„Ich war lange unsicher, ob die Universität für mich das richtige Arbeitsumfeld ist“

Trotz seiner Begeisterung für die Lehre und eines Hangs zum detektivischen Forschen war für Prof. Dr. Uwe Jun das Karriereziel einer Professur nicht immer klar. Zwischen welchen alternativen Berufszielen sich sein Weg entlang schlängelte, bevor er seit nun 16 Jahren zufrieden in Trier angekommen ist.

Die Abenteuer von Sherlock Holmes und Dr. Watson begeisterten Uwe Jun bereits als Kind. Zusammen mit seinem Großvater verschlang er die Geschichten des genialen Detektivs und seines treuen Gehilfen. Besonders die logische und detektivische Ermittlungsarbeit hatten es ihm angetan. Bis heute hat die Begeisterung für ältere Kriminalromane nicht abgenommen. In seiner wissenschaftlichen Tätigkeit erkennt Jun sogar einige Parallelen zu der eines Detektivs: „Auch in der Wissenschaft suchen wir nach Erklärungen. Wie können aus verschiedenen Einzelereignissen systematische Zusammenhänge ermittelt werden? Und in der Tat ist das dann in mancherlei Hinsicht gar nicht so weit von einem Sherlock Holmes entfernt.“

Dabei sah Juns Planung für sein Berufsleben zunächst einen ganz anderen Weg vor. Nach dem Abitur schrieb er sich in seiner Heimatstadt Braunschweig für ein Lehramtsstudium in den Fächern Deutsch und Mathematik ein. „Insgesamt hat mir der Ort Schule sehr behagt. Ich habe meine Schulzeit immer als eine sehr positive Zeit empfunden und konnte mir damals sehr gut vorstellen, mein ganzes Leben dort zu verbringen“, begründet Jun rückblickend seine Entscheidung. Schnell wechselte er zwar den Studienort und seine Fächerkombination, der Plan, auch sein berufliches Leben in der Schule zu verbringen, blieb.

Bis heute hat für Jun die Lehre eine besondere Bedeutung: „Ich habe die universitäre Lehre immer als sehr erfüllend und befruchtend für mich empfunden.“ Dass diese während der Corona-Pandemie in ein digitales Format wechseln musste, empfindet er zwar als sinnvolle Notwendigkeit und ist glücklich über diese Alternative. Dennoch wünscht er sich den „Notnagel“ Online-Vorlesung schnellstmöglich ziehen zu können.

Von Braunschweig aus war Uwe Jun nach Göttingen gewechselt, wo er die Fächer Germanistik, Sozialwissenschaften und Philosophie belegte. Hier entwickelte sich seine Karriere zunehmend in Richtung Wissenschaftler. Besonders der Bereich der Sozial- und Politikwissenschaften hatte es ihm angetan. Nach seiner Examensarbeit trat Jun eine Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl seines späteren Doktorvaters Prof. Dr. Manfred Friedrich an. „Festentschlossen von der Idee, in der Wissenschaft zu verbleiben, war ich damals allerdings noch nicht.“ Erst die Zeit in den USA habe ihn endgültig überzeugt.

Nach 13 Jahren an der Universität Göttingen begab sich Jun im Rahmen eines Forschungsprojektes an die renommierte Harvard University in Boston. „In jenem Jahr habe ich die endgültige Entscheidung Richtung Wissenschaft getroffen“, beschreibt er diese einschneidende Phase seines Lebens. Insbesondere sein Projektleiter Prof. Dr. Samuel Huntington habe ihn davon überzeugen können. „Ich war lange unsicher, ob die Universität für mich das richtige Arbeitsumfeld ist, aber Samuel Huntington hat mir endgültig die Zweifel genommen.“ Die Tatsache, dass man im Sozialkundeunterricht nicht so vertieft in politische Strukturen eintauchen kann wie an der Universität, sei für ihn mit ausschlaggebend gewesen. „Die Gegenstände, die ich unterrichte, bereiteten mir an der Universität einfach mehr Freude“, fasst Jun zusammen.

