Veranstaltungsbericht: „Das Verfassungsgericht im tschechischen Verfassungssystem“ von doc. JUDr. PhDr. Jan Wintr, PhD (Karls-Universität Prag, Tschechische Republik)

Im Rahmen des zweiten Vortrags der Veranstaltungsreihe „Rechtsstaatsprinzip vs. Demokratie“ bekam das Publikum am Montag, dem 19. November 2018, die Gelegenheit, mehr über das tschechische Verfassungssystem im Allgemeinen und das Verfassungsgericht des posttotalitären Staates im Besonderen zu erfahren.

Das Verfassungsgericht Tschechiens in seiner heutigen Funktion und Zusammensetzung wurde durch die Verfassung der selbständigen Tschechischen Republik vom 16.12.1992 errichtet. Das Verfassungsgericht ist – „nach deutschem Vorbild“, wie Herr Dr. Wintr betonte – sehr stark und kann neben Urteilen anderer Gerichte auch für verfassungswidrig befundene Gesetze aufheben.

Herr Dr. Wintr schilderte die Zusammensetzung des Verfassungsgerichts und die rechtlichen Grundlagen seiner Kompetenzen (Art. 83-89 der Verfassung). Das Verfassungsgericht setzt sich aus 15 Richtern zusammen und trifft seine Entscheidungen im Plenum oder in einem der vier dreiköpfigen Senate. Demokratisch legitimiert sind die auf zehn Jahre vom Präsidenten der Republik mit Zustimmung des Senats ernannten Richter (Art. 84 Abs. 1, 2 der Verfassung) durch die direkte Wahl der Senatoren und – seit 2012 – auch des Präsidenten. Bei der Erläuterung der einzelnen Verfahrensarten vor dem Verfassungsgericht machte Herr Dr. Wintr auf die zahlreichen Parallelen zwischen der tschechischen und der deutschen Verfassungsgerichtsbarkeit aufmerksam: So kennt das tschechische Staatsrecht etwa auch die sog. „Jedermann“-Verfassungsbeschwerde, die abstrakte und die konkrete Normenkontrolle.

Zum Abschluss seines Vortrags stellte Herr Dr. Wintr kurz die zwölf wichtigsten und in der Tschechischen Republik zum Teil kontrovers diskutierten Urteile des tschechischen Verfassungsgerichts vor.

Die anschließende Diskussionsrunde, moderiert vom Geschäftsführenden Direktor des Instituts, Herrn Prof. Dr. Thomas Raab, gab dem interessierten Publikum die Gelegenheit, noch mehr über die deutschen, aber auch die amerikanischen und französischen Einflüsse, die die tschechische Verfassung erkennen lässt, zu erfahren. Insbesondere am staatsorganisationsrechtlichen System der Ersten (1792-1804) und Dritten (1870-1940) Französischen Republik habe man sich bei der Ausarbeitung der Verfassung orientiert.

Eine schriftliche Version des Vortrags wird in der institutseigenen Schriftenreihe „Rechtspolitisches Forum“ erscheinen. Weitere Informationen erhalten Sie unter www.irp.uni-trier.de oder wenden Sie sich an irpsekuni-trierde.

Herr Dr. Wintr ist Dozent an der Karls-Universität Prag. Aktuell verbringt er ein Forschungssemester an der Humboldt-Universität Berlin und ist dort unter anderem im Rahmen eines deutsch-tschechischen Rechtsseminars tätig.