Burghard Rieger

Rieger: Bremen87

Wissensrepräsentation und empirische Semantik
Eine computerlinguistische Aufgabe1

1  

Mit Titel und Untertitel dieses Beitrags sind die Bereiche angesprochen, die für ein neues Paradigma sprachwissenschaftlicher Forschungen entweder schon kennzeichnend sind oder es doch werden könnten: Sprache als einen Informationen und Wissen verarbeitenden kommunikativen Prozeß zu studieren, wobei die daran beteiligten semiotischen Funktionen mithilfe elektronischer Maschinen analysiert, beschrieben und simuliert werden.

In any situation of language use, the producer and comprehender are processing information, making use of their knowledge of the language and of the topics of conversation. Our task as linguists is to understand the organization of these processes and the structure of knowledge. Our metaphor is that of computation, as we understand it from our experience with stored program digital computers. The computer shares with the human mind the ability to manipulate symbols and carrying out complex processes that include making decisions on the basis of stored knowledge. Unlike the human mind, the computer's workings are completely open to inspection and study, and we can experiment by building programs and knowledge bases to our specifications. Theoretical concepts of program and data can form the basis for building precise computational models of mental processing. We can try to explain the regularities among linguistic structures as a consequence of the computations underlying them.    ( WINOGRAD 1983, S. 13)

Aus diesem Zusammenhang soll im folgenden der Komplex der Wissensrepräsentation herausgegriffen werden, weil er in besonderem Maße geeignet erscheint, das Theorie-Empirie-Verhältnis (Computer-)linguistischer Ansätze zu beleuchten. Dabei wird die semiotische Problematik der semantischen Differenzierung von Weltwissen und Sprachbedeutung kritisch diskutiert, um durch eine empirische Rekonstruktion solcher Zusammenhangsstrukturen ersetzt zu werden, die gleichermaßen für Prozesse der Wissens- und Sprachverarbeitung wie der Äußerung und des Verstehens von Bedeutungen (d.h. der Bedeutungskonstitution) grundlegend sind. Dazu wird ein funktionaler, Performanz-orientierter Ansatz entwickelt:

Two fundamental problems stand out: How do people map natural language strings into a representation of their meaning? How do people encode thoughts into natural language strings? Because of a purported interest in the purely formal properties of language, linguists have consciously avoided both of these naturalistic problems. The second question seems, on the surface, to be closer to a linguist's heart. But linguists treat generation as a problem of determining whether a string is grammatical, i.e., whether it can be generated by the grammar they have set up. A grammar that generates natural language strings would be interesting and useful of course, if, and this is a big "if", it started at the right place. Linguists tend to start their grammars at the node S (for sentence). People, on the other hand, start with an already well-formed idea (or the beginnings of an idea) that they want to express. Linguists thus wind up concerning themselves with considerations of semantics at the level of `Can I say this string? Will it mean something?' People already know what they want to say and that it is meaningful.    ( SCHANK/ABELSON 1977, S. 7; meine Hervorhebung)

Damit ist jene selbstverständliche Fähigkeit des kommunizierenden Menschen angesprochen, in sprachlichen Interaktionen Bedeutung intendieren, äußern, erkennen und verstehen zu können, daß gerade diese Selbstverständlichkeit Gefahr läuft, übersehen zu werden. Sie kann aber als die allen Forschungen zur natürlichen Sprache gemeinsame, phänomenologisch unbezweifelbare, empirisch gut bestätigte und theoretisch zumindest sehr plausible Basis gelten. Daß dabei nicht nur die Kompetenz-orientierten Modellbildungen linguistischer Grammatiktheorien die richtige Stelle verfehlen, machen die Semantiktheorien deutlich, die bisher aus sprachphilosophischer wie linguistischer Sicht entwickelt wurden. Die formale Ansätze modelltheoretischer Semantiken der natürlichen Sprache neigen bekanntlich dazu, linguistische (Sprach-interne) Bedeutungsstrukturen zu leugnen, aber die Existenz einer (Sprach-externen) Systemstruktur von Welt (oder möglicher Welten) vorauszusetzen. Deren vorformatierte Entitäten erscheinen so als extensional bzw. intensional zu definierende Denotate, denen die sprachlichen Terme, welche auf sie referieren, zugeordnet sind. Sprachanalytische Ansätze der deskriptiven, linguistischen Semantik neigen umgekehrt dazu, ausschließlich (Sprach-extern) vermitteltes Wissen über die Welt zu leugnen, setzen aber dafür die Kenntnis (und das Verständnis) von Sprache und Bedeutungen voraus, deren semantische (Sprach-interne) Beziehungen zwischen relevanten Einheiten mittels syntagmatischer und paradigmatischer Oppositionen, entlang bestimmter kategorialer Dimensionen oder Merkmalssätze beschrieben und in semantischen Feldern, Begriffshierarchien oder Bedeutungsnetzen dargestellt werden können. Beide Ansätze führen dabei zu statischen Modellbildungen, in denen die dynamischen Konstitutionsprozesse von Einheiten und Kategorien, Strukturen und Systemen, Zeichen und Bedeutungen nicht mehr zum Gegenstand der Untersuchung gemacht werden können, weil sie schon deren Voraussetzung bilden.

Die Vorstellung, daß jede natürliche Sprache in Struktur und Verwendung durch ein System bestimmt wird oder durch eine einheitliche Grammatik beschrieben werden kann, ist inadäquat [...] Das Beste, was im Rahmen der funktionellen Sprachanalyse geleistet werden kann, ist die rekonstruktive Klärung von Sprachspielen, d.h. von Sprachausschnitten bestimmter Verwendungsarten. Eine natürliche Sprache läßt sich bestenfalls als partiell organisiertes Agglomerat solcher Sprachspiele auffassen. (S. 223)

Eine Alternative bestände z.B. in einer Gebrauchstheorie: Ein Ausdruck hat in bezug auf einen bestimmten sprachlichen Interpretationsrahmen und in einer gegebenen textuellen und situativen Umgebung einen definiten Gebrauch. Seine Bedeutung mag sich daraus ergeben, zu welchen anderen Ausdrücken der Sprache der Ausdruck gemäß des sprachlichen Interpretationsrahmens welche semantischen Beziehungen hat.
   ( SCHNELLE 1976, S. 228)

Untersuchungen im Rahmen der funktionellen Sprachanalyse, welche Sprache nicht (oder doch nicht ausschließlich) als die von Sprechern beherrschten Strukturen, sondern als (möglicherweise strukturierte) Sammlung von (möglicherweise strukturierten) Interpretationsrahmen auffassen, von denen Sprecher offenbar Gebrauch machen, wenn sie sprachlich handeln, entsprechen diesem neuen Paradigma. Sie deuten die kommunikative Funktion von Sprache daher nicht als eine Eigenschaft, welche ihr akzidentiell (unter anderen) zukommt, sondern als ein wesentliches Bestimmungsstück von Sprache. Das Faktum, vermöge sprachlicher Zeichenaggregate Bedeutungen konstituieren zu können, kann so die allen sprachwissenschaftlichen Untersuchungen gemeinsame Grundlage bilden. Auf dieser Basis werden sich beschreibbare Strukturen (möglicherweise) als Stadien von (sehr viel) umfassenderen Prozessen erkennen lassen, die ihrerseits als Prozeduren (in Form von Algorithmen) repräsentierbar sein könnten.

2  

Für zahlreiche Ansätze der kognitionstheoretischen Forschung ist heute ein sie verbindender Strukturbegriff kennzeichnend, der auf das schon von KANT in seiner ,Kritik der reinen Vernunft` (1781/1787) entwickelte erkenntnistheoretische Konzept des Schemas zurückgeführt werden kann. Eine solche Feststellung mag überraschen angesichts der zahlreichen neuen Begriffsbildungen in Psychologie, Kognitionstheorie und der künstlichen Intelligenz (KI), zumal diese durchweg interdisziplinär arbeitenden Forschungsrichtungen ja unterschiedliche Aspekte der Verstehensproblematik, des Wissenserwerbs und der Bedeutungsrepräsentation akzentuieren. Den Vertretern dieser Forschungsrichtungen, die sich mit Herkunft und Geschichte der für sie zentralen Ideen und Begriffe naturgemäß (wenngleich nicht immer zu ihrem Vorteil) weniger beschäftigen als mit deren Nutzung im Rahmen der eigenen theoretischen Vorstellungen und Modelle, scheint denn auch durchweg entgangen zu sein, daß sie in ihrem Bemühen um die Analyse, Beschreibung und Simulation von Prozessen des Handelns und/oder Verhaltens von Wissen verarbeitenden, d.h. im weitesten Sinne ,intelligenten` (künstlichen oder natürlichen) Systemen durchaus Vorgänger haben, die "verborgene Kunst in den Tiefen der menschlichen Seele" zu entschlüsseln und "deren wahre Handgriffe" möglichst "unverdeckt vor Augen [zu] legen".
In der Tat liegen unsern reinen sinnlichen Begriffen nicht Bilder der Gegenstände, sondern Schemate zum Grunde. Dem Begriffe von einem Triangel überhaupt würde gar kein Bild desselben jemals adäquat sein. Denn es würde die Allgemeinheit des Begriffs nicht erreichen, welche macht, daß dieser für alle, recht- oder schiefwinklichte etc. gilt, sondern immer nur auf einen Teil dieser Sphäre eingeschränkt sein. Das Schema des Triangels kann niemals anderswo als in Gedanken existieren, und bedeutet eine Regel der Synthesis der Einbildungskraft, in Ansehung reiner Gestalten im Raume. Noch viel weniger erreicht ein Gegenstand der Erfahrung oder Bild desselben jemals den empirischen Begriff, sondern dieser bezieht sich jederzeit unmittelbar auf das Schema der Einbildungskraft, als eine Regel der Bestimmung unserer Anschauung, gemäß einem gewissen allgemeinen Begriffe [...] Dieser Schematismus unseres Verstandes, in Ansehung der Erscheinungen und ihrer bloßen Form, ist eine verborgene Kunst in den Tiefen der menschlichen Seele, deren wahre Handgriffe wir der Natur schwerlich jemals abraten, und sie unverdeckt vor Augen legen werden.    ( KANT 1781/1787, A 140 f.; B 180 f.)

