Medienkritik – zwischen ideologischer Instrumentalisierung und kritischer Aufklärung

Call For Papers

Tagung der DGPuK-Fachgruppe Mediensprache – Mediendiskurse / Universität Trier, 15.-17.2.2018

Mit den Lügenpresse-Vorwürfen von Pegida, der Kritik an der Berichterstattung zu kontroversen Themen wie der Ukrainekrise im Jahre 2014 und den regelmäßigen Fake-News-Vorwürfen von Donald Trump ist Medienkritik wieder stärker in den Fokus der Gesellschaft gerückt. Wie in anderen Kommunikationsbereichen haben die Potentiale der Digitalisierung auch im Falle der Medienkritik zu einer erheblichen Ausdifferenzierung geführt, die mit weitreichenden Konsequenzen verbunden ist. Medienkritik wird nicht mehr nur in den Rubriken und Sendeformaten klassischer Massenmedien oder Leser- und Zuschauerzuschriften geübt, sondern in Watchblogs, in Online-Kommentaren, auf Facebook- Profilen, Online-Foren, in rechtspopulistischen Internet-Fernsehkanälen, in alternativen Online- Medien, in Hashtag-organisierten Ad-hoc-Twitter-Communities, in Youtube-Videos oder -Kanälen, in Online-Faktenchecks und mehr und mehr auch in den diversen Satiresendungen des Fernsehens. Lange Zeit ein Betätigungsfeld für Journalisten und Intellektuelle ist Medienkritik – wie es in einer Hamburger Vorlesungsreihe heißt – zum „Breitensport“ geworden, an dem sich alle mit Internetzugang auf einer Vielzahl von Kanälen beteiligen können. Gegenstand dieses „mundane media criticism“ (Carlson 2016) sind nicht mehr nur einzelne Medienbeiträge, sondern das etablierte klassische Mediensystem und der einer „Elite“ zugerechnete Journalismus. Kritische Medienanalyse, bislang meistens mit politisch linken und emanzipatorischen Zielsetzungen verbunden, deckt inzwischen das ganze politische Spektrum von rechtspopulistischen bis linksalternativen Positionen ab.

Generell gilt für die Medienkritik, was auch für andere Kommunikationsbereiche wie die politische Kommunikation oder die Wissenschaftskommunikation festgestellt wurde: Die Entgrenzungsdimensionen der Online-Kommunikation – wie die partizipatorische, die semiotische, die textstrukturelle, die zeitliche, die räumliche Entgrenzung – spiegeln sich auch in den neuen Formen der Medienkritik. Die Folgen dieser Entgrenzung sind dieselben wie für andere Kommunikationsbereiche: Entprofessionalisierung, Umgehung etablierter Qualitätskontrollen, Vervielfältigung der Akteure und der Perspektiven, Dynamisierung bis zum Shitstorm, Multimodalisierung über die reine Textkritik hinaus (mash-ups), Vervielfältigung der Formate vom Tweet bis zu Satiresendung sowie eine Globalisierung der Kritik, die nicht mehr an Landes-, Kultur- oder Sprachgrenzen Halt macht. Wie im Fall der anderen Kommunikationsbereiche fällt die Einordnung dieser Entgrenzungen auch für die Medienkritik zwiespältig aus: den positiven Aspekten wie Demokratisierung, Erweiterung der Partizipationsmöglichkeiten des Publikums, interaktives Feedback für die Medienanbieter oder Erprobungsraum für Medienkompetenz stehen negative Folgen wie die Entprofessionalisierung, Emotionalisierung, ideologische Instrumentalisierung und letztendlich eine Verunsicherung des Publikums gegenüber.

