Praktikumsbericht Murcia (Spanien)

Universität Murcia, September - Dezember 2008

Praktikumsbericht von Lena Otter "Mi experiencia murciana"

Dezember 2008. Ich sitze bei einem café con leche in der Sonne auf der Plaza de las Flores, die orange leuchtenden Mandarinen in den Bäumen über mir sind dieses Jahr meine Christbaumkugeln. Mein Koffer steht bereits gepackt zu Hause – schwer vorzustellen, dass es schon morgen nicht mehr mein zu Hause sein wird, dass es vor vier Monaten noch nicht mein zu Hause war und dass ich schon morgen um dieselbe Zeit wieder in der kalten deutschen Realität angekommen bin...

Als ich vor meiner Abreise in Deutschland meinen Freunden und Bekannten von meinen Auslands-Plänen erzählt habe, guckten fast alle fragend. Wohin? Murcia?? Wo ist das denn??? Als ich mir zur Beantwortung dieser oft gestellten Frage und zur Vorbereitung und Einstimmung auf meinen neuen Studienort einen Reiseführer kaufen wollte, musste mich die Buchhändlerin leider enttäuschen: außer einem Stadtplan konnte sie mir nur ein Buch mit dem Titel „Desertifikation der Region Murcia/Spanien“ anbieten, aber weder einen Stadt- noch Regionführer. Jetzt habe ich erfahren, dass auch viele Spanier nicht genau wissen, wo sich Murcia eigentlich befindet und es für eine Provinz Andalusiens halten. Obwohl die Stadt klein ist, hat sie viel zu bieten und das 50 Km entfernte Meer ist auch mit dem Zug relativ schnell und problemlos zu erreichen.

Die Stadt Murcia ist die Hauptstadt der gleichnamigen sie umgebenden Region – auch wenn die Einwohner der Hafenstadt Cartagena das ganz anders sehen, in nachbarschaftlicher Rivalität einen Gegenpol bilden (wollen) und am liebsten ihre eigene comunidad autónoma wären. Die Region ist eine der trockensten und heißesten Regionen Europas, in der Wüstenlandschaft ist so mancher amerikanische Western gedreht worden und im Sommer ist die Wasserversorgung oft ein Problem und war auch im Winter allgegenwärtig: „Agua para todos!“ wird auf einem Plakat, das vom Balkon des Rathauses am Rande des Río Segura hängt, gefordert. Trotz aller Wasserknappheit ist Murcia vorwiegend landwirtschaftlich geprägt, in der Huerta – dem Gemüsegarten – werden Obst und Gemüse angepflanzt, wovon man sich beim Besuch der städtischen Markthallen selbst überzeugen kann (und sollte, es gibt sehr günstig sehr frisches Gemüse).

Die Stadt hat über 420.000 Einwohner, ist aber im Stadtkern sehr überschaubar (wenn es nicht auf Grund des Verkehrsaufkommens und des Fahrstils vieler Autofahrer lebensgefährlich wäre, wäre es die ideale Größe alles mit dem Fahrrad zu erkunden). Man findet sich aber auch zu Fuß zwischen der Avenida de la Fama und dem Barrio del Carmen schnell zurecht. Nach einem Spaziergang von der Plaza Julián Romea mit ihrem Theater, an die sich die Plaza Santo Domingo mit ihrem überdimensionalen Gummibaum anschließt, durch die Fußgängerzone der Calle Trapería bis zur Catedral, hat man schon die wichtigsten Sehenswürdigkeiten besichtigt. Das bietet sich besonders samstags an, da man dann auch Führungen auf den Turm der Kathedrale machen und so ganz Murcia von oben überblicken kann.

Die Wohnungssuche gestaltet sich in Murcia nicht sehr schwierig, es gibt sowohl eine Internet-Seite der Universität, die viele Angebote bietet (http://www.um.es/vimur), in der Oficina der Relaciones Internacionales (die sehr viel für die Erasmus-Studenten organisieren und im Zweifelsfall immer irgendwie weiterhelfen können) bekommt man auf Wunsch eine Liste mit allen Wohnungsangeboten und an Telefonzellen, in den Kopierläden und natürlich in der Universität sehr viele Wohnangebote und Mitbewohner-Gesuche.