Im Hinblick auf die derzeitige Dominanz der angloamerikanischen KI-Forschungen zur kognitionstheoretisch orientierten Sprachverarbeitung ( ANDERSON 1983; WINOGRAD 1983; WINSTON 1984; CHARNIAK/MCDERMOTT 1985; YAZDANI 1986) und die kaum vorhandene Rezeption nichtenglischsprachiger Veröffentlichungen auch durch deutschsprachige Autoren neuerer Überblicke (wie ARBINGER 1984; HOPPE-GRAFF 1984; RICKHEIT/STROHNER 1985) mag neben der KANTschen Grundlegung auch auf den weithin unbeachteten Vorläufer der relationalen Bedeutungsrepräsentation hingewiesen werden, der die heutigen semantischen Netzwerke vorwegnahm.

In seinen experimentellen Untersuchungen zu Verstehensvorgängen und Problemlösungsverhalten (1913) sowie zur Produktivität und Kreativität des Denkens (1922) hat OTTO SELZ nicht nur Resultate des KANTschen "Schematismus unseres Verstandes" protokolliert und klassifizierend beschrieben, sondern erstmals Hypothesen auch über die innere Struktur und Funktionsweisen dieser Schemata formuliert. In Abkehr von den herrschenden assoziationstheoretischen Vorstellungen seiner Zeit ( MüLLER 1913) in der Tradition der Würzburger Schule ( EBBINGHAUS 1885) entwickelte SELZ dabei - noch auf der Basis des behavioristischen Reiz-Reaktions-Paradigmas - die Idee eines relationalen Beziehungsgeflechts von konzeptuellen Komponenten aus Knoten (Gliedern) und Relationen (Beziehungen), dessen Funktion - bis in Details der graphentheoretischen Darstellung hinein - den Wissensrepräsentationen und semantischen Netzwerken der KI-Forschung und den Strukturen heutiger Gedächtnismodelle entspricht.

Für die komplizierte Struktur der Wissenskomplexe, durch deren Aktualisierung eine determinierte Benennungsreproduktion erfolgen kann, gibt folgende Figur eine symbolische Darstellung:

Figure

R bezeichnet den Reizwortbegriff, W das gesuchte Wort, das zu dem seinem Inhalt nach nicht geklärten nächstübergeordneten Begriff U1 in Benennungsbeziehung steht, welcher den Reizwortbegriff der ZEITUNG mit dem nebengeordneten Begriff (W) der ZEITSCHRIFT unter sich befaßt und beide von Büchern unterscheidet. Die geraden Verbindungslinien in Fig. 6 bezeichnen die Begriffs-, die gekrümmten die Bedeutungsverhältnisse, die bei der sukzessiven determinierten Wissensaktualisierung mitwirken ( SELZ 1922, S. 381).

Abb. 1

Bemerkenswert hieran ist, daß die SELZschen Hypothesen über Organisation und Struktur der die Verarbeitungsprozesse leitenden Prinzipien aus dem Bedürfnis erwuchsen, die aus der Vielzahl von Erinnerungsprotokollen seiner Versuchspersonen gewonnenen Klassifikationen in einen theoretischen Zusammenhang zu bringen, aus dem die experimentellen Befunde sich als Resultate sollten ableiten lassen können. Moderne gedächtnisstrukturelle Forschungen, die umgekehrt zunächst von plausiblen Intuitionen über Aufbau und Funktion des Gedächtnisses ausgehen und ihre Modellentwicklungen sodann anhand experimenteller Untersuchungen testen und modifizieren, kommen dabei zu den gleichen Aufbau- und Funktionsprinzipien wie SELZ. Der hatte (1922, S. 207) seine schematische Antizipation als Resultat einer Aktivierung eines Schemas gedeutet, das - wie in Abb. 1 - entweder ein Konzept A über eine Relation g mit einem unbekannten Konzept (?) oder zwei Konzepte A und B durch eine unbekannte Relation (?) verbindet (S. 370). Je nach Aufgabenstellung liefern dabei solche (untereinander verbundenen) Schemata den Rahmen für Problemlösungen, durch die die jeweiligen Fragezeichen - den slots in der Frame-Theorie entsprechend - durch aktuelle (Konzept- bzw. Relations-)Werte ersetzt werden. Darüber hinaus bilden SELZs symbolische Darstellungen der von ihm Wissensaktualisierung (S. 239) genannten Aktivierungen solcher (zu Netzen verknüpfter) Schemata die formale Grundlage der aktuellen Theorien und Modelle der Spreading-Activation ( QUILLIAN 1966; COLLINS/LOFTUS 1975) und des Priming ( MCKOON/RATOLIFFE 1979; LORCH 1982), deren Vertreter freilich SELZs Arbeiten nicht zu kennen scheinen.

3  

Es scheint, daß CARNAP (1955) als erster die ältere psychologische Begriffsbildung der Dispositionen aufgegriffen und in einen kognitiv-theoretisch wie linguistisch-logisch gleichermaßen relevanten Zusammenhang zur Semantik der natürlichen Sprache gebracht hat. Obwohl es ihm dabei nicht - oder doch nicht primär - um eine empirische Untersuchung der natürlichen Sprache und ihrer Bedeutung ging, wie sie sich in der tatsächlichen Verwendung aktueller Rede konstituiert (was - nach CARNAP - Aufgabe der deskriptiven Semantik ist, die daher eher einen Teil der Pragmatik als der Semantik bildet), verwendet CARNAP die Vorstellung von den "Dispositionen eines Sprechers". Sie bilden die (intuitive) Grundlage, mit Hilfe der er sein Konzept der Intension erläutert, das er in der reinen Semantik braucht, (welche ein nach Regeln konstruiertes formales Sprachsystem interpretiert im Unterschied zu den Regularitäten und Bedeutungen natürlicher Sprachsysteme, die sich erst durch Verwendungsweisen des Sprachgebrauchs konstituieren).

Wenn hier auf die CARNAPsche Vorstellung von Dispositionen wieder zurückgegriffen wird, dann sicherlich nicht im Hinblick auf eine Klärung ihres immerhin fragwürdigen Status innerhalb der formalen Semantik, sondern wegen ihres ganz offenbar unmittelbar einsichtigen, grundlegende kognitive wie semantische Erfahrungen vermittelnden Wertes, der den Begriff der Disposition - obwohl selber noch ungeklärt - zur Erklärung des abstrakten und theoretischen Konstrukts der CARNAPschen Intension geeignet machte. Darüber hinaus erfaßt der Begriff wesentliche Teile unserer eigenen Intuitionen ( RIEGER 1985a, c) über die Voraussetzungen der Bedeutungskonstitution in Verstehensprozessen und wie diese auf der Basis von (hoffentlich auch empirisch rekonstruierbaren) Dispositions-Strukturen im Rahmen einer prozeduralen Semantik simuliert werden könnten.

Bekanntlich führt CARNAP den Begriff der Intension eines Prädikats Q für einen Sprecher X ein als die allgemeine Bedingung, die eine Entität y erfüllen muß, damit X dem y das Prädikat Q zuschreiben kann. Obwohl für eine strikt referenz-theoretische Semantik konzipiert, macht er mit der erläuternden Verwendung des Dispositionsbegriffs gleichzeitig expliziten Gebrauch vom struktural-semantischen Konzept einer Sprache als eines Systems von untereinander in (semantischen?) Beziehungen stehenden (begrifflichen?) Entitäten. Danach bildet sie die Basis bestimmter linguistischer Reaktionen des Sprachverwenders X dann, wenn X die Sprache L beherrscht.

Let us try to make this general characterization more explicit. That X is able to use the language L means that X has a certain system of interconnected dispositions for certain linguistic responses. That a predicate Q in a language L has the property F as its intension for X, means that among the dispositions of X constituting the language L there is the disposition of ascribing the predicate Q to any object y if y has the property F. (F is here always assumed to be an observable property, i.e. either directly observable or explicitly definable in terms of directly observable properties. The given formulation is oversimplified, neglecting vagueness [...])
   ( CARNAP 1955, S. 242; meine Hervorhebungen)

Unberücksichtigt können hier die Probleme der Analyse des Phänomens der Vagheit natürlich-sprachlicher Bedeutung bleiben ( RIEGER 1976/1981; PINKAL 1985), die bei allen Referenz-theoretischen Semantikmodellen im allgemeinen aus jenen (nicht unmittelbar überprüfbaren) Eigenschaftszuschreibungen erwachsen, denen keine beobachtbaren Merkmale sondern einzig sprachlich vermittelte Konzepte zugrundeliegen. Diese Probleme betreffen insbesondere solche Schwierigkeiten, die durch kontinuierliche Übergänge von Eigenschaften und Merkmalsausprägungen und deren befriedigender Repräsentation in intensionalen Notationsformen hervorgerufen werden. Dagegen soll im folgenden das näher betrachtet werden, was bei CARNAP als die eine "Sprache L konstituierende" und in ihren idiolektisch-perfomatorischen Ausprägungen bestimmende Bedingung erscheint und als ein "bestimmtes System untereinander verbundener Dispositionen zu bestimmten linguistischen Reaktionen" bezeichnet wird.

