Adaptives Vergessen durch emergente Wissensstrukturen in sozio-technischen Systemen

Adaptives Vergessen durch emergente Wissensstrukturen in sozio-technischen Systemen

Thomas Ellwart, Conny H. Antoni, Ingo J. Timm

Dieses interdisziplinäre Tandemprojekt von Arbeits- und Organisationspsychologie (AOP) und Wirtschaftsinformatik (WI) ist Teil des DFG SPP 1921 Intentional Forgetting in Organisationen. Ausgangsfrage des Projektes ist, wie Gedächtnismodelle der psychologischen Teamforschung, sogenannte Teamkognitionen (TK), genutzt werden können, um Lösungen auf organisationaler Ebene zum effizienten Umgang mit zunehmenden Informationsmengen zu entwickeln. TK als kollektive, emergente Wissensrepräsentationen beschreiben, wie aufgabenrelevantes Wissen zwischen Teammitgliedern organisiert ist, d. h. ob es gemeinsam geteilt oder verteilt ist. Verteilte TK ermöglichen intentionales Vergessen und eine Erweiterung der Speicherkapazität durch Spezialisierung bei der Wissensspeicherung. Zugleich ist jedoch ein bestimmter Grad von gemeinsam geteiltem Wissen notwendig, um auf das verteilte Wissen zugreifen und zentrale Teamprozesse bewältigen zu können. Zwar belegt die bisherige Teamforschung die Bedeutung von TK für die Leistungs- und Anpassungsfähigkeit von Teams, jedoch wurde der Zusammenhang von TK und intentionalem Vergessen bislang nicht empirisch geprüft, obwohl Informationsüberlastung ein wachsendes Problem für Teams und Organisationen darstellt. Deshalb soll in diesem Projekt intentionales Vergessen als adaptiver Reorganisationsprozess von Wissensstrukturen an sich verändernde Umweltanforderungen im Kontext komplexer Multiteamsysteme (MTS) in Verwaltung und Logistik untersucht werden. Für die Analyse komplexer dynamischer MTS benötigt die AOP die Modellierungs- und Simulationsmethoden der WI. Die WI kann wiederum TK auf die Architektur von Multiagentensystemen (MAS) übertragen, die ein neues Verständnis für die Verteilung und Verarbeitung von Wissen und dessen dynamische Reorganisation in MAS liefern. Zusätzlich fehlen bislang psychologisch adäquate Modellierungs- und Validierungsansätze für Akteure in der agentenbasierten Sozialsimulation. Zu beiden Herausforderungen liefert die AOP eine Systematik theoretisch valider Konzepte und empirische Evidenz zu Wirkzusammenhängen. Im Einzelnen werden vier Projektziele verfolgt: 1) Die empirische Überprüfung von Moderatoren und Auswirkungen der Wissensverteilung auf Speicherkapazität, Verhalten und Affekt auf Teamebene anhand von Laborexperimenten und Feldstudien. 2) Die empirische Analyse intentionalen Vergessens als situativer Anpassungsprozess der Aufgaben- und Wissensstrukturen an sich verändernde Umweltanforderungen 3) Die Übertragung der Befunde und Konzepte der Teamforschung auf organisationale MTS und MAS mithilfe eines gemeinsamen interdisziplinären intentionalen Vergessensmodells. 4) Deren multimethodale empirische und simulationsbasierte Validierung im Kontext komplexer und dynamischer MTS/MAS. Damit trägt das hier vorgestellte Projekt maßgeblich zu den inhaltlichen und methodischen Zielen des SPP bei, Mechanismen des menschlichen Vergessens für technisch-organisationale Kontexte nutzbar zu machen.