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[ Aktuelles (...) ] [ Literatur (...)


Diese Seite enthält allgemeine Informationen und Links zum Europäischen Insolvenzrecht, nicht die Begleitmaterialien zu meinen aktuellen Lehrveranstaltungen. Für das nationale deutsche Insolvenzrecht gibt es eigene Infoseiten.

 

 

Anpassung des deutschen Rechts an die EuInsVO-Novelle

Der am 19. Oktober 2016 vorgelegte (Regierungs-)Entwurf eines Gesetzes zur Durchführung der Verordnung (EU) 2015/848 über Insolvenzverfahren passt die Bestimmungen der zum 26. Juni 2017 in Kraft tretenden Neufassung der EuInsVO in das deutsche Verfahrensrecht ein. Er sieht insbesondere die Einführung eines neuen Artikels 102c EGInsO vor, der sich an den geltenden Bestimmungen des Artikels 102 EGInsO orientiert. Der neue Artikel 102c EGInsO berücksichtigt jedoch auch die Ergänzungen und Änderungen, die die Neufassung im Vergleich zur geltenden Fassung erfahren hat. Er enthält insbesondere Bestimmungen zu den in der Neufassung erstmals vorgesehenen Rechtsbehelfen und gerichtlichen Entscheidungen, zur örtlichen Zuständigkeit bei sogenannten Annexverfahren, zu verfahrensrechtlichen Einzelheiten der „synthetischen“ Abwicklung von Sekundärinsolvenzverfahren und zu Einzelfragen bei der Bewältigung der Insolvenz der Mitglieder von Unternehmensgruppen. Da die derzeit geltende Fassung der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 auch über den 26. Juni 2017 hinaus für die bis dahin eröffneten Verfahren gelten wird (Artikel 84 Absatz 2 der Neufassung), soll Artikel 102 EGInsO daneben bestehen bleiben.

Eine "große" Lösung, die auch die Bestimmungen des nationalen internatinalen Insolvenzrechts (§§ 335 ff InsO) inhaltlich an die geänderte EuInsVO angleicht, ist nicht vorgesehen.

Zu den Stellungnahmen s. hier.

 

Reform der EuInsVO

Nach der revidierten Fassung der EuInsVO soll es für eigentlich rentable Unternehmen, die von der Wirtschaftskrise überrollt wurden, einen Rettungsanker in Form einer zweiten Chance geben. Instrumente hierfür sind etwa die Ausweitung des Anwendungsbereichs auf "präventive" Verfahren und Verfahren in Eigenverwaltung, eine Klarstellung des COMI-Begriffs verbunden mit einer Verbesserung des prozessualen Rahmens für die Prüfung der gerichtlichen Zuständigkeit, die Einführung von internetbasierten Insolvenzregistern und deren Verknüpfung, die Umstrukturierung der Sekundärverfahren und die Einführung von Regeln zur Konzerninsolvenz. So sah es bereits ein Vorschlag zur Aktualisierung der in der EuInsVO für grenzüberschreitende Unternehmensinsolvenzen geltenden Bestimmungen vor, den die Kommission am 12. Dezember 2012 vorgelegt hatte. Die Neufassung der Verordnung ist nunmehr vom Europäischen Parlament am 20. Mai 2015 verabschiedet worden und tritt am 26. Juni 2017 in Kraft.

 

 

Aktuelles aus der Rechtsprechung des EuGH

 

Geschäftsführerhaftung in der Scheinauslandsgesellschaft

Die Gerichte des Mitgliedstaats, in dessen Gebiet ein Insolvenzverfahren über das Vermögen einer Gesellschaft eröffnet worden ist, sind zuständig für eine Klage, die der Insolvenzverwalter dieser Gesellschaft gegen deren Geschäftsführer auf Rückzahlung von Beträgen erhebt, die nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft oder nach Feststellung ihrer Überschuldung geleistet worden sind. Dies ergibt sich aus einer Auslegung von Art. 3 Abs. 1 EuInsVO. Das hat der EuGH mit Urteil vom 4.12.2014 in der Rs. C-295/13 – „H“ auf eine Vorlage des LG Darmstadt (ZIP 2013, 1839) entschieden. Dies gelte auch dann, wenn der Geschäftsführer seinen Wohnsitz nicht in einem anderen Mitgliedstaat, sondern in einem Vertragsstaat des LugÜb II hat.

