Paritätsgesetze unter der verfassungsgerichtlichen Lupe

Paritätsgesetze stellen ein in Politik und Rechtswissenschaft höchst umstrittenes Instrument zur Förderung der Gleichberechtigung von Männern und Frauen dar. Die Länder Brandenburg und Thüringen beschlossen vor einiger Zeit als Vorreiter in Deutschland entsprechende Gesetze, um das in den dortigen Landesparlamenten herrschende Ungleichgewicht zwischen männlichen und weiblichen Abgeordneten zu beheben. Die Paritätsgesetze knüpfen an die Landeslisten an, die mit der Zweitstimme gewählt werden, und verpflichten die Parteien, diese Landeslisten paritätisch mit Männern und Frauen zu besetzen. Unser Autor Yasin Yilmaz beschäftigt sich nach einer kurzen Einführung vor allem mit den Urteilen der Verfassungsgerichte Thüringens und Brandenburgs zur Verfassungsmäßigkeit der in diesen Bundesländern beschlossenen Paritätsgesetze.

Die Zahlen in Deutschland und ein Blick nach Frankreich

Laut Angaben des Statistischen Bundesamtes leben in Deutschland derzeit 42 Mio. Frauen und 41 Mio. Männer. Diese Verteilung der Geschlechter in der Bevölkerung spiegelt sich jedoch nicht in den deutschen Parlamenten wieder. So liegt der Frauenanteil unter den Abgeordneten in den deutschen Landesparlamenten gegenwärtig bei durchschnittlich 30,4 %. Im aktuellen Deutschen Bundestag stellen Frauen 30,7 % der gewählten Abgeordneten dar.

Die sog. Paritätsgesetze sollen als politisches Instrument diesem Ungleichgewicht abhelfen. So wird gefordert, dass der Gesetzgeber in einem Paritätsgesetz die Verpflichtung der Parteien normieren soll, ihre Kandidatenlisten für Wahlen paritätisch, also gleichmäßig oder zumindest möglichst gleichmäßig mit Frauen und Männern zu besetzen.

Im Nachbarland Frankreich hat der Gesetzgeber durch eine Verfassungsänderung im Jahr 1999 ein Paritätsgesetz geschaffen. Hiermit ermöglichte die Verfassung, dass der einfache Gesetzgeber den Parteien eine Quote bei der Aufstellung der Kandidatenlisten auferlegen konnte. Seit der Einführung des Paritätsgesetzes in Frankreich im Jahr 2000 ist der Anteil der Frauen in der Nationalversammlung von 10,9 % (1997) auf 38,8 % im Jahre 2017 gestiegen. Im Deutschen Bundestag hingegen liegt der Anteil der Frauen, ganz ohne Paritätsgesetz, seit dem 14. Bundestag (1998) auf konstant mindestens 30 %.

Paritätsgesetze in Deutschland

Anders als in Frankreich existiert in Deutschland eine föderalistische Organisationstruktur, die es den einzelnen Bundesländern erlaubt, vom Bund abweichende Regelungen zu treffen. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt besteht auf Bundesebene keine Paritätsregelung. Mit Blick auf die Länder ist festzustellen, dass Brandenburg und Thüringen als Vorreiter in ihren Parlamenten ein entsprechendes Paritätsgesetz verabschiedeten. Darüber hinaus werden auch in anderen Bundesländern wie Berlin oder Niedersachsen die Einführung paritätischer Regelungen rege diskutiert.

In Thüringen wird der Landtag, bestehend aus grundsätzlich 88 Abgeordneten, im Wege eines personalisierten Verhältniswahlrechts gewählt. Die Hälfte der Abgeordneten gelangen über die Wahlkreise als Direktkandidaten ins Parlament (Erststimme). Die Zusammensetzung der weiteren 44 Sitze bestimmt sich verhältnismäßig über die Zahl der Zweistimmen. Das Thüringer Paritätsgesetz knüpft nun an die Landeslisten an, die mit der Zweitstimme gewählt werden, und verpflichtet die Parteien, diese Landeslisten paritätisch mit Männern und Frauen zu besetzen. Menschen die im Personenstandsregister als ,,divers‘‘ eingetragen sind, können sich auf jeden Platz bewerben.

 

Das Urteil aus Weimar

Das Thüringer Paritätsgesetz wurde nun im Juli 2020 durch die Richter des Verfassungsgerichtshofs in Weimar der verfassungsrechtlichen Überprüfung unterzogen. Das Landesverfassungsgericht entschied (mit einer Stimmenmehrheit von 6 zu 3 Richterstimmen), dass die vom Landtag beschlossene Paritätsregelung gegen die Landesverfassung verstoße.

Der Verfassungsgerichtshof stellte zunächst fest, dass das Paritätsgesetz in mehrere durch die Verfassung geschützte Rechte eingreife. Einerseits könnten sich die Bürger nicht mehr auf jeden einzelnen Platz der Landeslisten, sondern nur auf jeden Zweiten bewerben, was in Widerspruch zu der in Art. 46 I ThürVerf normierten passiven Wahlrechtsgleichheit stehe. Andererseits sei die Organisationsfreiheit der Parteien, die in Art. 21 GG gewährleistet wird, tangiert. So werde den Parteien die Freiheit genommen, selbst zu entscheiden, mit welchem Personal sie zu einer Wahl antreten wollen. Ferner sei die Chancengleichheit der Parteien aus Art. 21 GG betroffen, da die Parteien durch das Paritätsgesetz gezwungen sein könnten, ihre Wahllisten mit weniger kompetenten und aussichtsreichen Kandidaten aufzustellen, um die Vorgaben des Paritätsgesetzes zu erfüllen.

