WhatsApp-Nachrichten aus der Antike lesen

Die Papyrus-Sammlung der Universität wird digitalisiert. Davon profitieren Forschung und Lehre gleichermaßen.

Man muss sehr genau hinschauen, um auf dem Jahrhunderte alten Papyrus zwischen der Überschrift und der ersten Textzeile die verblassten Tintenkleckse zu erkennen. Handelt es sich um Buchstaben einer nicht mehr lesbaren Unterzeile, die wichtige Informationen für das Verständnis des weiteren Textes enthalten könnte? Oder ist die Tinte versehentlich auf den Papyrus-Streifen (Abbildung rechts) getropft? Die Antwort kennt auch Patrick Reinard nicht. Noch nicht. Vielleicht kann der Juniorprofessor für Papyrologie dieses Rätsel aber bald lösen – dank technischer Unterstützung. Seit Oktober ist eine Hyperspektralkamera damit beschäftigt, die Papyrus-Sammlung der Universität vollständig zu scannen. Gewöhnlich tut sie in der Umweltfernerkundung der Universität ihren Dienst.

Die Digitalisierung der Papyri mit dieser leistungsfähigen Spezialkamera verspricht positive Entwicklungen in verschiedener Hinsicht. Sobald alle Objekte der Sammlung, die insbesondere aus sehr kleinen Fragmenten besteht, in digitaler Form vorliegen, werden sie der Wissenschaft in einer Datenbank zugänglich gemacht. Der weltweite Zugang zu den Papyri könnte die Forschung vitalisieren, insbesondere wenn weitere Sammlungen dem Trierer Beispiel folgen und immer mehr Objekte und Texte online zugänglich sind. Mit jeder Digitalisierung können aufwendige Forschungsaufenthalte in Sammlungen reduziert und das Interesse an Forschungsprojekten, Promotionen und Abschlussarbeiten gefördert werden. Daher will Patrick Reinard seine Erfahrungen aus dem Projekt­
„PapyHyp“ mit anderen Einrichtungen teilen.

Mit dieser Hyperspektralkamera, die gewöhnlich in der Umweltfernerkundung zu verschiedenen Zwecken eingesetzt wird, entstehen die hochaufgelösten Aufnahmen der Papyrus-Fragmente.
Mit dieser Hyperspektralkamera, die gewöhnlich in der Umweltfernerkundung zu verschiedenen Zwecken eingesetzt wird, entstehen die hochaufgelösten Aufnahmen der Papyrus-Fragmente.
Die Hyperspektralaufnahme eines Papyrus-Streifens.
Die Hyperspektralaufnahme eines Papyrus-Streifens.

Ein weiterer Mehrwert erwächst aus dem entstehenden digitalen Archiv der Trierer Sammlung. Anders als die Originale sind die digitalen Duplikate vor äußeren Einflüssen und Schäden geschützt und in einer Datenbank über Suchfunktionen komfortabel auffindbar.

Insbesondere erhofft sich Patrick Reinard von dem Einsatz der Hyperspektralkamera aber auch neue wissenschaftliche Erkenntnisse und Entdeckungen. Im Idealfall machen die hochauflösenden multispektralen Aufnahmen verblasste Buchstaben wieder sichtbar, eröffnen tiefe Einblicke in die Struktur und Beschaffenheit des Materials und lassen Charakteristika einer Handschrift deutlicher zutage treten. Aus diesen Indizien kann die Wissenschaft Informationen über Inhalt,
Herkunft und Verwendungszwecke der Papyri gewinnen, die bislang verborgen geblieben sind. Auch die Möglichkeit, die Zusammengehörigkeit fragmentarischer Stücke aus verschiedenen Sammlungen zu erkennen und somit die Textinformationen wieder zu vervollständigen, wird durch die Hyperspektralscans eröffnet.

Über die Papyrologie hinaus sind die überlieferten Texte für die Altertumswissenschaften von großer Bedeutung, weil sie authentische Einblicke in den Alltag und damit in die Wirtschafts-, Kultur-, Religions- und Sozialgeschichte der Antike gewähren. „Papyrus-Fragmente sind teilweise so etwas wie WhatsApp-Nachrichten der Antike. Sie sind oft kurz und in einfacher Sprache gehalten und werden in allen Bereichen des Alltags verwendet“, erklärt Patrick ­Reinard.

Das Übersetzen und Editieren der Texte gleicht einer wissenschaftlichen Detektivarbeit mit Suchtpotenzial. „Die Erfolgserlebnisse wachsen, wenn es gelingt, zunächst einzelne Buchstaben und dann eine ganze Textzeile zu erkennen und zu übersetzen. Das ist ein mühsamer Vorgang, aber es macht Spaß und man kann nicht mehr davon loslassen“, beschreibt Reinard die „euphorisierende“ Seite der Papyrologie.

Detektivischer Spürsinn ist auch bei der Suche nach ehemals zusammengehörigen Fragmenten gefragt. In unterschiedlichsten Sammlungen Puzzle-Teile eines Textes zu finden, gelingt nicht alle Tage. Auch hier könnte die herausragende Qualität der Hyperspektralscans zu Erkenntnisfortschritten verhelfen.

