Britische Stummfilme der 20er Jahre

Eine Sektion des diesjährigen Programms war dem britischen Regisseur Anthony Asquith und dem britischen Kino der 20er Jahre gewidmet. Diese Filme wurden von vielen Besuchern des Festivals aber auch von einigen unserer Studenten als Entdeckung des Festivals gewertet. Dieser Abschnitt der britischen Filmgeschichte kann als eine weitgehend vernachlässigte Periode des britischen Kinos bezeichnet werden, denn mehr als die frühen Filme Hitchcocks, die er noch in England dreht, sind den meisten, so auch uns, nicht bekannt. Trotzdem und vielleicht gerade deshalb waren viele von uns von diesen Filmen besonderes überrascht und beeindruckt. Die Filme zeigen fast alle das moderne, zeitgenössische Leben dieser Zeit und die Problem damit. Sie zeichneten sich aus durch eine sensible Zeichnung der Charaktere und eine Geschichte, die berührte, so dass manch einer vergaß, dass er gerade einen stummen Film gesehen hatte.

So erzählt "The Informer" eine Geschichte von Freundschaft, Verrat und Vergebung in den Wirren der irischen Rebellion von 1916. In dieser frühern Version des John Ford Klassikers von 1935, basierend auf einer Novelle von Liam O'Flaherty, steht Lya de Putti zwischen zwei Männer, die für die irische Untergrundorganisation arbeiten und sich ihretwegen gegenseitig verraten.

In "Underground" (1928) steht wiederum eine Frau zwischen zwei Männer. Dieses Mal in der Metropole London, wo sich die Protagonisten in der titelgebenden U-Bahn kennen und lieben lernen. Für den heutigen Zuschauer bot der Film einen faszinierenden Einblick in das Leben der Großstadtmenschen in den zwanziger Jahren.

Einige der anderen Filme dieses Programms erzählten Geschichten aus dem Theater- und Filmmilieu, was gerade für uns Studenten der Mediengeschichte besonders interessant war, führten sie uns doch hinter die Kulissen der Filmstudios und die Theatergarderoben jener Zeit.

In "Shooting Stars" (1928) steht, wen wundert es, wieder eine Frau, Mae Feather, zwischen zwei Männern: ihrem Ehemann, dem (Film-)Cowboy und ihrem Geliebten dem Slapstick-Komiker. In den Studios, in denen sich die Dreiecksgeschichte entspannt, vermischen sich Realität und Fiktion und Mae erschießt aufgrund einer dramatischen Verwechslung in einer Filmszene ihren Ehemann mit einer echten Waffe.

In "The Lure of Crooning Water" (1920) verführt eine exaltierte Schauspielerin aus der Stadt einen braven Ehemann von Lande, der die Verlogenheit der Theaterwelt kennen lernt, als er ihr nachreist.

In "A Cottage on Dartmoor" (1929/30) gehen die Protagonisten ins Kino, um sich einen - Tonfilm(!) - anzusehen. Während die Zuschauer bei den stummen Filmen dieser (filmischen) Vorführung aktiv und amüsiert scheinen und sich unterhielten, machte sich bei den Tonfilmen eine gewisse Verlegenheit auf der Leinwand breit und man schwieg bedrückt. Diese Szenen wurden kongenial von dem (wirklichen) Pianisten im Saal begleitet, denn während er bei den stummen Szenen und der Vorführung der stummen Filme im Film lautstarke Musik spielte, schwieg sein Instrument bei der (stummen !) Tonfilmvorführung. Dieser Effekt sorgt für einige Lacher und spontanen Beifall im Saal und wir alle waren uns einig: Stummfilme können manchmal beredeter sein als der lauteste Tonfilm.

Doch es war nicht nur Dramatisches zu sehen: Die Gruselkomödie "The Ghost Train" (1927), gefilmt in Deutschland vom österreisch-ungarischer Regisseur Geza von Bolvary, der später vor allen Dingen durch seine Musik- und Operettenfilme wie "Zwei Herzen im Dreiviertel-Takt" (1930) bekannt wurde, erwies sich als äußerst kurzweilig. "The Ghost Train" ist die erste filmische Adaption der auch auf der Bühne erfolgreichen Horrorkomödie um eine Gruppe von Reisenden, die auf einem von einem Geisterzug heimgesuchten Bahnhof die Nacht verbringen müssen, immer in der Angst, dass der mysteriöse Zug ihnen nun ein Unheil antun wird. Auch hier spielt die Zeichnung der Charaktere eine große Rolle: das frisch verheiratete und ständig turtelnde Liebespaar, die leicht debile Nervensäge, die sich schlussendlich als Kriminalkommissar zu erkennen gibt und die altjüngferliche Abstinenzlerin, die sich unfreiwillig einem Vollrausch ergibt. Darüber hinaus ist der Film gespickt mit charmanten Einfällen wie die Mary-Poppins-like mit ihrem Schirm über den Bahnsteig fliegende Alkoholhasserin oder die Zwischentitel, deren Schrift das Einfahren eines Zuges imitiert. Unheimlich und tricktechnisch interessant waren die Szene des Geisterzuges, die mit Überblendungen und Doppelbelichtungen arbeiteten.

Andrea Haller