"Wissenschaftler ist definitiv ein Traumberuf"

Auf der Suche nach wissenschaftlicher Expertise zur Politik Chinas ist er die erste Adresse: Prof. Dr. Sebastian Heilmann. Warum er sich für diese Profession entschieden hat, worin er die Aufgabe der Wissenschaft sieht und was China bedrohlich macht.

Das Talent wurde ihm in die Wiege gelegt, sein Weg war vorgezeichnet. Gewöhnlich beschreiben solche Sätze die Karriere eines Menschen, der den gleichen Beruf wie seine Eltern ergreift. Bei Sebastian Heilmann fehlte nicht allzu viel und diese Beschreibung wäre für ihn unzutreffend geworden. Nach dem Studium und der Promotion arbeitete er als freiberuflicher Journalist für die Frankfurter Allgemeine Zeitung und „es war durchaus denkbar, dass ich im Journalismus geblieben wäre“, blickt der Politikwissenschaftler auf diese weichenstellende Phase zurück.

FRAGE AN DEN EXPERTEN

Ist China Chance oder Bedrohung für die westliche Welt?
„China ist ganz klar auf der Überholspur und ein extrem wichtiger Wirtschaftspartner für Europa. Wenn der autoritäre, technologiegetriebene chinesische Gegenentwurf zu den westlichen Demokratien weltweit weiter an Boden gewinnt, kann China zu einer Bedrohung für unsere demokratischen und marktwirtschaftlichen Systeme werden. Aktuell verliert der Westen gegenüber China an Boden. Wir Europäer werden uns viel mehr anstrengen müssen, wenn wir unabhängig bleiben wollen.“

Überraschende Entwicklung

Ein interessantes Angebot aus einem außeruniversitären Forschungsinstitut in Hamburg bereitete jedoch der journalistischen Berufsperspektive ein Ende und leitete ihn auf den möglicherweise just so vorgezeichneten Berufsweg um. Professor für klassische Philologe, wie sein Vater, wollte Sebastian Heilmann allerdings nicht werden. Heilmann Junior machte die Politikwissenschaft zu seinem wissenschaftlichen Spielfeld und richtete sein spezielles Interesse auf China aus. Was heute angesichts des rasanten Aufstiegs Chinas naheliegend erscheint, hatte seinerzeit einen exotischen Touch. „Als ich das Studium 1984 aufnahm, war China kein Powerhouse, sondern eher ein Armenhaus. Es war zu dieser Zeit nicht zu erwarten, dass es derart schnell globales Gewicht gewinnen würde“, sagt Sebastian Heilmann rückblickend.

„Ich wollte eine ausgefallene Sprache lernen und reisen“, begründet Heilmann sein frühes Interesse an China. Folglich studierte er zielgerichtet Politikwissenschaft, Sinologie und Vergleichende Sprachwissenschaft in Tübingen und verbrachte zwei Jahre an der Universität Nanjing. Er promovierte an der Universität des Saarlandes und ging später nach Hamburg, um sich am Institut für Asienkunde (heute Teil des GIGA-Instituts in Hamburg) einerseits in der Forschung mit Chinas Politik und Wirtschaftstransformation zu befassen, andererseits politikberatend tätig zu sein, denn das Institut für Asienkunde wurde vom Bundesaußenministerium und vom Hamburger Senat finanziert.

Die Erfahrungen in Journalismus und Politikberatung blieben nicht ohne Folgen für Heilmanns wissenschaftliche Arbeit und seine Auffassung vom Auftrag der Wissenschaft. Da ist zum einen seine „elementare Neugier“ und eine feine Sensorik für die Auswahl relevanter und potenzialträchtiger Themenfelder, die auch in Journalismus und Politikberatung gefragt sind. „Die Themen, denen man sich wissenschaftlich widmet, müssen einen natürlich zuallererst selbst faszinieren. Aber sie sollten im besten Falle auch Anklang nach außen finden und anschlussfähig sein. Insofern hatte ich mit Chinas Politik und Wirtschaft ein für Wissenschaft und Außenkommunikation gleichermaßen fruchtbares Feld“, sagt Heilmann.