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Der BGH hat mit Beschluss vom 2.12.2014 (II ZR 119/14; ZIP 2015, 68) dem EuGH zur Auslegung der Art. 49, 54 AEUV und des Art. 4 EuInsVO die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

„1. Betrifft eine Klage vor einem deutschen Gericht, mit der ein Direktor einer private company limited by shares englischen oder walisischen Rechts, über deren Vermögen in Deutschland nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, vom Insolvenzverwalter auf Ersatz von Zahlungen in Anspruch genommen wird, die er vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens, aber nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit geleistet hat, das deutsche Insolvenzrecht i. S. d. Art. 4 Abs. 1 EuInsVO?

2. Verstößt eine Klage der vorstehenden Art gegen die Niederlassungsfreiheit nach Art. 49, 54 AEUV?“

Der BGH sieht in § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG a. F. eine insolvenzrechtliche Norm auch im unionsrechtlichen Sinn und kommt damit zu einer Anwendbarkeit auf EU-Auslandsgesellschaften wie die Limited. Zu der zweiten Frage vertritt er die Auffassung, dass § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG a. F. nicht die Voraussetzungen, unter denen EU-Auslandsgesellschaften ihren Verwaltungssitz in Deutschland begründen können, sondern allein die Folgen eines Fehlverhaltens des Geschäftsführers nach Eintritt der Insolvenzreife regelt und damit nicht die Niederlassungsfreiheit verletzt.

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Zur internationalen Zuständigkeit nach EuGVVO oder EuInsVO bei Klagen des Insolvenzverwalters entschied der EuGH, Urt. v. 4. 9. 2014 – Rs C-157/13 ( („Nickel & Goeldner Spedition“, ZIP 2015, 96), Art. 1 Abs. 1 EuGVVO sei dahin auszulegen, dass die Klage auf Erfüllung einer auf die Erbringung von Beförderungsdienstleistungen gestützten Forderung, die von dem im Rahmen eines in einem Mitgliedstaat eröffneten Insolvenzverfahrens bestimmten Verwalter eines insolventen Unternehmens erhoben wird und die sich gegen den in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Empfänger dieser Dienstleistungen richtet, unter den Begriff „Zivil- und Handelssachen“ im Sinne dieser Vorschrift falle.

 

 

 

Entscheidung des EuGH zur Zulässigkeit eines isolierten Partikularverfahrens

Der EuGH entschied mit Urt. v. 17. 11. 2011 – C-112/10 (Zaza Retail), NZI 2012, 101 m. Anm. Mankowski, dass die Zulässigkeitsvoraussetzungen für ein isoliertes Partikularinsolvenzverfahren eng auszulegen sind:

1. Der Ausdruck „die Bedingungen, die (…) vorgesehen sind“ in Art. 3 IV lit. a EuInsVO, der auf die Voraussetzungen verweist, die nach den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dessen Gebiet der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen hat, die Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens in diesem Staat verhindern, ist dahin auszulegen, dass er sich nicht auf die Voraussetzungen bezieht, nach denen bestimmte Personen aus dem Kreis derjenigen ausgeschlossen sind, die befugt sind, die Eröffnung eines solchen Verfahrens zu beantragen.

2. Der Begriff „Gläubiger“ in Art. 3 IV lit. b EuInsVO, der den Kreis der Personen bezeichnet, die befugt sind, die Eröffnung eines unabhängigen Partikularverfahrens zu beantragen, ist dahin auszulegen, dass er die Behörde eines Mitgliedstaats, die nach dessen nationalem Recht den Auftrag hat, im Allgemeininteresse zu handeln, aber weder als Gläubiger noch im Namen und für Rechnung der Gläubiger eingreift, nicht umfasst.

