Veranstaltungsbericht: „Land der Technologie und Innovation? Zur Lage von Forschung und Entwicklung in Deutschland“ (62. Bitburger Gespräche, 10./11. Januar 2019)

Die traditionell von der Gesellschaft für Rechtspolitik (gfr) in Kooperation mit dem Institut für Rechtspolitik (IRP) organisierten „Bitburger Gespräche“ widmeten sich in ihrer diesjährigen 62. Ausgabe der Lage von Forschung und Entwicklung am Forschungsstandort Deutschland.

Im Rahmen seines Grußwortes nannte Professor Dr. Christian Winterhoff (Vorstandsvorsitzender gfr) die Bedeutung der Forschung von heute für die Entwicklung von morgen als Grund für die Entscheidung, die traditionsreiche Veranstaltung – 1972 ins Leben gerufen von Staatsminister Dr. h.c. Otto Theisen – im Jahr 2019 im Zuge einer zweitägigen „rechtspolitischen Bestandsaufnahme“ u.a. Fragen der Förderung, Freiheit und Finanzierbarkeit der Forschung in Deutschland zu widmen.

Forschung als „Schlüssel zur Lösung unserer Existenzprobleme“

Professor Dr. Bernhard Kempen (Universität zu Köln, Präsident des Deutschen Hochschulverbandes) mahnte als wissenschaftlicher Leiter der Tagung in seiner Einführung eindringlich, das Thema „Deutschland als Forschungsstandort“ verdiene allergrößte Aufmerksamkeit. „Gebetsmühlenartig“ könne er nur stets wiederholen: „Deutschland als rohstoffarmes Land muss in Forschung und Entwicklung investieren.“ In den letzten 100 Jahren habe Deutschland seine Stellung als ehemals wichtiger Forschungsstandort unglücklicherweise ein Stück weit eingebüßt, so Kempen. Das stelle jedoch ein großes Problem dar, sei doch die „Forschung der Schlüssel zur Lösung unserer Existenzprobleme“. Die Forschung trage zu einem besseren Verständnis des Lebens bei und garantiere nachweislich Sicherheit und Wohlstand: Mit 25 Mrd. € habe der deutsche Staat im vergangenen Jahr die Forschung unterstützt, 56 Mrd. € habe die Wirtschaft zu diesem Zweck beigesteuert. Das entspreche ca. 2,9% des Bruttoinlandsprodukts (BIP) Deutschlands. Damit befinde sich Deutschland im vorderen Viertel im internationalen Vergleich. Und doch investierten Staaten wie Österreich, die Schweiz, Japan und Südkorea ganze 4,2% ihres BIP in die Forschung.

Doch nicht nur eine stabile finanzielle Lage sei entscheidend für qualitativ hochwertige Forschung. Nur eine freie Forschung könne erfolgreiche und fruchtbare Ergebnisse hervorbringen. Die ideale Ausgangslage dafür biete Art. 5 Abs. 3 des Grundgesetzes (GG), der mit der Forschungsfreiheit eine dem Gemeinwohl „dienende Freiheit“ enthalte.