Eine weitere Spätfolge der Erfahrungen in Journalismus und Politikberatung ist seine Überzeugung, dass jeder Wissenschaftler soweit wie möglich und zumindest phasenweise auch praxisnah arbeiten und seine Forschungsergebnisse der Öffentlichkeit vermitteln sollte. „Die größte Kunst für Wissenschaftler ist es, die eigenen Fachthemen so zu kommunizieren und zu erklären, dass Laien sie spannend finden.“

Dieses Selbstverständnis konnte der Politikwissenschaftler und Sinologe ausleben, als er nach mehrjähriger Tätigkeit als Professor an der Universität Trier ein Angebot der Mercator-Stiftung annahm, in Berlin das Mercator Institute for China Studies (MERICS) neu aufzubauen. „Ich würde es nicht als Sternstunde meiner Wissenschaftskarriere betrachten. In dieser Hinsicht waren vorherige Aufenthalte und Forschungsprojekte mit Kollegen in Harvard oder Oxford bedeutender und nachhaltiger. MERICS war für mich vielmehr eine Art zweite Karriere. Da war einmal diese elementare Gründer-Erfahrung, ein solches international sehr aktives Institut aufbauen und managen zu können. Zum anderen war es ein besonderes Erlebnis, dass man in dem Institut große arbeitsteilige Studien in kurzer Zeit zu pressierenden Themen durchführen musste.  MERICS war Teil der politischen, wirtschaftlichen und medialen Interaktion mit China. Praxisbezogene Forschung und aktive Außenkommunikation standen im Mittelpunkt“, fasst Heilmann die Zeit von 2013 bis 2018 in Berlin zusammen.

Gefragter Experte

Als Wissenschaftler kann man sich zurückziehen, als MERICS-Direktor nicht. Wenn er es nicht schon längst gewesen ist, wurde Sebastian Heilmann in diesen Jahren zu einem der meistgefragten China-Experten in Europa. In der Bundeshauptstadt waren nun Journalisten und höchstrangige Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft seine Dialogpartner. Auf bundesdeutscher und europäischer Ebene suchten Gremien und Entscheidungsträger seinen Rat und setzten auf seine Expertise, um China besser verstehen und dessen politisches Handeln einordnen zu können.

MEINE EMPFEHLUNG

Was man gelesen haben sollte …
Laotse, weil seine Schriften eine radikal andere Sichtweise auf die Welt vermitteln.

Was man gehört haben sollte …
Eine Peking-Oper, mindestens für 15 Minuten, bis man
Ohren- und Nervenschmerzen bekommt.

Was man gesehen haben sollte …
Die unglaubliche Dynamik und Innovationskraft, die sich in dem chinesischen Technologie-Zentrum Shenzhen widerspiegelt.

Was man gemacht haben sollte …
Die chinesische Mauer an einem kalten, sonnigen Herbst- oder Wintertag für einige Stunden bewandern – wegen des besonderen Lichts und der Monumentalität mitten in der Landschaft.

 

Die Nähe zu Politikern und Wirtschaftslenkern hat sich in seiner Einschätzung des Hauptstadtbetriebs niedergeschlagen. „Ich bin überzeugt, dass ein tieferer Einblick der Menschen in die Politik dazu beitragen könnte, einiges an Politikverdrossenheit abzubauen. Politiker sind Getriebene. Sie stehen unter einem enormen Zeit- und Entscheidungsdruck und sind permanent auf der Suche nach Unterstützung für ihre Ideen oder Vorstöße. Dazu kommt der Öffentlichkeitsdruck: Jedes falsche Wort wird auf die Goldwaage gelegt. Da ist einiges aus dem Rahmen geraten.“ Der häufig an dem Verwaltungsapparat geäußerten Generalkritik tritt Heilmann engagiert entgegen: „In den Bundesverwaltungen wird ganz überwiegend hart gearbeitet. Es ist völliger Humbug, dass die Ministerien träge und nicht innovativ seien.“

Offene und verdeckte Drohungen

Druck bekam auch Sebastian Heilmann zu spüren und er dürfte ihm den Abschied aus Berlin und die Rückkehr nach Trier nicht gerade erschwert haben. „In der Position des MERICS-Direktors bezieht man in politischen Streitfragen Stellung und kriegt dann entsprechend heftigen Gegendruck oder sogar Drohungen, offen und verdeckt, wenn man mächtigen Interessen in die Quere kommt. Als Wissenschaftler vermisst man diese Umstände nicht. Mir fällt es jedenfalls nicht schwer, meine Nase nicht mehr ständig in jede Kamera zu halten“, kommentiert Heilmann seine Entscheidung, das MERICS-Institut zum September 2018 zu verlassen.