 

 

Weitere Entscheidungen des EuGH zur Eröffnungszuständigkeit

Der EuGH entschied mit Urt. v. 15. 12. 2011 - C-191/10 (Rastelli), NZI 2012, 147 m. Anm. Mankowski, dass die gerichtliche Zuständigkeit bei Erweiterung des Insolvenzverfahrens auf eine in anderem Mitgliedstaat ansässige Gesellschaft nicht allein auf den Tatbestand der Vermögensvermischung gestützt werden kann, sondern sich aus den allgemeinen Kriterien des COMI ergeben muss:

1. Die EuInsVO ist dahin auszulegen, dass ein Gericht eines Mitgliedstaats, das ein Hauptinsolvenzverfahren gegen eine Gesellschaft unter Zugrundelegung der Tatsache eröffnet hat, dass sich der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen der Gesellschaft im Gebiet dieses Mitgliedstaats befindet, dieses Verfahren in Anwendung einer innerstaatlichen Vorschrift nur unter der Bedingung auf eine zweite Gesellschaft, deren satzungsmäßiger Sitz sich in einem anderen Mitgliedstaat befindet, erweitern kann, dass nachgewiesen wird, dass sich der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen der zweiten Gesellschaft im erstgenannten Mitgliedstaat befindet.

2. Die EuInsVO ist dahin auszulegen, dass, wenn gegen eine Gesellschaft, deren satzungsmäßiger Sitz sich im Gebiet eines Mitgliedstaats befindet, Klage auf Erweiterung der Wirkungen eines Insolvenzverfahrens erhoben wird, das in einem anderen Mitgliedstaat gegen eine andere Gesellschaft, die im Gebiet dieses Mitgliedstaats niedergelassen ist, eröffnet ist, die Feststellung allein, dass eine Vermischung der Vermögensmassen dieser Gesellschaften vorliegt, nicht für den Nachweis ausreicht, dass sich der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen der von der Klage betroffenen Gesellschaft ebenfalls in diesem Mitgliedstaat befindet. Zur Widerlegung der Vermutung, dass sich dieser Mittelpunkt am Ort des satzungsmäßigen Sitzes befindet, ist erforderlich, dass mit einer Gesamtbeurteilung aller relevanten Anhaltspunkte der Nachweis gelingt, dass sich das tatsächliche Verwaltungs- und Kontrollzentrum der von der Klage auf Erweiterung betroffenen Gesellschaft für Dritte feststellbar in dem Mitgliedstaat befindet, in dem das ursprüngliche Insolvenzverfahren eröffnet wurde.

 

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Der EuGH entschied mit Urt. v. 20.10.2011 – Rs. C-396/09 („Interedil“):

1. Es ist mit dem Unionsrecht nicht vereinbar, dass ein nationales Gericht nach einer nationalen Verfahrensvorschrift an die rechtliche Beurteilung eines übergeordneten nationalen Gerichts gebunden ist, wenn diese Beurteilung des übergeordneten Gerichts nicht dem Unionsrecht in seiner Auslegung durch den Gerichtshof entspricht.

2. Der Begriff „Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen“ des Schuldners im Sinne von Art. 3 Abs. 1 EuInsVO ist unter Bezugnahme auf das Unionsrecht auszulegen.

3. Art. 3 Abs. 1 Satz 2 EuInsVO ist im Hinblick auf die Bestimmung des Mittelpunkts der hauptsächlichen Interessen einer Schuldnergesellschaft wie folgt auszulegen:

– Bei der Bestimmung des Mittelpunkts der hauptsächlichen Interessen einer Schuldnergesellschaft ist dem Ort der Hauptverwaltung dieser Gesellschaft, wie er anhand von objektiven und durch Dritte feststellbaren Faktoren ermittelt werden kann, der Vorzug zu geben. Wenn sich die Verwaltungs- und Kontrollorgane einer Gesellschaft am Ort ihres satzungsmäßigen Sitzes befinden und die Verwaltungsentscheidungen der Gesellschaft in durch Dritte feststellbarer Weise an diesem Ort getroffen werden, lässt sich die in dieser Vorschrift aufgestellte Vermutung nicht widerlegen. Befindet sich der Ort der Hauptverwaltung einer Gesellschaft nicht an ihrem satzungsmäßigen Sitz, können das Vorhandensein von Gesellschaftsaktiva und das Bestehen von Verträgen über deren finanzielle Nutzung in einem anderen Mitgliedstaat als dem des satzungsmäßigen Sitzes der Gesellschaft nur dann als zur Widerlegung dieser Vermutung ausreichende Faktoren angesehen werden, wenn eine Gesamtbetrachtung aller relevanten Faktoren die von Dritten überprüfbare Feststellung zulässt, dass sich der tatsächliche Mittelpunkt der Verwaltung und der Kontrolle der Gesellschaft sowie der Verwaltung ihrer Interessen in diesem anderen Mitgliedstaat befindet;

–  wird der satzungsmäßige Sitz einer Schuldnergesellschaft verlegt, bevor ein Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens gestellt wird, wird vermutet, dass sich der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen dieser Gesellschaft am Ort ihres neuen satzungsmäßigen Sitzes befindet.

