfahrung verfügt und bis zu seinem 18. Lebensjahr mehr Zeit in rezeptiver Vereinzelung vor diesem Gerät als mit anderen zusammen in der Schule, Jugendgruppe, Sportverein etc. verbringt, bleibt nicht ohne Folgen für sein Vermögen zu zwischenmenschlichen Kontakten und Interaktionen (Postman 1980).

Im Hinblick auf die zum Teil dramatischen Veränderungen, die sich gerade auf diesem Gebiet entweder schon ergeben haben, derzeit gerade vollziehen oder doch abzuzeichnen beginnen, werden die Absolventen allgemeinbildender wie höher qualifizierender Ausbildungsgänge bisher nur unzureichend vorbereitet (GMD 1982). Der junge Mensch steht vor der für ihn immer schwieriger lösbaren, dabei in Zukunft sich ihm um so dringlicher stellenden Aufgabe einer Vermittlung zwischen angestrebter Erfüllung subjektiver Wünsche und den objektiven Anforderungen einer überindividuellen Realität (Schaff 1982). Dieses Dilemma wird greifbar einerseits in den zunehmend rascher sich verändernden, dabei komplexer werdenden Technologien einer hochindustrialisierten Gesellschaft wie der unseren, und andererseits in den Erwartungen der in einer solchen Gesellschaft lebenden Menschen nach Befriedigung ihrer ungleich langsamer sich wandelnden persönlichen, sozialen und materiellen Bedürfnisse. Da Kommunikation und Sprache das Zentrum solcher Vermittlung bildet, kommt dem Linguisten und Textwissenschaftler hier möglicherweise die doppelte Aufgabe einer theoretischen Analyse wie praktischen Lösung zumindest der anstehenden sprachlichen Probleme zu.

4  Die zukünftigen Möglichkeiten

Die Veränderung der kommunikativen Infrastruktur in den Industriegesellschaften, wie sie sich derzeit abzuzeichnen beginnt und unter dem Einfluß der Computertechnologie voraussichtlich noch innerhalb der nächsten zwei bis vier Dekaden in der westlichen Welt vollziehen wird, dürfte nach Umfang und Stärke mit jenen Veränderungen vergleichbar sein, die sich seit der Erfindung der Drucktechnik, der Entwicklung einheitlicher Schriftsprachen und der allgemeinen Alphabetisierung in Europa über immerhin zwei bis vier Jahrhunderte vollzogen haben. Ohne die historische Analogie von Buchdruck und Computertechnik überstrapazieren zu wollen, kann man neben dem primär Informatorischen Aspekt beider die Rolle des Mikroprozessors nicht übersehen, die er gerade auch im Hinblick auf das Entstehen und die Beschleunigung eines andersartigen Umgangs mit Information und damit einer neuartigen kommunikativen Kompetenz spielt.

Ob dabei eine von manchen Fachleuten (Apfelbaum 1979) beobachtete Tendenz in der Software-Technologie zur Entwicklung von (der natürlichen Sprache zunehmend näheren) normierten Befehlssprachen schon als Anzeichen zu deuten ist für eine der historischen Schriftsprachenentwicklung analoge Vereinheitlichung, kann dahingestellt bleiben. Das gleiche mag für die Vermutung gelten, daß in der wachsenden Zahl derer, die über die Fähigkeit zur Kommunikation mit Computern und Datenbanken verfügen, sich die ersten Auswirkungen einer zweiten Alphabetisierung zeigen (WCCE/3 1981), die auch für philologische, insbesondere linguistische Tätigkeitsbereiche relevant werden.

Für den hier interessierenden Zusammenhang ist einzig von Bedeutung, daß eine gesamtgesellschaftlich überaus einflußreiche Entwicklung (Rieger 1972) bisher weitgehend neben den geisteswissenschaftlichen Disziplinen und ohne sie verlaufen ist. Deren Passivität abzubauen und damit die eigentümliche Isoliertheit besonders der philologischen Lehr- und Ausbildungsfächer zu durchbrechen, scheint aber der Linguistik noch am leichtesten möglich. Für Germanisten mit linguistischem Schwerpunkt, die sich als anwendungsorientiert arbeitende Kommunikationswissenschaftler verstehen, eröffnen sich daher wohl am ehesten berufliche Zukunftsperspektiven außerhalb von Schule und Hochschule.

