Sacile

Sacile, ein Ort an dem sich jedes Jahr eine kleine Familie trifft, ein Ort an dem man ohne schlechtes Gewissen eine Woche lang ins Kino gehen kann, ein Ort an dem man lernen kann, dass es früher gar nicht so viel besser war und so anders eigentlich auch nicht.

Sacile, ein Ort von dem kaum einer seine Umgebung kennt, aber man blickt ja durch das Fenster in eine längst vergangenen Zeit, die die Zuschauer heute noch bewegen und faszinieren kann.

Leska Krenz

Erfahrungsbericht der Exkursion 2004

Ein kleines verschlafen Dorf, Sacile genannt, liegt im Norden Italiens, - ruhig, edel und für italienische Verhältnisse fast zu sauber. Einmal im Jahr wacht es auf, da schwappt eine Welle von Erfahrenen in die ruhige Beschaulichkeit. Wohin man geht, wo man steht begegnen einem Menschen mit kleinen Pappaktenkoffern und bunten Karten, die an blauen oder gelben Bändern um ihren Hals wehen. Sie gehen eilig immer den einen Weg hin und her. Sie sehen wichtig aus und reich an Lebenserfahrung. Und wenn man ihnen nachgeht, so erfährt man den Zweck ihres Treibens. Sie sind auf dem 23. Giornate del cinema muto, eins der renommiertesten Festivals seiner Art.

Sie, die sie von überall aus der Welt extra hierher angereist sind, setzen sich eine Woche lang in pompöse Kinos und sehen sich dass an, was schon lange nicht mehr in die heutigen Kinos läuft: Stummfilme. Sie applaudieren bei faszinierenden live Klavierbegleitungen, lachen herzhaft bei den immer noch funktionierenden Slapstickeinlagen und machen ein Nickerchen mit kleinerem Schnarchkonzert, wenn sie die Müdigkeit im dunklen Lichtspielhaus übermannt.

Sie stecken die Köpfe im hoch frequentierten "Cafe del Poste" zusammen und schmieden Pläne für gemeinsame Internetplattformen, Vereine und Kolloquien in denen sie sich zusammen schließen und ihrer Leidenschaft - der Erforschung des Stummfilms - nachgehen.

Der unerfahrene Student taucht in eine ganz andere Welt ein. Schwarz-weiß Filme, ohne Ton, nur mit musikalischer Begleitung und Zwischentiteln - Schauspieler, die man nicht kennt und sowieso nicht auseinander halten kann - ist das spannend? Kann das interessant sein und kann man das eine Woche lang durchhalten?

Ja, es geht, schon nach dem dritten Film realisiert man diesen "Mangel" nicht mehr. Man wird hinein gezogen in die pathetischen Geschichten des amerikanischen Spielfilm Regisseurs Griffith, fiebert mit den überraschend modernen Protagonisten der britischen Stummfilme, lässt sich von Fort Lees Erzählungen verzaubern, lacht mit dem putzigen Cartoonhund "Jerry the tyke" und zettelt mit Dziga Vertov die russische Revolution an.

Wenn man Glück hat, dann trifft man einen alten Filmveteranen, der dabei war, als die Filme zwischen 1895 und 1930 entstanden sind. Dann fällt der Applaus um so herzlicher aus, wenn die fünfjährige "Baby Peggy" die Filmbühne betritt. Sie ist heute über achtzig und erzählt von den Dreharbeiten damals, dass es komisch für sie war, so einen kleinen Racker zu spielen, dass sie im wahren Leben kein vorlautes offenes Balg war, dass sich seinen Eltern an den Hals schmiss, dass sie sich freut hier zu sein. Es wird dunkel und verstohlen wischen sich die alten Herren ein paar Tränen der Rührung aus den Augenwinkeln.