4. Der Begriff „Niederlassung“ im Sinne von Art. 3 Abs. 2 EuInsVO ist dahin gehend auszulegen, dass er die Existenz einer auf die Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit ausgerichteten Struktur mit einem Mindestmaß an Organisation und einer gewissen Stabilität erfordert. Das bloße Vorhandensein einzelner Vermögenswerte oder von Bankkonten genügt dieser Definition grundsätzlich nicht.

 

Im Anschluss hieran entschied der Bundesgerichtshof (Beschl.v. 1.12.2011 − IX ZB 232/10, NZI 2012, 151), die internationale Zuständigkeit für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer Gesellschaft mit Sitz im Ausland, die ihren Geschäftsbetrieb eingestellt hat und nicht abgewickelt wird, richte sich danach, wo sie bei Einstellung ihrer Tätigkeit den Mittelpunkt ihrer hauptsächlichen Interessen hatte. In dem zugrunde liegenden Fall hatte sich eine deutsche GmbH mit zwei holländischen B.V. als Gesellschafterinnen hatte sich nach mehreren Sitzverlegungen in eine Kommanditgesellschaft umgewandelt. Eine B.V. übernahm die Rolle der Komplementärin, die andere die der Kommanditistin. Die Kommanditistin schied aus der KG aus, so dass deren gesamtes Vermögen im Wege der Anwachsung auf die Komplementärin überging. Auf diesem Weg hatte sich de facto die Rechtsform von einer GmbH in eine B.V. gewandelt und war der Sitz der Gesellschaft ins Ausland verlegt worden. Ein Gläubiger der Gesellschaft beantragte beim Amtsgericht Düsseldorf die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der ehemaligen Komplementärin. Das Amtsgericht wies den Eröffnungsantrag als unzulässig ab, da es international für die in den Niederlanden ansässig B.V. nicht zuständig sei. Der BGH sah die Sache anders: Für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens sind nach Art. 3 Abs. 1 Satz 1 der EuInsVO die Gerichte des Mitgliedstaates zuständig, in dessen Gebiet die insolvente Gesellschaft den Mittelpunkt ihrer hauptsächlichen Interessen hat. Art. 3 Abs. 1 Satz 2 EuInsVO stellt für Gesellschaften und juristische Personen nur bis zum Beweis des Gegenteils die Vermutung auf, dass der Mittelpunkt ihrer hauptsächlichen Interessen der Ort des satzungsmäßigen Sitzes sei (im vorliegenden Fall die Niederlande). Diese Vermutung könne jedoch durch hinreichende Anhaltspunkte wiederlegt werden. Und es sei Sache des Insolvenzgerichts von Amts wegen zu ermitteln, ob es örtlich zuständig sei. Nur in dem Fall, dass trotz Amtsermittlung eine Feststellung des Interessenmittelpunkts nicht zweifelsfrei möglich sei, komme es auf den satzungsmäßigen Sitz der Gesellschaft an. Im vorliegenden Fall befand der BGH das Amtsgericht Düsseldorf für international zuständig, da der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen der Gesellschaft vormals in den Bezirk des Amtsgerichts Düsseldorf belegen war.

 

 

Entscheidung des EuGH zur Anerkennung ausländischer Eröffnungsentscheidungen (Probud Gdynia)

Der EuGH entschied mit Urt.v. 21.1.2010 – C-444/07 (MG Probud Gdynia), ZIP 2010, 187:

Die EuInsVO und insbesondere die Art. 3, 4, 16, 17 und 25 EuInsVO sind so auszulegen, dass in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens nach der Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens in einem Mitgliedstaat die zuständigen Behörden eines anderen Mitgliedstaats, in dem kein Sekundärinsolvenzverfahren eröffnet worden ist, vorbehaltlich der in Art. 25 Abs. 3 EuInsVO und in Art. 26 EuInsVO genannten Nichtanerkennungsgründe verpflichtet sind, alle Entscheidungen im Zusammenhang mit diesem Hauptinsolvenzverfahren anzuerkennen und zu vollstrecken, und daher nicht berechtigt sind, nach dem Recht des anderen Mitgliedstaats Vollstreckungsmaßnahmen in Bezug auf in diesem anderen Mitgliedstaat befindliche Vermögenswerte des Schuldners, über dessen Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, anzuordnen, wenn das Recht des Staates der Verfahrenseröffnung dies nicht erlaubt und die Voraussetzungen für die Anwendung der Art. 5 EuInsVO und Art. 10 EuInsVO nicht erfüllt sind.