Neben der Wissenserweiterung und einer optimierten Forschungsinfrastruktur geht es in dem Digitalisierungsprojekt „PapyHyp“ auch darum, das didaktische Spielfeld zu vergrößern und Studierenden bessere Übungsmöglichkeiten zu bieten. Anders als die in Schränken lagernden Originale sind die digitalisierten Papyri für die Studierenden universell zugänglich. „Für Studieninteressierte und Studierende werden damit Hürden auf dem Weg in das Fach Papyrologie abgebaut. In einem digitalen Umfeld können sie künftig mit modernen Instrumenten und Technologien Objekte und Texte bearbeiten“, sagt Patrick Reinard, der bereits Ideen für neue didaktische Formate und für Übungen an digitalisierten Papyrus-Fragmenten entworfen hat. Dazu gehört beispielsweise die Aufgabe, in digitalen Vorlagen Buchstaben oder Wörter zu rekonstruieren, die zuvor entfernt wurden.

Während Studienanfänger bislang eine längere Vorbereitungsphase durchlaufen mussten, bis sie an Original-Papyri herandurften, können sie künftig schon im Anfangsstadium ihres Studiums an Abbildungen arbeiten. Ohnehin ist es Patrick Reinard ein wichtiges Anliegen, die Studierenden frühzeitig zu selbstständigem wissenschaftlichem Arbeiten zu animieren und an das Publizieren heranzuführen. So werden Studierende Texte verfassen für eine Ausstellung zur Trierer Papyrus-Sammlung, die im Januar 2023 in Bitburg eröffnet wird.

Seine Begeisterung für die Arbeit mit Papyri und ihren Inhalten gibt der Papyrologe auch an Schüler weiter. Die Texte sind wegen ihrer Kürze und wegen ihrer einfachen Alltagssprache für den Altgriechisch- oder Latein-Unterricht sehr gut geeignet. Auch bei den Kooperationen mit Gymnasien zeigt sich der Vorteil einer digitalen Datenbank. Sie bietet ungleich mehr und einfachere Möglichkeiten, die Geheimnisse von Papyrus-Fragmenten zu entschlüsseln.   

Zur Website der Papyrologie
 

Das Projekt

In dem Projekt „PapyHyp: Erschließung der Trierer Papyri mit Hyperspektralkameras“ arbeitet Junior-Professor Patrick Reinard mit Dr. Henning Buddenbaum aus dem Bereich Umweltfernerkundung und Geoinformatik zusammen. Dort stehen zwei unterschiedliche Hyperspektralkameras zur Verfügung, die im Labor, im Gelände und aus einem Flugzeug heraus eingesetzt werden können.

Die Sammlung der Universität besteht aus rund 1.000 Objekten, die es zu digitalisieren gilt. Für einen Scan benötigt die Kamera durchschnittlich etwa eine Minute, bei kniffligen Objekten wie einer gewölbten Scherbe mit Text oder einem beschriebenen Ziegenschädel dauert der Vorgang deutlich länger. Die anspruchsvollste Herausforderung stellt das größte Objekt der Sammlung dar, eine etwa 1,80 Meter lange Papyrus-Rolle.

Das Projekt „PapyHyp“ wird von der Nikolaus Koch Stiftung gefördert. Für 2024 ist eine Ausstellung zu dem Projekt geplant. Bereits zu Beginn des Jahres 2023 soll eine weitere Ausstellung in Bitburg stattfinden, in der spätantike Papyri sowie Münzen der Lehrmünzsammlung von Prof. Dr. Frank Daubner (Alte Geschichte) präsentiert werden.

Papyrus

An Untersuchungsmaterial wird es der Papyrologie so schnell nicht mangeln. Papyrus war in der Antike Massenware. In Ägypten werden heute noch Fragmente auf öffentlichen Märkten gehandelt. Weiterhin dürften unzählige Papyri im trockenen Wüstensand liegen, in dem der aus der Papyruspflanze gewonnene Schreibstoff besonders gut überdauert. Größere Textkorpora auf Papyrus sind allerdings selten erhalten geblieben. In der Regel kamen sie als Fragmente über den Kunstmarkt nach Europa in universitäre und private Sammlungen. Das hat zum einen mit der Brüchigkeit des Materials zu tun, zum anderen auch mit der Zweitverwertung beschrifteter Papyri, etwa als „Mumien-Kartonagen“ oder als Verpackungsmaterial.

Kontakt

JProf. Dr. Patrick Reinard
Papyrologie
E-Mail: reinard@uni-trier.de
Tel. +49 651 201-2503

Künftig wird Juniorprofessor Patrick Reinard nicht nur mit der Lupe durch Plexiglas geschützte Original-Papyri untersuchen, sondern auch am Bildschirm in hochaufgelösten digitalen Aufnahmen der Papyrus-Fragmente nach kleinsten Details suchen können.