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Holen nur die Hohlen holen?

Sicherlich ist Ihnen allen das Phänomen bekannt, dass im Großraum Trier und darüber hinaus (im Rheinfränkischen, Moselfränkischen und in Teilen der Eifel, sowie im gesamten Luxemburgischen) das Verb „holen“ seinem Vetter „nehmen“ des Öfteren vorgezogen wird. Dies führt gelegentlich zu kleineren und größeren Verständnisproblemen. Folgendes Szenario ereignete sich in einem deutschlandweit bekannten Lebensmitteldiscounter: Auf die Frage, warum sie nur Lightprodukte in ihrem Einkaufswagen habe, entgegnete eine junge Frau: „Ich will abholen.“ Was zu großem Gelächter einiger Umstehender führte.

Auf Derartiges wurde bereits in einem Spiegel-Online-Artikel des bekannten Sprachkritikers Bastian Sick (u.a. „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod“) hingewiesen. Dort wird anhand eines spektakulären Beispiels eines Gespräches zwischen Krankenpfleger und seinem Patienten gezeigt, wie die „falsche“ Verwendung von „holen“ zu größeren Verständnisproblemen führt.

Aber ist diese Problematik tatsächlich so gravierend, wie in dem Artikel dargestellt wird? Um diese Frage zu klären, wurde eine Umfrage konzipiert, in der der Sprachgebrauch der Probanden innerhalb des betroffenen Gebiets von „holen“ und „nehmen“ untersucht wurde. Diese Umfrage wurde im Rahmen des Projekts „Meine Sprache und ich“ von der Universität Trier in Zusammenarbeit mit dem Friedrich-Wilhelm-Gymnasium Trier und dem Gymnasium Hermeskeil durchgeführt. Die vollständige Auswertung des schriftlichen Fragebogens finden Sie hier. Einige Ergebnisse werden im Folgenden vorgestellt.

Abb. 1

Auswertung der Befragung

Das Diagramm (Abb. 1) zeigt die prozentuale Häufgkeit der Nutzung des Wortes „holen“  statt „nehmen“ bei verschiedenen Fragen (wobei im Falle des „Luftholens“ holen korrekt ist) in Abhängigkeit von den Orte. Die Werte ergaben sich aus einer Befragung, die wir 2012 an verschiedenen Schulen in Rheinland-Pfalz und im Saarland durchführten.

In unserem Fragebogen suchten wir Synonyme für: Geld abheben, Medikamente schlucken, Durchatmen, Gewicht verlieren

Auffällig sind die ähnlichen Kurvenverläufe der Rückläufe aus Mayen, Münstermaifeld, Prüm und Daun.  Diese Orte befinden sich alle in der Eifel in Anordnung einer Raute. Diese „Eifeler Raute“ verdeutlicht die regionalen Sprachgewohnheit

Generell wird dort das Wort „holen“ sehr häufig benutzt.

Abb. 2

Das Diagramm (Abb. 2) stellt erneut die prozentuale Häufigkeit des Wortes „holen“ am Beispiel der Fragen zu Medikament, Gewicht und Bus in den Orten Altenkirchen, Prüm und St. Wendel dar.

Hierbei ist festzustellen, dass es ein starkes Nord-Süd-Gefälle gibt. Im nördlichen Rheinland-Pfalz (Altenkirchen) liegt der Anteil der Verwendung von „holen“ fast bei 0, während der Gebrauch nach Süden hin zunimmt.

Prüm ist ähnlich weit von St. Wendel und Altenkirchen entfernt, jedoch ist es sprachlich wesentlich näher an St. Wendel. Folglich liegt es bereits im „holen“-Gebiet.

Problematisierung Fragebogen

Allgemeine Problematik

Bei der Erstellung und der Auswertung des Fragebogens zur Umgangssprache Jugendlicher, insbesondere zur Holen/Nehmen-Problematik haben sich im Nachhinein einige der folgenden Probleme gezeigt, beispielsweise:

Insgesamt erschienen viele der Fragen, sowohl vom sprachlichen als auch vom inhaltlichen Niveau her, als für die meisten Befragten zu anspruchsvoll.

