"Ich bin es gewohnt, mit lauter Männern zu arbeiten"

Ein MINT-Förderprogramm für Mädchen hat Jacqueline Staub für das Programmieren begeistert. Zum Glück, denn die erste Begegnung mit dem Fach Informatik verlief für die Juniorprofessorin für die Didaktik der Informatik nicht so gut.

Ihre erste Stunde Informatik-Unterricht hatte Jacqueline Staub als Schülerin in den frühen 2000ern in der Schweiz. Sie war in der siebten Klasse und erlebte einen Informatikunterricht, der fast gänzlich darauf ausgerichtet war, den Umgang mit Computern zu erlernen. Speziell ausgebildete Informatiklehrkräfte für die Sekundarstufe 1 gab es damals praktisch noch keine. Ein Sportlehrer hatte verschiedene Hardware mitgebracht und gezeigt: „Das ist eine Tastatur, auf Englisch keyboard. Das ist eine Maus, auf Englisch mouse.“ Am Ende mussten die Schülerinnen und Schüler in einem kleinen Test Fragen zu dem Gelernten beantworten. „Ich bin durchgefallen“, erinnert sich Staub. „Daheim habe ich dann erzählt, dass mir Informatik nicht gefällt.“

Heute stehen bei ihr im Büro zwei große Koffer mit Laptops, die sie für Schulprojekte benötigt. Auf dem Tisch liegen von ihr mitentwickelte Lehrbücher für den Informatik-Unterricht. Mit dem Bienen-Roboter auf ihrem Schreibtisch können bereits Grundschulkinder programmieren lernen. Begrüßt wird man als Besucher mit einem freundlichen „Hallo“, bei dem gleich ihr Schweizerdeutsch auffällt. „Wenn ich den Mund aufmache, merkt man sofort, dass ich nicht von hier bin. Aber ich fühle mich sehr wohl in Trier“, sagt die Junior-Professorin, deren Augen stetig durch ihre randlose Brille lächeln.

Dass sie heute die Juniorprofessur für Didaktik der Informatik an der Universität Trier innehat, liegt unter anderem an einem Schnupperstudium, das Schülerinnen an der Eidgenössischen Technische Hochschule (ETH) Zürich MINT-Fächer näher bringen sollte. Bei den speziell für die Schülerinnen angebotenen Vorlesungen hat sie Programmieren gelernt. Gleichzeitig fachte ein guter Mathematik-Lehrer an ihrer Schule die Begeisterung für Informatik bei ihr an.

Vom Arbeiterkind zur Professorin

Dabei war ihre akademische Laufbahn alles andere als vorbestimmt. Ihre Eltern hatten nicht studiert. Ihre Mutter war auf einem entlegenen Bauernhof in den Bergen aufgewachsen und hatte als Kind keine weiterführende Schule besucht. Als Jacqueline Staub ein Teenager war, holte ihre Mutter ihren Hochschulabschluss nach. „Ich habe gesehen, mit wie viel Lust sie lernt. Das hat mich inspiriert und bestärkt. Sie ist definitiv ein Vorbild“, erzählt Staub. Ihr zweites Vorbild und Förderer ist ihr Doktorvater Juraj Hromkovič. Eigentlich lehrt und forscht er zu theoretischer Informatik. Doch er hat sich gleichzeitig der Aufgabe verschrieben, die Informatik in die Schulen zu bringen. Schon als Studentin begleitete ihn Jacqueline Staub bei seinen Fahrten zu Schulen in den Alpen. „Wir verstehen Informatik als Ingenieurswissenschaft. Das heißt, dass Schülerinnen und Schüler selbst Programme bauen und dabei früh Erfolgserlebnisse haben sollen.“

Wenn sie von ihrem Fach spricht, merkt man Staub die Freude an. Man kann sich vorstellen, dass sie auch die Kinder und Jugendlichen in ihren Schulprojekten mit dieser Begeisterung anzustecken weiß. Sie hat viele hundert Unterrichtsstunden in Schulen gehalten. Ein ganzes Schuljahr eine Klasse unterrichtet, hat sie bisher noch nicht. „Manchmal finde ich das etwas schade, da man die Entwicklung der Kinder nicht mitbekommt. Oft sagen mir Lehrkräfte nach meinen Projektstunden, dass sich gerade Kinder rege beteiligt haben, die sonst eher still sind. Aber das Schöne an den Projekten ist, dass ich viele ganz verschiedene Klassen erleben kann.“

„Wenn ich etwas falsch programmiert habe, habe ich den ganzen Code gelöscht.“

Ein besonderes Anliegen ist ihr, bereits Kindergarten- und Grundschulkinder an Informatik heranzuführen. Doch sollte man schon so früh mit Informatik anfangen? „Letztlich stellt auch niemand infrage, dass man ab der ersten Klasse Mathematik machen sollte. Ich denke, es reicht nicht aus, dass man ein oder zwei Jahre Informatikunterricht hat. Um ein Verständnis von informatischen Konzepten zu bekommen, müssen sie – genauso wie in der Mathematik – über Jahre vertieft werden“, sagt Staub. Dieses Wissen um Informatik wird in den kommenden Jahren immer wichtiger, da ist sich Staub sicher. „Zukünftig wird in fast jedem Beruf Informatik eine Rolle spielen. Wir bilden daher im Informatikunterricht in der Schule nicht primär zukünftige Informatikerinnen und Informatiker aus, sondern vermitteln Grundkonzepte, die allgemein bildend und somit in allen Branchen relevant sind.“