 

Entscheidung des EuGH zur internationalen Zuständigkeit für die Insolvenzanfechtungsklage ("Deko Marty")


Auf Vorlage des BGH hat der EuGH am 12.2.2009 verschiedene Fragen zur Auslegung von europarechtlichen Vorschriften zur internationalen Zuständigkeit von Gerichten für die Insolvenzanfechtungsklage entschieden. Unmittelbar vor Stellung des Insolvenzantrags überwies die spätere Insolvenzschuldnerin zur Bezahlung von Warenlieferungen 50.000 Euro auf ein Konto der Bekl. bei einer deutschen Bank. Die Bekl. ist eine Gesellschaft belgischen Rechts, die ihren Sitz in Belgien hat. Der zum Insolvenzverwalter bestellte Kl. hat am allgemeinen Gerichtsstand der Insolvenzschuldnerin Anfechtungsklage gegen die Bekl. erhoben. Der BGH hatte dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob die Gerichte des Mitgliedstaates, in dessen Gebiet das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners eröffnet worden ist, für eine Insolvenzanfechtungsklage gegen einen Anfechtungsgegner, der seinen satzungsmäßigen Sitz in einem anderen Mitgliedstaat hat, nach der EuInsVO international zuständig sind, und, falls dies zu verneinen ist, ob die Insolvenzanfechtungsklage unter die Bestimmung des Art. 1 II lit. b EuGVVO fällt, ob also die EuGVVO auf Insolvenzanfechtungsklagen anwendbar ist (BGH, Beschl. v. 21. 6. 2007 – IX ZR 39/06 ( = ZIP 2007, 1415 m. Anm. Klöhn/Berner S. 1418).

Durch Urteil vom 12. 2. 2009 (Rs. C-339/07 ["Deko Marty"], NJW 2009, 2189 = NZI 2009, 199 = EuZW 2009, 179 = ZIP 2009,  427, krit. dazu etwa Mock, ZInsO 2009, 470; Stürner/Kern, LMK 2009, 278572) hat der EuGH für Recht erkannt: „Art. 3 EuInsVO ist dahin auszulegen, dass die Gerichte des Mitgliedstaats, in dessen Gebiet das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, für eine Insolvenzanfechtungsklage gegen einen Anfechtungsgegner, der seinen satzungsmäßigen Sitz in einem anderen Mitgliedstaat hat, zuständig sind”. Während das deutsche Zivilprozessrecht die Insolvenzanfechtungsklage den allgemeinen Zuständigkeitsregelungen – mit der Folge der dezentralen Geltendmachung der Insolvenzanfechtungsansprüche – unterstellt, hat der EuGH diese im Rahmen des Europäischen Zivilprozessrechts nun aber der insolvenzrechtlichen Zuständigkeitsregel von Art. 3 I EuInsVO unterworfen, womit sogleich eine Konzentration der Insolvenzanfechtungsklagen im Mitgliedstaat der Verfahrenseröffnung verbunden ist.

Als Folge dieser Entwicklung ergab sich nun für das deutsche Zivilprozessrecht die Herausforderung, die nach der Bestimmung der internationalen Zuständigkeit durch Art. 3 I EuInsVO noch offenen Frage der örtlichen Zuständigkeit zu klären; das Problem besteht insofern darin, dass das deutsche Insolvenz- bzw. Zivilprozessrecht keinen allgemeinen Insolvenzgerichtsstand in der Form kennt, dass alle im Zusammenhang mit dem Insolvenzverfahren stehenden Klagen beim Insolvenzgericht bzw. am Ort des Insolvenzgerichts zu erheben sind. Der BGH hat diese Problematik dahingehend gelöst, dass § 19a ZPO (i.V. mit § 3 InsO, Art. 102 § 1 EGInsO) jedenfalls in den Fällen analog angewendet werden soll, in denen keine anderweitige örtliche Zuständigkeit der deutschen Gerichte besteht (BGH, Urteil vom 19. 5. 2009 - IX ZR 39/06, NZI 2009, 532 m. Anm. Mock).