Das Szenario zukünftiger Entwicklung auf dem Informations- und Kommunikationssektor sollte deutlich gemacht haben, daß - unter dem Einfluß der Mikroprozessor-Technologien in fast allen Bereichen - auch in den Bereichen der Administration und der Medien sich zahlreiche neue Tätigkeitsfelder eröffnen. Über die bekannten germanistischen Ausweichberufe (Pinkerneil 1973) hinaus betreffen sie Bereiche, die durch keinen der heute bestehenden akademischen Ausbildungsgänge mit EDV-Qualifikation voll abgedeckt werden (Dostal 1979). Wie für Studienabsolventen aller anderen Disziplinen gilt daher auch für den Germanisten, daß er heute fast (und in naher Zukunft) nur dann eine reale Anstellungschance hat, wenn er bestimmte, seinem anvisierten Tätigkeitsbereich entgegenkommende Zusatzqualifikationen mitbringt. Diese Qualifikationen werden, sofern sie den computertechnischen Anwendungsaspekt der germanistischen Linguistik betreffen, auf dem Gebiet der Informatik, Ingenieurwissenschaften, Betriebs- und Wirtschaftswissenschaften liegen, und sofern sie den kommunikationspraktischen Anwendungsaspekt der germanistischen Linguistik betreffen, werden sie eher im Bereich der Soziologie, Psychologie und Pädagogik liegen. Damit ist gleichzeitig das Spektrum möglicher Zusatzqualifikationen angedeutet, die der zukünftige Sprachwissenschaftler und Kommunikationswissenschaftler brauchen wird, wenn er im Anwendungs- und Ausbildungsbereich jene Funktionen pädagogisch und didaktisch soll erfüllen können, auf die heute Schulen und Bildungsinstitutionen in aller Regel (noch) unzureichend vorbereiten, wenn überhaupt sie von diesen wahrgenommen werden (Haefner 1982).

Bei dem Versuch einer prognostischen Einschätzung der kurzfristig (4.1), mittelfristig (4.2) und langfristig (4.3) zu erwartenden Chancen soll betont werden, daß alle genannten Perspektiven ohne quantitative Angaben eines zu erwartenden Personalbedarfs bleiben, da unter den gegenwärtigen Bedingungen weder Modelle noch Daten verfügbar sind, die die zukünftigen Tätigkeitsfelder numerisch verläßlich abzuschätzen bzw. vorauszusagen erlauben.

4.1  

Die für Absolventen heutiger philologischer Studiengänge überwiegend genannten kurzfristig offenen Tätigkeitsfelder werden sowohl nach ihrem qualitativen Bedarf als auch nach ihrer quantitativen Aufnahmefähigkeit weit überschätzt. Das gilt für die programmierte Textverarbeitung (PTV) in Büro, Verwaltung und Organisation von Betrieben und Behörden ebenso wie für den expansiven Informations- und Dokumentationsbereich (IuD) mit seinen im Aufbau befindlichen Fachinformationszentren (FIZ) und -systemen (FIS) im europäischen Netzverbund. Die sich hier bietenden und zu erwartenden relativ zahlreichen Stellen (Dokumentation, Indexierung, Abstracting etc.) sind meist nur gering dotiert. Die wenigen, aber besser bezahlten Aufgaben in Forschung und Entwicklung (Software-Technologie, Prozeßsimulationen, Mensch-Maschine-Kommunikation, dialogische Problemlösungen, Netzwerk-Management etc.) setzen dagegen erhebliche zusätzliche Qualifikationen voraus.

4.2  

Es ist daher wohl realistisch, die besseren Berufsperspektiven eher für Informatiker/Ingenieure/Betriebswirte bzw. Soziologen/Psychologen/Pädagogen mit fundierter linguistischer Zusatzausbildung als umgekehrt, für Philologen mit zusätzlicher Qualifikation in diesen Fächern zu prognostizieren. Linguisten mit Zusatzqualifikationen dürften vorwiegend kurz- und mittelfristig noch eine Anstellungschance finden. Diese wird mit nicht-edukativen Tätigkeiten auf dem praktisch-kommunikativen Sektor verbunden sein und im administrativen und medialen Bereich vor allem Probleme der Versprachlichung betreffen, d.h. Verbalisierung von Daten und Formulierung von Sachverhalten, Reformulierung und Vertextung von Informationen in verständliche Mitteilungen, fachsprachliche Übersetzung, Zusammenfassung und/oder Elaboration fachsprachlicher Texte der verschiedensten Bereiche für unterschiedliche Adressaten und auf unterschiedlichen Niveaus etc.