Let D be the dispositon of X to react to a condition C by a characteristic response R. There are, in principle, although not always in practice, two ways for ascertaining whether a given thing or person X has the disposition D (at a given time t). The first method may be called behaviouristic (in a very wide sense); it consists in producing the condition C and then determining whether or not the response R occurs. The second way may be called the method of structure analysis. It consists in investigating the state of X (at t) in sufficient detail such that it is possible to derive from the obtained description of the state with the help of relevant general laws (say of physics, physiology, etc.) the responses which Y would make to any specified circumstances in the environment. Then it will be possible to predict, in particular, whether, under the condition C, X would make the response R or not: if so, Y has the disposition D, otherwise not. [...] With respect to a psychological disposition and, in particular, a linguistic dispositon of a person X, there is first the familiar behaviouristic method and second, at least theoretically, the method of micro-physiological investigation of the body of X, especially the central nervous system.    ( CARNAP 1955, S. 243)

Obwohl diese Charakterisierung noch keine Vorschrift darstellt, die man unmittelbar anwenden könnte zur empirischen Rekonstruktion linguistischer Dispositionen, und obwohl sich hinter diesem Begriff noch alle (semiotischen) Konstitutionsebenen linguistischer Entitäten undifferenziert verbergen, wird doch deren Funktion als eine Art (systematische) Bedingung für die (handlungssteuernde) Möglichkeit zu (auch Folgerungen einschließenden) sprachlichen Aktionen und/oder Reaktionen deutlich, die ihrerseits als durch einen - wie immer zu analysierenden bzw. zu beschreibenden - sie determinierenden und durch sie determinierten Strukturzusammenhang phonetischer, syntaktischer, semantischer und pragmatischer Entitäten bestimmt erscheinen.

4  

Seit die Psychologie sich verstärkt der Erforschung jener Verarbeitungsprozesse widmet, die beim Hervorbringen und Verstehen natürlich-sprachlicher Äußerungen ablaufen, wird jene schon oft strapazierte Analogie zu vergleichbaren Prozessen der Verarbeitung von (sprachlichen) Zeichenketten durch den Computer immer wieder aufgenommen. Dabei bilden allerdings neue, aus der Informatik (Computer und Software Science) entlehnten Begriffsbildungen wie Subroutine und Prozedur eine aktuelle, weiterführende Perspektive. Sie betrifft eine dynamische Betrachtung und Repräsentation von bisdahin auch in der Psychologie als statisch beschriebenen Entitäten und ihrer Beziehungen untereinander im Rahmen vornehmlich der Erklärung von Interpretationsprozessen sprachlicher Zeichen.

Psychologists are interested in how language is used to communicate: to make statements, to ask questions and to answer them, to make requests, and even to express invocations and imprecations. lt is a virtue of the procedural approach that it places these diverse speech acts on an equal footing and provides a theoretical language for formulating hypotheses about the mental processes involved . [...] We took the view that a lexical concept interrelates a word, rules governing its syntactic behaviour, and a schema. A schema is made up from both functional and perceptual information, and may well include information that has no direct perceptual consequences. Moreover, lexical concepts are interrelated to one another. They are organized in semantic fields that have a conceptual core wich reflects a deeper conceptualization of the world and integrates the different concepts with the semantic field. One purpose of such an organization is to create a taxonomy that enables entities within the field to be correctly categorized and readily named.    ( JOHNSON-LAIRD 1977, S. 192; meine Hervorhebungen)

Den größeren Umfang und die höhere Allgemeinheit des prozedural-semantischen Ansatzes gegenüber den modelltheoretischen der logischen Semantik macht dabei ein Vergleich schon wegen ihrer (ähnlichen) Eigenschaften deutlich.

At first glance the two approaches may seem totally unrelated, but further consideration reveals some interesting similarities [...]. In model-theoretic semantics an intension is a function from possible worlds to truth values, and an extension is the truth value for a particular world. In procedural semantics there is a similar distinction between a procedure and the result of executing it. Thus we might speak of the intension of a program as the procedure that is executed when the program is run, and of the extension of a program as the result that the program returns when it has been executed.
   ( JOHNSON-LAIRD, S. 203)

Diese Parallelen weisen darüber hinaus auf einen weiteren Vorteil hin, der mit dem prozeduralen Ansatz verbunden sein kann: der Erklärungsanspruch wahrheitsfunktionaler Semantiktheorien wird auf einen (möglichen) Spezialfall semantischer Explikation reduziert. Denn während die modelltheoretischen Ansätze die Bedeutung eines Satzes im wesentlichen als seinen Wahrheitswert definieren, erlaubt eine prozedurale Semantik daneben eine Vielzahl anderer (gleichermaßen mögliche) Extensionen wie Antworten, Handlungen, Veränderung von Wissen und/oder Prozessen und Plänen, etc. Logische Semantiktheorien erscheinen daher aus psycholinguistischer Sicht durchaus nicht als die natürlichsten Repräsentationssysteme, von denen zu fordern ist, daß sie eine plausiblere Methode der Analyse, empirische Überprüfung der Resultate und theoretisch konsistente Explikation von Zusammenhängen erlauben, welche für die kommunikativen Interaktionen zwischen Sprechern/Hörern natürlicher Sprachen konstitutiv sind.

Finally, it should be emphasized that procedural semantics is more a methodology than a specific theory [...]. Nevertheless, the procedural method seems to be particularly suitable for developing pschological theories about the meanings of words and sentences. It has two principle advantages. First, theories lying within its conceptual framework can be readily modeled in the form of computer programs: nothing quite so concentrates the mind as having to the theory itself or how it should be tested. Second, it forces the theorist to consider processes. This is a signal virtue in comparison to model-theoretic and linguistic approaches to meaning that tend naturally to emphasize structure at the expense of process.    ( JOHNSON-LAIRD, S. 212)

5  

Daß mit dem Konzept der Prozeduralität eine neue Ebene formaler Rekonstruktionen semantischer Strukturzusammenhänge erreicht wurde, ist deutlich. Sie geht nicht nur über die Explikation von Bedeutung als mengentheoretisch beschreibbare Extension oder als Eigenschaften festlegende Intension eines Ausdrucks hinaus, sondern erschließt gleichzeitig noch eine neue Dimension der Überprüfbarkeit dadurch, daß prozedurale Rekonstruktionen sich über die Struktur-produzierenden Prozesse simulieren lassen, die sie repräsentieren. Das setzt freilich eine kritische Evaluierung jeder allzu mechanistischen Übertragung Computer-theoretischer Vorstellungen über die Verarbeitung und Interpretation von Zeichenketten zur Erklärung von Vermögen menschlicher Sprachverarbeiter voraus.

I think there are similarities between human procedures and computer subroutines, but there are also many essential differences. Moreover, it should be clear that starting over with a computer analogy will not itself solve any of the problems left open in the set-theoretical semantic of natural language.    ( SUPPES 1980, S. 28)

Der grundlegende und psychologisch wichtige Punkt ist, daß - mit Ausnahme sehr weniger Fälle - bei der Entscheidung, ob einem Gegenstand ein bestimmtes Prädikat zukommt oder eine bestimmte Relation zwischen zwei oder mehreren Gegebenheiten besteht, man diese Eigenschaften oder Beziehungen nicht als Mengen von Gegebenheiten betrachtet, die den Sachverhalten, auf die referiert werden soll, immer schon eignen, sondern daß man über produktive Verfahren (Prozeduren) verfügt, deren Anwendung erst zu den betreffenden Werten von (extensionalen bzw. intensionalen) Resultaten führt. Diesen Zusammenhang formuliert SUPPES (1980) in den sechs Grundsätzen über die Prozeduralität von Bedeutung.

Proposition 1:
Properties are abstractions of procedures, just as extensions are abstractions of properties [...]
Proposition 2:
In finest detail, the meaning of a word, phrase, or utterance is a procedure, or collection of procedures [...]
Proposition 3:
In finest detail, the meaning of a word, phrase, or utterance is private for each individual [...]
Proposition 4:
High probability of successful communication depends, among other things, on the following factors:

    4.1 Spoken words, phrases, and utterances are identified as `being the same', that is, being appropriately congruent, by speaker and listener.
    4.2 The procedures called by words or phrases yield for the given context congruent communicational results for speaker and listener.
    4.3 The speaker uses nonverbal as well as verbal cues from the listener to determine if the words he uses are calling result-congruent procedures in him and the listener.
    4.4 When the speaker judges his words are not calling result-congruent procedures, he uses paraphrases in terms of words he believes will call result-congruent procedures [...]
Proposition 5:
Classical set-theoretical referential semantics can be obtained, where appropriate, by abstraction from procedural semantics [...]
Proposition 6:
Human procedures are similar to computer subroutines, but there are notable differences:

    6.1 What corresponds to the underlying machine language of human procedures is radically different from any current computer language; moreover, this underlying language is probably unknowable in complete detail.
    6.2 Human procedures are subject to continual modification and are much affected by use; computer subroutines are not - they can stay the same thousand years.
    6.3 Human procedures are intrinsically connected to perceptual and motor activities; for computer subroutines these connections are still artificial, awkward, and difficult.
    6.4 Human procedures are intrinsically continuous rather than discrete or digital in character; prosodic features of speech are a prime example.
   ( SUPPES 1980, S. 28ff)

Während Satz 1 die (ontologische) Beziehung von Extension über Eigenschaften zu Prozeduren als Abstraktionsschritte herstellt, identifizieren Satz 2 und Satz 3 die Bedeutung sprachlicher Zeichen, Worte, Sätze mit Prozeduren oder Folgen von Prozeduren (1), deren Ergebnisse letztlich individuell (2) sind. In den Sätzen 4 werden die kommunikativen Bedingungen der - vor dem Hintergrund von Satz 3 notwendigen - intersubjektiven Identitätssicherung sprachlicher Zeichen, Worte, Sätze formuliert, welche vergleichbare Funktionen erfüllen sollen wie KRIPPKEs rigid designators bzw. HINTIKKAs cross-identification in den Möglichen-Welt-Semantiken oder die Invarianz sichernden uniformities von BARWISE/PERRY in der Situations-Semantik. Satz 5 enthält die aus der in Satz 1 formulierten Beziehung folgende Umkehrung als beschreibungsanalytische Konsequenz, während schließlich die Sätze 6 die entscheidenden Differenzen formulieren, welche die aus der Mensch-Maschine-Analogie abgeleiteten Eigenschaften von Prozeduren in natürlichen von denen in künstlichen Systemen unterscheiden.

