Problem: Verfassungskonformität des § 217 StGB in der Fassung durch das Gesetz zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung vom 3. Dezember 2015 (BGBl I S. 2177)

Der am 10. Dezember 2015 in Kraft getretene § 217 Abs. 1 StGB stellt die geschäftsmäßige Gewährung, Verschaffung oder Vermittlung einer Gelegenheit zur Selbsttötung eines anderen, in der Absicht diese zu fördern, unter Strafe. Es droht eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder eine Geldstrafe. Abs. 2 normiert einen persönlichen Strafausschließungsgrund für Teilnehmer, die selbst nicht geschäftsmäßig handeln und in einer besonderen Verbindung (Angehöriger- oder eine nahestehende Person) zu dem Täter (= die geschäftsmäßig handelnde Person) stehen.[1]

Bereits die Systematik der Norm wird kritisiert. Die Strafbarkeit einer geschäftsmäßigen Suizidbeihilfe lasse sich nur spärlich bis gar nicht in die Systematik des deutschen Strafrechts einordnen, da das Beteiligungsrecht des StGB für eine strafbare Teilnahme eine rechtswidrige Haupttat voraussetze.[2]  Eine solche sei jedoch nicht gegeben, wenn der Suizident beim Suizid Inhaber der Tatherrschaft war.[3]  Daher widerspreche der § 217 StGB mangels rechtswidriger Haupttat bereits dem Gedanken der Akzessorietät der Teilnahme.[4]

Auch der Tatbestand des § 217 StGB wird unterschiedlich bewertet. Es handelt sich bei § 217 StGB dogmatisch um ein abstraktes Gefährdungsdelikt,[5] das eine strafwürdige Tathandlung im Vorfeld eines potenziellen Suizids postuliert.[6]  Die objektive Tathandlung ist erfüllt, wenn ein nicht gänzlich ungeeigneter Förderungsbeitrag, wie das Überlassen des Tatmittels, geleistet wird.[7] Allerdings können auch entferntere Förderungshandlungen wie insbesondere eine Information bzgl. des Tatmittels vom Tatbestand des § 217 StGB erfasst werden.[8]  Dieser weite Tatbestand, der ohne klare Grenzen fast jede Förderungstat erfasst, verleihe dem § 217 StGB nach Ansicht der Kritiker den Charakter einer illegitimen Verdachtsnorm.[9]

Ferner kann das Tatbestandsmerkmal „geschäftsmäßig“ nicht eindeutig konkretisiert werden. Es ist unklar, wann ein Arzt durch Verabreichung tödlich wirkender Substanzen in strafrechtlich relevanter Weise „geschäftsmäßig“ tätig wird. Per Definition wäre dies bereits bei wiederholter Verschaffung solcher Substanzen erfüllt.[11] Erwerbs- oder Gewinnerzielungsabsichten sind nicht erforderlich.

Ausgehend von einer unter anderem auf diese Probleme gestützten Diskussion um die tatbestandliche Reichweite[12]  des § 217 StGB steht nunmehr die Verfassungskonformität in Frage. Schon die Kriminalisierung der Suizidassistenz an sich stößt seit Inkrafttreten auf vehemente Kritik und ist schon vorher Gegenstand medial begleiteter und kontroverser Bundestags-Debatten gewesen.[13]

Die Entscheidung zum Suizid wird ganz herrschend dem Schutzbereich des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts gem. Art. 2 I iVm Art. 1 I GG zugeordnet.[14]  Hieraus könne zwar kein Anspruch gegen den Staat auf den Freitod abgeleitet werden, wohl aber die staatliche Gewährleistung des Zugangs zu Betäubungsmitteln, die dem Patienten eine würdige, schmerzlose und sichere Tötung ermöglichen.[15]  Auch das BVerwG ist dieser Ansicht, eine ärztliche oder palliative Unterstützung sei demnach unerlässlich.[16]