4.3  

Für den im Hinblick auf die neuartigen Anforderungen schon modifiziert ausgebildeten Linguisten als einem kommunikativen Problemlöser werden sich langfristig Berufsperspektiven im Ausbildungs- wie Anwendungssektor ergeben.

Als Kommunikationsberater, der auftretende Probleme nicht nur zu analysieren, sondern zu beheben weiß und im Kommunikationsbereich praktisch anwendbare Fertigkeiten beherrscht, die er anderen vermittelt, wird der mit den Strukturen und Funktionen der natürlichen Sprache ebenso wie mit den Frage-Antwort-Systemen der neuen Informationsversorgungseinrichtungen, ihren Voraussetzungen und Funktionen vertraute Linguist gebraucht werden.

Die bei uns - im Vergleich etwa zu den USA (Literacy 1981) - noch relative Unterentwickeltheit eines in die Professionalisierung übergehenden Tätigkeitsfeldes erlaubt hier nur einen exemplarischen Hinweis auf den Technologie-, Innovations und/oder Kommunikationsberater (Impulse 1981). In diesem mit der gezielten Ermittlung und Aufbereitung von Informationen befaßten Dienstleistungszweig (in Industrie- und Handelskammern, Verbraucherorganisationen, Technologie-Transfer-Einrichtungen, freien Informationsagenturen etc.) sind Personen (leider bisher kaum Linguisten) beschäftigt, die durch den Zugriff auf verfügbare Wissens- und Informationsspeicher relevante Daten zu dem von einem Auftraggeber vorgelegten Problembereich zusammenstellen. Neben der Fähigkeit, alle Informationsquellen (Fachliteratur, Bibliotheken, Fachinformationszentren, Datenbanken etc.) zu nutzen, wird darüber hinaus ein Vermögen vorausgesetzt, die relevanten Informationen problemzentriert, dabei sachgerecht und dem Auftraggeber verständlich aufzubereiten und zu präsentieren. Ob im Umgang mit dem Auftraggeber (der in der Regel kein Spezialist ist) oder im direkten Kontakt mit den Informationsträgern (die in aller Regel hochspezialisierte Fachleute sind) wird die zentrale Aufgabe eines Um- und Übersetzens erfüllt werden müssen. Dabei sind im wesentlichen Sachverhalte aus sprachlichen Darstellungen zu ermitteln und/oder es sind solche Sachverhalte sprachlich zu vermitteln. Eine schnelle Auffassungsgabe und Problemerfassung sowie analytisches, kombinatorisches und assoziatives Denkvermögen werden hierbei ebenso hilfreich sein wie die Fähigkeit, das eigene Verständnis eines komplexen Zusammenhangs durch Verbalisierung und rückfragende Kontrollen zu korrigieren, um es schließlich in einem verständlichen Text so zu versprachlichen, daß dieser Text vom angesprochenen Adressatenkreis auch verstanden werden kann.

Die Tätigkeit des Kommunikationsberaters als eines Fachmanns/einer Fachfrau für die Erschließung und Vermittlung von Information in den unterschiedlichen Bereichen der wirtschaftlichen, administrativen oder medialen Wirklichkeit unserer Gesellschaft setzt daher nicht nur fundierte (Fach-)Kenntnisse voraus, sondern auch ein praktisches Vermögen zur zwischenmenschlichen Kommunikation. Für sie ist die natürliche Sprache - wie immer auch durch zusätzliche audio-visuelle Hilfen unterstützt - die allgemeine Basis. Sie muß daher auch als Grundlage aller Transferprozesse gelten, die bei zunehmend komplizierteren Technologien mit erhöhtem Erklärungsaufwand auch größere Anforderungen an die sprachliche Kompetenz der Beteiligten stellen. Das anstehende Dilemma besteht nun darin, daß die diesbezüglichen Fähigkeiten durch die elektronischen Medien gerade nicht geübt und erweitert werden, sondern passiv bleiben und verkümmern: Der rasanten technologischen Entwicklung der elektronischen Informationsmedien entspricht so eine rapide Depravation der praktisch-kommunikativen Vermögen und Fähigkeiten bei den diesen Medien ausgesetzten Menschen.