Für den Journalismus kann Medienkritik die Funktion übernehmen, die der Journalismus für die demokratische Gesellschaft hat: sie ist eine Instanz zur Selbstbeobachtung und zur Selbststeuerung (Lazarsfeld 1948). Funktional betrachtet ist Medienkritik die diskursive und kompetitive Aushandlung der Angemessenheit medialer Realitätskonstruktionen (Carlson 2009) und damit gewissermaßen die natürliche Anschlusskommunikation an mediale Berichterstattung (Carlson 2016:). Medienkritik wird damit selbst zu einem Bestandteil medialer Realitätskonstruktion, zu einem Element des Ökosystems der Berichterstattung, das Einfluss hat auf dessen grundlegende Qualitäten wie Glaubwürdigkeit, DGPuK Fachgruppe Mediensprache/Mediendiskurse Zweifelsfreiheit, Informativität, Verifizierbarkeit oder Relevanz einerseits und auf die Rezeptionserwartungen und Bedeutungszuweisungen des Medienpublikums andererseits. So betrachtet ist Medienkritik in doppelter Hinsicht diskursiv: zum einen sind ihre Gegenstände Diskurse als komplexe medienspezifische Symbolverwendungen, und zum andern ist ihre Ausführung selbst ein spezifisches Diskursformat (Bucher/Straßner 1991; Fairclough 2010).

Für jedes medienkritische Diskursformat sind zwei Bestandteile konstitutiv: die kritische Analyse und die begründete Beurteilung (Jensen 1960). Eine theoretische Fundierung der Medienkritik erfordert demzufolge sowohl eine Gegenstandstheorie der Medienkommunikation als auch eine Theorie zu Begründung von Qualitätsstandards, kommunikativer und ethischer Grundsätze, die ihrerseits aus einer Medien- oder Kommunikationstheorie abgeleitet sein können (Sutter 2010). Je nachdem wie diese theoretischen Anforderungen bearbeitet wurden, haben sich unterschiedliche theoretische Ansätze der Medienkritik etabliert, mit unterschiedlicher Reichweite, Zielsetzungen, Methoden und Kritikgegenständen (vgl. Ampuja 2004): Ansätze, die in der Kritischen Theorie wurzeln, gesellschaftskritische Ansätze mit marxistischem Hintergrund, kulturkritische Ansätze aus den Cultural Studies, die Critical Linguistics als ideologiekritischer Ansatz, diskurstheoretische Ansätze Foucaultscher Prägung, feministische Theorien zur Geschlechterdarstellung in Medien, multimodale und bildtheoretische Ansätze, die Framing und Priming von Visualisierungen analysieren.

Aufgrund der vielfältigen empirisch-analytischen, strukturellen, kommunikationshistorischen, normativen und theoretischen Facetten des Phänomens „Medienkritik“ sind für die Tagung insbesondere Beiträge zu folgenden Themenbereichen erwünscht:

– Medienkritische Fallstudien zu bestimmten Themenbereichen (z. B. Migration, Klimapolitik), Ereignissen (z. B. Dieselskandal; Terrorberichterstattung, politische Skandale) und Medienformaten (Watchblogs, Twitter, Facebook, Youtube, Online-Fernsehkanäle, Satiresendungen, Online- Kommentarrubriken etc.);

– Strukturell ausgerichtete Analysen zur Medienkritik als Diskursformat in unterschiedlichen Mediengattungen, Rubriken und Programmformen (Darstellungsformen, Funktionen, Stilmittel, Emotionalisierungen, Argumentationsmuster, Anschlusskommunikationen);

– Diskursive, strukturelle und normative Besonderheiten der nicht-professionellen Alltagsmedienkritik; – Beiträge zur Fundierung der normativen Grundlage der Medienkritik (Qualitätsstandards, ethische Grundlagen, Funktionsnormen, journalistische Grundsätze);

– Beiträge zur Bild- und Visualisierungskritik sowie zu Formen der bildbasierten Medienkritik;

– Beiträge zu Theorien, die als Fundierung der Medienkritik herangezogen werden können, sowie Beiträge, die bisherige Ansätze auf ihre Tauglichkeit für die aktuellen Tendenzen der Medienkritik überprüfen;

– Beiträge zur historischen Entwicklung und Veränderung der Medienkritik bzw. zur Veränderung etablierter Formate und den Bedingungen der Digitalisierung.