 

Entscheidung des EuGH zur Eröffnungszuständigkeit ("Eurofood")


In dem EuGH-Verfahren in Sachen "Eurofood/Parmalat" (Rs. C 341/04)   -  betr. Eröffnungszuständigkeit und Begriff des "center of main interests"/COMI nach Artt. 3 I, 16 EuInsVO (Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens in Italien für irische Parmalat-Gesellschaft trotz Bestellung eines vorläufigen Liquidators in Irland)  -  ist am 2.5. 2006 die langerwartete Entscheidung des EuGH ergangen (NZI 2006, 360 = ZIP 2006, 907 mit Anmerkung von Knof/Mock S. 911 = ZinsO 2006, 484 m. Anm. Poertzgen/Adam S. 505, s. auch die Pressemitteilung des Gerichts und die Zusammenfassung bei beck.online).

Die Leitsätze der Entscheidung lauten:

"1. Wenn Schuldner eine Tochtergesellschaft ist, deren satzungsmäßiger Sitz in einem anderen Mitgliedstaat liegt als der der Muttergesellschaft, kann die in Artikel 3 Absatz 1 Satz 2 der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren (EuInsVO) aufgestellte Vermutung, wonach diese Tochtergesellschaft den Mittelpunkt ihrer hauptsächlichen Interessen in dem Mitgliedstaat hat, in dem sich ihr satzungsmäßiger Sitz befindet, nur widerlegt werden, sofern objektive und für Dritte feststellbare Elemente belegen, dass in Wirklichkeit die Lage nicht derjenigen entspricht, die die Verortung am genannten satzungsmäßigen Sitz widerspiegeln soll. Dies könnte insbesondere bei einer Gesellschaft der Fall sein, die im Gebiet des Mitgliedstaats, in dem sich ihr satzungsmäßiger Sitz befindet, keiner Tätigkeit nachgeht. Wenn jedoch eine Gesellschaft ihrer Tätigkeit im Gebiet des Mitgliedstaats, in dem sich ihr satzungsmäßiger Sitz befindet, nachgeht, so reicht die Tatsache, dass ihre wirtschaftlichen Entscheidungen von einer Muttergesellschaft mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat kontrolliert werden oder kontrolliert werden können, nicht aus, um die mit der Verordnung aufgestellte Vermutung zu entkräften.

2. Artikel 16 Absatz 1 Unterabsatz 1 der Verordnung Nr. 1346/2000 (EuInsVO) ist dahin auszulegen, dass das von einem Gericht eines Mitgliedstaats eröffnete Hauptinsolvenzverfahren von den Gerichten der übrigen Mitgliedstaaten anzuerkennen ist, ohne dass diese die Zuständigkeit des Gerichts des Eröffnungsstaats überprüfen können.

3. Artikel 16 Absatz 1 Unterabsatz 1 der Verordnung Nr. 1346/2000 (EuInsVO) ist dahin auszulegen, dass die von einem Gericht eines Mitgliedstaats auf einen entsprechenden, auf die Insolvenz des Schuldners gestützten Antrag auf Eröffnung eines in Anhang A der Verordnung genannten Verfahrens hin ergangene Entscheidung eine Eröffnung eines Insolvenzverfahrens im Sinne dieser Vorschrift darstellt, wenn sie den Vermögensbeschlag gegen den Schuldner zur Folge hat und durch sie ein in Anhang C der Verordnung genannter Verwalter bestellt wird. Ein solcher Vermögensbeschlag bedeutet, dass der Schuldner die Befugnisse zur Verwaltung seines Vermögens verliert.

4. Artikel 26 der Verordnung Nr. 1346/2000 (EuInsVO) ist dahin auszulegen, dass ein Mitgliedstaat einem in einem anderen Mitgliedstaat eröffneten Insolvenzverfahren die Anerkennung versagen kann, wenn die Eröffnungsentscheidung unter offensichtlichem Verstoß gegen das Grundrecht auf rechtliches Gehör einer von einem solchen Verfahren betroffenen Person ergangen ist."