Diese sich weiter und weiter öffnende Schere von Komplexität der mikroelektronischen Technologie einerseits und kommunikativem Unvermögen mit Verstehensverlust der Betroffenen andererseits läßt aktuelle Probleme der Technik-Akzeptanz bis hin zur Technologiefeindlichkeit als beinahe ebenso natürliche Folge einer zunehmenden kommunikativen Säkularisation erscheinen, wie dies die offensichtliche Unverständlichkeit von fachsprachlichen Texten bis hin zu Formularen und Gebrauchsanweisungen schon seit längerem dokumentieren. Der neue Tätigkeitsbereich des Kommunikations- und Informationsberaters dürfte daher eine wichtige praktische wie edukative Funktion in Bereichen übernehmen können und müssen, die zu beherrschen für eine durch Informationsüberfluß und Ressourcenmangel veränderte Industriegesellschaft am Anfang des nächsten Jahrtausends wahrscheinlich überlebenswichtig sein wird (Kahn/Redepenning 1982).

5  Die vorsichtigen Konsequenzen

Im Rahmen eines Lehrauftrags für Grammatik- und Semantiktheorien in der linguistischen Datenverarbeitung am Germanistischen Institut der RWTH Aachen wurde erstmals im Sommersemester 1979 ein Seminar über Alternative Berufsfelder für Germanisten angeboten.2 Die über zwei Semester laufende Veranstaltung hatte das Ziel, sowohl über neuere Informationstechnologien zu unterrichten, als auch in deren Anwendungsbereichen nach Tätigkeitsfeldern zu suchen, die für Germanisten und Philologen attraktiv sein oder doch werden könnten. Dabei ergaben sich neben den Informationen vermittelnden und Vermittlung übenden Aufgaben (5.1) auch solche zur möglichst intersubjektiven Überprüfung einzelner kommunikativer Leistungen (5.2) sowie erste Uberlegungen zu einem Aufbau- bzw. Begleit-Studienangebot (5.3).

5.1  

Schon in der Vorbereitungsphase des Kurses stand die Idee im Vordergrund, daß das Seminar nicht nur über technische Voraussetzungen und kollektive Wirkungen der neuen Informationstechnologien informieren sollte (Stichwort: Textverarbeitung), sondern gleichzeitig sollte dieser Vermittlungsprozeß von Informationen über neue Entwicklungen selber zum individuellen Übungsgegenstand für die Teilnehmer werden (Stichwort: praktische Kommunikation).

Dazu übernahm jedes Seminarmitglied die Darstellung einzelner Bereiche aufgrund der Informationen, die es zu seinem Thema den in einem Reader eigens zusammengestellten Texten aus Administration, Wirtschaft, Wissenschaft und den Medien entnehmen konnte.

Der Umstand, daß jeder Teilnehmer des Seminars (mindestens) ein frei gesprochenes Kurzreferat (von maximal 20 Minuten) hielt und sich in seinem Referat überdies vornehmlich auf Informationen stützte, die durch Lektüre des Readers allen seinen Zuhörern (im Prinzip) schon bekannt waren, ermöglichte nicht nur die inhaltliche Beurteilung und Kontrolle einer (besseren oder weniger gelungenen) Darstellung eines Sachverhalts, Vorgangs oder Zusammenhangs, sondern erwies sich auch als eine wesentliche Bedingung für die stichhaltige Bewertung und Korrektur formaler Gesichtspunkte in der Präsentation eines Referats.

Diese Verbindung von faktischer Informationsvermittlung und praktischer Vermittlungsübung hat sich unter beiden Gesichtspunkten als so anregend und erfolgreich erwiesen, daß sie als beherrschendes Prinzip auch in den unter anderem Themenschwerpunkt inzwischen mehrfach wiederholten Seminarübungen beibehalten wurde.

5.2  

Im Zusammenhang der Entwicklung und Evaluation von Tests zur Messung kognitiver Leistungen in der experimentellen Psychologie (Thorndike/Hagen 1977) wurde versucht, bestimmte Komponenten kommunikativer Leistungen natürlichsprachlicher Sprecher experimentell zu beschreiben. Diese Ansätze basieren auf kognitionstheoretischen Modellen der prozeduralen Semantik und Wahrnehmungspsychologie (Miller/Johnson-Laird 1976; Johnson-Laird/Wason 1977).

