Universität Trier – ein würdiger Name
von Universitätspräsident Prof. Dr. Michael Jäckel, Universität Trier
Das Jahr 2018 ist ein bedeutendes Jubiläumsjahr. In Trier und an anderen Orten wird der 200. Geburtstag von Karl Marx eine große Rolle spielen. Die Universität Trier würdigt sein Leben und Werk mit einem umfassenden wissenschaftlichen Programm, in dessen Zentrum ein internationales Symposium stehen wird. Die Gesamtübersicht findet man unter anderem auf der Homepage der Universität: www.kmj2018.uni-trier.de
Irgendwann, im Laufe des Jahres 2018, wird dieses Jubiläum mit großer Wahrscheinlichkeit Anlass zur Wiederholung einer Idee geben, wonach der Universität Trier ein konkreterer Name gut anstünde. Bevor also dieser Ball erneut gespielt wird, bringe ich ihn doch einmal selbst ins Rollen. Pünktlich zum 5. Mai wird wohl der amtierende Präsident der Europäischen Linken, Gregor Gysi, Karl Marx als Namensgeber für die Universität Trier wieder ins Spiel bringen: sensation de déjà-vu. Zum Geburtstag des Philosophen gehört seit Jahren dieser Vorschlag. Eine überregionale Tageszeitung machte daraus im vergangenen Jahr – nebenbei bemerkt – die „bislang namenlose[.] Universität in Trier“. Die Mehrdeutigkeit dieser Aussage nehmen wir selbstverständlich sportlich. Strukturen langer Dauer liegen uns mehr als individuelle Meinungen. Die Forderung bzw. der Wunsch nach einer Namensänderung ist nicht neu, er wurde in den vergangenen Jahren immer wieder vorgetragen. Die Grundordnung der Universität Trier regelt „Name und Aufgaben der Universität“ in § 1. Wer den Namen ändern möchte, muss eine Änderung dieser Ordnung beantragen, der Senat muss mit 2/3-Mehrheit zustimmen, ebenso hat der Hochschulrat ein Mitbestimmungsrecht und, da eine Änderung der Grundordnung grundsätzlich genehmigungspflichtig ist, das zuständige Ministerium. Teile des AStA der Universität Trier erfreuen sich bis heute an einer selbstdefinierten Enklave, die den Namen „Karl Marx-Universität Trier“ trägt. Ob es dort mittlerweile auch eine Zunahme des Selbstzweifels gegeben hat? Ich kann nur berichten, dass über dem Eingang des Studierendenhauses gegenwärtig keine Hinweise mehr zu finden sind. Dort sah man früher ein alternatives Universitätssiegel.
Nach meiner Auffassung sind diese Vorstöße bzw. Vorschläge nie wirklich ernsthaft vorgetragen worden, zumindest fehlte den Anliegen die entsprechende Überzeugungskraft. Mit dem „Horst Schimanski“-Vorschlag für die frühere Universität Duisburg, die dann 1994 den Namen „Gerhard-Mercator“ erhielt und 2002 mit Essen fusionierte, darf man es nicht gleichsetzen. Aber eine gute Portion von „intellektuellem Schaukampf“ gehörte schon immer zu dieser Auseinandersetzung.
Wer sich mit der Namensgebung in der Welt der Universitäten befasst, erkennt bestimmte typische Muster. Dazu zählt der Bezug auf historische Persönlichkeiten, deren ggf. widersprüchliche Lebensläufe und Gedankenwelten Anlass zu kritischen Nachfragen geben können. Andere wählen geografische Bezeichnungen, etwa Wuppertal mit der Bergischen Universität, die damit offenbar dem Bergischen Land eine Referenz erweist. Friedrich Engels könnte hier ein Kandidat sein. Schließlich ist da der direkte Hinweis auf die Stadt, in der die jeweilige Universität angesiedelt ist. Wer die vergangenen Monate aufmerksam verfolgt hat, der ist ob des Bezugs auf eine Stadt und ihre Tradition eher froh. Man denke beispielsweise an die nicht enden wollenden Diskussionen – auch nach dem Beschluss des dortigen Senats – in Greifswald über den Namenspatron Ernst Moritz Arndt oder die Probleme einer kompromissfähigen Namensfindung in Lübeck. Dort argumentierte man z.B. mit der fehlenden fachlichen Nähe des Literaten Thomas Mann zum Profil der Hochschule, aber auch mit der – nach gemeinsam überstandenen politischen Kontroversen um die Zukunft der Universität – Bekanntheit des Namens, wie er ist. Zwischenfazit: Dezidierte Festlegungen, die einen Status quo verändern, sind schwieriger als das Verweilen bei einer seit langem gelebten Tradition. Eher dominiert der Verzicht auf explizite Festlegungen. Das ist auch gut nachvollzieh- und begründbar: Im 21. Jahrhundert muss die Universität ihren Ort als gesellschaftliche Institution neu definieren. Bindungen an bestimmte Traditionen oder Personen passen nicht in diese Zeit zunehmender Herausforderungen, die in- und außerhalb der Universität artikuliert werden.