Von seinen Einblicken und Erfahrungen profitieren nun die Studierenden der Politikwissenschaft an der Universität Trier – auch von einem Wandel in seiner Prioritätensetzung. „Als junger Professor war die Forschung meine größte Leidenschaft. Heute macht mir die Lehre immer mehr Freude. Die Studierenden sind in der Regel sehr offen und durchleben an der Universität eine intensive Lebensphase, in der sie aus der Sicht der Lehrenden oft sehr erfreuliche Sprünge in der Persönlichkeitsentwicklung vollziehen. Mir ist es jedenfalls seit einigen Jahren immer wichtiger geworden, junge Menschen zu motivieren und zu beraten.“

Als „Berater“ hat Sebastian Heilmann für Nachwuchswissenschaftler gleich einige konkrete Tipps parat: Neugier, Selbstdisziplin, Kommunikationsfähigkeit und einen Riecher für die richtigen Themen listet er als wichtige Tugenden auf, um erfolgreich „durch dieses manchmal doch recht einsame Geschäft der Wissenschaft hindurchzugehen“. Nachwuchswissenschaftlern macht er Mut. Der Weg auf eine Professur müsse nicht immer ultralang und steinig sein, wenn man klare Ziele hat und für die eigenen Themen brennt: „Ich wollte unbedingt Wissenschaft machen, meine Forschungen haben mich unzählige Nächte und Wochenenden gekostet, aber da war immer ein Kick, und deshalb verlief das sehr straight.“

Wiederkehrende „Aha“-Erlebnisse

Diese Faszination und Zielorientierung brachten Sebastian Heilmann in seine heutige Position. „Wissenschaftler ist definitiv ein Traumberuf. Die wiederkehrenden ‚Aha‘-Erlebnisse, also nach harter Arbeit Zusammenhänge zu erkennen, die niemand zuvor erkannt hat, sind in anderen Berufen selten. Hinzu kommt das hohe Maß an Selbstbestimmtheit, das die Wissenschaft braucht und ermöglicht.“

Umso mehr erregen ihn aktuelle anti-wissenschaftliche Strömungen. „Die Missachtung gegenüber wissenschaftlicher Forschung seitens gewählter Entscheidungsträger nicht nur in den USA, finde ich unverantwortlich und dumm“, sagt Heilmann, um verstärkend noch einen überraschenden Zusatz anzuhängen: „Es ist im Vergleich fast grotesk, aber in China ist der Respekt zumindest für Natur- und Technikwissenschaften ungetrübt. Alle politischen Handlungsprogramme müssen dort wissenschaftliche Expertise und Beratung einbeziehen. Die Interaktion zwischen Wissenschaft und Politik ist in China intensiv, auch wenn am Ende der politische Kontrollbedarf im autoritären System stets höchste Priorität hat.“

VITA

Der in Offenbach/Main geborene Sebastian Heilmann lehrt und forscht seit 1999 an der Universität Trier, wo er die Professur für Regierungslehre/Politik und Wirtschaft Chinas innehat. Er studierte Politikwissenschaft, Sinologie und Vergleichende Sprachwissenschaft in Tübingen und im chinesischen Nanjing. 1993 promovierte er an der Universität des Saarlandes und habilitierte an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Im gleichen Jahr nahm er den Ruf nach Trier auf eine Professur in der Politikwissenschaft für Regierungslehre mit Schwerpunkt Ostasien an.

2013 übernahm Sebastian Heilmann die Aufgabe, im Auftrag der Stiftung Mercator in Berlin das Mercator Institute for China Studies (MERICS) aufzubauen. Unter seiner Leitung entwickelte sich MERICS innerhalb weniger Jahre zu einer der wichtigsten europäischen Forschungs- und Beratungsinstitutionen zu China. 2014 bis 2019 gehörte Heilmann als einer von 15 deutschen Vertretern dem hochrangig besetzten Deutsch-Chinesischen Dialogforum an, das auf nichtstaatlicher Ebene zur Vertrauensbildung beitragen soll.

Aus familiären Gründen kehrte Sebastian Heilmann 2018 auf seine Professur an der Universität Trier zurück. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder.

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Kontakt

Prof. Dr. Sebastian Heilmann
Politikwissenschaften
Mail: heilmann@uni-trier.de
Tel. +49 651 201-2131