Der Stellenwert der Bodenkunde an landwirtschaftlichen Berufsschulen in Niedersachsen

von Ulrich Heitlage, Klaus Mueller

Fachhochschule Osnabrück, Fachbereich Agrarwissenschaften,
Postfach 1940, 49009 Osnabrück
E-Mail: k.muellerfh-osnabrueckde

Vortrag, gehalten anlässlich der Tagung des Arbeitskreises
"Boden in Unterricht und Weiterbildung" vom 28. bis 29.06.2002 in Greifswald.
Veröffentlicht in Mitteilungen der Deutschen Bodenkundlichen Gesellschaft,
Band 99, 2002, (ISSN - 0343-1071).
Einleitung

Böden können aufgrund ihrer ökologischen Stellung als Mittelpunkt der Biosphäre und Grundlage des höher entwickelten Lebens betrachtet werden. Im Gegensatz zu anderen Umweltmedien erfahren sie aber bei Weitem nicht eine ihrer Bedeutung entsprechende Wertschätzung in der Gesellschaft. Dies zeigt sich oftmals auch in einer völlig unzureichenden Berücksichtigung des Themas Boden in Unterricht und Weiterbildung.
Im Gegensatz zu allgemein bildenden Schulen, wo sich diese defizitäre Situation durch Untersuchungen von Bochter (1997), Giani (1997), Kluttig u. Mueller (1999) und Sauerborn (2001) belegen lässt, lagen für den Bereich der berufsbildenden Schulen im Agrarsektor bisher keine diesbezüglichen Informationen vor. Diese Lücke konnte jetzt geschlossen werden durch umfangreiche Untersuchungen von Heitlage (2002) an berufsbildenden Schulen im Agrarbereich in Niedersachsen. Durchgeführt wurden Analysen der Lernziele und Lerninhalte in den aktuellen Lehrvorgaben sowie umfangreiche Befragungen von Schülern und Lehrkräften zur Einbeziehung bodenkundlicher Inhalte in den Unterricht.
Analyse der Lernziele und Lerninhalte der aktuellen Lehrvorgaben

Analysiert wurden Lernziele und Lerninhalte folgender aktueller Lehrvorgaben: Rahmenlehrplan für den Ausbildungsberuf Landwirt, Rahmenlehrplan für den berufsfeldbezogenen Lernbereich im Berufsgrundbildungsjahr (BGJ) Agrarwirtschaft, Rahmenrichtlinien für den berufsfeldbezogenen Lernbereich im Berufsgrundbildungsjahr (BGJ) Agrarwirtschaft, Ausbildungsrahmenplan für die Berufsausbildung zum Landwirt. An dieser Stelle soll beispielhaft über die diesbezüglichen Ergebnisse der Auswertung des Rahmenlehrplans für den Ausbildungsberuf Landwirt berichtet werden (Tab. 1).
Rahmenlehrpläne sind tabellarisch aufgebaut, nach Ausbildungsjahren gegliedert und umfassen Zeitrichtwerte sowie Hauptlerngebiete, welche durch Lernziele sowie Lerninhalte konkretisiert werden. Eine zeitliche bzw. inhaltliche Differenzierung zwischen den einzelnen Lerngebieten ist nicht obligatorisch, methodische Verfahrensweisen zur Erreichung eines Lernzieles werden nicht vorgeschrieben.

Tabelle 1 zeigt, dass lediglich 4 % der Zeitrichtwerte bzw. 35 Stunden in 3 Jahren für die Vermittlung bodenkundlicher Inhalte bei der Ausbildung junger Landwirte zur Verfügung stehen. Lernziele und Lerninhalte umfassen 5,5 bzw. 4,8 % der Vorgaben. Hinzu kommt, dass die Bodenkunde als eigenständiges Fach nicht existiert. Bodenkundliche Inhalte werden vielmehr zerstückelt und ohne Bezug zueinander im Rahmen anderer Themen abgehandelt (z.B. Bodenbearbeitung, Standortansprüche von Fruchtarten, Wasserversorgung von Pflanzen). Bodenkunde kann somit selbst für den interessierten Schüler als eigenständiges Fach oder Wissensdisziplin nicht erkannt werden. Die Vermutung liegt nahe, dass sich die Lehrplangestalter in der Regel des eklatanten Mangels an bodenkundlich orientierter Ausbildung nicht bewusst sind.

Tabelle 1: Berücksichtigung bodenkundlicher Inhalte im Rahmenlehrplan für den Ausbildungsberuf Landwirt

KriteriumStunden ges. Stunden mit
bodenk. Inhalt
Anteil (%)
Zeitrichtwerte in Unterrichtsstunden ...

1. Lehrjahr

320144,4

2. und 3. Lehrjahr

560213,8

insgesamt

880354,0
Anzahl Lernziele ...

