Die Klimapolitik unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten als Herausforderung des Rechts

Deutschland hat im Kampf um den Klimaschutz schon einiges erreicht. Dennoch soll Deutschland bis 2045 treibhausgasneutral werden. Wie kann dieses große Vorhaben am besten umgesetzt werden? Inwieweit müssen Exekutive, Judikative und Legislative zur Erreichung dieses Ziels mobilisiert werden? Besteht ein Grundrecht auf Klimaschutz?

Deutschland hat im Kampf um den Klimaschutz schon einiges erreicht. So kamen im Jahr 2020 etwa 45 % des Stroms aus erneuerbaren Energien und die Treibhausgasemissionen haben sich im Vergleich zu 1990 um 40,8 % reduziert. Die Bundesregierung möchte noch weitergehen. Deutschland soll bis 2045 treibhausgasneutral werden. Wie kann dieses große Vorhaben am besten umgesetzt werden? Inwieweit müssen Exekutive, Judikative und Legislative zur Erreichung dieses Ziels mobilisiert werden? Besteht ein Grundrecht auf Klimaschutz?

Zur Beantwortung dieser Fragen lohnt es sich, einen Blick auf die Rechtsprechung unseres Nachbarstaates, den Niederlanden, zu werfen. Dort klagte die Nichtregierungsorganisation „Urgenda“ gegen die niederländische Regierung, die Treibhausgasemissionen bis Ende 2020 im Vergleich zu 1990 um 25% zu senken. In der Sache stützte sich die NGO auf die Verletzung einer zivilrechtlichen Sorgfaltspflicht, die in den Grundrechten der vom Klimawandel betroffenen Niederländer begründet sein soll. In seinem Urteil vom 20.12.2019 (Az. 19/00135, „Urgenda III“) hat der Hohe Rat der Niederlande der Klage der NGO stattgegeben und damit die Entscheidungen der Vorinstanzen bestätigt. Es bedürfe, so der Hohe Rat, staatlicher Maßnahmen, um den bereits sichtbaren Risiken des Klimawandels wirksam zu begegnen. Das Gericht leitete aus Art. 2 und 8 EMRK die Verpflichtung der niederländischen Regierung her, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um mögliche Freiheitsbeschränkungen in der Zukunft soweit wie möglich zu verhindern. Hierbei nimmt der Hohe Rat u.a. Bezug auf das Pariser Klimaabkommen, aus dem sich für die Niederlande eine Verpflichtung zur Reduktion von Treibhausgasemissionen von mindestens 25% bis Ende 2020 ergebe. Nach Ansicht des Hohen Rates hatte die niederländische Regierung im Verfahren keine überzeugenden Gründe dargelegt, warum sie von dem 25%-Ziel abgerückt und nunmehr lediglich eine Reduktion von 20 % anstrebe. Dem Einwand, dass eine solche Entscheidung womöglich dem Grundsatz der Gewaltenteilung widersprechen könnte, begegnet das Gericht mit dem Hinweis, dass die nähere Ausgestaltung der Klimapolitik zwar in erster Linie dem Parlament und der Regierung obliege; dennoch könne die Gerichtsbarkeit aus den Grundrechten einen erforderlichen Mindeststandard für den Klimaschutz herleiten.

In Deutschland haben sich die Fachgerichte in vergleichbaren Fallkonstellationen hingegen deutlich zurückhaltender gezeigt. Mit Urteil vom 31.10.2019 (Az. 10 K 412.18) hat das Verwaltungsgericht Berlin eine Klage u.a. von Greenpeace e.V. und mehreren Landwirten, deren Ertrag bereits mehrfach durch Unwetterereignisse beeinträchtigt worden war, als unzulässig abgewiesen. Die Kläger wollten im Wege einer Leistungsklage erreichen, dass die Bundesregierung zur Einhaltung ihrer selbst gesteckten Klimaschutzziele verurteilt wird. Dabei bezogen sie sich auf einen Kabinettsbeschluss aus dem Jahre 2014, in dem sich die Bundesregierung im Rahmen eines „Aktionsprogramms“ das Ziel gesetzt hatte, die Treibhausgasemissionen in der Bundesrepublik um 40 % gegenüber dem Wert von 1990 zu mindern. Das Gericht kam zu dem Ergebnis, dass bereits keine Klagebefugnis vorgelegen habe. Im Kern führte das VG hierzu aus, dass sich aus dem Recht auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG und Art. 14 GG Schutzpflichten des Staates gegenüber den Klägern ergeben. Dabei komme jedoch dem Gesetzgeber und der vollziehenden Gewalt „bei der Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflichten ein weiter Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsbereich zu“ (Rn. 81); eine Überprüfung könne daher nur auf die Frage gerichtet sein, ob die öffentliche Gewalt „Vorkehrungen zum Schutze des Grundrechts trifft, die nicht gänzlich ungeeignet oder völlig unzulänglich sind“ (Rn. 81). Dies hätten die Kläger nicht schlüssig dargelegt. Wenn statt einer Reduzierung von 40% lediglich eine Reduzierung von 32% erzielt und das Klimaziel erst Jahre später erreicht werde, genüge dies nicht für die Annahme, dass die bisher von der Bundesregierung ergriffenen Maßnahmen völlig unzureichend seien. Das von den Klägern eingeforderte Klimaschutzziel 2020 stelle nicht das verfassungsrechtlich gebotene Mindestmaß an Klimaschutz dar.

