Rechtspolitisches Kolloquium mit mit Frau Dr. Aydin, Universität Hacettepe, Türkei am 16.07.2012

Das Rechtspolitische Kolloquium fand am 16.07.2012 mit dem Titel "Der Weg zu einer neuen Verfassung für die Türkei zwischen Skepsis und Hoffnung: rechtliche und rechtspolitische Bedingungen einer neuen Verfassung" statt.

„Der Weg zu einer neuen Verfassung für die Türkei zwischen Skepsis und Hoffnung: rechtliche und rechtspolitische Bedingungen einer neuen Verfassung“, so lautete der Titel des Vortrages, den Frau Dr. Öykü Didem Aydin, Assistenzprofessorin für Verfassungsrecht an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der türkischen Universität Hacettepe (Ankara), am 16.07. 2012 im Rahmen des vom Institut für Rechtspolitik veranstalteten Rechtspolitischen Kolloquiums hielt. Anschließend folgte eine Diskussionsrunde, in der Fragen und Anmerkungen erörtert wurden.

Aydin stellte einleitend die verfassungsgeschichtliche Entwicklung der Türkei und ihre Bedeutung für den Verfassungsreformprozess dar.  Nach der noch demokratisch legitimierten Verfassung von 1921 wurden die  folgenden Verfassungen von Militärregierungen erlassen, so auch die aktuelle Verfassung von 1982. Im Vergleich zu anderen Staaten sei die verfassungsrechtliche Entwicklung der Türkei nach verbreiteter Ansicht um ca. 100 Jahre verzögert. Viele Bürger und politische Akteure halten die Verfassung von 1982 auch nach den umfassenden, auf das Verfassungsreferendum von 2010 folgenden, Änderungen für ungeeignet, als Grundlage für eine funktionsfähige, starke Demokratie zu dienen. Sie wünschen sich eine klare Zäsur durch eine vollständig demokratisch entstandene Verfassung. Dem hatte sich die Regierung 2011 angeschlossen und angekündigt, eine völlig neue Verfassung zu erarbeiten. Seit Mai 2012 arbeitet ein parlamentarischer Einigungsausschuss einen neuen Verfassungstext aus. Dieser Einigungsausschuss besteht aus Mitgliedern aller im Parlament vertretenen Parteien und sammelte zunächst zahlreiche Entwürfe von Experten, Verbänden und Bürgern. Erstmals in der jüngeren Vergangenheit wurden auch Vertreter christlicher Organisationen und anderer religiöser Minderheiten vom Parlament angehört. Kontrovers diskutiert werden insbesondere die Gewichtung von Rechtsstaat und Demokratie, die Ausformung des Laizismus unter anderem in Hinblick auf Religionsunterricht in staatlichen Schulen und das Kopftuchverbot, die Balance zwischen Parlamentarismus und Präsidentialismus, sowie die Behandlung ethnischer und religiöser Minderheiten. Ziel des Verfahrens ist, dass die neue Verfassung von einer breiten Öffentlichkeit getragen wird. Ob dies gelingt, ist fraglich: Die Öffentlichkeit wird nämlich aufgrund des für den Einigungsausschuss geltenden Geheimhaltungsprinzips nicht über das Verfahren, die Aussprachen und Anhörungen im Einigungsausschuss informiert. Problematisch erscheint weiterhin, dass der Einigungsausschuss nicht durch eine gesetzliche Grundlage legitimiert ist.