1. Lehrjahr

2613,9

2. und 3. Lehrjahr

6546,2

insgesamt

9155,5
Anzahl Lerninhalte ....

1. Lehrjahr

12986,2

2. und 3. Lehrjahr

372164,3

insgesamt

501244,8


Schülerbefragung

In Niedersachsen werden zurzeit etwa 4.400 Schüler an 38 Berufsschulen zum Landwirt ausgebildet. Davon wurden 276 an 5 Berufsschulen mithilfe eines umfangreichen, eigens dafür entwickelten Fragebogens zu folgenden Schwerpunkten befragt: bodenkundliches Grundlagenwissen, Fragen zur Einstellung (z.B. zum Bodenschutz), Fragen zur Person. Die Antworten zum bodenkundlichen Grundlagenwissen, zusammengefasst nach Fragekomplexen, sind in Tab. 2 dargestellt.

Tabelle 2: Zusammenfassende Darstellung der Antworten zum bodenkundlichen Grundlagenwissen der Auszubildenden

Fragenkomplexkorrekte Antworten (%) falsche/keine Antworten
Bodenbiologie80,219,8
Bodenphysik33,067,0
Bodenchemie38,261,8
Bodensystematik43,256,8
Wesen v. Böden64,735,3
Bodenschutz78,621,4
Stoffbestand v. B.49,850,2
Schätzfragen29,370,7


Insgesamt wurden die Fragen zum Komplex Bodenbiologe zu mehr als 80 % richtig beantwortet. Im Unterricht der allgemein bildenden Schulen wird dieser Themenkomplex offenbar ausreichend behandelt. Zudem gehen die guten bodenbiologischen Kenntnisse auch mit den Interessen der Schüler einher, bei denen die Bodenbiologie als direkt erleb- und begreifbares Wissensgebiet auf größere Aufmerksamkeit stößt als andere Themen der Bodenkunde.

Auch die Fragen zum Komplex Bodenschutz und zum Wesen sowie zur Bedeutung von Böden wurden mit fast 79 % und 65 % weit gehend richtig beantwortet. Hier zeigen sich allerdings deutliche Differenzierungen in Abhängigkeit von den zur Beantwortung notwendigen Detailkenntnissen. Allgemeine Fragen z.B. zur Notwendigkeit des Bodenschutzes wurden richtig beantwortet, solche dagegen zu Umfang, Ursachen und Wirkung der Bodenerosion dagegen oftmals nicht korrekt.

Deutliche Schwächen in der Beantwortung zeigten sich insbesondere bei den Schätzfragen sowie den Fragekomplexen zur Bodenchemie und zur Bodenphysik. Hier sei ergänzend gesagt, dass die Fragen keinesfalls Spezialwissen verlangten. Sie waren vielmehr so formuliert, dass sie mit durchschnittlichem schulischem Wissen durchaus hätten beantwortet werden können. Beispielsweise waren mehr als 64 % der Auszubildenden (zum Landwirt!) nicht in der Lage, die korrekte Definition des pH-Wertes zu erkennen. Insgesamt scheinen gerade Kenntnisse über allgemeine chemische und physikalische Zusammenhänge teilweise nur rudimentär vorhanden zu sein.

Die Auswertungen der Einstellungsfragen und der Fragen zur Person sowie Kreuzvergleiche lassen teilweise erhebliche Wissensmängel auf wesentlichen Gebieten der Bodenkunde erkennen. Diese Mängel sind im 1. Lehrjahr des Berufsgrundbildungsjahres deutlich höher als im 2. und 3. Jahr. Nach eigenen Aussagen sind 54 % der Befragten bis zum Beginn des Berufsgrundbildungsjahres nicht mit bodenkundlichen Themen in Berührung gekommen. Darüber hinaus offenbaren die Auszubildenden ein nur geringes Interesse an der Bodenkunde. Das der Wert bodenkundlicher Kenntnisse oftmals kaum oder gar nicht erkannt wird, zeigt sich unter anderem auch darin, dass mehr als 87 % der Schüler ihr bodenkundliches Wissen dennoch als sehr gut, gut oder zumindest als befriedigend bezeichnen.
Lehrerbefragung

In Ergänzung zu der Auswertung der Lehrvorgaben und zur Schülerbefragung wurde auch eine Befragung von Fachlehrkräften zum Stellenwert der Bodenkunde an landwirtschaftlichen Berufsschulen durchgeführt. Die eigens dafür entwickelten Fragebögen wurden an die insgesamt 38 Berufsschulen in Niedersachsen mit landwirtschaftlicher Ausbildung versandt. Die Rücklaufquote war mit 80 % (43 von 54 Fragebögen) außerordentlich hoch und belegt das Interesse der Fachlehrer an dieser Befragung. Die Antworten zur Bewertung bodenkundlicher Teilgebiete im Unterricht sind in Tabelle 3 zusammengefasst.