Damit könnte die Prozedurale Semantik zur Keimzelle einer Wissenschaft werden, die sich allgemein der Untersuchung kognitiv-semiotischer Prozesse, ihren Voraussetzungen, Funktionen und Resultaten zuwendet und als Cognitive Science sich bereits auch zu etablieren beginnt. Für ihre übergreifende Theorienbildung zeichnet sich dabei eine quasi ontologische Reihenentwicklung explikativer Systemrepräsentationen ab, wonach Strukturen als funktionale Resultate von Prozessen und weiterhin Prozesse als simulative Resultate von Prozeduren verstanden werden können. Ihren jeweiligen Beschreibungsebenen entspricht gleichzeitig eine Hierarchie zunehmend abstrakter, gleichwohl empirisch, experimentell oder simulativ überprüfbarer Modellbildungen, von der relationalen Darstellung des Zusammenhangs der untersuchten Entitäten als Struktur (strukturalistische Modelle), über die je funktionale Beschreibung eines in der Zeit sich verändernden Zusammenhangs als Prozeß (prozessuale Modelle), bis zur dynamischen Repräsentation des von der Zeitlichkeit abstrahierenden funktionalen Zusammenhangs als Prozedur (prozedurale Modelle).

6  

Für die wechselseitige Vermittlung von Weltwissen und sprachlichen Strukturen in Repräsentationssystemen zur Modellierung von Prozessen der Bedeutungskonstitution und des Sprachverstehens hat sich das Frame-Konzept als eine der einflußreichsten Begriffsbildungen im Rahmen der Kognitionswissenschaften erwiesen. Die erste Arbeit über Frame-Systeme ( MINSKY 1974) traf freilich bereits auf eine Vielzahl ähnlicher und verwandter Vorstellungen und Ideen wie scripts, scenes, scenarios etc., die durchaus schon eine nach übergreifender Vereinheitlichung strebende Tendenz zeigten. Dies umso mehr, als die Lexikonstrukturen der linguistischen Semantik, die Gedächtnismodelle der kognitiven Psychologie und die semantischen Netze der KI-Forschung auf ähnliche oder gar gleiche Darstellungsformate zurückgriffen, insofern ihnen allen die uns schon von SELZ bekannte Verwendung gerichteter Graphen gemeinsam war.

Die semantischen Repräsentationssysteme, die im Rahmen der einschlägigen Forschungen im Hinblick auf die Darstellung strukturierten Wissens bzw. zur Modellierung von Gedächtnisstrukturen seither entwickelt wurden, bilden denn auch Bedeutungen und deren Zusammenhänge nicht als Prozesse sondern primär als statische Gegebenheiten ab. Zu deren Darstellung genügt daher das Format der gerichteten Graphen, die aus Mengen von Knoten (Elementen) und orientierten Kanten (Relationen) bestehen, sowie aus Vorschriften (Regeln), wonach jeder (benannten oder unbenannten) Kante genau zwei (gleiche oder verschiedene) Knoten zugeordnet sind. Dabei können die Knoten einzelne Wörter, Bedeutungen, Begriffe, etc. oder auch Objekte, Vorgänge, Konzepte, etc. repräsentieren, während die sie verbindenen Kanten die zwischen ihnen bestehenden sprachlichen, semantischen, begrifflichen und/oder logischen Beziehungen darstellen. Die Vorschriften entsprechen den anzuwendenden Verfahren, welche die Verarbeitung dieser Entitäten regeln, wobei freilich die Benennungen von Elementen und Beziehungen, welche aus abstrakten Entitäten erst Repräsentationen von Bedeutungen machen, vorausgesetzt und damit ungeklärt bleiben. Bei allen durch Frage-, Themen- und Problemstellung sowie den beschrittenen Lösungswesen diktierten Unterschieden, die sich aufgrund des differierenden Gebrauchs ergeben, welche die verschiedenen bisher implementierten Systeme von diesen formalen Darstellungsmitteln machen ( ENGELBERG/ KNöPFLER 1983), ist diesen Wissensrepräsentationen durchweg gemeinsam, daß sie die Kanten (Bedeutungsbeziehungen) zwischen ihren dargestellten Knoten (Bedeutungselementen) nach Art und Weise ihres Gegebenseins als (weitgehend) unveränderliche Relationen auffassen.

Abb. 2

Eine der geläufigsten Repräsentationen bildet dabei die Begriffs-hierarchische Darstellung von Konzepten in einer Baumstruktur (Abb. 2), wie sie in der experimentellen Psychologie entwickelt wurden. Sie bestehen im wesentlichen aus (benannten) Konzeptknoten, die durch verschiedene Merkmale (Prädikate und/oder Attribute) näher spezifiziert sind und diese (als Eigenschaften auch ihrer abhängigen Begriffe) an die tieferen Knoten im Raum quasi weiter vererben. Die diesem Aufbau zugrundeliegende Hypothese besagt, daß Testpersonen bei Entscheidungsaufgaben ("A canary has a skin?") umso rascher antworten, je weniger Konzeptebenen zur Identifikation der Eigenschaften ("A canary is yellow?") durchlaufen werden. Die Reaktionszeitmessungen geben dabei Aufschluß über Haltbarkeit oder Änderung nicht nur der getesteten Hypothesen sondern auch der strukturellen Abhängigkeiten zwischen den dargestellten Konzepten.

Abb. 3

Schon in den frühen Wissensrepräsentationen der KI-Systeme wurde ein Darstellungsformat verwendet (Abb. 3), das im Prinzip aus einem Graphen besteht, der verbindet, dabei aber keinen Baum, sondern ein Netz bildet. Als Zeigerstrukturen implementierbar, erlaubt die Abarbeitung solcher als semantische Netze bekannt gewordenen Graphen etwa in Frage-Antwort-Systemen korrekte, auf das repräsentierte Wissen bezogene Dialoge ("Is Susy a cat?" - "Yes!" oder "Susy, cat?" - "Susy is a cat. Cats eat fish. Cat is an animal. Fish is an animal").

Abb. 4

Eine stereotypische Repräsentation von Konzepten und ihrer (semantischen) Beziehungen untereinander vermittelt die Distanz-relationale, weil kontinuierlich gradierbare Darstellung (Abb. 4), die im Rahmen assoziativer Gedächtnismodelle entwickelt und zur Erklärung von Priming-Phänomenen herangezogen wurde. Darunter wird eine auf Aktualisierung und schematischer Antizipation SELZs beruhende Erscheinung verstanden, wonach die Identifikations-, Merk- und Erinnerungsleistungen von Testpersonen sich signifikant erhöhen, wenn zuvor schematisch ähnliche, semantisch affine Konzepte aktiviert wurden. So würde die Stimulation eines Konzepts ( INDUSTRIE) ähnliche Konzepte (vor-)aktivieren ( MANAGEMENT ® BUSINESS ® SCIENCE ® etc.) und zwar bei zunehmender Distanz mit geringeren Intensitäten.

7  

Das Weltwissen und Bedeutungsverstehen übergreifende Frame-Konzept MINSKYs war daher prädestiniert, diesen aus unterschiedlichen Problemlagen und Forschungsinteressen entwickelten Darstellungsformaten einen übergreifenden konzeptuellen Rahmen zu geben, und es scheint darüber hinaus auch als eine Art gemeinsamer Nenner der in der künstlichen Intelligenz entwickelten Repräsentationsmodelle akzeptiert zu werden.

When one encounters a new situation (or makes a substantial change in one's view of a problem), one selects from memory a structure called frame. This is a remembered framework to be adapted to fit reality by changing details as necessary. A frame is a datastructure for representing a stereotyped situation [...] Attached to each frame are several kinds of information. Some of this information is about how to use the frame. Some is about what one can expect to happen next. Some is about what to do if these expectations are not confirmed. We can think of a frame as a network of nodes and relations. The `top levels' of a frame are fixed, and represent things that are always true about the supposed situation. The lower levels have many terminals - `slots' that must be filled by specific instances or data. Each terminal can specify conditions its assignments must meet. (The assignments themselves are usually smaller `sub-frames') [...] Collections of related frames are linked together into frame-systems.
   ( MINSKY 1977, S. 355)

Vergleichbare Positionen haben sich hinsichtlich der um das Script-Konzept entstandenen Diskussion und Modellentwicklung sowohl im Rahmen kognitiver Prozesse der Inferenz als auch der Strukturierung lexikalischen Wissens herausgebildet. Ihnen gemeinsam ist die Betonung der - zwar als dynamisch zu konzipierenden, derzeit aber nur statisch realisierten - Strukturiertheit von scripts und meta-scripts als performative Strukturen ( ABELSON 1981) bzw. als script-based lexicon ( RASKIN 1981, 1982), welche Ereignisverläufe dem Grade ihrer Erwartbarkeit nach organisieren bzw. Interpretationen von lexikalischen Elementen liefern in Abhängigkeit von den variablen situativen Abhängigkeiten, in denen sie stehen.

