Kontroverses Netzwerkdurchsetzungsgesetz [13.09.2017]

Am 30.6.2017 hat der Bundestag das Gesetz zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken (Netzwerkdurchsetzungsgesetz – NetzDG) beschlossen. Es ist am 1.10.2017 in Kraft getreten.[1] Ziel des NetzDG ist es, „Hate Speech“, „Fake News“ und „Terror-Propaganda“ zu verhindern. Die Betreiber sozialer Netzwerke sollen zukünftig verpflichtet sein, rechtswidrige Inhalte durch effektive Verfahren schnell zu entfernen. Andernfalls drohen hohe Bußgelder.

Damit wird die bisherige Rechtslage erweitert. Bisher standen den Nutzern und Anbietern in zivilrechtlicher Hinsicht nur die quasinegatorische Unterlassungsklage (§ 1004 analog i.V.m. § 823 BGB) sowie die Möglichkeit, den Schädiger auf Schadensersatz in Anspruch zu nehmen, zur Verfügung. Einer effektiven Rechtsdurchsetzung eines Unterlassungs- und/ oder Löschungsanspruches stand hingegen vielfach das Problem entgegen, die Identität des Schädigers nicht ausfindig machen zu können. Das TMG bietet hierzu keine Hilfestellung, da es lediglich den Strafverfolgungs- und Gefahrenabwehrbehörden die Ermittlung von Bestandsdaten eines Nutzers erlaubt.[2]

Das NetzDG soll vor diesem Hintergrund ein transparenteres Beschwerdeverfahren implementieren, das die Netzwerkbetreiber dazu anhält, ihren schon durch §§ 7 ff. TMG statuierten Pflichten nachzukommen. Insbesondere § 10 TMG weist bereits jetzt die Verantwortlichkeit für fremde rechtswidrige Inhalte den Plattformbetreibern zu, sodass diese vollumfänglich haftbar gemacht werden können, sollte nicht unverzüglich gelöscht werden.[3] Insofern ergänzt das NetzDG die ohnehin bestehende Regelung: Netzwerkbetreiber müssen nunmehr innerhalb von 24 Stunden offensichtlich rechtswidrige Inhalte löschen. Dies betrifft solche Inhalte, die den Tatbestand der in § 1 Abs. 3 NetzDG enumerativ aufgelisteten Strafnormen erfüllen, vor allem solche mit den Zielrichtungen des Persönlichkeits- und Ehrschutzes, sowie des Schutzes der öffentlichen Ordnung. Für sonstige Inhalte, die gemeldet werden, und bei denen eine Verwirklichung dieser Strafnormen zwar möglich, aber nicht evident ist, kann die Frist bis maximal 7 Tage überschritten werden. Ferner sind die Betreiber ab einer gewissen Mindestanzahl von Beschwerden verpflichtet, über den organisatorischen Umgang sowie über Maßnahmen zur Unterbindung Bericht zu erstatten. [4]

Kritisiert werden nicht nur die starre Fristenregelung sowie die Bußgeldvorschriften des NetzDG. Die Androhung hoher Bußgelder und die gleichzeitig sehr kurzen Reaktionsfristen könnten die Plattformbetreiber vielmehr zu sogenanntem „Overblocking“ verleiten, das heißt, dass diese durch ein voreiliges Löschverfahren „auf Zuruf“ auch vielfach solche Inhalte entfernen, die strafrechtlich nicht relevant sind.[5] Auch drohe eine Privatisierung der Rechtsdurchsetzung. Die Beurteilung der Rechtswidrigkeit einer Äußerung sei eine hochkomplexe und grundrechtssensible Angelegenheit und müsse den Gerichten überlassen bleiben.[6] Überdies in Frage steht nicht nur die Verfassungskonformität, sondern auch die Übereinstimmung mit geltendem Unionsrecht. Das NetzDG tangiert durch seine Regelungen den Anwendungsbereich der E-Commerce-Richtlinie.[7] Diese sieht in Artikel 3 Abs. 1 das Herkunftslandprinzip vor. Demnach gilt für jeden Hostprovider das Recht des EU-Mitgliedstaates, in dem dieser seinen Sitz hat. Ferner spricht die Richtlinie, ebenso wie der Wortlaut des TMG, nur von einer „unverzüglichen Löschpflicht“. Eine 24-Stunden-Frist hebelt diese Vorgabe weitgehend aus.[8] Hierzu verweist das Kabinett hingegen auf Art. 14 der Richtlinie, der bestimmte Regulierungsvorhaben der einzelnen Mitgliedstaaten für zulässig erklärt.

Inwieweit das Gesetz den „Zensur-Vorwürfen“ standhalten kann, bleibt abzuwarten.

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[1] Bundesgesetzblatt Jahrgang 2017 Teil I Nr. 61, ausgegeben zu Bonn am 7. September 2017, BT Drs. 18/13013 (Vorabfassung).

[2 ]Richter, Das NetzDG – Wunderwaffe gegen „Hate Speech“ und „Fake News“ oder ein neues Zensurmittel?, ZD-Aktuell 2017, 05623. Richter, Das NetzDG – Wunderwaffe gegen „Hate Speech“ und „Fake News“ oder ein neues Zensurmittel?, ZD-Aktuell 2017, 05623.

[3] Schütze, Bundestag beschließt NetzDG, ZD-Aktuell 2017, 05723.

[4] Kritik am NetzDG, v.a. in Bezug auf die Meinungsfreiheit durch die Digitalverbände, s. MMR-Aktuell 2017, 388812, ferner kritisierend: netzpolitik.org/2017/hate-speech-gesetz-neuer-entwurf-gefaehrdet-weiterhin-die-meinungsfreiheit/ Bsp. Renate Künast (Grüne): „So sei ein Kommentar, in dem ein Nutzer ihr schrieb, er würde gern ein Enthauptungsvideo von ihr sehen, auch von der Staatsanwaltschaft als nicht strafbar eingestuft worden.“, www.lto.de/recht/nachrichten/n/bundestag-beschliesst-netzdg-social-media-loeschung-hassposts-kritik-meinungsfreiheit/, zuletzt abgerufen am 13.09.2017.

[5] Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt ("Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr"), s. data.europa.eu/eli/dir/2000/31/oj.

[6] Guggenberger, Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz in der Anwendung, NJW 2017, 2577, 2579.

[7] Dass bei nachträglichen Löschpflichten von „Zensur“ im wörtlichen Sinne nicht gesprochen werden kann, unterstreicht: Richter, Das NetzDG – Wunderwaffe gegen „Hate Speech“ und „Fake News“ oder ein neues Zensurmittel?, ZD-Aktuell 2017, 05623.