Wissenschaftskommunikation für jedermann*frau

Bis zu 20 Tweets pro Tag sind keine Seltenheit für Prof. Dr. Andrea Geier. Ein Gespräch mit der Literaturwissenschaftlerin und Gender-Forscherin über die Denkwerkstatt #FactoryWisskomm, ihr Lehrangebot zur Wissenschaftskommunikation sowie persönliche Erfahrungen.

Warum haben Sie angefangen, öffentlich über Ihre Forschung zu sprechen?

Eine wesentliche Motivation war es, mich mit negativen Fremdbildern eines meiner Forschungsschwerpunkte auseinanderzusetzen und dagegen etwas zu stellen. Die Vorwürfe, dass die Gender Studies unwissenschaftlich sind, ist wirklich ein Problem für die Wissenschaftskultur. Aber ich zeige auf Twitter natürlich nicht nur das Negative, sondern spreche auch darüber, was an meinen Forschungsfeldern interessant ist.

Was machen Sie, wenn Sie negative Kommentare bekommen?

Das kommt sehr auf den Ton an. Man merkt rasch, wenn jemand nur seine Vorurteile abladen möchte. Dann bringt es nichts zu antworten. Blocken ist ein absolut legitimer Selbstschutz. Es gibt niemanden, der einen Anspruch hat, unterrichtet oder unterhalten zu werden. Das sind alles die eigenen Ressourcen. Wenn man freundlich ist, verschickt man einen Link mit weiterführenden Informationen zu Artikeln, Videos oder natürlich auch Twitter-Threads, also mehreren aneinandergereihten Tweets, in denen man mal ein Thema ausführlicher auf Twitter dargestellt hat. Das Schöne ist, dass man nicht alles andauernd neu schreiben muss. Man hat ja schon viel veröffentlicht und kann darauf verweisen.

Sie sind auf Twitter aktiv, schreiben Gastbeiträge in Medien, stehen Journalisten als Ansprechpartnerin zur Verfügung. Mit welchem Ziel betreiben Sie Ihren YouTube-Kanal?

Ich denke, im breiten Spektrum der Wissenschaftskommunikation ist Raum für sehr unterschiedliche Formate. Videos aus meiner Lehre oder auch mitgeschnittene Vorträge über YouTube öffentlich zur Verfügung zu stellen, ist ein niedrigschwelliges Angebot. Wer möchte, kann sich mal anschauen, womit sich eine Germanistin und Gender-Forscherin so beschäftigt. Es ist ein kleines Schaufenster ins literaturwissenschaftliche oder kulturwissenschaftliche Studium und in die Forschung. Das ist für mich einfach und relativ ressourcenschonend, da ich diese Videos sowieso mache.

Was macht für Sie gute Wissenschaftskommunikation aus? Womit haben Sie gute Erfahrungen gemacht?

Eine professionalisierte Wissenschaftskommunikation kann sich beispielsweise daran bemessen, wie viele Leute an einer Wissenschaftsnacht oder einem Science Slam teilgenommen haben und wie viel sie danach mehr wissen. Das was ich mache, ist etwas ganz anderes. Ich habe ja keine extra Zeit dafür und musste deshalb zum Beispiel auf YouTube die Kommentare leider abschalten. Das war unmöglich alleine zu moderieren. Auf Twitter dagegen kommuniziere ich viel, und ein Teil davon lässt sich im engeren Sinn als Wissenschaftskommunikation bezeichnen. Das ist auch nicht trennscharf. Wenn ich zum Beispiel Zeitung lese, vertwittere ich öfters mal etwas, was mir auffällt, und das kann sich dann auch mit Forschungsexpertise verbinden. Wichtig ist mir auch, mich zu vernetzen. Ich beteilige mich an Themen anderer und daraus kann dann Neues entstehen.