Aktuell sind dreizehn Verfassungsbeschwerden beim BVerfG anhängig, die sich gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 217 StGB wenden. Das BVerfG plant, noch in diesem Jahr über die Beschwerden zu entscheiden,[17]  sodass abzuwarten bleibt, ob § 217 StGB gegebenenfalls einer Änderung bedarf, als verfassungskonform qualifiziert wird oder zumindest verfassungskonform (einschränkend) ausgelegt werden kann.[18]

In einem ersten Beschluss des BVerfG, der schon Anfang 2016 in einem Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ergangen ist, ließ das Gericht verlauten, dass es den Erwägungen des Gesetzgebers, die dem § 217 StGB zugrunde liegen, vom Grundsatz her folge. Es könne „ansonsten der ‚fatale Anschein einer Normalität‘ und schlimmstenfalls sogar der sozialen Gebotenheit der Selbsttötung entstehen und dadurch auch Menschen zur Selbsttötung verleitet werden […], die dies ohne ein Angebot eines assistierten Suizids aus eigenem Antrieb nicht täten“.[19]

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[1] BeckOK StGB/Oğlakcıoğlu, 34. Ed. 1.5.2017, StGB § 217, Rn. 3.

[2]Hoven, Für eine freie Entscheidung über den eigenen Tod, ZIS 2016, 1, 7

[3] Hoven, Für eine freie Entscheidung über den eigenen Tod, ZIS 2016, 1, 7

[4]Hoven, Für eine freie Entscheidung über den eigenen Tod, ZIS 2016, 1, 7.

[5] Duttge, Strafrechtlich reguliertes Sterben – Der neue Straftatbestand einer geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung, NJW 2016, 120.

[6] Duttge, Strafrechtlich reguliertes Sterben – Der neue Straftatbestand einer geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung, NJW 2016, 120.

[7] Duttge, Strafrechtlich reguliertes Sterben – Der neue Straftatbestand einer geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung, NJW 2016, 120, 121.

[8] Duttge, Strafrechtlich reguliertes Sterben – Der neue Straftatbestand einer geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung, NJW 2016, 120, 122.

[9] So z.B. Duttge, Strafrechtlich reguliertes Sterben – Der neue Straftatbestand einer geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung, NJW 2016, 120, 123.

[10] Lindner, Freitod – Bevormundung durch den Staat, ZRP 2017, 94, 95.

[11 ]Hilgendorf, Eine Norm für die Wissenschaft, abrufbar unter: www.lto.de/recht/hintergruende/h/gesetzgebung-sterbehilfe-tatbestandsmerkmale-analyse/.

[12] Dazu ausführlich: Weigend/ Hoven, § 217 StGB – Bemerkungen zur Auslegung eines zweifelhaften Tatbestandes, ZIS 2016, 681 ff.

[13] Debatte ausgeführt im Wortprotokoll 18/66 der öffentlichen Anhörung im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz des Deutschen Bundestags vom 23.9.2015, abrufbar unter: www.bundestag.de/blob/391500/9a92e94841cb721270941ea3fbbee564/wortprotokoll-data.pdf (21.06.2017).

[14] BVerwG, Urteil vom 02.03.2017 - 3 C 19.15 [ECLI:DE:BVerwG:2017:020317U3C19.15.0], Rn. 24.

[15] Lindner, Freitod – Bevormundung durch den Staat, ZRP 2017, 94.

[16] BVerwG, Urteil vom 02.03.2017 - 3 C 19.15 [ECLI:DE:BVerwG:2017:020317U3C19.15.0], Rn. 32.

[17] Eine Jahresvorschau für 2017 ist abrufbar unter: www.bundesverfassungsgericht.de/DE/Verfahren/Jahresvorausschau/vs_2017/vorausschau_2017.html (zuletzt besucht: 14.06.2017)

[18] So auch: Weigend/ Hoven, § 217 StGB – Bemerkungen zur Auslegung eines zweifelhaften Tatbestandes, ZIS 2016, 681, 691.

[19] Hierzu die Pressemitteilung Nr. 1/2016 vom 8. Januar 2016 zum Beschluss vom 21. Dezember 2015, 2 BvR 2347/15.