 

 

Zum Sachverhalt und zum Verfahrensablauf:

1) Tribunale di Parma, Urt. v. 19.2. 2004 - 53/04 - (Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens in Italien für irische Parmalat-Gesellschaft trotz Bestellung eines vorläufigen Liquidators in Irland; "Eurofood/Parmalat I"), ZIP 2004, 1220 m.Anm. Riera/Wagner, EWiR 2004, 597; ferner Tribunale di Parma ZIP 2004, 2295, dazu EWiR 2004, 1181 (Bauer/Schlegel).

2) High Court Dublin, Judgement v. 23.3. 2004 - 33/04 - (Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens in Irland für irische Parmalat-Gesellschaft bei Antrag auf vorläufige Sicherungsmaßnahmen vor Eröffnung durch italienisches Gericht; "Eurofood/Parmalat II"), ZIP 2004, 1223 m.Anm. Herweg/Tschauner, EWiR 2004, 599; dazu auch Smid, DZWiR 2004, 410 f.; Herchen, ZInsO 2004, 825, 829

3) Supreme Court of Ireland, Judgement v. 27.7. 2004, ZIP 2004, 1969 ("Eurofood/Parmalat III"), dazu EWiR 2004, 973 (Herweg/Tschauner); dazu auch Mankowski, RIW 2005, 561, 576; Oberhammer, ZInsO 2004, 761; Albrecht, ZInsO 2004, 436; Schilling/Schmidt, ZInsO 2006, 113; M. Balz, The European Union Convention on insolvency proceedings, American Bankruptcy Law Journal 1996, p. 485, at 529; I. Fletcher, Insolvency in Private International Law (1999), pp. 298 - 301; P. Burbidge, Cross border insolvency within the European Union: dawn of a new era, European Law Review 2002, p.589, at 591; G. Moss, I. Fletcher and S. Isaacs, The EC Regulation on Insolvency Proceedings: A Commentary and Annotated Guide (2002), para. 1.22, 1.23; M. Virgós/F. Garcimartín , The European Insolvency Regulation: Law and Practice (2004), no. 48(a).

4)EuGH, Urt.v. 2.6. 2006 -  Rs. C-341/04 ("Eurofood/Parmalat IV") (NZI 2006, 360 = ZIP 2006, 907 mitAnmerkung von Knof/Mock S. 911 = RIW 2006, 619 m. Anm. Freitag/Leible S. 641,Zusammenfassung bei beck.online)

 

Text der EU-Verordnung über Insolvenzverfahren (Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates über Insolvenzverfahren vom 29. Mai 2000, ABl. EG Nr. 160 S. 1 = EuInsVO), auch in englischer Sprache

<link doc euinsvo_virgos_schmit.pdf>"Begründung zur EuInsVO" von Virgos/Schmit

 

Literatur:

Freitag/Leible, Justizkonflikte im Europäischen Internationalen Insolvenzrecht und (k)ein Ende? Zugleich eine Besprechung von EuGH, RIW 2006, 619 - Eurofood, RIW 2006, 641

Paulus, Der EuGH und das moderne Insolvenzrecht, NZG 2006, 609

Poertzgen/Adam, Die Bestimmung des "centre of main interests" gem. Art. 3 Abs. 1 EuInsVO - Anmerkungen zum Urt. des EuGH ("Parmalat") v. 2.5.2006 - C-341/04, ZInsO 2006, 505

 

Entscheidung des EuGH zur Eröffnungszuständigkeit bei Wohnsitzverlegung


In dem EuGH-Verfahren in Sachen "Susanne Staubitz-Schreiber" (Rs C-1/04)  -  betr. Eröffnungszuständigkeit nach Artt. 3 I, 16 der Verordnung Nr. 1346/2000 (EuInsVO) bei Wohnsitzverlegung  -  ist am 17.1. 2006 die Entscheidung des EuGH ergangen. Sie lautet ihrem wesentlichen Inhalt nach:

"Art. 3 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1346/2000 (EuInsVO) ist dahin auszulegen, dass das Gericht des Mitgliedstaats, in dessen Gebiet der Schuldner bei Stellung seines Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen hat, für die Entscheidung über die Eröffnung dieses Verfahrens zuständig bleibt, wenn der Schuldner nach Antragstellung, aber vor der Eröffnungsentscheidung den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaats verlegt."