Kommen wir also zur Universität. Zu der Universität? Zu den Universitäten! Da existiert zunächst die UCAM, die Universidad Católica de Murcia, eine private katholischen Universität, welche etwas außerhalb der Stadt im Klostergebäude Los Jerónimos des 18. Jahrhunderts untergebracht ist und bei den übrigen Studierenden der Stadt keinen besonders guten Ruf genießt. Dabei kann auch Neid eine Rolle spielen, muss sich doch die Uni um ihre finanziellen Mittel keine Sorgen machen. Die Kirche auf dem Universitätsgelände ist mit Sicherheit die prachtvollste und pompöseste, die ich während meines Spanienaufenthaltes gesehen habe; in der murcianischen Kathedrale ruht zwar das Herz Alfonsos des Weisen, dafür wird dem Kirchgänger in der UCAM etwas für die Augen geboten: Wem während des Gottesdienstes von seinem Platz aus die Aussicht auf den Pfarrer durch eine der Säulen versperrt ist, der hat dank der angebrachten Plasma-Flachbildschirme den vollen Durchblick – hier sitzen Sie in der ersten Reihe, auch auf den hinteren Plätzen. Diese geradezu göttlichen Geldmittel gelten offensichtlich auch für die Studierenden, was sich an der Zahl der Luxusschlitten auf dem Uniparkplatz widerspiegelt.

Die öffentliche Universität ist in zwei verschiedene Komplexe aufgeteilt: Espinardo und LaMerced. Der erstere ist ein größerer Campus, er befindet sich ebenfalls außerhalb der Stadt – zu erreichten in einer halben Stunde mit dem Bus 39 –, hier sind beispielsweise die Fakultäten Medizin, Psychologie und Naturwissenschaften untergebracht.

Ich hatte das Glück, dass ich vorwiegend an der Merced beschäftigt war, dem ältesten und zentralsten Universitätsgebäude, wo sich das Gebäude der Juristen und die Facultad de Letras befinden – also die Geschichts- und Kunstgeschichtswissenschaftler und die Sprachen. Das Gebäude ist aus dem Jahr 1915 und zählt somit zu den 10 ältesten Universitätsgebäuden des Landes. Besonders beeindruckend fand ich – gerade durch den starken Kontrast zur Uni Trier, die im 70er Jahre Stil ganz bewusst als „Denkfabrik“ konstruiert ist – den idyllischen Innenhof mit Palmen- und Kakteengarten.

Dieser schöne Universitätskomplex befindet sich etwa fünf Gehminuten vom Zentrum entfernt und im Barrio La Merced finden sich die meisten Ausgehmöglichkeiten, Kneipen und Bars. Hier nach einer Wohnung zu suchen würde ich nicht unbedingt empfehlen, auf den Straßen und Plätzen in diesem Viertel herrscht in den Nächten eine Lautstärke, die das Schlafen selbst bei geschlossenen Fenstern (durch die meist vollkommen fehlende Isolierung und den unglaublichen Lärm) geradezu unmöglich macht. Einige freuen sich zunächst über die Lage – mittendrin statt nur dabei – zogen dann aber doch bald wieder weg, um La Merced lieber selbst nur in der Nacht zu bevölkern und dann in (etwas) ruhigere Viertel zurückzukehren.

Ich war zu einem dreimonatigen Praktikum im Bereich Deutsch als Fremdsprache in Murcia, nach einem Besuch beim Fachbereichsleiter Carlos Hernández Lara stellte sich heraus, dass es zusätzlich zu den Deutschkursen an der Merced noch Kurse am Servicio de Idiomas gibt, einer Art Volkshochschule, die in einem Außengebäude der Universität eingerichtet ist, wo auch teilweise Uni-Dozenten unterrichten. Jedoch setzen sich die Kurse hier bunter zusammen: Es mischten sich Studenten, Hausfrauen, Rentner und andere Interessierte (und man muss anmerken, dass es davon auf Grund der extrinsischen Motivation eines 200 € teuren Beitrages mehr gab als an der staatlichen Universität).