„Wir brauchen die fremden Leute für unser System.“

Im ersten Vortrag an diesem Tag widmete sich Frau Professor Dr. Margret Wintermantel (Präsidentin des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD), Bonn) unter der Überschrift „Wer kommt, wer geht? – Brain Drain, Brain Gain und Brain Circulation in der Wissenschaft“ einer „besonderen Spezies, dem wandernden Wissenschaftler“, wie Professor Kempen scherzhaft überleitete. Wintermantel wies zunächst auf die Funktion des 1925 von Heidelberger Studenten gegründeten DAAD als einzigartigem „Brain Gainer“ hin. Die akademische Mobilität, so Wintermantel, sei im Zuge der Globalisierung in den letzten Jahren sprunghaft angestiegen. Internationalität von Forschung und Lehre habe seither einen höheren Stellenwert. 2014 verzeichnete der DAAD 200 Mio. Studierende weltweit, davon nutzten 4,3 Mio. die Mobilitätsangebote des DAAD. Die Ausreisemobilität deutscher Studierender betrug 2015 37%, dagegen reisten 63% der Studierenden aus anderen Staaten nach Deutschland ein. In Ländern wie dem Vereinigten Königreich, den Vereinigten Staaten (je 93%), den Niederlanden (85%) oder Frankreich (74%) war die Einreisemobilität noch höher. Obwohl jeder „Brain Gain“ im Aufnahmestaat einen automatischen „Brain Drain“ im Heimatstaat der ausreisenden Studierenden zur Folge habe, fördere dieser gezielte weltweite Fachkräfteaustausch das Phänomen der „Brain Circulation“ und erhöhe so den wissenschaftlichen Output, zeigte sich Wintermantel überzeugt. Zur Mobilitätssteigerung trage nicht zuletzt der immense Wettbewerb zwischen den Nationen im Hinblick auf „Talente, die das Land voranbringen“ bei. Nach Angaben der „Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung“ (Organisation for Economic Co-operation and Development, OECD) sei der „ideale Zuwanderer“ der internationale Student, der mit seinen Sprachkenntnissen, sozialen Kompetenzen und einem international anerkannten Hochschulabschluss als Fachkraft von morgen gehandelt werden könne. Sog. „Bildungsausländer“, also Personen, die ihren Abschluss außerhalb Deutschlands erworben haben, seien essenziell für die Sicherung der Diversität eines hochdifferenzierten Hochschulsystems. Die deutsche Wirtschaft setze bereits heute zur Deckung ihres Fachkräftebedarfs zu 50% auf ausländische Studierende. Nach Angaben des „Bundesamts für Migration und Flüchtlinge“ (BAMF) seien im Jahr 2014 54% der ausländischen Studierenden in Deutschland auch nach Abschluss ihrer universitären Ausbildung im Land geblieben.

Jedoch könnten ungünstige politische Rahmenbedingungen die „Brain Circulation“ hemmen oder sogar verhindern, mahnte Wintermantel mit Blick auf die aktuelle politische Lage in den Vereinigten Staaten. Von solchen Gegebenheiten dürfe sich ein Hochschulsystem jedoch nicht beeinflussen lassen: „Wir brauchen die fremden Leute für unser System“, betonte Wintermantel.

„Das Grundgesetz denkt molekular, nicht anatomistisch.“

Im Rahmen des zweiten Vortrags des Tages ging Frau Professor Dr. Susanne Baer, LL.M. (Richterin des Bundesverfassungsgerichts, Karlsruhe) der Frage „Wer lenkt die Forschung? – Industrielle, hochschulische und außeruniversitäre Forschung zwischen Autonomie und Fremdbestimmung –“ nach. Diese Frage zu beantworten, sei nicht leicht, gab Baer zu. Zu viele Akteure seien daran beteiligt, neben den öffentlichen betrieben auch die privaten Hochschulen, die Industrie, Museen und Archive, Privatpersonen sowie Vereine und Verbände Forschung.

Die „ordentliche grundrechtliche Karlsruher Antwort“ auf diese Frage laute jedenfalls mit Blick auf die Gewährleistungen des Art. 5 Abs. 3 GG (Freiheit der Wissenschaft, Forschung und Lehre) zunächst: „Es regiert die Freiheit.“ Die Forschenden, genauer ihre Neugier und ihre Abenteuerlust „lenkten“ also idealiter ihre Forschung selbst, so Baer. Obwohl die Forschung vielfach durch politische Entscheidungen geprägt sei, lenkten nicht der Staat oder die Wissenschaftsverwaltung die Forschung. Die Politik könne Forschung allenfalls durch finanzielle oder infrastrukturelle Maßnahmen ermöglichen, sie also bestenfalls „steuern“.