Die maßgebliche Frage, die das Gericht zu beantworten hatte, war nun die, ob all diese Eingriffe in bedeutende Verfassungsgüter gerechtfertigt werden können. Die Landesregierung Thüringens, auf deren Initiative das Paritätsgesetz auf den Weg gebracht wurde, führte diesbezüglich das Gleichstellungsgebot aus Art. 2 ThürVerf an. Nach Art. 2 II 2 ThürVerf ist das Land verpflichtet, die tatsächliche Gleichstellung von Frauen und Männern in allen Bereichen des öffentlichen Lebens zu fördern und zu sichern.

Der Verfassungsgerichtshof führte in seiner Entscheidung zunächst aus, dass die staatliche Verpflichtung zur Förderung und Sicherung der tatsächlichen Gleichstellung von Mann und Frau aus Art. 2 II 2 ThürVerf grundsätzlich auch Eingriffe in die Freiheit der Wahl sowie in die Freiheit der Parteien rechtfertigen könne. Jedoch sei im vorliegenden Fall eine Rechtfertigung des Paritätsgesetzes durch Art. 2 II 2 ThürVerf nicht gegeben.

Zur Begründung wies das Gericht auf die Entstehungsgeschichte der Landesverfassung hin. Aus dem Inhalt der Beratungen, den Anträgen sowie den Abstimmungen gehe letztendlich hervor, dass der Verfassungsgesetzgeber eine Regelung wie die des Paritätsgesetzes nicht von dem Gleichstellungsgebot der Verfassung umfasst sehen wollte. Für eine von Art. 2 II 2 ThürVerf gerechtfertigte Paritätsregelung bedürfe es im Hinblick auf den Gewaltenteilungsgrundsatz, so das Gericht, einer Verfassungsänderung, die dem Art. 2 II 2 ThürVerf eben jene Bedeutung hinzufügt.

Weiterhin führte das Gericht aus, dass das von der Landesregierung ins Feld geführte Argument, das Demokratieprinzip (Art. 45 1 ThürVerf) erfordere die zwingende geschlechterparitätische Zusammensetzung des Parlaments, ebenfalls keine paritätische Regelung zu rechtfertigen vermag. Es bestehe nach deutschem Verfassungsrecht kein Gebot, die Parlamente spiegelbildlich zur Verteilung der Geschlechter in der Bevölkerung zu wählen. Jeder einzelne Abgeordnete sei Vertreter des gesamten Volkes.

 

Das Potsdamer Urteil

Weiterhin musste in diesem Jahr auch das Brandenburgische Verfassungsgericht über die Verfassungsmäßigkeit des dortigen Paritätsgesetzes befinden. In seiner Entscheidung vom Oktober 2020 stellte das Verfassungsgericht in Potsdam einstimmig fest, dass das Brandenburgische Paritätsgesetz ebenfalls verfassungswidrig sei.

In ihrer Argumentation stimmten die Brandenburger Verfassungsrichter mit ihren Kollegen aus Thüringen weitestgehend überein. Auch das Brandenburgische Paritätsgesetz verstoße in verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigender Weise gegen die Freiheit und Chancengleichheit der Parteien.

Insbesondere führte das Verfassungsgericht zum Demokratieprinzip der Landesverfassung aus, dass diesem Verfassungsprinzip der Grundsatz der Gesamtrepräsentation zugrunde liege. Hiernach sei der einzelne Abgeordnete nicht seinem Wahlkreis, seiner Partei oder den Angehörigen seines Geschlechts, sondern vielmehr dem gesamten deutschen Volk gegenüber verantwortlich, sodass eine Regelung, die eine zwingende Geschlechterparität vorschreibe, eine Modifizierung dieses Prinzips bedeute. Eine etwaige Modifizierung stehe jedoch nicht dem einfachen, sondern vielmehr nur dem Verfassungsgesetzgeber zu.

Ein Ausblick

Mit den beiden Entscheidungen der Landesverfassungsgerichte in Brandenburg und Thüringen liegen nunmehr erstmals zwei verfassungsrichterliche Stellungnahmen zur Frage der Zulässigkeit eines Paritätsgesetzes vor. Beide Urteile stellen Grundsatzentscheidungen dar. Dennoch ist nicht zu erwarten, dass die Bestrebungen der Befürworter von paritätischen Regelungen zu einem Stillstand kommen. So wird sicherlich der Ruf nach einer Verfassungsänderung in Form der Modifizierung des Demokratieprinzips laut werden. Hervorzuheben ist auch, dass paritätische Regelungen, die an die Zweitstimme anknüpfen, lediglich die Hälfte der Abgeordneten eines Parlaments betreffen. Deshalb kann auch auf die Möglichkeit einer paritätischen Doppelkandidatur im Rahmen der Direktmandate (Erststimme) hingewiesen werden. Man darf daher auf die kommenden Entwicklungen in diesem politisch und juristisch hart umkämpften Feld gespannt sein.

                                                                                                                                                                        Yasin Yilmaz