Michelle Stoffel M.A. – Promotionsprojekt

Projektbeschreibung

„Federkriege“ im Emanzipationsdiskurs

Stimmen jüdischer und christlicher Autoren über die rechtlichen Daseinsbedingungen der Juden in den deutschen Staaten (1789 – 1848)

Der Emanzipationsprozess von Juden in Deutschland steht paradigmatisch für das Streben kultureller Minderheiten nach rechtlicher Gleichstellung und sozialer Integration in ihre Umgebungsgesellschaften.

Die staatsbürgerrechtliche Gleichstellung jüdischer und christlicher Bevölkerungsteile in allen Vorgängerstaaten des Deutschen Kaiserreichs wurde erstmals mit dessen Verfassung 1871 rechtskräftig, wenngleich sie spätestens seit 1789 von Aufklärern beider Religionsgruppen ausdrücklich gefordert und in Frankreich schon 1791 gesetzlich verankert wurde. Innerhalb des langwierigen deutschsprachigen Emanzipationsdiskurses (1781-1871) setzten sich unterschiedlichste Akteure mit dem jahrhundertelang existierenden inferioren Rechtsstatus der Juden auseinander. In polemischen und apologetischen Stellungnahmen diskutierten sie, ob und unter welchen Bedingungen Juden in die christliche Mehrheitsgesellschaft integriert werden könnten. Saul Ascher betitelte diese dialogische Dynamik angesichts der divergierenden, teils wechselseitig beeinflussten Positionen jüdischer wie christlicher Schriftsteller bereits 1788 als „Federkriege“.

Ziel des Projekts ist die diskursgeschichtliche Analyse dieser Reformdebatte über die Rechtsgleichheit der in deutschen Territorien lebenden Juden im Spannungsfeld von Gleichheit und Ungleichheit, von Homogenität und natürlicher Diversität sowie von Orthodoxie, Assimilation und Integration. Hinsichtlich sozioökonomischer und politischer Veränderungsprozesse im Zeitalter von Urbanisierung, Pauperismus, früher Industrialisierung, Auswanderung und allgemeiner Emanzipationsbestrebungen werden Problemkontexte eingebunden, welche die Beantwortung der sogenannten „Judenfrage“ indirekt beeinflusst haben. Anhand spezifischer Argumentationen weniger oder nicht bekannter Autoren wird untersucht, ob und wie die vielfältigen Streitschriften und die stete Präsenz konstruierter Alteritätsvorstellungen von Juden in der breiten Öffentlichkeit nachhaltig auf die politisch rezente „Judenfrage“ einwirken konnten.

Ausgehend von dieser zentralen deutschsprachigen Debatte des 19. Jahrhunderts über die Vereinbarkeit von differenten kulturellen Lebensformen im Kontext des Nationalstaatsbildungsprozesses versteht sich das Projektvorhaben als Beitrag zur Historisierung des analytischen Konzepts von Diversität.

Das Dissertationsprojekt steht unter der Betreuung von Prof. Dr. Stephan Laux. Es wurde zunächst von der Gerda Henkel Stiftung gefördert. Seit April 2019 ist das Projekt in das Internationale Graduiertenkolleg IRTG Diversity (Universitäten Trier, Montréal, Saarbrücken) eingebunden (s. die persönliche Darstellung auf der Website des Graduiertenkollegs).