Hingegen hat das Bundesverfassungsgericht einer Verfassungsbeschwerde junger Klimaaktivisten gegen das Klimaschutzgesetz (KSB) teilweise stattgegeben. Der Gesetzgeber habe hier keine hinreichenden Maßgaben für eine Reduzierung der Triebhausgasemissionen ab dem Jahre 2031 aufgestellt (Beschluss vom 24.03.2021, 1 BvR 2656/18, 1 BvR 96/20, 1 BvR 78/20, 1 BvR 288/20, 1 BvR 96/20, 1 BvR 78/20). Zwar sei nicht ersichtlich, so das BVerfG, dass der Gesetzgeber seine aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG und Art. 14 Abs. 1 GG folgenden Schutzpflichten verletzt habe, dennoch entfalten die fehlenden Regelungen zur Treibhausgasemission ab dem Jahre 2031 „eingriffsähnliche Vorwirkung“ für die im Grundgesetz verankerten Freiheiten. Ein umfangreicher Verbrauch des noch zur Verfügung stehenden CO2-Budgets bis zum Jahre 2030 erhöhe das Risiko für deutlich drastischere Einsparmaßnahmen nach diesem Zeitpunkt. Dies führe in Zukunft zu besonders schwerwiegenden Freiheitseinbußen für die heute jüngere Generation. Aus dem Gebot der Verhältnismäßigkeit folge, dass die Lasten, die mit einer Reduzierung der CO2-Emissionen verbunden sind, vorausschauend über die Zeit verteilt werden müssen. Daher seien frühzeitig gesetzliche Regelungen zu treffen, so das BVerfG, mit denen auch über das Jahr 2030 hinaus Wege zur Klimaneutralität aufgezeigt werden. Die zulässigen Emissionsmengen für jedes Jahr müssen daher so genau festgelegt werden, dass ein hinreichendes Maß an Entwicklungsdruck und Planungssicherheit für die künftigen Transformationsprozesse in Staat und Wirtschaft besteht.

Der Gesetzgeber hat diese Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts im neuen Klimaschutzgesetz, das den Bundesrat am 25.06.2021 passiert hat, umgesetzt. Durch das geänderte Klimaschutzgesetz werden die Zielvorgaben für weniger CO2-Emissionen etappenweise angehoben. Das bedeutet, Deutschland soll bis zum Ende des Jahrzehnts seinen Treibhausgas-Ausstoß um 65 Prozent gegenüber dem Jahr 1990 verringern. Ebenso werden die Klimaziele fortlaufend durch ein Monitoring überprüft, sodass bei Nichteinhaltung von Budgets die Bundesregierung jederzeit nachsteuern kann. Für das Jahr 2040 gilt ein Minderungsziel von mindestens 88 Prozent, sodass Deutschland dann spätestens im Jahr 2045 treibhausgasneutral sein soll. Der nächste angestrebte Erfolg der Bundesregierung wäre dann bis zum Jahr 2050 negative Emissionen zu erreichen, sodass Deutschland dann mehr Treibhausgase in natürlichen Senken einbildet als ausgestoßen wird.