Die Lehrkräfte messen dem bodenkundlichen Grundlagenwissen überwiegend große Bedeutung zu. Besonders der Bodenschutz wird als wichtig erachtet. Hier zeigt sich ein bemerkenswerter Widerspruch im Vergleich zu den Auszubildenden, von denen lediglich 8 % Bodenschutzfragen als bedeutungsvoll bezeichnen. Nach Aussage vieler Lehrer ist in den letzten Jahren ein sichtbarer Trend zur Verschlechterung des allgemeinen Wissens, wie auch bodenkundlicher Grundkenntnisse, bei den Schülern zu beobachten. Die Befragung der Fachlehrer zeigte, dass sie sich durchaus der teils eklatanten bodenkundlichen Wissenslücken der Schüler bewusst sind. Überwiegend wird von den Lehrverantwortlichen eine unzureichende Vermittlung bodenkundlicher Kenntnisse beklagt. 66 Prozent der Befragten nenne aus Hauptgrund die fehlende Zeit. 43 Prozent bemängeln eine unzueichende Berücksichtigung in den Lehrplänen, 36 Prozent weisen auf ein unzueichendes Schülerinteresse hin. 21 Prozent sehen in mangelnden Fortbildungsangeboten den Hauptgrund für die unzureichende Ausbildung auf bodenkundlichem Gebiet.

Tabelle 3: Bewertung bodenkundlicher Teilgebiete für den Unterricht an landwirtschaftlichen Berufsschulen (Angaben in % Nennung)

Teilgebietsehr wichtig bis relativ wichtigmäßige
Bedeutung
relativ unwichtig bis unwichtig
Bodenschutz, Bodenschädigungen87,26,46,4
geologische Grundlagen19,225,555,3
Ionenaustausch, pH-Wert, Düngung78,717,04,3
Bodenorganismen, Bodenbiologie68,127,74,3
Bodenbestandteile, (Körnung, Humus)80,914,94,2
Gefüge, Porenvolumen, Lagerungsdichte70,225,54,3
Bodenbearbeitung68,119,112,8
Eigenschaften und Nutzung von Bodentypen63,931,94,2
Bodensystematik und Bodenbewertung31,944,723,4
Verwitterung und Bodengenese34,140,425,5
Wasser-, Wärme- und Lufthaushalt74,525,50


Fazit

  1. Allgemein sind die bodenkundlichen Vorkenntnisse von Schülern an Berufsschulen in Agrarbereich in Niedersachsen zu gering.

  2. Die Bemühungen zur Vermittlung bodenkundlicher Grundkenntnisse müssen sowohl an allgemein bildenden Schulen wie auch Berufsschulen verstärkt werden.

  3. Bei der Gestaltung von Lehrplänen, Richtlinien und anderen Vorgaben für den Unterricht an berufsbildenden Schulen im Agrarbereich sollte die Bodenkunde in weit höherem Maße als bisher Berücksichtigung finden (Lehrplangestalter sind sich der diesbezüglich eklatanten Mängel oft nicht bewusst).

  4. Es bedarf der Entwicklung didaktischer Konzepte, die den Schüler den Zugang zur Bodenkunde erleichtert. Besonderes Augenmerk sollte dabei gelegt werden auf Anleitungen zur Arbeit am "Objekt", d.h. zur Arbeit am Boden im Gelände.

  5. Es ist erforderlich, Fortbildungsangebot für interessierter Lehrkräfte aller Schulformen zu entwickeln und im geeigneten Rahmen sowie ausreichendem Umfang anzubieten.


Literatur

  • Bochter, R. (1997): Der Boden im Biologie- und Chemieunterricht am Gymnasium in Bayern. Mittlg. Dt. Bodenk. Ges., Jg. 85, Heft III, S. 1639 - 1642

  • Giani, L. (1997): Bodenkundliche Themen in den Lehrplänen (am Beispiel Baden-Württembergs) und in visuellen Unterrichtsmedien. Mittlg. Dt. Bodenk. Ges., Jg. 85, Heft III, S. 1647 - 1648

  • Heitlage, U. (2002): Der Stellenwert der Bodenkunde an landwirtschaftlichen Berufschulen. Diplomarbeit, FH Osnabrück

  • Kluttig, T.; Mueller, K. (1999): Berücksichtigung der Bodenkunde in den Lehrplänen der deutschen Schulen: Stand und Möglichkeiten. Mittlg. Dt. Bodenk. Ges., Jg. 91, Heft III, S. 1584 - 1587

  • Sauerborn, P. (2001): Der Boden in Richtlinien und Lehrplänen der Regel- und Sonderschule - Praxisorientierte Kommentierung am Beispiel NRW.
    www.aw.fh-osnabrueck.de/akboden