Urteil der Woche (KW 40)

In dem heutigen Urteil der Woche hat der BFH entschieden, dass die nachträgliche Erstattung einbehaltener und abgeführter Kapitalertragsteuer auf eine analoge Anwendung des § 50d Abs. 1 Satz 2 EStG (Fassung 2002) gestützt werden kann, wenn die Einbehaltung und Abführung gegen unionsrechtliche Grundfreiheiten verstößt.

Im konkreten Fall ging es um eine in Frankreich ansässige Kapitalgesellschaft in der Rechtsform einer société par actions simplifiée (S.A.S.). Diese begehrte es den im Juni 2002 ausgeschütteten Gewinn ihrer deutschen Tochtergesellschaft (GmbH) unter vollständiger Entlastung von deutscher Kapitalertragsteuer zu beziehen. Sie beantragte bei dem damaligen Bundesamt für Finanzen (jetzt Bundeszentralamt für Steuern BZSt) eine Freistellungsbescheinigung gemäß § 50d Abs. 2 EStG in der im Jahr 2002 geltenden Fassung. Sowohl das Amt als auch das FG Köln kam den Begehren der Klägerin nicht nach. Die lag größtenteils daran, dass sie S.A.S. im Jahr 2002 noch nicht zum Kreis der von § 43b EStG begünstigten Gesellschaftsformen gehört hatte und damit eine Erteilung der Freistellungsbescheinigung nach § 50d EStG nicht möglich war.

Auch der BFH ((Senatsurteil vom 11.01.2012 - I R 25/10, BFHE 236, 318)) kam zu keinem anderen Ergebnis, führte aber an, dass durch die abgeltende Wirkung des Quellensteuerabzugs die Kapitalertragsteuer definitiv werde, was gegen die unionsrechtlich verbürgte Kapitalverkehrsfreiheit verstoße. Nach Ansicht des BFH konnte diese materiell-rechtliche Rüge nicht mit Erfolg in einem auf Erteilung einer Freistellungsbescheinigung gerichteten Verfahren angebracht werden. Vielmehr sei die Klägerin gehalten gewesen, den Steuerabzug zunächst hinzunehmen und ihr Begehren in einem auf Erlass eines Freistellungsbescheids gerichteten Verfahren in analoger Anwendung des § 50d Abs. 1 Satz 2 EStG zu verfolgen. Die Klägerin kam den Anweisungen des BFH nach und nahm den Steuerabzug hin, um anschließend in analoger Anwendung des § 50d Abs. 1 Satz 2 EStG den Antrag für die Erteilung eines Freistellungsbescheids zu stellen.

Diesen Antrag lehnte das FA wiederum ab und die Sache gelang wieder zum BFH (Urteil vom 13. April 2021, I R 31/18). Dieser entschied sodann, dass der vorgenommene Analogieschluss "nur" den allgemeinen Rechtsgedanken, nicht aber die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 50d Abs. 1 EStG betreffe, sodass nach den allgemeinen Fristbestimmungen (§§ 169 bis 171 AO) die Verjährung eingetreten war.

www.bundesfinanzhof.de/de/entscheidung/entscheidungen-online/detail/STRE202150129/