Praktikumsbericht Seoul (Südkorea)

Songshin Frauenuniversität in Seoul, 3 Monate

Praktikumsbericht von Coletta Kanafa

Paket Erste Woche

Es ist zehn Uhr morgens, die Sonne scheint grell. Die trockene Hitze, welche der Regenzeit folgt, nimmt mich in Empfang. Mich samt meiner Jacke plus Mantel. In Deutschland erschien es mir als kluge Kofferplatz sparende Idee. Hier retten mich zwei Freunde vor dem Schicksal eines verirrten Packesels. Gemeinsam fahren wir zu meiner neuen WG im Gangdong-Viertel´. Mit der Metro fährt man ungefähr eine halbe Stunde in die Innenstadt. Mein neuer Mitbewohner Anthony ist Koreaner, Mitte 30 und leitet ein eigenes Hagwon (privates Nachhilfeinstitut).  Ohne viel Small Talk übergibt er mir einen Schlüssel und geht wieder zur Arbeit. So, nun bin ich in meinem neuen Zuhause angekommen. Es ist ein altes Haus, gleich gegenüber befindet sich ein 24std Laden und eine Straße weiter ein bunter Markt. Mein Zimmer ist unter acht Quadratmetern groß. Es ist heiß, an den Tagen und in den durchwachten Nächten. Ich verstehe, wieso auf Klimaanlagen soviel Wert gelegt wird. Ich habe keine. Nach drei Tagen Sightseeing fahren meine Freunde wieder zurück nach Busan, der zweitgrößten Stadt Koreas. Im Laufe der nächsten Tage stellt sich Anthony als sehr hilfsbereiter, aber erst in den Abendstunden kommunikativer Mensch heraus. In den kommenden Monaten werden mir in meinem Viertel weniger als zehn westliche Ausländer begegnen. Sie wohnen bevorzugt in der Innenstadt, vor allem in Itaewon. Nachts haftet einigen Bars in Itaewon noch immer etwas Verruchtes an. Bis eins oder zwei streifen völlig betrunkene amerikanische Soldaten durch die Straßen und suchen für koreanische Verhältnisse sehr aufdringlich nach Kontakt.

Paket Universität

Die Songshinjode (Jode= Abkürzung für Frauenuniversität) liegt auf einem steilen Hügel. Gleich hinter der Universität befinden sich Berge, durchzogen von Wanderwegen, welche an kleinen Tempeln vorbeiführen. Die Koreaner sind ein wanderbegeistertes Volk. Am Wochenende sind die Berge das Ausflugsziel Nr1. Es haben sich mittlerweile Naturschutzgruppen gebildet, welche mit auffälligen Plakaten an bergnahen Metrostationen die Wanderer ermahnen auf den Wegen zu bleiben (oder sich ein anderes Hobby zuzulegen). Die Wanderer, es begegnen dir hunderte auf einer kleinen zweistündigen Wanderung, sind professionell ausgestattet und legen Wert auf aktuelle Wandermode. Wer menschenleere Natur sucht, sollte die Berge um Seoul am Wochenende meiden. Aber zurück zur Uni. Die Uni wird von ca. 10 000 Studentinnen (und 10 Studenten im Pflegefach) besucht. Anfangs ist es befremdlich um kurz vor neun mit hundert Studentinnen aus der Metro zu steigen, und gemeinsam den anstrengenden Aufstieg zu bewältigen. Apropos anstrengend, eines der ersten Wörter, die ich von den Studentinnen auf koreanisch lernte, ist himdyro. Die letzte Silbe wird zur Verdeutlichung extrem lang gezogen ausgestoßen. Passt erstaunlicherweise in fast jeden Situationskontext. Meine Betreuerin stellte sich als sehr tolerante, hilfsbereite und herzliche Frau heraus. Sie versorgte mich mit einem Handy (in Seoul unbedingt nötig, um soziale Kontakte aufrechtzuerhalten), allerlei Informationen sowie Schwarzbrot und widmete mir während der Betreuung viel Zeit. Das Studenten-Professoren-Verhältnis an meiner Universität basierte auf einer stark ausgeprägten Dominanzhierarchie. Die Lehrpersonen wurden hofiert. Auf der anderen Seite nahmen sich diese aber für die einzelnen Studentinnen sehr viel Zeit. Die persönliche Beziehung spielt nach Angaben der Studentinnen eine wichtige Rolle. Was auch dazu führen kann, dass im Unterricht aus Respekt keine der Lehrermeinung widersprechende Wortmeldungen vorkommen. Auch die Dozenten kritisieren kaum. Kritik ist in Korea ein Thema für sich. Es wird keine geäußert. Wenigstens scheint es dem Ausländer so, der nicht die feinen Nuancen zwischen einem gut und einem ja, es ist gut mit minimal veränderter Tonlage wahrnimmt. Anfangs war es schwer für mich zwischen dem Gesagten und dem damit Gemeintem zu differenzieren. Es gab Augenblicke, in denen ich meinte nie dahinter zu kommen, wie diese für  Koreaner eindeutigen Signale dechiffriert werden. Nach und nach lernte ich durch die Studentinnen und meine koreanischen Freunde Situationen und Verhalten besser zu interpretieren. Ein Ja auf eine Bitte hin ausgesprochen, muss nicht die Erfüllung dieser Bitte beinhalten. Manchmal ist diese nicht erfüllbar, doch das Gegenüber möchte sich keine Blöße geben. Anders als in Deutschland wird auf dem Zugesagten auch nicht bestanden. Im universitären Umfeld wurde ich mit Interesse und Herzlichkeit überschüttet. Studentinnen kamen auf mich zu, erkundigten sich woher ich komme, wieso ich gerade nach Korea gekommen bin, gaben mir teilweise ihre Telefonnummern, um zusammen Kaffeetrinken zu gehen und machten Komplimente. In Korea machen sich die Frauen gegenseitig viele Komplimente, das verwirrte mich anfangs.

