Jahrestagung des Arbeitskreises Parteienforschung 2011

Jahrestagung 2011 am 20. und 21. Oktober 2011 an der Universität Trier

Thema: Parteien in der Gesellschaft - Abkehr von den Parteien?

 

Das Tagungsprogramm finden Sie hier (PDF).

Den Call for Papers finden Sie hier (PDF).

 

Die Präsentationen zu den Vorträgen finden Sie hier:

Elmar Wiesendahl: Restlaufzeiten der Parteiendemokratie? (PDF)

Oskar Niedermayer: Die Mär der Parteienverdrossenheit. (PDF)

Heiko Biehl: Noch vertrauenswürdig? Entwicklung und Determinanten des gesellschaftlichen Vertrauens in politische Parteien? (PDF)

Eike-Christian Hornig: Schwächt direkte Demokratie die Parteiendemokratie? Die Praxis der deutschen Länder im internationalen Vergleich. (PDF)

Angelika Vetter/Sebastian Kuhn: Was passiert vor Ort? Parteien in der lokalen Politik – eine Längsschnittanalyse im Bundesländervergleich. (PDF)

Mathias König/Wolfgang König: Politische Partizipation und Integration im Parteienstaat durch deliberative Governancearenen. (PDF)

Benjamin Höhne: Kandidatenaufstellungen in Deutschland: zahlreiche Reformoptionen, fehlende innerparteiliche Realisierungspotenziale? (PDF)

Sebastian Bukow: Mitgliederparteien in Bewegung. Chancen und Grenzen partizipationsorientierter Organisationsreformen moderner Mitgliederparteien – Das Beispiel SPD. (PDF)

Ed Turner/Tim Bale/Simon Green: Reformfähig oder nur schwer veränderbar? Modernisierungsversuche der CDU und der britischen Konservativen im Vergleich. (PDF)

Tagungsbericht:


Wie die Proteste um „Stuttgart 21“ und die Wahl von „Wutbürger“ zum Wort des Jahres 2010 zeigen, gibt es in Deutschland in dieser Form ungewohnten und scheinbar parteiübergreifenden Bürgerprotest. Die politischen Parteien stehen vor gravierenden Herausforderungen. Wie sie diese lösen oder welche Anstrengungen zu ihrer „Wiederbelebung“ unternommen werden können, waren Fragen einer Tagung an der Universität Trier. Diese fand am 20. und 21. Oktober 2011 unter dem Thema „Parteien in der Gesellschaft – Abkehr von den Parteien?“ statt. Unter diesem Leitthema referierten und debattierten Mitglieder und Interessenten des „Arbeitskreises Parteienforschung“ der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft (DVPW) sowie Studierende und Gäste. Die Trierer Politikwissenschaftler Prof. Dr. Uwe Jun und Diplom-Politologe Benjamin Höhne hatten die Konferenz organisiert. Arbeitskreissprecher Uwe Jun freute sich, die Kollegen erstmals in Trier begrüßen zu dürfen und verwies in seinen Eingangsworten auf neuerliche Herausforderungen für die Parteiendemokratie wie beispielsweise den Einzug der Piratenpartei in das Berliner Abgeordnetenhaus. Diese habe zu zentralen Themen wie die Finanz- und Wirtschaftskrise noch keine Position, gebe sich unkonventionell und grenze sich explizit von der etablierten Politik ab.

Den Eröffnungsvortrag mit dem Titel „Restlaufzeiten der Parteiendemokratie?“ hielt Prof. Dr. Elmar Wiesendahl (Hamburg) vor circa 75 Zuhörern. Wiesendahl spannte einen theoretischen Schirm über die Tagung, auf den immer wieder Bezug genommen werden konnte. Er skizzierte Tendenzen, welche die Wirksamkeit der Parteienherrschaft unterminieren. Gleichwohl müssen wir uns nach seiner Auffassung nicht darauf einstellen, dass die Parteiendemokratie mit ihren einzigartigen Verbindungen zur Gesellschaft in den nächsten Jahrzehnten verschwindet. „Parteien sind wie Schwämme“, sie saugen die gesellschaftlichen Befindlichkeiten und Problemlagen förmlich auf, bündeln diese in Programme und stellen sie dem Wähler zur Wahl, so Wiesendahl.