Denkfabrik #FactoryWisskomm

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung hatte 150 Expertinnen und Experten zu einer Denkfabrik zur Wissenschaftskommunikation eingeladen. Darunter waren beispielsweise Personen von Universitäten, Museen, Stiftungen und Medien. Unter anderem ging es um die Frage, wie kommunikativ engagierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unterstützt werden können. In sechs Arbeitsgruppen haben die Teilnehmenden Handlungsempfehlungen erarbeitet: „Kompetenzaufbau Wissenschaftskommunikation“, „Anerkennung und Reputation für Wissenschaftskommunikation“, „Forschungsfeld Wissenschaftskommunikation“, „Qualität in der Wissenschaftskommunikation“, „Wissenschaftskommunikation und Partizipation“ und „Wissenschaftsjournalismus im digitalen Zeitalter“.

Screenshot Instagram
Und wie war es bei euch? Auf Instagram haben Germanistik-Studierende ihre Follower gefragt, welche Werke von Autorinnen sie gelesen haben.

Wie unterscheidet sich die Wissenschaftskommunikation der Geisteswissenschaften von den Naturwissenschaften?

Sie unterscheidet sich deutlich, das zeigen auch Untersuchungen. In den Geisteswissenschaften ist der Anlass seltener das Ergebnis eines abgeschlossenen Forschungsprojekts. Wir werden eher zu aktuellen Themen befragt, zu denen man durch einen Forschungsschwerpunkt Expertise hat, die anschlussfähig ist. Das funktioniert also etwas anders, als wenn man nur anlassbezogene PR für ein Drittmittelprojekt macht.

Sie haben im Rahmen der #FactoryWisskomm des BMBF [siehe Infokasten] mit anderen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern über Partizipation diskutiert. Was sind die Ergebnisse der Arbeitsgruppe?

Es braucht mehr Partizipation, aber sie darf kein Selbstzweck sein, darin waren sich alle einig. Man muss wissen, wofür man Partizipation haben möchte, und was diejenigen davon haben werden, die sich beteiligen. Dann ging es beispielsweise um die Frage: Wer kann überhaupt partizipieren? Wie erreicht man Gruppen, die bisher nicht erreicht werden? Und umgekehrt habe ich als Geschlechterforscherin auch darauf hingewiesen, dass es keinen Anspruch von bestimmten Akteur*innen geben kann, über Themen mitzubestimmen, und das gilt sowieso für die Forschung, aber ebenso für die Partizipation in Projekten der Wissenschaftskommunikation. Wir haben herausgestellt, dass wir mehr darauf achten müssen, wo es auch außerhalb von akademischen Kontexten Wissen gibt, das Projekte voranbringen kann. Man geht nicht mehr von einem unidirektionalen Wissenstransfer aus, sondern von interaktiven Formaten. Für mich bieten – in einem kleinen Format – auch die sozialen Medien zumindest eine Art Rücklaufkanal. Darüber kann man recht niedrigschwellig Leute nicht nur erreichen, sondern könnte sie auch einbinden.

Wie kann man überhaupt Personen für die Partizipation gewinnen? Was bekommen sie dafür?

Entscheidende Frage! Man muss für jedes Projekt ausarbeiten, was man mit Partizipation für alle Beteiligten erreichen will. Die Ausgangsbedingungen sind dabei natürlich unterschiedlich: Bei Themen wie Klimawandel und anderen gesellschaftlichen Transformationsprozessen kann man eher ein intrinsisches Interesse von Personen voraussetzen, sollte aber auch nicht nur allein darauf setzen. Bei anderen Themen, wie beispielsweise aus der Literaturwissenschaft, stellt sich die Frage nochmal stärker, warum sich jemand überhaupt dafür interessieren sollte. Ich sage das gerne so offen als Literaturwissenschaftlerin, denn hier geht es nicht um Liebhaberei, sondern darum, sich Relevanzfragen zu stellen und diese Kommunikation aktiv zu gestalten.

Bei der #FactoryWisskomm ging es auch darum, wie man zu mehr Wissenschaftskommunikation ermutigen kann. Was ist nötig?