Eine Wissenschaftspraxis, die sich nicht gegängelt fühle, die Kooperation statt verdrängenden Wettbewerb favorisiere, wirke förderlich, davon ist Baer überzeugt. Eine Überbetonung des Wettbewerbsdenkens dürfe nicht dazu führen, dass der Forschung die Neugier abhandenkomme und sie zur reinen Produktion verkümmere. Überregulierung und fehlende wissenschaftsadäquate Regelungen hemmten ebenfalls die Innovation, so Baer. Das gelte auch für die allzu starke Vernachlässigung der Lehre gegenüber der Forschung. In der wissenschaftlichen Lehre als „primäre[m] diskursive[m] Modus“ sieht Frau Professor Baer den tieferen Sinn von Wissenschaft. Wichtig sei auch der Austausch über Unorthodoxes, über Fehlversuche. „Das Grundgesetz denkt molekular, nicht anatomistisch.“ Denn über „richtige“ oder „unrichtige“ Wissenschaft lasse sich nur wissenschaftlich streiten. Hinzu komme die nicht zu unterschätzende Bedeutung von Partizipation, Pluralität und Kooperation für ein innovationsförderndes Gesellschaftssystem. Die Wissenschaftsfreiheit kenne weder nationale noch organisatorische Grenzen. Es zähle die Neugier.

Art. 5 Abs. 3 GG, in ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) als „wertentscheidende Grundsatznorm“ anerkannt, gewährleistet die Freiheit von Wissenschaft, Forschung und Lehre. Die Norm enthalte daher bei weitem kein Leistungsrecht, es handele sich um ein Grundrecht auf hinreichende Grundausstattung. Das Verfassungsrecht dient nach Ansicht von Frau Professor Baer als Innovationsrahmen für die Forschung, biete eine Rahmenordnung, die dem staatlichen Umgang mit der Forschung letzte Grenzen setze.

„Gerahmt“ werde die Forschung u.a. durch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. 1 Abs. 1 GG), das Wissenschaftsurheberrecht, abgeleitet aus Art. 14 GG, das Recht auf Leben (Art. 2 Abs. 2 GG), die Religionsfreiheit (Art. 4 GG) sowie den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Das BVerfG habe, so Frau Professor Baer, eine wichtige „Freiheitssicherungsfunktion“, setze der Forschungsfreiheit aber in letzter Instanz durch die Abwägung der im Einzelfall kollidierenden Grundrechte auch Grenzen. Auch dies sei im Ergebnis eine Form der „Lenkung“, wobei – so betonte Baer – auch „Karlsruhe“ nicht in der Position sei, die Forschung zu lenken. Gerade in der Gesellschaft des 21. Jahrhunderts käme man aber nicht umhin, von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern die Auseinandersetzung mit sozialen und ethischen Fragen zu verlangen. Es sei nicht zu verantworten, die reine Innovation von der Verantwortung für die möglichen Folgen zu trennen. Das zeigten eindrücklich die regelrechte Bekämpfung der Genderforschung in einigen Mitgliedstaaten der EU sowie der Umstand, dass Rassismus als „Lehre“ offenbar teilweise wieder en vogue sei.

„Die Hochschule ist nicht die „Werkbank“ der Wirtschaft.“

Professor Dr. Volker Epping (Rektor der Leibniz-Universität Hannover) würdigte Baers „klare Worte an der richtigen Stelle“ und widmete sich in seinem anschließenden Vortrag der „Kooperation von Wirtschaft und Wissenschaft“ und damit den „Aspekten eines nicht spannungsfreien Verhältnisses“.

Die Zusammenarbeit von Forschung und Industrie, insbesondere in anwendungsnahen Bereichen, habe Tradition. Dabei gehe es in erster Linie um die „Produktion von Humankapital“, also der praxisnahen Ausbildung hochqualifizierter Fachkräfte. Im Gegenzug finanziere die Wirtschaft vermehrt und im großen Stil die wissenschaftliche Arbeit von Hochschulen. Dieser Trend sei aber vor allem im Ausland zu beobachten. In Deutschland beschränke sich diese Art der Förderung überwiegend auf den Bereich der Genforschung. Professor Epping sieht die Wissenschaftsfinanzierung durch die Wirtschaft jedoch kritisch: Die Hochschule sei ein Hort der Bildung, die Ausbildung von selbständig denkenden Fachkräften mit der Befähigung, künftige Probleme zu lösen, müsse hier an erster Stelle stehen. Die Betonung des reinen wissenschaftlichen Selbstzwecks von Lehrbetrieben sei deren Qualität dagegen nicht zuträglich. „Die Hochschule ist nicht die „Werkbank“ der Wirtschaft“, so Epping.