Understanding a situation can be taken to mean the cognitive retrieval of previous situations to which the present situation is similar. [...] This formulation is most clear for situations which over many repetitions build up an easily identified equivalence class, that is, scripts.    ( ABELSON 1981, S. 719)
The relation between the lexicon in the theory and the scripts is twofold. First [...], each lexical entry evokes the scripts of which it is part. Secondly, each lexical entry is defined only in terms of such scripts as a certain domain of the graph consisting of one or more nodes with dependency relations connecting them to the adjacent nodes. The scripts are larger domains of the graph, and every lexical entry is, in fact, an intersection of several scripts. Ideally, the entire lexicon of a language is viewed as a continuous graph relating all entries of the language.    ( RASKIN 1981, S. 29)

Obwohl aber die Frame-Theorie ebenso wie die damit verbundenen Script- und Scene-Konzeptionen und deren Weiterentwicklungen eine beträchtliche Bedeutung nicht nur in der KI-Forschung sondern auch für linguistische Bedeutungstheorien gewann ( RIEGER 1979c) und zeitweise zu so etwas wie einem Shibboleth fortschrittlicher, weil prozeduraler Ansätze ( RIEGER 1977b) wurde, blieb die Aufmerksamkeit der Modellentwickler - trotz aller verbalen Hinweise auf eine notwendige empirische Absicherung dieser Modelle - mit den theoretischen Annahmen und simulativen Konsequenzen befaßt, für die die Kontroverse um deklarative und/oder prozedurale Wissensrepräsentationen ein Beispiel wurde ( BOBROW 1975; WINOGRAD 1975; WOODS 1975; BRACHMAN 1976).

Die als semantische Netze, als relationale Datenbasen oder Produktionssysteme aufgebauten Wissensrepräsentationen ( CERCONE/ GOEBEL 1981) unterscheiden dabei zwischen Kenntnissen, welche einen Gegenstandsbereich betreffen (Weltwissen), welche die davon (mehr oder weniger) unabhängige Sprache betreffen (Sprachwissen), und solchen, welche die Regeln umfassen, nach denen Elemente und Strukturen des einen Typs mit solchen des anderen Typs verbunden werden (Erfahrungswissen) ( FAUSER/ RATHKE 1981). Dem entspricht die Unterscheidung von referenzieller, struktureller und experientieller Bedeutung auf semantischer Ebene, die heute für die Erstellung zahlreicher solcher Wissensbasen aus den unterschiedlichsten Sach- und Gegenstandsbereichen geläufig ist. Sie findet sich - wenn auch verdeckt - in den bisher operablen Expertensystemen wieder und bilden eine der Voraussetzungen natürlichsprachlicher Schnittstellen in den Dialog-Komponenten solcher Systeme. Dabei ist zwischen Wissensbasis und einer dieses Wissen verarbeitenden Inferenzmaschine zu unterscheiden, die - als Kernstück jedes Expertensystems - die Wissensbasierte Interpretation von sprachlichen Eingabeketten bzw. die inhaltsgesteuerte Bildung von Ausgabeketten ermöglichen soll ( RICH 1984).

Die Erstellung dieser Wissens- und Bedeutungsrepräsentationen bildet dabei das bisher noch schwächste Glied. Denn der Aufbau der Wissensbasen geschieht immer noch introspektiv, d.h. durch Verfahren, welche das Verständnis der eigenen Sachkenntnis und/oder Fertigkeiten bei (einem oder mehreren) Spezialisten voraussetzen, um zu einer systemadäquaten Darstellung des betreffenden Expertenwissens zu kommen. Die derart ermittelten lexiko-semantischen wie begrifflich-logischen Informationen sind folglich vom sprachlichen Vermögen und/oder Weltwissen des jeweiligen Systementwicklers bzw. der von ihm befragten Spezialisten abhängig (Knowledge-Engineering). Die so aufgebauten Wissensbasen bleiben jedoch nicht nur auf den, durch die jeweiligen Experten abgedeckten Ausschnitt des gesamten Sprach- und Weltwissens beschränkt (was für anwendungsorientierte Systeme ja als eher vorteilhaft gelten kann), sondern diese introspektiv ermittelten Ausschnitte werden darüber hinaus noch eingeschränkt durch die vorgegebenen (meist auf prädikatenlogische Form festgelegte) Struktur der Abbildung ausschließlich solchen Wissens, das propositional ausdrückbar ist. Solche propositionalen Strukturen, die als deklarative Darstellung zwar (so und nicht andersartiges) Vorhandensein und Bestehen von Wissen, nicht aber - oder als prozedurale Darstellung nur zum geringeren Teil - das Zustandekommen von Wissen abzubilden bzw. zu repräsentieren vermögen, können daher weder deren Unschärfen und Unbestimmtheiten aufgrund unsicherer Kenntnislage, noch die Veränderungen von Wissen aufgrund hinzukommender, neuer oder überdeckter alter Kenntnisse adäquat darstellen. Dies wird inzwischen zunehmend als ein theoretisch begründeter Mangel und praktisch sich auswirkender Nachteil dieser Wissensmodelle erkannt, was insbesondere für die Repräsentationen von Bedeutungen, Begriffen und Konzepten relevant wird, welche nicht ausschließlich mehr referenztheoretisch denotativ bestimmt werden können.

Diese Darstellungsweise erweist sich aber als unzureichend, wenn beispielsweise nicht identische, sondern nur ähnliche, vielleicht unvollständige oder auch modifizierte Repräsentationen von zueinander gehörenden, miteinander verwandten Bedeutungen algorithmisch sollen erkannt, gesucht und gefunden werden könnnen. Weil ausschließlich propositional, referenziell und statisch repräsentiertes Wissen dessen gleichzeitige interne, konnotative und dynamische Strukturiertheit nicht (oder bisher noch nicht) abzubilden vermag und die Modellierung in Graphen und Netzen die Variabilitäten vager oder unscharf gegebener Bedeutungen nicht (oder bisher noch nicht) zu erfassen erlaubt, stellen (inhaltliche) Veränderungen des so repräsentierten Wissens und (formalen) Präzisierungen von so dargestellten Bedeutungen diese Modellstrukturen derzeit noch vor die größten Probleme. Empirische Voraussetzungen jedenfalls und methodologische Fragen, wie man denn an welches Wissen gelange (dessen Darstellung sich im übrigen bei nicht-introspektiver Erhebung aus der Methode selbst ergeben könnte), beginnen gerade erst in den Blick genommen zu werden ( AGRAWAL/ZUNDE 1985).

8  

Anders als bisherige Untersuchungen, welche die Bedeutung von Wörtern und Begriffen und deren Beziehungen schon voraussetzen, um sie als Mengen von Entitäten und deren Eigenschaften darzustellen und formal als statische Graphenstrukturen zu repräsentieren, wäre in einem semiotisch orientierten Forschungsansatz von der semantischen Strukturiertheit dessen auszugehen, was seit WITTGENSTEIN als Sprachspiel bezeichnet wird. Dessen dynamische Strukturiertheit wird dabei in einem kontinuierlichen Prozeß andauernder Bedeutungskonstitution durch kommunikative Akte innerhalb eines Gegenstandsgebiets (als Fragment des Universums) der Rede über alle semiotischen Ebenen hinweg gleichzeitig schon vorausgesetzt und erst bewirkt werden. Daher kann jede Folge von Äußerungen, die von wirklichen (nicht nur vorgestellten) Sprechern/Hörern in tatsächlichen (nicht nur fiktiven) Situationen erfolgreich vollzogener (oder zumindest doch intendierter) Kommunikation ausgetauscht wird, als empirisch zugängliches und - unter bestimmten, noch zu erörternden Bedingungen pragmatischer Homogenität - potentiell relevantes Datenmaterial gelten. Diese Daten dienen dabei nicht (oder doch nicht zunächst) der formal-theoretischen Rekonstruktion von Regelsystemen zur Beschreibung von Satz- und Textstrukturen, sondern erlauben eine eher funktional-prozedurale Rekonstruktion von Regularitäten, deren Ordnungsbeziehungen inhaltlich-konzeptuellen Kenntnissen über die Welt (oder Fragmenten davon) gleichkommen. Sie lassen sich innerhalb lexikalisch strukturierter Gedächtnismodelle als Zusammenhänge variabler semantischer Dispositionen von in aller Regel unscharfen Abbildungen in das Vokabular darstellen ( RIEGER 1985a,b,c).

Um in diese Konzeption einer strukturalen Analyse von Bedeutung und die mit einer empirischen Semantik verbundenen kognitiven Probleme näher einzuführen, sollen einige in diesem Zusammenhang relevante Bemerkungen PEIRCEs, REICHENBACHs und CARNAPs zitiert werden, die Begriffe wie Relation, Struktur bzw. Erkenntnis schon in dem hier entwickelten Sinne verwenden. Ihre konstruktivistische Aufassung läßt diese Begriffe vielmehr einem Empirieverständnis zuordnen, das als prozedurale Konzeption ( RIEGER 1981) den Aporien traditioneller Erfahrungswissenschaften noch am ehesten entgehen kann.

In einer vergleichenden Gegenüberstellung mathematischer und physikalischer Aussagen bzw. Gleichungen bemerkt REICHENBACH (1920), daß die Bedingungen für ihre Wahrheit bzw. Geltung sich aufgrund des ontologischen Status unterscheiden, der den verschiedenen von ihnen konstituierten Gegenständen zukommt, über die sie etwas aussagen. Mathematische Gegenstände sind danach durch die ein formales System konstituierenden Axiome und Definitionen der Mathematik vollständig bestimmt.