Literatur:

  • Ampuja, Marko 2004: Critical Media Research, Globalisation Theory and Commercialisation. In: Javnost - The Public 11(3): 59-76.
  • Bucher, Hans-Jürgen/Straßner, Erich (Hg.): 1991: Mediensprache - Medienkommunikation - Medienkritik. Tübingen.
  • Carlson, Matt 2009: Media Criticism as Competitive Discourse. Defining Reportage of the Abu Ghraib Scandal. In: Journal of Communication Inquiry 33(3): 258–277.
  • Carlson, Matt 2016: Embedded Links, Embedded Meanings. In: Journalism Studies 17(7): 915-924.
  • Fairclough, Norman (2010): Critical discourse analysis : the critical study of language 2nd ed. Harlow.
  • Jensen, Jay W. 1960: A Method and a Perspective for Criticism of the Mass Media. In: Journalism Quarterly 37(2): 261-266.
  • Lazarsfeld, Paul F. 1948: The Role of Criticism in the Management of Mass Media. In: Journalism Bulletin 25(2): 115-126.
  • Sutter, Tilmann 2010: Medienanalyse und Medienkritik. Forschungsfelder einer konstruktivistischen Soziologie der Medien. Wiesbaden.

Nachwuchs-Workshop: Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler, die sich mit dem Bereich Mediensprache/Mediendiskurse auch über das Tagungsthema hinaus beschäftigen, werden gebeten, sich mit den Veranstaltern in Verbindung zu setzen. Ggfs. wird dann ein geeignetes Format zum Austausch zur Verfügung gestellt. Bei Bedarf berät der Nachwuchssprecher Philipp Niemann (philipp.niemann@kit.edu).

Hinweise zur Einreichung

Willkommen sind Vorschläge für verschiedene Formate:

– Tagungsvortrag (20 Minuten)

– Panel (90 – 120 Minuten mit 2-4 Vorträgen / Impulsreferaten zum gleichen Oberthema, das aus unterschiedlichen Perspektiven diskutiert wird)

– Workshop (Dialog zu Work in Progress mit etwa 10 Minuten Input und 20-30 Minuten Diskussion)

Wir bitten Sie, Ihren Vorschlag per Mail in Form eines Extended Abstract (4000-6000 Zeichen) plus ggf. Anhang (Abbildungen, Tabellen) bis zum 22. Oktober 2017 einzureichen.

Bitte senden Sie Ihren Beitrag in elektronischer Form (*.doc, *.docx, *.rtf, kein PDF!) an den Fachgruppensprecher Thomas Schröder (thomas.schroeder@uibk.ac.at) sowie die Ausrichter (Hans-Jürgen Bucher, bucher@uni-trier.de, und Christof Barth, christof.barth@uni-trier.de).

Der eingereichte Beitrag darf in dieser Form nicht bereits in einer Verlagspublikation veröffentlicht oder auf einer wissenschaftlichen deutschsprachigen Tagung präsentiert worden sein. Allerdings sind durchaus Beiträge möglich, die einen methodischen Aspekt aus einer bereits publizierten oder präsentierten Studie herausgreifen, wenn dieser Aspekt nicht Hauptgegenstand der Publikation oder Präsentation war. Soll eine empirische Studie vorgestellt werden, so muss aus dem Abstract klar hervorgehen, ob es sich a) um eigene Daten handelt und b) in welchem Stadium sich die Studie gegenwärtig befindet (Planung, in der Durchführung, in der Auswertung, abgeschlossen). Die Vorschläge werden in einem anonymisierten Review-Verfahren begutachtet. Deshalb bitten wir, die Abstracts mit einem abnehmbaren Deckblatt, auf welchem der Beitragstitel sowie Name und Adresse der Einreichenden verzeichnet sind, zu versehen. Die Abstracts sollen neben einer Inhaltsangabe des Vortrags den Bezug zum Tagungsthema sowie die Relevanz und Originalität der Fragestellung verdeutlichen. An diesen Aspekten werden sich auch die Reviewer_innen orientieren.

Die Tagungsleitung behält sich zudem vor, auch die Gesamtkonzeption der Tagung bei der Auswahl der Beiträge zu berücksichtigen, unter Umständen ein ‚Offenes Panel‘ einzurichten sowie einzelne Kolleginnen und Kollegen mit der Bitte um Beiträge anzusprechen. Die Tagung wird am Donnerstagabend, den 15. Februar 2018 mit einem Get together beginnen und am Samstagmittag gegen 14 Uhr enden. Angaben zum Veranstaltungsort, Unterkünften etc. werden rechtzeitig in der Einladung und auf der Website zur Tagung bekannt gegeben.