Zwischenzeitlich ergab sich für den heutigen Politikwissenschaftler neben der wissenschaftlichen Karriere und dem Lehramtsstudium noch eine ganz andere berufliche Option. Bereits während des Studiums hatte er begonnen als freier Mitarbeiter für den NDR zu arbeiten. Auf die Frage, ob der Journalismus für ihn eine ernst zu nehmende Karrieremöglichkeit dargestellt habe, antwortet er entschieden mit „Ja“: „Nach kurzer Tätigkeit in der Schule stand für mich die Idee, den journalistischen Weg einzuschlagen, sogar im Vordergrund“. Besonders der Aspekt, politischen Ereignissen unter dem Schutzmantel des öffentlich-rechtlichen Mediums nachgehen zu können habe ihm immer sehr zugesagt. Weiter betont Jun die Gemeinsamkeiten zwischen dem politischen Journalismus und seinem jetzigen Betätigungsfeld, den Politikwissenschaften. „Ich kann heute sagen, wenn es mit der Universität, aus welchen Gründen auch immer, nicht geklappt hätte, dann wäre ich sicherlich im Journalismus gelandet.“ Aber auch diese Idee verwarf er schließlich während seiner Zeit in Harvard.

Noch heute fühlt sich Jun mit dem Journalismus eng verbunden, und seine Zeit beim NDR hat einen entscheidenden Einfluss auf die Ausrichtung seiner wissenschaftlichen Arbeit hinterlassen. „Die Perspektive, wie die Medien auf die Politik schauen, habe ich selbst als Akteur miterlebt und kann sie daher sehr gut nachvollziehen.“ Die politische Kommunikation bildet seither einen von Juns wissenschaftlichen Schwerpunkten. So heißt bereits seine Habilitationsschrift „Parteien in der Mediendemokratie“.

Aber auch am Rand seiner wissenschaftlichen Tätigkeit hat Jun noch sehr viele Berührungspunkte zum Journalismus. In den letzten Jahren hatte er mehr als 3.000 Expertenauftritte in zahlreichen Medien. Auch hier kommt ihm seine journalistische Erfahrung zugute und er betont, wie wichtig ihm diese Tätigkeit ist: „Es gehört zur Politikwissenschaft, dass wir aufklären: Wie funktioniert Politik, was geschieht in der Politik und wie sind aktuelle politische Entwicklungen einzuschätzen. Das ist eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe, die die Politikwissenschaften mit erfüllen sollten.“

Den Grundstein dieser Aufklärungsarbeit legt Uwe Jun in seiner Forschung an der Universität Trier. Seit über 16 Jahren leitet er hier die Professur für „Westliche Regierungssysteme“. Der gebürtige Braunschweiger fühlt sich mittlerweile in Trier sehr heimisch: „Es lässt sich sehr gut hier leben. Im Fach Politikwissenschaft haben wir eine sehr gute Arbeitsatmosphäre, das hat mich die letzten Jahre getragen.“ Selbst ein Ruf aus Göttingen, der Universität, an der Jun studierte und seine Karriere begann, konnte ihn nicht aus Trier weglocken: „Ich muss schon zugeben, das fiel mir doch sehr schwer. Es war ja die Universität, in der ich ausgebildet wurde. Letztendlich überwogen aber die Vorteile für Trier.“ So plant Jun bis zu seiner Emeritierung an der Universität Trier zu verbleiben.