Durch die Definitionen: denn sie geben an, wie sich der Gegenstand zu den bereits vorher definierten Gegenständen in Beziehung setzt; indem seine Unterschiede und Gleichheiten aufgedeckt werden, erhält er selbst erst seinen Sinn und Inhalt als Inbegriff dieser Abgrenzungen. Und durch die Axiome: denn sie geben die Rechenregeln, nach denen die Abgrenzungen vollzogen sind. Auch die in den Axiomen auftretenden Grundbegriffe sind erst durch die damit aufgestellten Relationen definiert.
   ( REICHENBACH 1920, S. 32f; meine Hervorhebungen)

Wahre mathematische Aussagen haben unmittelbar universale Gültigkeit, sofern sie nur aus wohldefinierten Konzepten nach wohldefinierten Regeln (implizit tautologisch) neue Konzepte ableiten, die ihrerseits wiederum nur mathematischen Prinzipien zu unterwerfen sind. Physikalischen Gegenständen mangelt diese implizite Bestimmtheit trotz ihrer offensichtlich ganz ähnlichen Kennzeichnung durch mathematische Gleichungssysteme. Denn sie verdanken ihre Existenz nicht nur der internen Struktur eines mathematischen Formalismus. Als Ausdrücke, die gemäß und innerhalb dieses formaltheoretischen Systems formuliert wurden, beanspruchen sie zur Definition physikalischer Entitäten darüber hinaus Geltung in bezug auf eine externe Realität, die auch anders erfahren werden kann. Diese zusätzliche Forderung konstituiert freilich eine Gültigkeitsrelation, die von der für rein mathematische Modelle geltenden "immanenten Wahrheitsrelation" völlig verschieden ist.

Wir können sie als eine Zuordnung auffassen: die wirklichen Dinge werden Gleichungen zugeordnet. Nicht nur die Gesamtheit der wirklichen Dinge ist der Gesamtheit des Gleichungssystems zugeordnet, sondern auch die einzelnen Dinge den einzelnen Gleichungen. [...] Die Zuordnung, die im physikalischen Satz vollzogen wird, ist aber von sehr merkwürdiger Natur. Sie unterscheidet sich durchaus von anderen Arten der Zuordnung. Sind etwa zwei Punktmengen gegeben, so ordnen wir sie einander dadurch zu, daß wir zu jedem Punkt der einen Menge einen Punkt der anderen Menge als zugehörig bestimmen. Dazu müssen aber die Elemente jeder der Mengen definiert sein; d.h. es muß für jedes Element noch eine andere Bestimmung geben als die, welche die Zuordnung zur anderen Menge vollzieht. Gerade diese Definiertheit fehlt auf der einen Seite der erkenntnistheoretischen Zuordnung. Zwar sind die Gleichungen, die begriffliche Seite, hinreichend definierte Gebilde. Aber für das "Wirkliche" kann man das keineswegs behaupten. Im Gegenteil erhält es seine Definition im einzelnen erst durch die Zuordnung zu Gleichungen.    ( REICHENBACH 1920, S. 34f).

Dabei macht REICHENBACH auf einen aus seinem Umgang mit formalen Repräsentationssytemen der mathematisch-physikalischen Realität deutlich hervorgehenden Aspekt aufmerksam, welcher die besondere, Wirklichkeit-konstituierende Leistung wissenschaftlicher Modellbildungen betrifft. Wiederholt nennt er im Zusammenhang der begrifflichen Faßbarkeit von formalen Darstellungen des Wirklichen die Tatsache "merkwürdig", daß wir "im Erkenntnisprozeß [...] eine Zuordnung zweier Mengen vollziehen, deren eine durch die Zuordnung nicht bloß ihre Ordnung erhält, sondern in ihren Elementen erst durch die Zuordnung definiert wird" (S. 40; meine Hervorhebungen).

Denn das Merkwürdige bleibt, daß die definierte Seite ihre Rechtfertigung nicht in sich trägt, daß sie sich ihre Struktur von außen her vorschreiben lassen muß. Trotzdem es sich um eine Zuordnung zu undefinierten Elementen handelt, ist diese Zuordnung nur in einer ganz bestimmten Weise möglich, keineswegs beliebig: wir nennen das Bestimmung der Erkenntnis durch Erfahrung. Und wir konstatieren die Merkwürdigkeit, daß die definierte Seite die Einzeldinge der undefinierten Seite erst bestimmt, und daß umgekehrt die undefinierte Seite die Ordnung der definierten Seite vorschreibt. In dieser Wechselseitigkeit der Zuordnung drückt sich die Existenz des Wirklichen aus. [...] Daß das Wirkliche existiert, bedeutet jene Wechselseitigkeit der Zuordnung; dies ist sein für uns begrifflich erfaßbarer Sinn, und so vermögen wir ihn zu formulieren.
   ( REICHENBACH 1920, S. 40; Hervorhebungen im Original)

9  

Es ist diese durch die "Wechselseitigkeit der Zuordnung", ausgedrückte und erfahrene "Existenz des Wirklichen", welche als Ordnung und Struktur erscheint, die den kognitiven Kern aller semiotischen Prozesse bildet. Ihn hatte PEIRCE (1868) in seiner auf die Explikation der Zeichenprozesse gerichteten Untersuchung analysiert und dabei die ihn konstituierenden Dimensionen unterschieden als die drei Relationen des Zeichens "zu einem Gedanken, der es interpretiert, für ein Objekt, dem es in diesem Gedanken entspricht, (und) in einer Beziehung oder Eigenschaft, welche die Verbindung zu seinem Objekt herstellt" (PW, S. 233). Die semiotische Produktivität dieser Relationen kennzeichnet PEIRCE dabei - REICHENBACHs (an formalen Repräsentationssystemen entwickelter) Begriffsbildung durchaus vergleichbar - als dreiseitige Interdependenz von Zeichen (erste Menge), Objekt (zweite Menge) und Interpretant (Wirklichkeit), für deren engen, erkenntnis- und zeichentheoretischen Zusammenhang PEIRCEs Rätsel ebenso wie REICHENBACHs Merkwürdigkeit steht.

Here was certainly a stride toward the solution of the enigma. For the treatment of a score of intellectual concepts on that model, only a few of them being mathematical, seemed to me to be so refulgently successful as fully to convince me that to predicate any such concept of a real or imaginary object is equivalent to declaring that a certain operation, corresponding to the concept, if performed upon that object, would (certainly, or probably, or possibly, according to the mode of predication) be followed by a result of a definite general description. Yet this does not quite tell us just what the nature is of the essential effect upon the interpreter, brought about by the semiosis of the sign, which constitutes the logical interpretant.    ( PEIRCE 1906, S. 281)

Formal als Abbildung einer Menge auf ein System bestimmt, dessen Elemente und dessen Struktur beide durch eben diese Abbildungsbeziehung aber überhaupt erst induziert werden, läßt sich ein solcher Konstitutionsprozeß auch analytisch wenden, und zwar immer dann, wenn die Elemente der Ausgangsmenge gewissen Regularitäten gehorchen, die eine gewisse Strukturiertheit bewirken. Obwohl diese Struktur durchaus nicht derjenigen isomorph sein muß, die durch die Abbildungsrelation im zweiten System erst induziert wird, darf doch zumindest von einer Homomorphie beider ausgegangen werden, die umso stärker sein wird, je komplexer die erfaßte, von der Abbildungsrelation auch berücksichtigte Beziehungsstruktur des Ausgangssystems ist. Hier - wenn überhaupt - scheint eine systematische Untersuchung empirischer Gegenstände festgemacht werden zu können und zwar als die repräsentierende Rekonstruktion ihrer strukturalen Bestimmung, die in dem Maße und soweit gelingt, wie ihre vielfältigen Beziehungsstrukturen intersubjektiv feststellbar sind.

Eine solche Bestimmung ist von CARNAP (1928) als Methode der strukturellen Kennzeichnung entwickelt worden. Sie eröffnet die Möglichkeit, Entitäten aller Art einzig durch ihre strukturellen Beziehungen untereinander zu identifizieren. Für hinreichend komplexe Systeme wohldefinierter empirischer und/oder theoretischer Gegenstände erlaubt eine beliebig zunehmende Aggregation ihrer wechselseitig unterschiedlichen Beziehungen, Entitäten strukturell eindeutig als verschieden auszuweisen, oder - falls dies nicht möglich ist - als für den betreffenden Systemzusammenhang identisch zu kennzeichnen. In einem solchen Systemzusammenhang können alle Entitäten ohne direkten, deiktischen Hinweis und/oder den Bezug auf ein außerhalb des Systems liegendes Referenzobjekt eindeutig gekennzeichnet werden, wie das folgende Beispiel zeigt.

Wir betrachten die Eisenbahnkarte etwa des europäisch-asiatischen Bahnnetzes. Diese Karte möge nicht maßstabgerecht gezeichnet, sondern verzerrt sein, wie es in Kursbüchern üblich ist. Sie gibt dann nicht die Entfernungen, aber doch die Zusammenhangsverhältnisse des Bahnnetzes richtig wieder (in geometrischen Ausdrücken: nicht die metrischen, sondern die topologischen Eigenschaften des Netzes). [...] Wir nehmen nun weiter an, daß alle Bahnstationen durch Punkte markiert seien, aber die Karte soll keine Namen enthalten und auch keine anderen Einzeichnungen als die Bahnlinien. Die Frage ist nun: können wir durch Anschauen des wirklichen Bahnnetzes feststellen, welches die Namen der Punkte unserer Karte sind? [...] Wir suchen die Knotenpunkte höchster Ordnung auf, d.h. solche, in denen die größte Anzahl von Linien zusammenläuft. Von diesen gibt es nur eine kleine Anzahl. Angenommen, wir fänden, daß es zwanzig Knotenpunkte gibt, von denen je acht Strecken ausgehen. Wenn wir dann bei jedem Punkt die Anzahl der Stationen bis zu den nächsten Knotenpunkten auf jeder der acht Linien zählen, so werden wohl kaum zwei von diesen zwanzig Punkten in allen acht Zahlen übereinstimmen; damit wären dann die zwanzig Punkte identifiziert. Sollten aber doch noch zwei oder gar alle zwanzig hierin übereinstimmen, so brauchten wir nur die Verbindungen der je acht Nachbarknotenpunkte unter einander ins Auge zu fassen: ob sie direkte Verbindungen mit einander haben oder nicht, und wieviele Stationen dazwischen liegen, wieviele Strecken von jedem Nachbarknotenpunkt ausgehen usw. [...] Wir gehen weiter, bis wir solche Charakteristika finden, die nicht mehr übereinstimmen, auch wenn wir dabei das ganze Netz durchmustern müßten. [...] Wie nun aber, wenn sich für zwei Knotenpunkte auch nach Durchmusterung des ganzen Netzes keine Unterschiede ergäben? Dann gäbe es eben zwei Punkte gleicher Strukturkennzeichnung (homotope Punkte) in bezug auf die Beziehung benachbarter Bahnstationen.    ( CARNAP 1928, S. 17f)

10  

Diese ausführlichen Zitate erhellen, was die Ziele sind und wo die Aufgaben liegen, welche sich für eine empirischen Semantik ergeben. Sie bestehen im wesentlichen in der Möglichkeit, unabhängig vom individuellen Kenntnisstand des jeweiligen Analysators eine Schicht von Weltwissen und/oder Gedächtnisstruktur (bzw. Fragmente davon) aufgrund von Beziehungen zu rekonstruieren, wie sie sich aufgrund der regelhaften Verwendung sprachlicher Einheiten in zu kommunikativen Zwecken geäußerten Texten einer Sprache über ein Sach- und/oder Gegenstandsgebiet ergeben.