In den bisher entwickelten Tests wurden in kontrollierten pragmatischen Rahmen folgende Leistungen von Probanden experimentell erhoben und auf Ordinalskalen-Niveau bemessen:

Neben der Isolierung einzelner Komponenten der sehr komplexen Prozesse, die bei der Identifikation, Speicherung, Wiederauffindung von Konzepten, beim Verstehen von Zusammenhängen und Konzeptualisieren neuer Beziehungsstrukturen etc. ablaufen, könnte eines der Fernziele die Entwicklung einer Testbatterie sein, die sprachlich-kommunikative Vermögen bzw. Defizite verläßlicher als bisher zu beschreiben und zu bewerten erlaubt.

5.3  

Aus den Erfahrungen und Ergebnissen der bisher abgehaltenen Seminare und Übungen haben sich inzwischen Überlegungen zu einem Aufbau- bzw. Begleitstudiengang Textverarbeitung und praktische Kommunikation ergeben. Dieser Studiengang mit Volontariat bzw. Praktikum soll dabei nicht nur als ein zusätzliches Ausbildungsangebot für Lehramtskandidaten fungieren, sondern er könnte gleichzeitig auch ein (durchaus nicht überflüssiges) Serviceangebot sein für Studenten der Natur- und Ingenieurswissenschaften an der RWTH Aachen. Ihren unterschiedlichen Studiengängen und Ausbildungsschwerpunkten entsprechend, wird daher entweder die Seite der praktisch kommunikativen Fähigkeiten oder die Seite der textverarbeitenden Informationstechniken im Vordergrund stehen. Umfang und Dauer des geplanten Studiengangs sind jedoch noch ungeklärt; der erste Entwurf der sich auf Vorlesungen, Seminare und Übungen aufteilenden Studieneinheiten sieht dagegen folgende Bereiche vor:

Textverarbeitung

Kognitionstheorie Computerlinguistik Information und Dokumentation

Praktische Kommunikation

Sprache als Instrument: Verstehen, Verständigung, Verständlichkeit, Verständnis

Theorie und Praxis der Versprachlichung Übungen zur sprachlichen Informationsübermittlung