Neben Trier hat Professor Jun Schweden als zweite Heimat für sich entdeckt. Aus einer Anfrage für ein kleines Forschungsprojekt in Stockholm hat sich seit 2009 eine enge Kooperation bis hinein in den Lehrbetrieb entwickelt. Bereits an seinem ersten Tag verliebte er sich in die nordische Hauptstadt: „Es war ein November-Tag grau, dunkel und verschneit. Dennoch fühlte ich mich super wohl. Und wenn man sich im November schon wohl fühlt in Schweden, dann war mir klar, das kann nur eine gute Verbindung werden.“ Und auch in der Corona-Pandemie, unterstreicht er, habe ihm am meisten der Austausch mit Stockholm gefehlt. „Auch im späteren Alter kann man noch neue Leidenschaften entdecken. Ich rate jedem zu einer Reise nach Schweden“, betont Jun und hängt lachend an: „Aber zu voll darf es nicht werden.“

Vita

Geboren und aufgewachsen in Braunschweig und Umgebung begann Uwe Jun 1983 an der dortigen Universität sein Studium. Schnell wechselte er jedoch an die Universität Göttingen, wo er Germanistik, Sozialwissenschaften und Philosophie auf Lehramt studierte. Nach der bestandenen Examensarbeit trat Jun eine Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl seines späteren Doktorvaters Prof. Dr. Manfred Friedrich an. Hier promovierte er 1993 im Fach Politikwissenschaft zum Thema „Koalitionsbildung in den deutschen Bundesländern“. Vier Jahre später wechselte er in die USA, um an der Harvard University am Forschungsprojekt “Performance of Democracies” teilzunehmen. Jun hätte in Boston verbleiben können, doch es zog ihn zurück nach Deutschland, wo er eine Stelle als wissenschaftlicher Assistent am Lehrstuhl „Regierungssystem der Bundesrepublik Deutschland/Innenpolitik“ in Potsdam annahm. Seine Habilitation folgte im Jahr 2003 mit der Schrift „Parteien in der Mediendemokratie“. Anschließend vertrat er ein Jahr lang die Professur für „Vergleichende Politikwissenschaft und Systemlehre“ an der Universität Würzburg. Seit 2005 leitet Uwe Jun die „Professur Westliche Regierungssysteme: Regierungssystem der Bundesrepublik Deutschland“ an der Universität Trier.

Seit 16 Jahren ist Jun außerdem Sprecher des Arbeitskreises „Parteienforschung“ der Deutschen Vereinigung für Politikwissenschaft und Mitglied in zahlreichen weiteren politikwissenschaftlichen Gesellschaften und Verbänden. Hinzu kommen Tätigkeiten als Gutachter und Experte für renommierte Medien und Stiftungen.

Prof. Dr. Uwe Jun
Prof. Dr. Uwe Jun.

Meine Empfehlungen

Was man mal gelesen haben sollte …

Ein ganz hervorragendes politikwissenschaftliches Buch ist „The Third Wave“ von Samuel Huntington. Es ist eine glänzende Analyse der Entwicklung hin zu mehr Demokratien.

Was man mal gehört haben sollte …

Ich bin ein großer Fan von Soul-Musik, insbesondere die Zeit der 70er- und 80er-Jahre mit Sängern wie Barry White, George Benson oder Teddy Pendergrass sowie Earth, Wind & Fire.

Was man mal gesehen haben sollte …

Einen Kriminalfilm nach einem Drehbuch von Francis Durbridge. Beispiel: Das Halstuch (1962)

Was man mal gemacht haben sollte …

Ein Wochenende auf einer Insel im Schärengarten Stockholms verbringen. Eine Reise dahin lohnt sich immer.

Frage an den Experten

Warum verlieren die Volksparteien in Deutschland immer mehr Macht?

„Hauptsächlich sind gesellschaftliche Entwicklungen dafür verantwortlich. Die Gesellschaft wird immer heterogener und diverser. Die Volksparteien haben in der Vergangenheit wesentlich versucht, die unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen in sich zu integrieren, das wird allerdings immer schwerer, da diese sich immer weniger integrieren lassen. Das führt dazu, dass bislang kleinere Parteien mit ihren Angeboten, die kleinere spezifischere Anliegen in den Vordergrund stellen, mehr Akzeptanz finden. Das erleben wir in ganz Europa und davon betroffen sind auch die Unionsparteien und SPD, die in Deutschland den Anspruch erheben, Volksparteien zu sein.“