In Übereinstimmung mit REICHENBACHs Bemerkungen über die formale Rekonstruktion von der Erkenntnis des Wirklichen als eines Zuordnungsprozesses wird (erstens) eine gegliederte Menge rekurrenter sprachlicher Zeichen und/oder Zeichenketten in Texten identifiziert, d.h. auf unserer derzeitigen Untersuchungsebene der Bedeutungskonstitution: eine Menge lexikalischer Einheiten, wie sie aufgrund ihrer unterschiedlichen Verwendungregularitäten in einem genügend umfangreichen Corpus pragmatisch homogener Texte unterschieden werden können. Von dieser ersten in Texten gegliederten Menge lexikalischer Einheiten, die von wirklichen Sprechern/Hörern in Situationen tatsächlicher oder zumindest doch intendierter Kommunikation als Sätze und Satzfolgen geäußert wurden, wissen wir, daß ihr Gebrauch und ihre dabei so und nicht anders durchgeführte Verwendung spezifische Ordnungen hervorbringt, durch die und/oder in denen sich offenbar jene Zusammenhänge vermitteln, die vom Hörer/Leser erkannt, identifiziert und interpretiert werden können und in wechselseitiger Steuerung und Kontrolle insgesamt so zur Konstitution von Bedeutungen Anlaß geben. Diese Bedeutungen (was immer sie auch sonst sein mögen) stehen (zweitens) als ein System besonderer Art in einer semiotischen Abhängigkeitsbeziehung zu den Strukturen der ersten gegliederten Menge sprachlicher Zeichenaggregate, ohne freilich mit diesen notwendig identisch zu sein. In ihrem wechselseitigen Zusammenhang könnten diese Strukturen jedoch formal als eines jener Systeme gedeutet werden, die REICHENBACH kognitiv nannte und durch die merkwürdige Tatsache ausgezeichnet sah, daß die diese Systemzusammenhänge konstituierende Abbildungsrelation weder nur die Beziehungen bestimmt, die (vorgegebene) Elemente strukturieren, noch auch nur aufgrund (vorgegebener) Beziehungen die Elemente bestimmt, die eine (neue) Struktur bilden, sondern offenbar beides zugleich bewirkt: die Elemente durch deren Relationen zueinander zu determinieren und umgekehrt diese Relationen durch die sie realisierenden Elemente in einen neuen Strukturzusammenhang zu stellen. Eben dies ist aber ein wesentliches Charakteristikum aller semiotischen Prozesse.

Unter der Voraussetzung, daß eine Methode (schon) existiert bzw. (noch) entwickelt werden kann, die mit hinreichender Genauigkeit vorherrschende Interdependenzen zwischen lexikalischen Einheiten auf der Grundlage ihrer Konkurrenzen, Nachbarschaften, Übergänge, etc. in Texten festzustellen erlaubt, könnten eine solche Prozedur (Methode) und deren Resultate (Interdependenzen) zusammen als konstruktive Grundlage einer (in doppelter Hinsicht) semiotischen Modellbildung gelten:

Die Einheiten dieses zweiten, durch wechselseitige Beziehungen zueinander gebildeten Systemzusammenhangs, würden damit - in einem vielleicht beträchtlicheren Ausmaß als bisher angenommen - zur Klärung dessen beitragen können, was in Theorien zu Kognitionsprozessen und Modellen von Gedächtnisstrukturen als Konzeptualisierung begegnet. Selbst in ihren primär sprachlich, d.h. nicht ausschließlich durch Sinnesdaten oder Handlungserfahrungen vermittelten Teilbereichen scheinen diese linguistischen Strukturierungen von Welt eine fundamentale Kategorisierungsleistung zu repräsentieren. Deren eigentümliche Flexibilität war schon für die WITTGENSTEINsche Begriffsbildung des Sprachspiels bestimmend gewesen, dessen Welt-erschließende, funktionale Dynamik zu Formulierungen führte, die wie Antizipationen neuester Vorstellungen zur Modellierung von Gedächtnis und Lexikon in der prozeduralen Semantik anmuten.

Die Sätze, die dies (mein) Weltbild beschreiben, könnten zu einer Art Mythologie gehören. Und ihre Rolle ist ähnlich der von Spielregeln, und das Spiel kann man auch rein praktisch, ohne ausgesprochene Regeln lernen.

Man könnte sich vorstellen, daß gewisse Sätze von der Form der Erfahrungssätze erstarrt wären und als Leitung für die nicht erstarrten flüssigen Erfahrungssätze funktionierten; und daß sich dies Verhältnis mit der Zeit änderte, indem flüssige Sätze erstarrten und feste flüssig würden.

Die Mythologie kann wieder in Fluß geraten, das Flußbett der Gedanken sich verschieben. Aber ich unterscheide zwischen der Bewegung des Wassers im Flußbett und der Verschiebung dieses; obwohl es eine scharfe Trennung beider nicht gibt.

Wenn aber einer sagte "Also ist auch die Logik eine Erfahrungswissenschaft", so hätte er unrecht. Aber dies ist richtig, daß der gleiche Satz einmal als von der Erfahrung zu prüfen, einmal als Regel der Prüfung behandelt werden kann.
   ( WITTGENSTEIN 1969, S. 15; meine Hervorhebungen)

Die hier angesprochenen semiotischen - eine jeweilige Erfahrungswelt als Wirklichkeit allererst erschließenden - Kategoriesierungsleistungen, die übrigens denjenigen Funktionen entsprechen, welche in der Situations-Semantik BARWISE/ PERRYs (1983) die Organismen übernehmen, dürften daher adäquater durch dynamische als durch statische Beziehungsstrukturen erfaßt werden, die man im Unterschied zu den formal-logisch deduktiven Zuordnungen vielleicht besser als inhaltslogisch assoziative Relationen bezeichnet. Zu ihrer linguistischen Analyse, empirischen Modellierung und simulativen Rekonstruktion, für die sich in der einschlägigen Forschung ( WILSON 1980; SOWA 1984) bisher bestenfalls erst Andeutungen finden, wurden an anderer Stelle ( RIEGER 1985a, b, c) erste operable Ansätze vorgestellt.

11  

Bisherige Untersuchungen, die vom Wort zum Satz und vom Satz zum Text fortschreiten, um von einer formalen Abbildung von Bedeutungen von Wörtern über die von Einzelsätzen und Propositionen zu der semantischen Repräsentation von textuellen Satzfolgen in makrostrukturellen Hierarchien zu gelangen ( DIJK 1977), haben sich zur Analyse und Repräsentation dynamischer Bedeutungszusammenhänge als ungeeignet erwiesen. Wenn man demgegenüber einen Satz als eine lexiko-grammatische Einheit ansieht, die nicht aus Phonemen zusammengesetzt ist sondern nur in dieser Form wahrgenommen wird, wobei die Phoneme ihrerseits ein morpho-phonologisches System bilden, und wenn man weiter einen Text als eine konzept-pragmatische Einheit versteht, die nicht aus Sätzen zusammengesetzt ist sondern in Sätzen wahrgenommen wird, die ihrerseits ein lexiko-grammatisches System bilden, dann können wir ebenso von einem Frame als einer meta-pragmatischen Einheit sprechen, die nicht aus Texten besteht, aber durch Texte zugänglich wird. Diese konstituieren damit gleichzeitig ein konzept-pragmatisches System, dessen virtuelle, durch jeweilige kommunikative Umgebungen bedingten dynamischen Teilsysteme sich empirisch als das rekonstruieren lassen, was wir oben semantische Dispositionen genannt hatten.

Setzt man den Gedankengang fort, den HALLIDAY im Rahmen der Textsemantik eingeführt hat, dann muß man folgern, daß die wesentlich semiotische Qualität nicht nur von einem Satz verfehlt wird, der als bloßes Superphonem genommen oder von einem Text, der als bloßer Supersatz gedeutet wird, sondern auch von einem Frame, der als bloßer Supertext aufgefaßt würde.

By `text', then, we understand a continuous process of semantic choice. Text is meaning and meaning [implies, rather than] is choice, an ongoing current of selections each in its paradigmatic environment of what might have been meant [but was not]. It is the paradigmatic environment - the innumerable subsystems that make up the semantic system - that must provide the basis of the description, if the text is to be related to higher orders of meaning, whether social, literary or of some other semiotic universe [...] Here the description is based on system; and text is interpreted as the process of continuous movement through the system, a process which both expresses the higher orders of meaning that constitute the `social semiotic', the meaning system of the culture, and at the same time changes and modifies the system itself.
   ( HALLIDAY 1978, S. 137; meine Einfügung)

Anstatt jedoch - wie im HALLIDAYschen Kontext der Textinterpretation gefordert - unser Augenmerk (vornehmlich) auf Einzeltexte zu lenken, deren Verstehen einer Rekonstruktion jenes vom Textmaterial gesteuerten kontinuierlichen Bewegungsverlaufs durch das System entspräche, durch den dieses sich gleichzeitig veränderte, geht es hier (zunächst) um die Rekonstruktion dessen, was als paradigmatische Umgebung - aus unzähligen Teilsystemen bestehend - das semantische System ausmacht, und wozu nichts als allein Texte wenn überhaupt - eine empirisch zugängliche Datenbasis liefern können.