Paket Moralvorstellungen

Mädels mit dünnen Trägertops kommen eindeutig aus dem Ausland. Die koreanischen Frauen zeigen viel nacktes Bein, doch Trägertops tragen sie nur in der Disco. Mein koreanischer Mitbewohner starrte im Gespräch mit mir den Boden an und später stellte sich heraus, das mein ganz normales Top ihn dazu veranlasst hatte. Schon in den ersten Wochen fiel mir die Vielzahl von Motels auf. In den Ausgehvierteln findet man sie an jeder Ecke. Da mich das wunderte, fragte ich meine Freunde und Bekannte, was es damit auf sich hat. Sie erklärten, dass viele Reisende in den Motels absteigen, da sie günstiger als Hotels sind. Darüber hinaus ist es für manche unverheiratete Paare der einzige Ort an dem sie gemeinsam eine Nacht verbringen können, weil ein Zusammenleben ohne Eheschein gesellschaftlich nicht in Frage kommt. Die meisten Studentinnen und Studenten leben entweder noch bei ihren Eltern oder in Studentenheimen mit strenger Hausordnung. Wohngemeinschaften gibt es kaum. Eine ähnliche Funktion haben auch die DVDbangs (bang=Zimmer) inne. In einer DVDbang kann man sich in einem kleinen Zimmer ausgestattet mit Sofa (und immer einer Zewarolle) einen Film mit seinen Freunden oder seinem Freund anschauen. Da Zärtlichkeiten wie Küssen in der Öffentlichkeit nicht ausgetauscht werden, findet das zum Beispiel an diesem Ort statt. Im Vergleich zu Deutschland gibt es wenig händchenhaltende Päarchen, mir schien es als würden sich die Päarchen stets gegenseitig die Kleidung zurechtzupfen und die Haarsträhnen aus dem Gesicht streichen, um Nähe auszudrücken. Körperkontakt bei der Begrüßung, wie ein Wangenkuss oder eine Umarmung unter guten Freunden sind selten bis nicht vorhanden. Man fasst eher den Unterarm des Anderen an, wenn man mit ihm spricht. Bei gleichgeschlechtlichen Freunden, vor allem Frauen auch gerne den Oberschenkel.