Ich konnte mir meinen Stundenplan aus Kursen der Merced und des Servicios selbst zusammenstellen und alle Dozenten haben mir direkt angeboten, mich in den Unterricht mitzunehmen. Grundsätzlich wird an der Merced zwischen zwei unterschiedlichen Studiengängen unterschieden: Asignaturas de Filología und Asignaturas de Traducción e Interpretación, wobei das Niveau der Übersetzungs-Kurse deutlich höher einzustufen ist (was wohl auch daran liegt, dass zum Belegen dieser Kurse eine durch NC geregelte Zulassungsbeschränkung besteht, während die Philologie-Kurse nicht zulassungsbeschränkt sind). In der Merced wird im DaF-Unterricht mit dem Lehrbuch „Passwort Deutsch“ gearbeitet, im Servicio de Idiomas mit „Tangram“. Ich habe in verschiedenen Kursen hospitiert und Unterrichtsstunden gegeben, was mir, gerade durch den Vergleich der verschiedenen Kurse und Sprachniveaus, sehr viel Spaß gemacht hat.

An meiner deutschen Heimatuniversität habe ich Spanisch, Deutsch und Deutsch als Fremdsprache studiert und so war für mich bei meinem Auslandsaufenthalt aus jedem Fachbereich und Fachteil etwas dabei. Das murciano, oder auch panocho, der Dialekt der Region, unterscheidet sich zum Teil erheblich vom castellano, konsequent werden Endkonsonanten verschluckt und s-Laute gar nicht artikuliert, am Anfang etwas irritierend, aber ¡acho, má o meno hört man sich da schon rein! Als wir uns im Intermedio Kurs mit deutschen Dialekten beschäftigt haben, merkte übrigens eine spanische Studentin nach einer Hörverstehensübung an, dass das Sächsische ja das murciano von Deutschland sei... nur so viel dazu und kein weiterer Kommentar.

Durch meinen Auslandsaufenthalt habe ich aber nicht nur neue Facetten des Spanischen kennengelernt, sondern vor allem eine ganz anderen Perspektive auf die eigene Sprache bekommen: durch den praktischen Umgang mit Deutsch als Fremdsprache, den Kontakt mit den Studierenden und deren Fragen ist mir richtig bewusst geworden, dass Deutsch eine so schöne und metaphorische Sprache ist! Es bietet sich so ein ganz neuer Blick, den zu riskieren ich jedem DaF-Studierenden nur sehr ans Herz legen kann

Die Mentalität der Murcianer ist sehr locker und südländisch geprägt – auf den Elektriker, der jeden Tag aufs Neue versicherte er käme mañana, haben wir beispielsweise 3 Wochen gewartet, aber wenn man sich an dieses déjalo fluir und si eso gewöhnt hat, lebt man so sehr gut. Generalisierend lässt sich sagen, dass für viele Einheimische neben Fußball (Real Murcia!) die Feste (und das Feiern) einen hohen Stellenwert haben. Viele Spanier haben mir gesagt, dass die Religion oft nichts anderes als der Anlass sei, fiestas feiern zu können: Bando de la Huerta, Entierro de la Sardina, Semana Santa, Moros y Cristianos... Aber auch sonst ist in der „Kleinstadt“ Murcia das ganze Jahr über viel los, zu nennen wären etwa die Feria de Artesanía, die Díalogos literarios, die Semana de la Ciencia y la Tecnología unddas Festival Alter Arte.

Ich habe meinen Aufenthalt in Murcia keinen Tag bereut, habe dieses Jahr den Winter ausfallen lassen und bestelle mir jetzt ganz entspannt noch einen Abschieds café con leche.

Ich sage nicht adiós, ich sage ¡hasta prontico!