Die Kooperation von Wissenschaft und Wirtschaft im Rahmen von individuellen Kontakten, gemeinsamen Forschungsprojekten und institutionellen Kooperationen unterschiedlichster Art (hier betreibe die Wirtschaft „Rosinenpickerei“) habe jedoch auch Vorteile: Die Hochschulen bekämen so etwa die Möglichkeit, die hochwertigen wissenschaftlichen Ressourcen (Labore etc.) auch außeruniversitärer Einrichtungen zu nutzen. Die Wirtschaft fungiere bei der Wahl der Forschungsfelder als Impulsgeber und fördere die Forschung an gesellschaftlich relevanten Themen. Die Hochschulen lieferten ihrerseits den gut ausgebildeten Nachwuchs für die Unternehmen.

Als Beispiel für ein kontrovers diskutiertes Kooperationsfeld von Wissenschaft und Wirtschaft nannte Epping Industriepromotionen und –habilitationen. Zum Zweck der Akquirierung des besten wissenschaftlichen Personals schrieben Unternehmen in letzter Zeit vermehrt Stellen mit Promotions- oder Habilitationsmöglichkeit aus. Problematisch hieran sei bereits, dass das Promotionsrecht allein den Universitäten obliege. Die Betreuung der Forschungsarbeit übernehme im Normalfall eine Hochschullehrerin oder ein Hochschullehrer, das Ergebnis der Promotion oder Habilitation werde durch Veröffentlichung dem Diskurs der Wissenschaft freigegeben. Dass ein Unternehmen dieses Promotionsrecht gar nicht besitzt, werde der Bewerberin oder dem Bewerber zu Beginn der Beschäftigung teilweise bewusst verschwiegen. Die Betreuungsfrage müsse die Bewerberin oder der Bewerber schließlich selbst klären, wobei die Universitäten häufig regelrecht „erpresst“ würden, die Annahme als Doktorandin oder Doktorand zu bescheinigen, um die Kooperation mit dem Partner aus der Wirtschaft im Rahmen von Drittmittelprojekten nicht zu gefährden. Die Themenauswahl erfolge durch das anstellende Unternehmen, die Forschungsergebnisse würden durch die Unterzeichnung von Geheimhaltungsklauseln für die exklusive Verwendung durch das Unternehmen geschützt. Es stelle sich daher die Frage, ob die Kooperation von Wissenschaft und Wirtschaft die Forschung interessensgeleitet zum Schaden der Allgemeinheit beeinflusse. Am Beispiel der in vielen Bundesländern existenten Zivilklauseln erläuterte Professor Epping, dass viele Universitäten im Zusammenhang mit bestimmten Drittmittelprojekten zunehmend unter Rechtfertigungsdruck gerieten. Ein gelungenes Kooperationsprojekt von Wissenschaft und Wirtschaft sei dagegen die von Bund und Ländern geförderte Deutsche Akademie der Technikwissenschaften „acatech“.

Forschungsfinanzierung – ein „Hochrisikogeschäft“

Der zweite Veranstaltungstag stand ganz im Zeichen der außeruniversitären Forschung und begann mit einem Vortrag von Frau Professor Dr. Johanna Hey (Universität zu Köln) zum Thema „Mehr steuerliche Förderung für die (industrielle) Forschung? – Vorschläge und Hemmnisse –“. Der Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD vom 12. März 2018 sehe erstmals explizit Steuervergünstigungen für Investitionen in Forschung und Entwicklung (FuE) vor. Ökonomen sehen die Existenzberechtigung für steuerliche Förderung dieser Art in sog. „spill over“-Effekten, also der volkswirtschaftlichen Nutzenmehrung durch die Nutzung der wissenschaftlichen Ergebnisse der Forschenden durch andere Akteure. Die Verbreitung der Forschungsergebnisse solle steuerlich belohnt werden und eventuelle Informationsasymmetrien beheben. Die (auch verfassungsrechtliche) Rechtfertigung steuerlicher FuE-Förderung sei also möglich. Nichtsdestotrotz, so Hey, stelle sich die Frage nach dem Zweck derartiger staatlicher Förderung. Ökonomen seien der Ansicht, dass in der Folge mehr geforscht werde, könnten allerdings keine verlässlichen Zahlen liefern. Grundsätzlich würden keine spezifischen Projekte gefördert, sondern der Fokus liege auf der ganzheitlichen Förderung von kleinen und mittleren Unternehmen, um diese zur Forschung zu bewegen.