Es braucht ganz klar an Universitäten Unterstützungsstrukturen jenseits klassischer PR-Konzepte. Anerkennung und Ressourcen sind hier die zentralen Stichworte für die eigenständige Wissenschaftskommunikation von Wissenschaftler*innen. Wissenschaftskommunikation sollte als Arbeitsleistung wahrgenommen werden und daher auch eine Möglichkeit im Aufgabenspektrum von Arbeitsverträgen sein. Und Anerkennung muss mehr sein als ein Schulterklopfen. Mit Blick auf Strukturen wäre es wünschenswert, wenn man unterschiedliche Erfahrungsstufen fördern könnte, also Kompetenzaufbau von Lehrenden und Studierenden. Wir sollten Potenziale im Studium besser nutzen. Wir bilden an Universitäten eine Menge von Multiplikatorinnen und Multiplikatoren wie Lehrkräfte aus, die in ihren Berufen Wissenschaft erklären. Es würde sehr viel bringen, wenn wir in der Lehramtsausbildung Wissenschaftskommunikation stärker verankern.

Sie haben im Sommersemester ein Seminar zu Wissenschaftskommunikation angeboten. Außerdem haben Studierende aus Ihrem Seminar zum literaturwissenschaftlichen Kanon Inhalte auf Social Media gebracht. Wie war das für die Studierenden?

Viele der Studierenden fanden es wirklich spannend, mit Themen aus dem Seminar an die Öffentlichkeit rauszugehen und Rückmeldungen zu dem zu bekommen, was sie an der Uni machen. Eine Studierende hat beispielsweise gesagt, dass sie schon ganz lange auf Instagram ist, aber jetzt das erste Mal mit Leuten über Inhalte ihres Studiums gesprochen hat und das sehr interessant war. Die Studierenden haben durch die Projekte nochmal auf andere Weise erfahren, dass das, womit sie sich beschäftigen, relevant ist. Wir, also das Seminar gemeinsam, hatten im Vorfeld darüber gesprochen, welche Terminologie man benutzt, wie man Fragen aufbaut und wie man zum Beispiel Posts visuell gestaltet. Dadurch, dass man überlegt, wie man Themen aus dem Seminar nach außen trägt, kann man viel lernen. Das ist eine sehr gute Reflexion und dann auch Ergebnissicherung.

Können Sie einige Beispiele für Projekte nennen?

Auf Instagram haben Studierende beispielsweise gefragt, ob die Lesesozialisation durch die Schule beeinflusst wurde und ob die Leute wissen, was kanonische Texte sind. Es kam raus, dass über Kanonisierungsprozesse in der Schule überhaupt nicht gesprochen wird. Leute halten Texte für kanonisch einfach nur, weil sie ausgewählt wurden, also institutionell abgesegnet gewissermaßen, während andere tatsächlich zum Literaturkanon gehören. Eine Gruppe aus dem Seminar Wissenschaftskommunikation hat Interviews zur Wissenschaftskommunikation geführt [siehe Infokasten]. Eine Studierende hat Erklärvideos zu Grundbegriffen der Gender Studies gemacht. Auch einfach nur großartig!

Wissenschaftskommunikation an der Universität Trier

Im Rahmen des Seminars Wissenschaftskommunikation (Leitung Prof. Dr. Andrea Geier) haben die Studierenden Julian Theiß und Sarah Schug in Leitfadeninterviews Wissenschaftler*innen der Universität Trier befragt. Vor allem Twitter wurde von den Befragten für die Wissenschaftskommunikation genutzt. Sie twittern dort zu eigenen Projekten und Tagungen, teilen aber auch häufig Inhalte anderer. Das Sichtbarmachen von institutionellen Projekten und das Networking werden als Motivation hinter der Aktivität auf Twitter genannt. Einen Mehrwert für die eigene Forschung sehen die Befragten unter anderem darin, dass sie auf Twitter über neue Publikationen erfahren.

Prof. Dr. Andrea Geier

Kontakt

Prof. Dr. Andrea Geier
Neuere deutsche Literaturwissenschaft
Tel. +49 651 201-2335
Mail: geieruni-trierde

Germanistik-Studierende aus einem Seminar zum literaturwissenschaftlichen Kanon haben als Projektarbeit auf Instagram Wissenschaftskommunikation erprobt. In Posts und Stories berichteten sie von Themen des Seminars (@kanon.fragen).