Neuere Publikationen von Herrn Prof. Dr. Thomas Raab

Aufsatz: „Anforderungen an den identitätswahrenden Übergang einer wirtschaftlichen Einheit – Die Voraussetzungen des Betriebsübergangs in den Fällen der Ausgliederung, Rückgliederung und Auftragsnachfolge“ (erscheint als Spitzenaufsatz in Heft 3/2019 der Europäischen Zeitschrift für Arbeitsrecht [EuZA])

Es gibt kaum eine Materie des Arbeitsrechts, die so stark durch die Entwicklung des Rechts der Europäischen Union und die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) geprägt ist wie das Recht des Betriebsübergangs. Nicht nur einmal waren Entscheidungen des EuGH Anlass für Richtungskorrekturen der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) bei der Auslegung der nationalen Vorschrift des § 613a BGB. Eine dieser Entscheidungen war die in der Rechtssache „Christel Schmidt“ aus dem Jahre 1994, eine der wohl bekanntesten Entscheidungen des EuGH überhaupt. Diese wurde überwiegend dahin interpretiert, dass der EuGH es für einen Betriebsübergang genügen lasse, wenn ein Unternehmer durch Vertrag einem anderen Unternehmer die Verantwortung für die Erledigung einer früher von ihm selbst wahrgenommenen Arbeitsaufgabe übertrage. Dies hätte zur Konsequenz gehabt, dass bei einer Ausgliederung von Arbeitsaufgaben auf ein Fremdunternehmen (sog. Outsourcing) der Auftragnehmer stets als Arbeitgeber in sämtliche Arbeitsverträge mit den Arbeitnehmern eintreten würde, die bisher bei dem Auftraggeber mit der Erfüllung der entsprechenden Aufgaben betraut waren. Gleiches würde im Falle eines Wechsels des Auftragnehmers (sog. Auftragsnachfolge) gelten. Hier müsste der neue Auftragnehmer mit dem Auftrag gleichsam die zuvor bei dem alten Auftragnehmer beschäftigten Arbeitnehmer „übernehmen“. Schließlich hätte dies auch Bedeutung in den Fällen, in denen ein Unternehmen zuvor ausgegliederte Aufgaben wieder selbst übernimmt (sog. Rückgliederung oder Backsourcing).

Die Entscheidung löste in Praxis und Wissenschaft des Arbeitsrechts ein „mittleres Erdbeben“ aus. Eine gewisse Beruhigung trat ein, als der EuGH wenig später feststellte, dass die Entscheidung nicht in diesem Sinne interpretiert werden dürfe. Die reine Funktionsnachfolge, also die schlichte Übernahme einer zuvor von einem anderen Unternehmen – sei es der Auftraggeber, sei es ein früherer Auftragnehmer – ausgeführten Tätigkeit stelle keinen Betriebsübergang dar. Hinzukommen müsse vielmehr die Übernahme einer wirtschaftlichen Einheit in Gestalt einer organisatorischen Gesamtheit von Personen und/oder Sachen. Seitdem stellt sich aber die Frage, wann diese Voraussetzungen vorliegen. In neuerer Zeit bereiten insbesondere die Fälle Probleme, in denen der Auftragnehmer auf sächliche Mittel zurückgreift und ggf.- sogar zurückgreifen muss, die Teil der betrieblichen Ausstattung des Auftraggebers sind. Als Beispiel mag etwa der Betrieb einer betriebseigenen Kantine durch ein Fremdunternehmen dienen. Sind in diesem Fall dann etwa die von dem Betriebsinhaber gestellten Räumlichkeiten, die Kücheneinrichtung oder die Wasser- und Energieversorgung Betriebsmittel, die vom Auftragnehmer (= Fremdunternehmen) übernommen werden? Und kann man deshalb in der Verpachtung einer Betriebskantine oder bei einem Pächterwechsel einen Betriebsübergang, d.h. die (identitätswahrende) Übernahme einer wirtschaftlichen Einheit im Sinne einer organisatorischen Zusammenfassung von sachlichen Ressourcen, sehen?

Verschiedene Entscheidungen des EuGH aus neuerer Zeit deuten in diese Richtung. Dies hat in der Literatur die Bemerkung provoziert, dass das Gericht sich „auf dem Weg zurück zu Christel Schmidt“ befinde. Der Beitrag, der auf Einladung der Schriftleitung der EuZA verfasst wurde, beschäftigt sich aus diesem Anlass mit den Voraussetzungen des Betriebsübergangs und versucht sich mit Hilfe einer Rückbesinnung auf den Zweck der Regelung an einer stärkeren Konturierung des Tatbestandes, der eine uferlose Ausweitung auf alle Fälle der Auftragsnachfolge vermeidet.


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