Die Begünstigung mobiler Einkommen im internationalen Steuerwettbewerb sei eines der obersten Ziele der steuerlichen Forschungsförderung. Eine systematische „beggar-my-neighbor“-Politik Deutschlands mit Blick auf die Förderung der heimischen Wirtschaft könne aber, so Hey, die Anwerbung ausländischer Forschungsaktivitäten vorantreiben bzw. die Abwanderung von Forschungsaktivitäten ins Ausland verhindern.

Aktuell gebe es in Deutschland noch kein entsprechendes steuerliches Sonderregime. Bei der Einführung eines solchen Regimes müssten eventuell bestehende Restriktionen wie die Regeln des WTO-Regimes sowie allgemeine Steuerregeln wie das OECD-Programm zur Verminderung steuerlicher Bemessungsgrundlagen und Verlagerung des Gewinns („Base Erosion and Profit Shifting“, BEPS), das u.a. Maßnahmen zur besseren Bekämpfung schädlicher Besteuerungspraxis („Action 5“) vorsieht, berücksichtigt werden. Auf Ebene der EU gelte es, die beihilferechtlichen Vorschriften des Art. 107 AEUV und – wegen der notwendigen Beschränkung der Begünstigung auf das Inland – die Grundfreiheiten aus Art. 34ff. AEUV zu beachten.

Frau Professor Hey machte abschließend Vorschläge, die die Politik zur Einführung steuerlicher Forschungsförderung günstigstenfalls umsetzen sollte: Förderung von inputorientierten, das heißt erfolgsunabhängigen „Patentboxen“ (Möglichkeit, Erträge aus Immaterialgüterrechten gesondert auszuweisen und niedriger zu besteuern) oder anderen steuerlichen Gutschrift- und Prämienlösungen, die Einführung von Forschungsboni für kleine und mittelständische Unternehmen oder Forschungsprämien für den Mittelstand im Fall von FuE-Personalaufwendungen wie etwa bereits in Bayern und Niedersachsen praktiziert oder Steuergutschriften für derartige Aufwendungen, wobei hier stets deren Erstattungsfähigkeit sichergestellt werden müsse.

Steuergesetzgebung dürfe keine reine Symbolgesetzgebung bleiben, betonte Frau Professor Hey. Ein effektives steuerliches Instrument zur Förderung von Forschung und Entwicklung müsse im internationalen Vergleich konkurrenzfähig, aber dennoch einfach konzipiert sein. Natürlich seien auch die Kosten steuerlicher Förderungsmechanismen stets ein Thema. Forschungsfinanzierung sei ein „Hochrisikogeschäft“, aber eine zu zaghaft finanzierte Förderung könne im Ergebnis nicht effektiv sein. „Wenn es nichts kosten darf, sollte man es bleiben lassen“, so Hey mit Nachdruck.

Forschungsfreiheit – Von der Rücksicht auf das Anstößige

In seinem anschließenden Referat unter dem Titel „Wie frei ist die Forschung? – Zivilklauseln, Tierschutz, Ethikkommissionen und Political Correctness –“ beschäftigte sich Professor Dr. Wolfgang Löwer (Universität Bonn) mit den Grenzen, die die Zivilgesellschaft der Forschung setzt. Anhand der im Untertitel des Vortrags genannten Schlagwörter zeigte Löwer exemplarisch Risiken und Hürden auf, denen die Wissenschaftsfreiheit angesichts bestimmter organisationsrechtlicher Voraussetzungen an den Universitäten und teilweise unzureichender Forschungszielvereinbarungen der Landeshochschulgesetze ausgesetzt ist.

