Urteil der Woche (KW 12)

Der EuGH (Urteil vom 10.02.2022) hat im Rahmen eines vom FG Hamburg eingereichten Vorabentscheidungsersuchens über den Zeitpunkt des Vorsteuerabzugs bei Leistungen durch einen Ist-Versteuerer entschieden.
Das FG Hamburg hatte Zweifel, ob die aktuelle Regelung des deutschen Umsatzsteuerrechts im Einklang mit der Mehrwertsteuersystemrichtlinie (MwStSyStRL) steht.

Hintergrund:
Gemäß der nationalen Regelung des § 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG entsteht das Recht des Leistungsempfängers auf Vorsteuerabzug, wenn die Lieferung oder sonstige Leistung an ihn ausgeführt worden ist und ihm eine ordnungsgemäße Rechnung vorliegt.
Wann hingegen die Umsatzsteuer entsteht, wird in § 13 UStG geregelt. Danach entsteht die Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen bei der Berechnung der Steuer nach vereinbarten Entgelten mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums, in dem die Leistungen ausgeführt worden sind (vgl. § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Satz 1 UStG). Berechnet der Unternehmer die Umsatzsteuer hingegen nach vereinnahmten Entgelten, so entsteht die Steuer unabhängig vom Leistungszeitpunkt mit der Vereinnahmung des Entgelts für die jeweilige Leistung (vgl. § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b UStG).
Die Vorschrift über die Ist-Versteuerung i.S.d. § 20 UStG hat gemäß dem nationalen Recht keine Auswirkungen auf den Zeitpunkt des Vorsteuerabzugs durch den Leistungsempfänger.

Sachverhalt:
In dem zugrunde liegenden Sachverhalt ging es um eine GbR die ein Grundstück steuerpflichtig vermietete, welches sie ihrerseits steuerpflichtig anmietete. Die beiden Vermieter hatten für ihre Vermietungsleistung zulässigerweise zur Umsatzsteuerpflicht optiert. Sowohl bei der GbR als auch bei ihrer Vermieterin handelte es sich um Ist-Versteuerer. Aufgrund einer (teilweisen) Stundung wurden Mietzahlungen der GbR für die Jahre 2009 bis 2012 erst in den Jahren 2013 bis 2016 entrichtet. Fraglich war nun, ob für den Vorsteuerabzug der GbR der Zeitpunkt der Ausführung der Umsätze oder der Zeitpunkt der Zahlung maßgeblich ist. Das Finanzamt wandte die aktuelle Rechtslage in Deutschland an und vertrat die Auffassung, dass das Recht auf Vorsteuerabzug mit Ausführung der Vermietungsleistung entstanden sei und daher jeweils für den entsprechenden Zeitraum hätte geltend gemacht werden müssen.

Der EuGH hat die Zweifel des FG Hamburg bestätigt und der nationalen Regelung eine Absage erteilt. Hierzu verweist der EuGH insbesondere auf Art. 167 MwStSyStRL, der besagt, dass das Recht des Leistungsempfängers auf Vorsteuerabzug entsteht, wenn der Anspruch gegen den Leistungserbringer auf die entsprechende abziehbare Steuer entsteht. Im Falle einer Leistung durch einen Ist-Versteuer ist dies im Zeitpunkt der Zahlung. Der EuGH betont, dass der Unionsgesetzgeber den Zeitpunkt der Entstehung des Vorsteuerabzugsrechts gerade an die – durch die Ist-Versteuerung veränderliche – Entstehung des Steueranspruchs geknüpft hat, nicht hingegen an die Leistungsausführung. Die vom Finanzgericht angeführte Überlegung, dass Art. 167 MwStSystRL nicht als strikte Vorgabe, sondern lediglich als „Leitidee“ zu verstehen sei, von der abgewichen werden könne, verneint der EuGH.

Bis eine Änderung durch den deutschen Gesetzgeber oder die Finanzverwaltung erfolgt ist, können betroffene Unternehmer die aktuelle Regelung weiterhin anwenden.

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