Es ist dennoch zweifelhaft, ob diese neuen Vorgaben des KSB dazu geeignet sind, die Pariser Klimaziele zu erfüllen. Fachleute aus der Wissenschaft, etwa dem Institut für Klimafolgenforschung in Potsdam, sowie Umweltverbände sind sich darüber einig, dass die Vorgaben im geänderten Klimaschutzgesetz nicht ausreichen, um die Pariser Klimaziele zu erfüllen. Der Sachverständigenrat für Umweltfragen fordert seit Jahren eine neue Berechnung als Grundlage für die Klimapolitik, sodass man einen Überblick darüber bekommt, was Deutschland noch an CO2 verbrauchen kann, um die Pariser Ziele einzuhalten und Veränderungen klein zu halten. Wissenschaftler geben Prognosen ab, dass die Durchschnittstemperatur ohne effektive Maßnahmen zur Reduzierung der klimaschädlichen Emissionen bis 2100 auf der ganzen Welt um ca. drei Grad ansteigen wird. Wird das Paris-Ziel nicht erreicht, steigt der Meeresspiegel, wodurch nicht nur Urlaubsparadiese wie die Malediven, sondern auch die Halligen vor der deutschen Nordseeküste bedroht sind.

Weitere Impulse für den Klimaschutz können sich womöglich auch aus einer Beschwerde junger Klimaklägerinnen und -kläger beim EGMR ergeben: Sie möchten erreichen, dass die EU-Staaten sowie Großbritannien, Norwegen, Russland, die Schweiz, die Türkei und die Ukraine (als EMRK-Vertragsstaaten) ihre Anstrengungen für den Klimaschutz intensivieren und sich das Ziel setzen, ihre Treibhausgasemissionen um mindestens 65 % reduzieren. Nur so sei die Erderwärmung auf einen Wert von 1,5 Grad im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter zu stabilisieren. Die portugiesischen Beschwerdeführer/-innen stützen sich hierbei, vergleichbar mit dem Ansatz des Hohen Rates der Niederlande, auf eine Verletzung der Art. 2 und Art. 8 der EMRK, also auf das Recht auf Leben und auf Achtung des Privat- und Familienlebens. Dabei war eine vorherige Erschöpfung des innerstaatlichen Rechtswegs nicht erforderlich. Nach Ansicht des EGMR sei es für jungen Klägerinnen und Kläger nicht zumutbar, ihr Anliegen in allen 33 EMRK-Vertragsstaaten vorzubringen und jeweils bis zu den höchsten nationalen Gerichten zu verfolgen. Es bleibt abzuwarten, wie der Straßburger Gerichtshof über die Beschwerde entscheiden wird.

Die Auswirkungen des Klimawandels sind allgegenwärtig. Die Monate Juli und August 2021 waren von extremen Wetterlagen geprägt. Dürre und Brände in Südeuropa, Russland und Amerika, schwere Überschwemmungen in Asien. So sind beispielsweise Brände in Griechenland während des heißen Sommers nichts Ungewöhnliches, das Ausmaß jedoch schon. Nach Angaben des Europäischen Waldbrand-Informationssystems EFFIS sind in Griechenland bis zum 5. August fast doppelt so viele Wälder abgebrannt wie im Durchschnitt der Jahre 2008 bis 2020. Der Klimawandel spielt in diesem Zusammenhang auch eine entscheidende Rolle. Nach aktuellen Berichten des Weltklimarats werden Extremwetterereignisse wie Dürre, Brände oder Überschwemmungen in Zukunft immer häufiger vorkommen. Die wärmere Luft im Mittelmeerraum kann dazu führen, dass die Luft insgesamt mehr Wasserdampf aufnimmt, der dann wiederum als Starkregen zu Boden fällt - und beispielsweise zu heftigen Überschwemmungen führen kann, wie sie jüngst in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz aufgetreten ist.

Nimmt man die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse zum menschengemachten Klimawandel ernst, dann wird deutlich, welche enorme Menschheitsaufgabe und welch entscheidender Umbau der Industriegesellschaften verlangt wird. Es ist zweifelhaft, ob die Judikative, die lediglich individuellen Rechtsschutz gewähren, aber nicht die Rolle des Gesetzgebers erfüllen soll, hierzu einen sinnvollen Beitrag leisten kann. Meiner Meinung nach sollte der Übergang zur Klimaneutralität rechtzeitig eingeleitet werden. Es müssen frühzeitig Maßnahmen für die Erreichung der Treibhausgasreduktion getroffen werden und es sollte Aufgabe des Gesetzgebers sein, die erforderlichen Regelungen zur Größe der zugelassenen Emissionsmengen zu bestimmen. Je länger mögliche Maßnahmen auf sich warten lassen, desto drastischer müssen diese ausfallen und desto weniger Spielraum werden die zukünftigen Gesetzgeber haben.

Anne Weber