Vielleicht resultierte daher auch, dass einige der Teilnehmer nicht mit der nötigen Ernsthaftigkeit an die Projektumfrage herangingen und diese nicht angemessen beantwortet haben.

Insgesamt waren einige beantwortete Fragebögen nicht zielführend auswertbar

Alles in allem kann man sagen, dass manche Fragen dem Alter der Befragten nicht entsprechend gestellt wurden und diese die Fragen folglich inhaltlich nicht ordentlich beantworten konnten.

Zeigen lassen sich die oben genannten Probleme an folgenden Beispielen:

Frage 6e: Suche einen anderen Ausdruck für „sich von jemandem verabschieden“
Die gegeben Antworten weichen häufig von der erwarteten Antwort „Abschied nehmen“ ab. Ein Grund dafür ist, dass sich beide Ausdrücke (sich verabschieden/Abschied nehmen) sehr ähnlich sind und die Probanden deswegen auf Alternativen auswichen, die sehr unterschiedlich sind, da jeder eine individuelle Gruß- und Abschiedsformel hat.
Zudem befasst sich der Fragebogen mit Umgangssprache. „Abschied nehmen“ ist eher ein standarddeutscher Ausdruck und wurde deswegen vermieden und durch gängigere Grüße ersetzt. Hinzu kommt, dass „Abschied nehmen“ häufig mit einem Abschied über einen längeren Zeitraum verbunden ist.

Frage 6e: Suche einen anderen Ausdruck für „sich von jemandem verabschieden“

Die gegeben Antworten weichen häufig von der erwarteten Antwort „Abschied nehmen“ ab. Ein Grund dafür ist, dass sich beide Ausdrücke (sich verabschieden/Abschied nehmen) sehr ähnlich sind und die Probanden deswegen auf Alternativen auswichen, die sehr unterschiedlich sind, da jeder eine individuelle Gruß- und Abschiedsformel hat.
Zudem befasst sich der Fragebogen mit Umgangssprache. „Abschied nehmen“ ist eher ein standarddeutscher Ausdruck und wurde deswegen vermieden und durch gängigere Grüße ersetzt. Hinzu kommt, dass „Abschied nehmen“ häufig mit einem Abschied über einen längeren Zeitraum verbunden ist.

Frage 27: Was macht Person A mit Person B auf den Bildern? Auf den beiden Bildern sollte dargestellt werden, wie eine Person eine zweite auf dem Fahrrad mitnimmt. Problematisch war hier ähnlich wie bei Frage 2 die fehlende Eindeutigkeit der Bildaussage.

Vergleich von mündlichen und schriftlichen Fragebögen

Nachdem wir unsere mündlichen Fragebögen über die holen- und nehmen-Verwendung in der Umgangssprache durchgeführt und ausgewertet haben, sind uns einige Ungereimtheiten ins Auge gefallen. Die Auswertung der mündlichen Fragebögen finden Sie hier.
Auffälligkeiten bei den schriftlichen Fragebögen waren vor allem, dass das grammatikalisch Richtige nehmen, statt des umgangssprachlichen holen benutzt wurde, obwohl in unserem Dialekt hauptsächlich das holen dem nehmen vorgezogen wird.

Die Frage nach der Unterscheidung zwischen Coffee-to-go und normalem Kaffee ist ein Vorzeigebeispiel dafür. Lediglich 1,01% der Befragten haben an dieser Stelle mit holen geantwortet und 74,8% mit nehmen. Grund dafür ist unter anderem, dass die Schüler den Fragebogen auf Hochsprache gelesen haben und sich deswegen bemüht haben auch in Hochdeutsch zu antworten. Deshalb haben wir uns dazu entschieden, den Fragebogen mündlich durchzuführen, um dieser Tatsache entgegenzuwirken. Bei der Durchführung haben wir vor allem darauf geachtet, dass wir mit den Befragten in Umgangssprache kommunizieren. Dieses Mal haben wir jedoch weniger Leute befragt, dafür Leute in allen Altersklassen, die seit mehreren Jahren in unserer Region leben. Aber auch hier kristallisierten sich schnell Probleme heraus. Viele der Befragten fanden das Thema der Befragung heraus, wodurch die Antworten teilweise beeinflusst wurden. Durch Ablenkungsfragen hätte man dem entgegenwirken können, die wir im schriftlichen Fragebogen eingebaut hatten, im mündlichen jedoch nicht.