Literaturverzeichnis

  • Apfelbaum, H. (1979): Software Technology. Referat des Vortrags in: Bischoff, U.: Trends in Computer Technology, GMD-Spiegel 2 (1979), S. 51-61.
  • Balkhausen, D. (1980): Mikroelektronik - die dritte industrielle Revolution, in: Das Parlament (Beilage) B7/80 vom 16. 2. 1980, S. 3-11.
  • BDSG (1979): Datenschutz. Erster Tätigkeitsbericht des Bundesbeauftragten für Datenschutz, in: Zur Sache 2 (1979).
  • Bielefelder PG (1982): Arbeitsbericht der Projektgruppe ,Berufsfelder Linguistik`, LiLi-Fakultät der Universität, (Ms.) Bielefeld 1982.
  • Briefs, U. (1979): EDV-Einsatz und Arbeit im Betrieb - Zur Veränderung der Produktionsbedingungen für die menschliche Arbeit durch die EDV, in: Hansen et al., S. 243-255.
  • Brinckmann, H. (1979): Rationalisierung der öffentlichen Verwaltung durch den Einsatz der DV, in: Hansen et al., S. 109-121.
  • Bronsema, G. (1979): Lehrerausbildung im Wandel. Das Beispiel des Deutschlehrerstudiums. Schneider, Ballmannsweiler.
  • Brügge, P. (1982): Sagen wir lieber nicht Humanität, in: Der Spiegel 36, S. 74-87 und S. 37, 93-107.
  • Brunet, J.-P. (1979): Zu den Auswirkungen der Telematik, in: GMD-Spiegel 3, 1979, S. 54-62.
  • Clement, W. (1978): Stellungnahme zum Projekt ,Erhöhung der beruflichen Flexibilität germanistischer Studienabsolventen`, in: Gaier, U. (1978), S. 176-194.
  • Curnow, R./Curran, S. (1982): Anwendung der Technologie, in: Friedrichs/Schaff, S. 101-130.
  • Dostal, W. (1979): Entwicklung des Arbeitsmarktes für DV-Fachkräfte, in: Hansen et al., S. 153-165.
  • Dostal, W. (1980): Datenverarbeitung und Beschäftigung 2: DV-Fachkräfte, in: Mitteilungen aus der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung 13, S. 426-442.
  • EWH-RP (1982): Studienreform. Gestern-Heute-Morgen. Herausgegeben v. der Erziehungswissenschaftlichen Hochschule, Rheinland-Pfalz.
  • Feuerstein, H. J./Heringer, H. J. (1981): Ausbildung und Beruf von Sprachwissenschaftlern Bd. I; Ergebnisse einer Befragung und Materialien - Bd. II, im Auftrag des MWK Baden Württemberg und der DGfS.
  • Finkenstaedt, Th. (Hrsg.) (1977): Philologien in der Planung. Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik (LiLi), Jg. 7, Nr. 25.
  • Floeck, W. (Hrsg.) (1980): Erweiterung des Studienangebots und außerschulische Tätigkeitsfelder für Geisteswissenschaftler. Loccumer Protokolle 16/80, Ev. Akademie Loccum.
  • Friedrichs, G./Schaff, A. (Hrsg.) (1982): Auf Gedeih und Verderb. Mikroelektronik und Gesellschaft. Bericht für den ,Club of Rome`. Europaverlag, Wien.
  • Gaier, U. (1978): Germanisten ohne Zukunft? Empfehlungen zur Erhöhung der beruflichen Flexibilität germanistischer Studienabsolventen. Scriptor, Kronberg/Ts.
  • Gizycki, v. R./Weiler, U. (1980): Mikroprozessoren und Bildungswesen. Auswirrungen einer breiten Einführung von Mikroprozessoren auf die Bildungs- und Berufsqualifizierungspolitik. Untersuchung i. A. des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft. Oldenbourg, München/Wien.
  • GMD (1982): Mikroelektronik und Schule. Fachtagung in der Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung, in: GMD-Spiegel 2-3 (1982), S. 3-44.
  • Gala, P. (1979): Zwei Jahre Bundesdatenschutzgesetz. Eine Datenschutz-Zwischenbilanz, in: GMD-Spiegel 2 (1979), S. 43-51.
  • Haefner, K. (1982): Die neue Bildungskrise. Herausforderung der Informationstechnik an Bildung und Ausbildung. Birkhäuser, Basel/Boston/Stuttgart.
  • Hansen/Schröder/Weihe (Hrsg.) (1979): Mensch und Computer. Zur Kontroverse über die ökonomischen und gesellschaftlichen Auswirkungen der EDV. Oldenbourg, München/Wien.
  • Hoffmann, G. E. (1979): Informierte Bürger oder Technologie-Untertanen - Konsequenzen und Probleme für den Bürger durch den Einsatz der EDV in der öffentlichen Verwaltung, in: Hansen et al., S. 123-135.
  • Impulse (1981): Innovationsberater: Wegweiser zu neuen Technologien, in: Impulse. Magazin für die Wirtschaft 3, S. 102-105.
  • Johnson-Laird, P. N./Wason, P. C. (Eds.) (1977): Thinking. Readings in Cognitive Science. Cambridge University Press, Cambridge/London/N.Y./Melbourne.
  • Kahn, H./Redepenning, M. (1982): Die Zukunft Deutschlands. Niedergang oder neuer Aufstieg der Bundesrepublik. Molden, München.