Im ersten Themenblock ging es um die gesellschaftliche Verankerung der Parteien. Arbeitskreissprecher Prof. Dr. Oskar Niedermayer (Berlin) befasste sich mit der „Mär der Parteiverdrossenheit“. Niedermayers empirisch untermauerte These, dass es gar keine Parteienverdrossenheit gibt (auch könne man in einer Umfrage nicht nach „den Parteien“ fragen), wurde im Anschluss an den Vortrag mit interessanten und inspirierenden Argumenten lebhaft diskutiert. Dr. Heiko Biehl (Strausberg) präsentierte empirische Daten zum gesellschaftlichen Vertrauen in Parteien. Vertrauen habe gewissermaßen eine Scharnierfunktion und sei eine „riskante Vorleistung“ (Niklas Luhmann) der Bürger gegenüber den Parteien. Nach Biehls Untersuchung ist das Vertrauen in Parteien auf geringem Niveau stabil, und das über alle Bevölkerungsgruppen hinweg. Dies könne aber nur mit anderen Faktoren gemeinsam als ein Indiz für den schwindenden gesellschaftlichen Rückhalt der Parteien gewertet werden.

Inwieweit gerade durch die in letzter Zeit viel diskutierten direktdemokratischen Verfahren die Parteiendemokratie aus einer anderen Richtung in Bedrängnis gerät, untersuchte Dr. Eike-Christian Hornig (Darmstadt). Er verglich die Verfahren in vier deutschen Bundesländern mit anderen westlichen Systemen und legte dar, dass diese nicht außerhalb von Parteilogiken stattfinden. Die unterste staatliche Organisationsebene – die Kommunen – nahmen PD Dr. Angelika Vetter (Stuttgart) und Sebastian Kuhn (Jena) unter die Lupe. Sie untersuchten Veränderungen der Parteien auf lokaler Ebene sowie deren Ursachen und Folgen für das kommunale Regieren. So hätten die „Parteien vor Ort“ mit einem Bedeutungsverlust zu kämpfen, der sich insbesondere in kleineren Städten und Dörfern bemerkbar mache. Den Parteien mangele es schlicht an Personal. Zudem nehme die Konkurrenz durch freie Wählervereinigungen und funktionale Differenzierung zu. Im diesen Themenblock abschließenden Beitrag von Mathias und Wolfgang König (Landau) ging es mit Rückgriff auf Jürgen Habermas, Michael Th. Greven und andere Theoretiker um „politische Partizipation und Integration im Parteienstaat durch deliberative Governancearenen“.

Die Vorträge des zweiten Themenblocks befassten sich mit Innovationsoptionen und Reformmöglichkeiten der Parteien. Benjamin Höhne (Trier) zeigte anhand seiner empirischen Untersuchungen, dass es viele, durchaus tragfähige Reformoptionen von Kandidatenaufstellungen für Parlamente gibt. In jeder der im Bundestag vertretenen Parteien findet sich jedoch unter den Entscheidungsträgern keine Mehrheit dafür, die Bürger bei der Personalauswahl einzubeziehen, so ein Befund Höhnes. Die hauptsächlichen Widerstandsakteure seien die Parteimitglieder, die einen „parteipolitischen Beruf“ ausüben, wie etwa Angestellte der Parteien oder ihrer Fraktionen. Sebastian Bukow (Düsseldorf) beleuchtete den von Sigmar Gabriel eingeleiteten Reformprozess in der SPD nach deren Wahlniederlage von 2009. Das Leitbild der mitgliedschaftsorientierten Parteiorganisation sei weiterhin aktuell. Eine echte Öffnung für die Mitwirkung von Nichtmitgliedern aber nur sehr begrenzt erkennbar, so Bukow. Der Vortrag von Ed Turner, Simon Green und Tim Bale (Aston/Sussex) beschäftigte sich in vergleichender Perspektive mit den jüngsten Modernisierungsversuchen der CDU und der britischen Konservativen. Sie kamen zu dem Resümee, dass der „strukturelle Konservatismus“ beider Organisationen deren Reformfähigkeit in Grenzen hält.

Parteien sind nach wie vor zentrale Organisationen eines demokratischen politischen Systems. Allerdings haben sie erhebliche gesellschaftliche Bindungsverluste und staatliche Steuerungseinbußen zu verzeichnen. Ihre Reaktionen auf diese Entwicklungen fallen uneinheitlich oder sogar widersprüchlich aus. Jedenfalls müssten die Parteien ihre Anstrengungen intensivieren, auch und gerade organisationsintern, um wieder zur Avantgarde für gesellschaftliche und politische Reformen anzuschließen. Darin waren sich die Parteienforscher weitgehend einig.

Benjamin Höhne und Isabelle Borucki

 

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