Paket Praktikum

Das dreimonatige Praktikum verging wie im Flug. Nach zwei Wochen bildeten sich zwei Gruppen mit jeweils fünf Studentinnen, die ich montags und mittwochs traf. In der Montagsgruppe schlugen die Studentinnen vor, Kurzreferate zu verschiedenen Themen (H. Hesse, Reisen, Bildungssystem in Korea, etc) zu halten und im Anschluss daran darüber zu diskutieren.  Mit der Mittwochsgruppe traf ich mich immer abends und wir vereinbarten, dass wir gemeinsam das Sprechen in verschiedenen Situationskontexten üben wollen. Ab dem dritten Treffen suchten wir dafür immer einen neuen Ort aus. Wir besuchten eine Vernissage, Brettspielcafes, gingen zusammen ins Kino und ins Theater und schlenderten durch die Ausgehviertel. Für beide Gruppen war die Teilnahme freiwillig und sollte sie auf das Auslandssemester in Freiburg vorbereiten. Montags hospitierte ich in der Filmklasse und dienstags und donnerstags in den Sprachkursen. Die beiden Deutschlehrer begleiteten mich während des Praktikums auf fachlicher und persönlicher Ebene. Sie waren für alle Fragen offen und es ergaben sich viele Fragen für mich. Meine Betreuerin ermöglichte es mir auch im Sprachunterricht einer koreanischen Sprachlehrerin teilzunehmen. Die Lehrtradition in Korea orientiert sich eher am Frontalunterricht und es war interessant das Unterrichtsgeschehen zu beobachten. Die Studentinnen sprachen kaum und da ich damals sehr wenig Koreanisch verstand, konnte ich den Inhalt der Stunde nur erahnen. Jeden Donnerstag traf ich nachmittags meine Betreuerin und wir besprachen die Pläne für die kommende Woche. Im ersten Monat lud sie zwei Germanistikstudentinnen und mich zu einer Germanistentagung nach Chungju ein. In Chungju befindet sich der schönste Tempel Koreas und das Leben scheint gemächlicher. Die Donnerstagabende verbrachte ich beim Deutschstammtisch, den die beiden Deutschlehrer ins Leben gerufen hatten. Die Studentinnen erzählten aus ihrem Leben, wir sprachen über Kulturunterschiede und Boybands ( in mancher gar neun junge metrosexuelle Mitglieder), welche hoch im Kurs stehen. Mit Lachen lernt sich eine Sprache leichter.

Paket Reisen

Nach dem Praktikumsende blieben mir noch zweieinhalb Monate in Korea. Ich besuchte weiterhin den Stammtisch und bereiste Korea. Das Reisen gestaltete sich für meinen Freund und mich sehr einfach, obwohl wir beide kaum Koreanisch können. Die Insel Jeju, auch als Honeymoon-Island bekannt, ist ein kleines Paradies. In Seogwipo, der zweitgrößten Stadt auf Jeju, geht es sehr beschaulich zu. In der Nähe gibt es zwei Wasserfälle in großen Parks. Die Parkwege sind von Lautsprechern gesäumt, die den richtigen musikalischen Hintergrund für einen Flitterwochenausflug liefern. An den Eingängen bieten viele Stände Harubangs an, welche nur auf Jeju zu finden sind. Harubangs sind Männchen aus Vulkangestein mit einem Hut. Sie sollen böse Geister vertreiben und Fruchtbarkeit ins Haus bringen. Das amerikanische Reisebüro für Militärangehörige bietet allen Ausländern die Möglichkeit die DMZ zu besuchen. Es ist fast bis zur Lächerlichkeit touristisch aufgezogen. Ein amerikanischer Soldat spielt den Reiseführer, erzählt seine Anekdoten, es werden amerikanische Propagandafilme mit musikalischer Untermalung von Rammstein gezeigt und zum Schluß kann man Souvenirs kaufen und Erinnerungsfotos schießen, auf denen ein nordkoreanischer Soldat pünktchengroß zu sehen ist. Wer einen Abstecher nach Japan machen möchte, kann von Busan aus für unter hundert Euro mit dem Beetle in nur vier Stunden die japanische Küste erreichen. Die günstigere und viermal längere Variante ist eine normale Fährenüberfahrt. Nach einigen Stunden verliert das Schaukeln seinen Reiz. Wenn man sich schon in Korea mit japanischem Geld eingedeckt hat, kann man sich die Zeit an Spielautomaten vertreiben oder sich in Massagesesseln durchschütteln lassen.

Tipps

  • Außer dem Lonely Planet Korea ist der offizielle Reiseführer Koreas kostenlos erhältlich bei der koreanischen Zentrale für Tourismus german.visitkorea.or.kr/ger/index.kto empfehlenswert.
  • In der Onlineausgabe des Korea Herald kann man nach einer WG, Einrichtungsgegenständen, kostenlosen Sprachkursen oder netten Leuten zum Kennenlernen suchen http://www.koreaherald.co.kr/newkhcommunity/tak_index.asp.
  • Das Goetheinstitut in Seoul verfügt über eine große Auswahl an deutscher Literatur und deutschsprachigen Filmen und Hörbüchern. Es finden häufig Filmabende, Konzerte oder sonstige Veranstaltungen statt. Wer einen Sprachtandempartner sucht, wird hier schnell fündig. http://www.goethe.de/ins/kr/seo/deindex.htm
  •  In Hongdae gibt es die nettesten Bars und eine alternative Clubszene. Eine Übersicht der Lokale in Seoul findet man auf der folgenden Seite: http://www.seoulstyle.com/bars-clubs/nightlife-bars-clubs-seoul.htm
  • Frauen ab Schuhgröße 41: Nehmt Schuhe für alle Witterungen mit. Es wird schwierig passende Schuhe zu finden. Wenn ihr nicht daran gedacht habt, dann schaut euch mal in Itaewon um.