"Fort Lee" - Hollywood an der Ostküste

Viele Kino- und Filmliebhaber, die von Kindheit an mit den Blockbustern aus dem sonnigen Kalifornien mit einer allmächtigen Filmindustrie aufgewachsen sind, glauben dass der amerikanische Film in Hollywood erfunden wurde.

Doch schon bevor Hollywood zur "motion picture town" des Westen wurde, gab es eine Filmstadt an der Ostküste: "Fort Lee" in der Nähe von New York. Wie später in Hollywood wurde hier eine ganze Stadt und ihre Umgebung von der industriellen Produktion von Filme dominiert.

Hier entstand 1910 der erste amerikanische Western der französischen Filmproduktionsfirma Pathé und auch D.W. Griffith dreht über 100 seiner frühen Kurzfilm in den Studios. 

Die Filme, die bis Anfang der zwanziger Jahre in Fort Lee entstanden sind bildeten einen weiteren Schwerpunkt der diesjährigen Giornate.

In diesem Programm war alles zu sehen: Vom moraltriefenden Erbauungsfilm "The Vampire" (1913), in dem ein unschuldiger Landbursche von den Verlockungen der Großstadt und natürlich einem verdorbenen Großstadtvamp verführt wird, bis zur modernen, die Geschlechterbeziehungen debattierenden frühen Screwball-Komödie "Phil-for-Short" (1919), die gar nicht altmodisch, sondern äußerst komisch war.

Zu den bekannteren Filmen, die man hier endlich einmal auf der großen Leinwand genießen konnte, gehörte der Mary Pickford-Klassiker "Poor Little Rich Girl", in dem die wunderbare Mary Pickford wie so oft ein kleines Mädchen spielt, dass zwar viel Geld und Spielzeug nur leider keine Spielkameraden hat. Auch Roscoe, besser bekannt als "Fatty", Arbuckle - neben Charlie Chaplin einer der bekanntesten amerikanischen Stummfilmmkomiker - kasperte sich über die Leinwand der Giornate.

Eine wahre Überraschung für uns deutsche Studenten bot der Film "On dangerous grounds" von 1917. Er erwies sich als eine relativ offenen Stellungnahme der amerikanischen Filmindustrie zum Deutschen Reich und dem Ersten Weltkrieg kurz bevor die USA ins Kriegsgeschehen eingriffen. Der Film erzählt die Geschichte eines Amerikaners, der eine deutsche Frau aus dem Elsass kennenlernt, die zwar auf dem papier deutsch im Herzen aber Französin ist. Sie bittet den Amerikaner ihr zu helfen, ein wichtiges Papier über die feindlichen Linien nach Brüssel zu schmuggeln. Natürlich durfte dabei die Liebesgeschichte zwischen dem unfreiwilligen amerikanischen Helden und der schönen Spionin nicht fehlen.

Dass Actionfilme und auch weibliche Actionstars keine Erfindung Hollywoods sind und Angelina Jolies "Lara Croft" und "Indiana Jones" ihre historischen, aber nicht minder kampfes- und abenteuerlustigen Vorfahren hatten, davon konnten wir uns in einer Episode der Abenteuerserie "The Iron Claw" (1916) des wahrscheinlich ersten weiblichen Actionstars Pearl White überzeugen.

Spätestens hier hatte jeder der mitreisenden Studenten erkannt, dass alte Filme keinesfalls immer antiquiert wirken müssen und dass sich bestimmte Genres, und Erzählmuster in der Kinogeschichte als sehr beständig erwiesen haben.

Andrea Haller