Bei unserer Exkursion zum Institut für Rheinische Sprachforschung der Universität Bonn haben wir einige andere Methoden kennengelernt, wie man eine solche Umfrage durchführen könnte. Die Damen und Herren dort haben nämlich einige eingehende Anrufe, beispielsweise bei der Polizei, aufgezeichnet und im Nachhinein die betreffenden Personen nach ihrem Einverständnis zur Verarbeitung der Daten für Forschungszwecke befragt. Eine weitere Methode ist zum Beispiel auch, bereits aufgezeichnete Gespräche wie etwa Serviceanfragen bei Telefonanbietern, z.B. Telekom oder sonstige, auszuwerten. Allerdings ist diese Methode im Verhältnis zur schriftlichen Umfrage für das gewünschte Ergebnis eine ziemlich zeitaufwändige, da man bei der schriftlichen Umfrage viel simpler und effizienter Antworten erhält und sie auch dementsprechend besser auswerten kann.

Resultate:
Im Gegensatz zu den schriftlichen Fragebögen sind bei der Auswertung der mündlichen Fragebögen bereits vorher erwartete Ergebnisse herausgekommen. Jedoch konnten an einigen Stellen unerwartete Ergebnisse herausgestellt werden.
Den Kaffee zum Mitnehmen haben 62,5% gewählt, den Kaffee zum Mitholen haben 17,31% gewählt. Das Ergebnis war eine Überraschung, da wir dort mehrheitlich holen erwartet hatten. Selbst ein Plakat an der Universität Trier, auf dem "Kaffee zum Mitholen" stand, hat unsere Annahme gestützt.
Bei der "Geldfrage" haben 59,8% mit der grammatikalisch richtigen Variante abholen geantwortet. Auffällig ist allerdings, dass 27,45% mit Geld abnehmen geantwortet haben. Dies stellt folglich eine Hyperkorrektur dar, die sich daraus erklären lässt, dass sie das standardsprachliche Nehmen statt des meist umgangssprachlichen Holens verwendet haben.
Überrascht hat uns auch das Ergebnis der "Gewichtfrage", da dort 73,58% mit nehmen antworteten und nur 20,75% mit holen, obwohl das umgangssprachliche Holen in unserem Alltagsgebrauch eher Verwendung findet. An dieser Stelle war unsere Fragestellung eventuell unbedacht gewählt. Bei der Auswertung haben wir anhand unserer Erfahrung festgestellt, dass man umgangssprachlich vermutlich eher „ich hole ab“ sagen würde. Üblicherweise wird holen also inflektiert verwendet ("ich hab‘ drei Kilo abgeholt") und nicht in Verbindungen mit Gewicht, in der der Infinitiv angeschlossen wird.


Fazit:
Schlussfolgernd haben uns die Ergebnisse enttäuscht, da wir nicht das nachweisen konnten, was wir uns erwünscht hatten. Oft haben die Befragten mit nehmen geantwortet, obwohl wir das umgangssprachliche Holen erwartet hatten.
Aus eigener Erfahrung lässt sich vermuten, dass häufiger holen im Alltagsgebrauch verwendet wird als nehmen. Dieser Annahme zur Folge würden unsere Umfragewerte nicht der Wirklichkeit entsprechen.
Die mündliche Durchführung der Umfrage hat wohl eine Verschiebung von nehmen zu holen deutlich machen können, allerdings nicht in dem Maße wie wir es zuvor erwarteten.