  • Kalbhen, U. (Hrsg.) (1979): Die Informatisierung der Gesellschaft. Gemeinsame Informationsveranstaltung der Botschaft Frankreichs und der GMD, St. Augustin.
  • Kolbe, J. (Hrsg.) (1969): Ansichten einer künftigen Germanistik. Hanser, München.
  • Krallmann, D./Krause, J. (1981): Linguistische Datenverarbeitung und Informationswissenschaft in der BRD. Studiengänge, Berufsaussichten, Förderung. Essen/Regensburg.
  • Lamborghini, B. (1982): Die Auswirkungen auf das Unternehmen, in: Friedrichs/Schaff, S. 131-168.
  • Lenk, K. (1979): Gesamtgesellschaftliche Implikationen der technischen Kommunikation, in: Hansen et al., S. 87-97.
  • Lenk, K. (1982): Informationstechnik und Gesellschaft, in: Friedrichs/Schaff, S. 289-326.
  • Literacy (1981): Proceedings of the 3rd ECB Workshop and Conference on the Uses of Writing. Literacy in the 1980's, University of Michigan, Ann Arbor, Mich.
  • Lutz-Hensel, M. (1981): Planung der LDV-Ausbildung an wissenschaftlichen Hochschulen, in: Krallmann/Krause, S. 1-31.
  • Mander, J. (1979): Schafft das Fernsehen ab. Rowohlt, Reinbek b. Hamburg.
  • Marbach, W. D./et al. (1982): Home is where the Computer is, in: Newsweek-Special Report Nr. 8 (1982), S. 40-46.
  • Menke-Glückert, P. (1978): Der Medienmarkt im Umbruch. Ein aktueller Leitfaden. Metzner, Frankfurt/Main.
  • Miller, G. A./Johnson-Laird, P. N. (1976): Language and Perception. University Press, Cambridge.
  • Ostermann/Sanden/Schrick (1980): Linguistikstudium - und dann? Eine Untersuchung über Arbeitsmöglichkeiten für Sprachwissenschaftler außerhalb der Universität, in: Linguistische Berichte 66 (1980), S. 41-55.
  • Pinkerneil, D. (Hrsg.) (1973): Alternativen. Berufsaussichten des Geisteswissenschaftlers außerhalb der Schule. Scriptor, Kronberg/Ts.
  • Plötzeneder, H. D. (1979): Ziele des EDV-Einsatzes in der Unternehmung, in: Hansen et al., S. 227-241.
  • Postman, N. (1980): Teaching is a conserving activity. New York (Interview-Abdruck in: Der Spiegel 1-2 (1980), S. 148-150).
  • Reese, J. (1979): Auswirkungen des Computereinsatzes auf das politische System, in: Hansen et al., S. 99-107.
  • Richter, R. (1980): Auswertung der Befragung zu den Arbeitsmarktchancen der Hochschulabsolventen von neusprachlichen Studiengängen mit Magisterabschluß in Sprach- und Literaturwissenschaft. I. A. des Ministers für Wissenschaft und Forschung des Landes NRW, Bochum.
  • Rieger, B. (1972): Trivialliteraturen - datenverarbeitet? Überlegungen zur Situation der germanistischen Literaturwissenschaft, in: Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik (LiLi) 6 (1972), S. 105-122.
  • Rieger, B. (1981): Berufsperspektiven LDV - neue Tätigkeitsfelder im Rahmen einer sich wandelnden kommunikativen Infrastruktur unserer Gesellschaft, in: Krallmann/Krause, S.  180-191.
  • Robinsohn, S. B. (1967): Bildungsreform als Revision des Curriculum. Neuwied.
  • Rosenberg/Hirschman (1981): Einzelhandel ohne Läden, in: Harvard Business Review/Manager Magazin 1 (1981), S. 98-107.
  • Rupp, E. P. (1980): Bildschirmtext. Technik - Nutzung - Marktchancen. Oldenbourg, München/Wien.
  • Schaff, A. (1982): Beschäftigung contra Arbeit, in: Friedrichs/Schaff, S. 353-365.
  • Steinbuch, K. (1978): Maßlos informiert. Die Enteignung unseres Denkens. Herbig, München/Wien 1978; Goldmann, München 1979.
  • Steinmüller, W. (1979): Der aufhaltsame Aufstieg des Geheimbereiches. Vom Verfassungsstaat zum Sicherheitsstaat, in: Kursbuch 56 (1979), S. 169-198.
  • Thorndike, R. L./Hagen, E. P. (1977): Measurement and Evaluation in Psychology and Education. New York/London.
  • WCCE/3 (1981): Proceedings of the 3rd World Congress on Computers in Education, Lausanne.
  • Winn, M. (1979): Die Droge im Wohnzimmer. Rowohlt, Reinbek b. Hamburg.
  • Witte, E. (Hrsg.) (1980): Telekommunikation für den Menschen. Individuelle und gesellschaftliche Wirkungen. Proceedings of the Congress, October 29-31, 1979. Springer, Munich/Berlin/Heidelberg/N.Y.

  • Footnotes:

    1Erschienen in: Deutschunterricht 4 (1983), Klett (Stuttgart), S. 59-75.

    2Den Teilnehmern meines Seminars sei an dieser Stelle für ihre aktive Mitarbeit gedankt, welche mich ermutigte, Idee und Konzept des Kurses weiter zu verfolgen und auszubauen.