Ihre Doktorarbeit hat Jacqueline Staub über den Umgang mit Fehlern bei Programmiernovizen geschrieben. „Ich habe einen persönlichen Bezug zu Fehlern“, erzählt sie. Schon als Schülerin und Studentin hat sie in ihrer Freizeit Apps fürs Handy programmiert. Es waren hauptsächlich kleine Dinge wie ein Tic Tac Toe Spiel. „Wenn ich etwas falsch gemacht habe, habe ich den ganzen Code gelöscht und wieder von vorne angefangen“, sagt sie heute kopfschüttelnd. Auch ihre Bachelorarbeit hat im weiteren Sinne etwas mit Fehlern zu tun. Im Rahmen der Abschlussarbeit schrieb Staub eine App, die beim Üben mit Musikinstrumenten hilft. Die App gibt Rückmeldung darüber, ob ein Musikstück richtig gespielt wurde und wo noch Fehler gemacht wurden. „Aus Fehlern kann man lernen. Der schlechte Umgang mit Fehlern in unserer Gesellschaft ist eine Kulturkrankheit.“ Gerade Programmieren sei fehleranfällig, erklärt sie. Wenn ein Komma vergessen wird, kann es sein, dass das ganze Programm nicht mehr funktioniert. Neben diesen Tippfehlern, also Fehlern in der Syntax, gibt es noch logische Fehler. „Das ist der Bereich, in dem der Informatikunterricht ansetzen und erklären muss, was an der Programmierung falsch ist.“

In ihrer Masterarbeit und als Doktorandin hat sie die Programmierumgebung XLogoOnline mitentwickelt, mit der Kinder und Jugendliche vom Kindergarten bis zum Abitur altersgerecht an das Programmieren herangeführt werden. „Sie ist so gestaltet, dass Kinder zunächst nur wenig Fehler machen können, sich später allerdings mithilfe technischer Hilfsmittel bewusst mit ihren Denkfehlern auseinanderzusetzen lernen. Natürlich ist es keine Programmiersprache der Industrie, aber es hilft beim Verständnis, wie Programmieren funktioniert.“

Wissenschaft statt Industrie

Ihre Eltern hatten Jacqueline Staub nach ihrem Studium überredet, mal in die Industrie hineinzuschnuppern. „Nach dem Praktikum war mir klar, dass das absolut nicht meine Welt ist. Ich wollte etwas mit Bedeutung machen.“ Deshalb sei sie  Wissenschaftlerin geworden. „Die Informatikwissenschaft ist im Gegensatz zu manchen anderen Disziplinen stark praxisorientiert. Wir forschen zu etwas und optimieren etwas, was viele tausend Nutzerinnen und Nutzer verwenden. Das macht für mich den Reiz aus.“

Dass sie in einem Bereich ist, in dem es hauptsächlich Männer gibt, macht ihr nichts aus. „Ich bin es gewohnt, mit lauter Männern zu arbeiten. Und ich arbeite gerne mit ihnen. Aber nichtsdestotrotz würde ich mir mehr Frauen in der Informatik wünschen.“ Sie ist sich sicher, dass mit mehr Frauen in ihrer Disziplin auch bestimmte Themen stärker Berücksichtigung fänden. „Es ist wie mit den Crash-Test-Dummies. Da gibt es keine weiblichen. Das wurde von den Männern in dem Bereich einfach nicht mitgedacht.“ Im Moment könne ihrer Meinung nach daher noch nicht auf Projekte verzichtet werden, die das Interesse von Mädchen an Informatik fördern. „Und es braucht Leute, die den Mädchen sagen, dass sie es können.“

 

Vita

In Bern (Schweiz) geboren, ist Jacqueline Staub sowohl mit Deutsch als auch mit Französisch aufgewachsen. Sie studierte Informatik und absolvierte das Lehramt für Informatik an der ETH Zürich. Ab 2016 entwickelte Jacqueline Staub im Rahmen ihres Doktorats eine Programmierumgebung, die der Erforschung von Fehlern bei Programmiernovizen dient. Zusammen mit ihrem Doktorvater Juraj Hromkovič wirkte sie bei mehreren Schulprojekten mit.

Ihre Doktorarbeit mit dem Titel „Programming in K–6: Understanding Errors and Supporting Autonomous Learning“ schloss sie 2021 mitten in der Corona-Pandemie ab. Vor ihrem Ruf an die Universität Trier war sie als Postdoc am Ausbildungs- und Beratungszentrum der ETH Zürich tätig und wirkte als Dozentin an der Pädagogischen Hochschule Graubünden mit in der Entwicklung des neuen Informatiklehrgangs.

Seit Januar 2022 hat sie die Juniorprofessur für die Didaktik der Informatik an der Universität Trier inne. Sie ist in diverse Projekte an Schulen in der Region Trier involviert und bietet auch Weiterbildungen für Lehrkräfte an. Außerdem wirkt sie als Gremiumsmitglied im Graduiertenzentrum der Universität Trier mit.