Gerade Zivilklauseln in Form von imperativen Zielnormen behinderten die Forscher in ihrer grundrechtlich verbürgten Freiheit. Als Beispiel nannte Professor Löwer Klauseln, auf deren Grundlage die Ablehnung von Forschungsthemen mit militärischem Inhalt erzwungen werden kann. Solche imperativen Zivilklauseln seien darüber hinaus verfassungswidrig, sie verstießen gegen die verfassungsrechtliche Grundentscheidung für die militärische Landesverteidigung nach Art. 87a GG.

Auch das Thema Tierschutz führe im Zusammenhang mit Tierversuchen zugunsten der Forschung immer wieder zu Konflikten mit der Zivilgesellschaft. Die Lösung dieser Konflikte obliege dem Gesetzgeber, so Löwer. Nehme die Forschung Drittrechtsgüter – hier die der Tiere – in Anspruch, so bewege sie sich nicht mehr im Rahmen ihrer Autonomie. Bis zu einem gewissen Grad könne hier die Rechtsprechung helfen, etwa in Form der Kontrolle von ablehnenden Verwaltungsentscheidungen. Das zeige das Verfahren vor dem OVG Bremen anlässlich der Versuche des Bremer Hirnforschers Andreas Kreiter an menschenähnlichen Affen. Die Universitätsleitung habe in solchen Fällen nur zwei Handlungsmöglichkeiten: Entweder verteidige sie das Vorgehen der Forscher oder verkünde den Ausstieg aus den Tierversuchen, „um dem Problem zu entgehen“.

Ein weiterer Zankapfel zwischen Forschung und Zivilgesellschaft seien die Ethikkommissionen. Diese sind nach Löwer unverzichtbar, weil der Gesetzgeber zwar grundsätzlich ethische Entscheidungen selbst treffen könne, allerdings nur, sofern es sich um abstrakte Abwägungen handle. Im konkreten Einzelfall nehme jedoch eine Ethikkommission die Abwägung zwischen dem voraussichtlichen Nutzen der Forschung und den geschädigten Rechtsgütern vor.

Zu guter Letzt führte Professor Löwer die Forderung der Zivilgesellschaft nach „Political Correctness“ an. Die öffentliche Rede sei heutzutage geprägt von der Rücksicht auf das Anstößige, ein Umstand, der den Verlust von Spontaneität mit sich brächte. „Sprachliche Unsinnigkeiten“ wie „die Studierenden“ statt „die Studenten“ hielten Einzug in die deutsche Sprache. Im universitären Umfeld belaste das Postulat der Political Correctness die Lehrfreiheit, so Löwer. Die Lehrperson sei in ihrer Rhetorik nicht mehr frei, da diese mit der Meinungsfreiheit der Studenten kollidieren könne. Die Ausgestaltung einer Lehrveranstaltung liege aber ausschließlich in der Verantwortung des Seminarleiters, betonte Löwer abschließend. Sprachliche Vorgaben des Verfassungsrechts seien daher unangebracht.

Zum Problem der „organisierten Flucht in die außeruniversitäre Forschung“

Der letzte Vortrag der Veranstaltung, gehalten von Frau Dr. Waltraud Kreutz-Gers (Kanzlerin der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz, stv. Bundessprecherin der Kanzlerinnen und Kanzler der Universitäten Deutschlands) widmete sich dem Thema „Sitzt die Wissenschaft in der Föderalismusfalle? – Zur Wissenschaftsfinanzierung der Zukunft –“. Das Thema könne vor dem Hintergrund der staatlichen Digitalisierungsinitiative nicht aktueller sein, betonte Kreutz-Gers einleitend und fügte hinzu, sich der Thematik aus der Sicht eines (ehemaligen) Mitglieds der „Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland“ (Kultusministerkonferenz, KMK) nähern zu wollen.