The linguistic system has evolved in social contexts, as (one form of) the expression of the social semiotic [...] The system is a meaning potential, which is actualized in the form of text; a text is an instance of social meaning in a particular context of situation. We shall therefore expect to find the situation embodied or enshrined in the text, not piecemeal, but in a way which reflects the systematic relation between the semantic structure and the social environment. In other words, the `situation' will appear, as envisaged by HYMES (1971), as constitutive of the text; provided, that is, we can characterize it so as to take account of the ecological properties of language, the features which relate it to its environment in the social system.    ( HALLIDAY 1978, S. 141; meine Hervorhebungen)

Daher kann für eine Systemrekonstruktion nicht die singuläre Textrealisation den Gegenstand der Analyse und Beschreibung bilden, sondern nur die große Zahl textueller Belege (tokens) eines situativen Kontexts (type). Denn anders als HALLIDAY, der hier auf die Beziehung zwischen semantischer Struktur und sozialer Umgebung abhebt, kann die Struktur des semantischen Systems selbst in den Blick genommen werden, und zwar dadurch, daß man die Variable der sozialen und kommunikativen Umgebungen (register) möglichst konstant hält für die Auswahl derjenigen Texte, die einer Untersuchung zugrunde gelegt werden sollen. In einem Textcorpus zusammengefaßt können sie nämlich als eine Stichprobe gelten aus der Grundgesamtheit all derjenigen Texte, die innerhalb eines bestimmten situativen Kontexts und einer bestimmten sozialen und kommunikativen Umgebung tatsächlich geäußert wurden oder doch hätten geäußert werden können. Ein solches Corpus wird im folgenden pragmatisch homogen genannt werden.

Die Aufgabe stellt sich daher zunächst nicht in der übergreifenden Klassifizierung der vielfältigen inhaltlichen Einflußgrößen, sondern darin, ein Konstitutionsprinzip der Inhalte und ihrer Bedeutungsbeziehungen für deren dynamische Rekonstruktion im Modell zu nutzen. Dies scheint möglich über die in korrelativen Zuordnungen sich konstituierenden Ähnlichkeiten, welche eine Zusammenhangsstruktur entstehen lassen, die ihrerseits Voraussetzung und Resultat der Konstitution von intern kohärenten Gegenstandsbereichen mit extern unscharfen Grenzen sind. Derartige Zusammenhangsstrukturen sind dabei nicht einzig von der als außersprachliche Realität erfahrenen Vorstrukturierung der objektiven Welt bestimmt, sondern werden gerade aufgrund der in sprachlichen Regularitäten sich zeigenden Zuordnungen konstituiert. Diese bilden - je nach analysiertem Textcorpus - ein Themen-spezifisch bedeutsames Fragment von Welt als jene Art Strukturiertheit ab, die ein Sprachspiel im WITTGENSTEINschen Sinne durch die daran kommunikativ Beteiligten ausmacht.

Eine Bedeutung eines Wortes ist eine Art seiner Verwendung. Denn sie ist das, was wir erlernen, wenn das Wort zuerst unserer Sprache einverleibt wird. Darum besteht eine Entsprechung zwischen den Begriffen Bedeutung und Regel. Stellen wir uns die Tatsachen anders vor als sie sind, so verlieren gewisse Sprachspiele an Wichtigkeit, andere werden wichtig. Und so ändert sich - und zwar allmählich der Gebrauch des Vokabulars der Sprache. Die Bedeutung eines Wortes vergleiche mit der Funktion eines Beamten. Und verschiedene Bedeutungen mit verschiedenen Funktionen. Wenn sich die Sprachspiele ändern, ändern sich die Begriffe, und mit den Begriffen die Bedeutungen der Wörter.
   ( WITTGENSTEIN 1969, S. 10)

Dem Vorhaben einer empirischen Rekonstruktion derartiger Funktionen, die - als prozessuale Repräsentationen von Sprachspielen - in ihrer Unterschiedlichkeit und Veränderlichkeit verschiedene und wandelbare Bedeutungen als empirische Gegenstände konstituieren, stehen aber bestenfalls pragmatisch homogene Textcorpora zur Verfügung, die ein zugängliches Datenmaterial darstellen. Dessen quantitative Untersuchung - die freilich zunächst eine Art Momentaufnahme der Regularitäten noch diesseits ihrer möglichen dynamischen Veränderbarkeit liefert - geht dabei von einer sprachtheoretischen Hypothesenbildung ( RIEGER 1977d) im Vorgriff auf eine Verstehenstheorie ( RIEGER 1985) aus, derzufolge statistische Methoden im allgemeinen bei der Analyse sprachlich-lexikalischer Strukturen in Texten erfolgreich eingesetzt werden können und im besonderen zur Ermittlung solcher (paradigmatischer) Abhängigkeiten geeignet sind, die in der (syntagmatischen) Struktur der analysierten Texte nicht eigens mehr formuliert, vielmehr schon vorausgesetzt werden.

Ein naheliegender und zunächst auch einleuchtender Einwand gegen diesen statistischen Argumentationszusammenhang in sprachwissenschaftlichen Untersuchungen lautet, daß generell solche semantischen (assoziativen) Regelhaftigkeiten - die aufgrund von Strukturen gemeinsamen (dispositionellen) Vorwissens der über einen Gegenstandsbereich miteinander Kommunizierenden bei der Produktion/dem Verstehen von sprachlichen Äußerungen schon vorausgesetzt werden können - gerade deswegen nicht über textstatistische Analysen ermittelbar seien, weil diese Beziehungen in der (linearen) Strukturierung der zugänglichen Oberflächen von zu analysierenden Zeichenketten gar nicht mehr formuliert werden. Häufig wird aus dem Nebeneinander eines verschwommenen (meist nur metaphorischen) Strukturbegriffs einerseits und eines (auf strikte Wenn-Dann-Abhängigkeit) verkürzten Regelbegriffs andererseits auf die Unvereinbarkeit von Gegenstand und Methode geschlossen: da der unterstellte (streng deterministische) Regelbegriff offenbar nicht geeignet ist, jene Vielfalt möglicher Abhängigkeiten zwischen Lexemen zu beschreiben, die der (notwendigerweise unscharfe) Begriff des semantischen Stereo-/Prototyps aber gleichwohl umfaßt, wurde in der Vergangenheit weder die Frage der Angemessenheit eines anderen Konzepts (probabilistischer bzw. possibilistischer) Regelhaftigkeit noch die Möglichkeit eines die Vagheit präzise abbildenden Darstellungsformats in der einschlägigen linguistischen Forschung ernsthaft diskutiert ( DREYFUSS 1979; SCHWARZE 1982). Dabei vermag gerade der statistisch-korrelative Regelbegriff jene Vielfalt unscharfer Abhängigkeiten zu erfassen, die zu Recht als ein Konstitutivum stereotypischer Strukturen gelten. Indem Regularität als ein Kontinuum von korrelativen Beziehungen zunehmender Determiniertheit vor dem Hintergrund des Zufalls bestimmt wird, kann die ganze Spanne möglicher Ausprägungen von Abhängigkeiten erfaßt und übergreifend beschrieben werden, ohne daß dadurch der zu untersuchende Phänomenbereich vorab auf Präzisierbares verkürzt bzw. reduktionistisch vereinheitlicht würde.

Der Einsatz statistischer Verfahren zur Ermittlung semantischer Strukturen in sprachlichen Texten wird freilich nur in dem Maße erfolgreich sein können, wie alle diejenigen Bedingungen, welche zur lexikalischen Strukturierung des zu untersuchenden Systemzusammenhangs Sprachspiel als einem Ausschnitt von Weltwissen beitragen, sich tatsächlich in den analysierten Texten eines pragmatisch-homogenen Corpus zeigen. Ebenso sicher aber wäre es verfehlt, wollte man hieraus die methodologische Folgerung ableiten, daß deswegen für textstatistische Analysen (im Rahmen eines bestimmten Untersuchungsziels) grundsätzlich alle Texte sowie alle situativen Daten ihrer kommunikativen Verwendung zugänglich sein müßten. Eine solche Folgerung übersähe, daß gerade eine extremale (und unrealistische) Erfüllung dieser Forderung den Einsatz von Methoden der urteilenden Statistik geradezu überflüssig machte. Deren methodische Stärke besteht bekanntlich darin, daß sie - entgegen dem auf beschreibende Verfahren verkürzten üblichen Statistikverständnis - es erlaubt, auch dann noch vernünftige Entscheidungen bzw. Aussagen zu machen, wenn infolge unvollständiger Kenntnislage, d.h. bei nur begrenzt zugänglichen Informationen, Unsicherheit herrscht. Als vernünftig werden dabei aber nicht nur wahre, sondern auch alle diejenigen Aussagen anerkannt, die bei einem jeweiligen Informationsstand alle verfügbaren Daten optimal berücksichtigen. Die urteilende Statistik hat die methodische Seite des Problems solcher Optimierung weitgehend systematisiert und ausgearbeitet.

Literatur

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Footnotes:

1Erschienen in: Pasternack, G. (Hrsg.): Theorie und Empirie. (Schriften des Zentrum Philosophische Grundlagen der Wissenschaft), Bremen (Universitätspresse) 1987, S. 99-149