 

EuGH, Urt.v. 17.1. 2006 - Rs. C-1/04 ("Susanne Staubitz-Schreiber", ZIP 2006, 188 m. Anm. Knof/Mock = EWiR 2006, 141 (Vogl)  = NZI 2006, 153 m. Anm. Mankowski = JZ 2006, 671 m. Anm. Hess/Laukemann = DZWiR 2006, 256 m. Anm. Flitsch/Hinkel = IPRax 2006, 149 m. Anm. Kindler S. 114 = ZInsO 2006, 88 m. Anm. J. Schmidt; s. zum Thema auch AG Celle NZI 2005, 410 m. Anm. Mankowski S. 368; ders. RIW 2005, 561; Brenner ZIP 2005, 1646; Klöhn, KTS 2006, 259; Knof, ZInsO 2006, 754)

Schlussanträge des Generalanwalts Colomer v. 9.9. 2005 (ZIP 2005, 1641 m. Anm. Brenner S. 1646)

BGH, Beschl.v. 27.11. 2003 - IX ZB 418/02, ZIP 2004, 94 = EWiR 2004, 229 (Mankowski) (Vorlagebeschluss)

BGH, Beschl.v. 9.2.2006 - IX ZB 418/02, NZI 2006, 297 (verfahrensabschließende Entscheidung)

 

S. in diesem Zusammenhang auch BGH, Urt.v. 2.3.2006 - IX ZB 192/04, ZIP 2006, 767 = NZI 2006, 364 = ZInsO 2006, 431 m. Anm. Knof S. 754, zur Zuständigkeit des Insolvenzgerichts auch für weitere Eröffnungsanträge nach COMI-Verlegung

 

Text der EU-Verordnung über Insolvenzverfahren (Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates über Insolvenzverfahren vom 29. Mai 2000, ABl. EG Nr. 160 S. 1 = EuInsVO), auch in englischer Sprache

"Begründung zur EuInsVO" von Virgos/Schmit

 

Literatur:

Duursma-Kepplinger, Aktuelle Entwicklungen in Bezug auf die Auslegung der Vorschriften über die internationale Eröffnungszuständigkeit nach der Europäischen Insolvenzordnung, DZWIR 2006, 177

Kindler, Sitzverlegung und internationales Insolvenzrecht, IPRax 2006, 114

Klöhn, Verlegung des Mittelpunkts der hauptsächlichen Interessen iSd Art. 3 Abs. 1 S. 1 EuInsVO vor Stellung des Insolvenzantrags - Plädoyer für ein bewegliches System zur Bestimmung der internationalen Eröffnungszuständigkeit im Europäischen Insolvenzrecht, KTS 2006, 259

Knof, Perpetuatio fori und Attraktivkraft des Erstantrags im Europäischen Insolvenzrecht?, ZInsO 2006, 754

Saenger/Klockenbrinck, Neue Grenzen für ein forum shopping des Insolvenzschuldners? DZWIR 2006, 183

 

Kommentare, Lehr- und Handbücher

(Auswahl, Stand 9/2021)


Bork/van Zwieten, Commentary on the European Insolvency Regulation, 2016

Geimer/Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht, 4. Aufl. 2020

Haß/Huber/Gruber/Heiderhoff, EU-Insolvenzverordnung (EuInsVO), 2005 [über Beck.online zugänglich !]

Hess/Oberhammer/Pfeiffer, European Insolvency Law, 2014

Hess (Hrsg.), Europäisches Insolvenzrecht – Grundsätzliche Fragestellungen der Prozessrechtsvergleichung, 2019

Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015, 2015

Moss/Fletcher/Isaacs, The EC regulation on insolvency proceedings, Oxford [u.a.], 3rd ed. 2016

Paulus, EuInsVO, 6. Aufl. 2021

Rattunde/Smid/Zeuner (Hrsg.), Internationales Insolvenzrecht, 2. Aufl. 2012 (3. Aufl. 2023 erscheint demnächst)

Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht mit internationalem Insolvenz- und Schiedsverfahrensrecht, 8. Aufl. 2021

Schmidt, Andreas (Hrsg.), EuInsVO, 2020

Vallender, EuInsVO, 2017

Wimmer, Die Neufassung der EuInsVO, 2016


s. ferner die Literatur zum deutschen Insolvenzrecht