Im Gegensatz zu der vom GG vorgesehenen Ordnung müsse im Verhältnis der Gebietskörperschaften die Aufgabenzuschreibung stets der Finanzierungsbereitschaft folgen. Eine Bundeskompetenz in den Bereichen Wissenschaft, Forschung und Lehre liege dagegen „in der Natur der Sache“. Dieses Politikfeld sei zu wichtig, um es allein den Ländern zu überlassen, in deren Fokus es in der Regel nicht liege und die mit der Finanzierungslast überfordert seien. Zudem könnten sie die umfassende Bearbeitung von Themen, die für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung Deutschlands von Bedeutung seien, nicht leisten. Zwar könne, so räumte Kreutz-Gers ein, Wissenschaftsförderung im föderalen Kontext breiter gestreut werden. Allerdings verliere man so auch zu leicht das Ziel aus den Augen. Es sei aber nicht sachgerecht, wenn sich der Bund hier nur finanziell beteilige; auch planerisch dürfe man die Länder „nicht allein lassen“. Dabei könne auch die KMK helfen, deren Beitrag zur Innovationsfähigkeit auf dem Gebiet der Wissenschafts- und Hochschulpolitik aktuell gering sei. Die Bereitschaft der KMK, als „Innovationsmotor“ tätig zu werden, bezweifelt Kreutz-Gers. Mit Blick auf die außeruniversitäre Forschung stellte Frau Dr. Kreutz-Gers fest, dass,– anders als in inhaltlichen Belangen – die Verwaltungs- und Finanzierungskompetenz des Bundes nie wirklich umstritten war. Dies habe aber eine „organisierte Flucht in die außeruniversitäre Forschung“ begünstigt. Seit der Verabschiedung der Hochschulpakte 2007 habe der Bund aber stark in die Hochschulen als Forschungseinrichtungen investiert, die Länder neigten dagegen eher zur Förderung außeruniversitärer Forschung. Damit, so Kreutz-Gers, „hülfen“ die Länder dem Bund dabei, seinen Einfluss im Bereich der FuE-Finanzierung sukzessive zu vergrößern.

Problematisch sei auch, so Kreutz-Gers, dass die Länder die temporären Bundesmittel vielfach nicht für „Vorhaben der Wissenschaft und Forschung an Hochschulen“ (vgl. den damaligen Art. 91b GG), sondern zur Entlastung ihres Landeshaushalts nutzten. Das habe in der Vergangenheit mehrheitlich zum Abbau des Bestands des grundfinanzierten Personals der Hochschulen in einigen Bundesländern geführt. In zehn der 16 Bundesländer (darunter die Flächenstaaten Baden-Württemberg und Mecklenburg-Vorpommern sowie Berlin und das Saarland) liege die Anzahl der Stellen des wissenschaftlichen Personals an Universitäten unter dem Bundesdurchschnitt. Mit der Exzellenzstrategie 2016 wurde der erste Schritt in Richtung der nachhaltigen institutionellen Mitfinanzierung der Universitäten durch den Bund vollzogen.

Die Zukunft der Wissenschaftsfinanzierung beinhaltet nach Kreutz-Gers u.a. die institutionelle Mitfinanzierung der Hochschulen durch den Bund, einen Stopp des Trends zur Auslagerungen der Forschung aus den Universitäten, eine steigende Bedeutung der Drittmittelfinanzierung, eine verbindlichere Finanzierungsverantwortung der Länder und den Grundsatz „Hochschulbau bleibt Ländersache“.

In seinem, so wörtlich, nur „minimalinvasiven“ Schlusswort sprach Professor Kempen einige forschungsrelevante Themen an, auf die in den vergangen beiden Tagen nicht eingegangen werden konnte: So seien etwa die Vor- und Nachteile der aktuellen europäischen Forschungspolitik eine eingehendere Befassung wert, ebenso wie eventuelle Hemmnisse für den Forschungstransfer. Die Ressortforschung des Bundes und die Umbrüche im Bereich der Forschungspublikationen durch das Phänomen „open access“, das den Erwerb von Literatur „zum Null-Tarif“ möglich mache, seien weitere Themenfelder, auf die in Zukunft das Augenmerk gelegt werden müsse.

 

Die 63. Bitburger Gespräche finden am 09./10. Januar 2020 im Atrium-Hotel in Mainz statt.

Weitere Informationen zu dieser Veranstaltung finden Sie zu ggb. Zeit hier.