Die Konkurrenz verschiedener Anspruchsgruppen kommt hinzu. Das ließe sich auch am Beispiel „Karl Marx“ veranschaulichen. Viele Gruppierungen könnten Karl Marx für sich ins Feld führen: die Journalisten, weil er als Redakteur und Chefredakteur der Neuen Rheinischen Zeitung, als Kolumnist der New York Tribune usw. diesen Berufsstand repräsentiert hat; auch andere Städte, in denen er studiert und/oder gearbeitet hat (z.B. Bonn, Berlin, Köln, Brüssel, Paris, London); verschiedene Parteien oder soziale Bewegungen des vorwiegend äußeren linken Spektrums. Auch die Lehrer könnten sich melden, weil Marx sich in seinen Veranstaltungen in und für Arbeitervereine durch besonderes didaktisches Geschick ausgezeichnet haben soll. Erstaunlicherweise gibt es in Trier selbst keine große Lobbygruppe. Dennoch kommt der vorgeschlagene Namenspatron hier auch ohne ausdrückliche Erwähnung im Namen zu Wort.
Diese Diskussion gehört in die Rubrik „alter Hut“. Das wird jedem deutlich, der auf die Suche nach früheren Versuchen und Debatten geht. Im Jahr 2013 gab es etwa ein „Extra“ in der Lokalzeitung „Trierischer Volksfreund“. Damals wählte ich zentrale Begriffe aus dem Werk von Marx, um meine Position zu begründen. Die Frage lautete: „Welche Meinung haben Sie als Uni-Präsident zum Namen Karl-Marx-Universität Trier?“ Ich erwiderte: „Ich antworte Ihnen gerne mit Hilfe von Kategorien, die Karl Marx selbst zugeschrieben werden: Der Mehrwert einer solchen Entscheidung ist nicht erkennbar, eher die Entfremdung, die eine solche auslösen würde. Mit seinem Kapital sollte man sorgsam umgehen. Der These der Umbenennung folgt seit Jahren die Antithese, ohne erkennbare Aussicht auf Synthese. Von einem durch Dialektik angetriebenen Fortschritt keine Spur. Und - nur zur Erinnerung: Die Universität Leipzig hat im Jahr 1991 den Namen abgegeben. Ralf Dahrendorf, ein guter Kenner des Werks von Karl Marx, schrieb einmal: Kein Name »ist so gründlich und folgenreich gebraucht und missbraucht worden wie der von Marx«. Lassen wir es also bei der Geschichte und bleiben wir bei der Tradition, die im Jahr 1473 begann. Es gibt viele Universitäten, die nie einen Zusatznamen hatten, zum Beispiel Köln, Basel, Rom, Stockholm, Wien - um nur wenige zu nennen. Hier, in Trier, bleibt es für die Universität also bei dem Namen der Stadt.“ Vorgänger im Amt haben sich ähnlich geäußert.
Der Unterhaltungswert dieses Themas wird auch im Jahr 2018 nicht signifikant ansteigen. Universitäten haben einen treuhänderischen Auftrag. Sie sind nicht Anwalt bestimmter Ideen oder politischer Überzeugungen. Diese Neutralität hat nichts mit Selbstaufgabe zu tun, sondern signalisiert ein zentrales Kennzeichen: Offenheit.
Es schließen sich ganz pragmatische Erwägungen an: Wer mag sich von der Namens-Botschaft besonders angesprochen fühlen? Welches Studienangebot wird mit dem Namen assoziiert? Was werden Absolventen gefragt, wenn sie sich bei einem (internationalen) Unternehmen bewerben? Welche Forschungsschwerpunkte werden dadurch erwartet oder – im Sinne eines Signals an unabhängige Förderinstitutionen - unterbunden?
Die Geschichte der Universität Trier könnte ohne Zweifel auch viele andere Namen auf die Liste setzen. Man denke etwa daran, dass bereits Ausonius im frühchristlichen Trier so etwas wie eine Hohe Schule in Anlehnung an das Modell von Bordeaux gegründet haben soll; man denke an Nikolaus von Kues, der – so wird zumindest spekuliert – Anteil an der Formulierung der damaligen Gründungsbulle des Jahres 1454 hatte, aber bekanntlich nun in seiner Geburtsstadt Namenspatron einer kleinen Hochschule wurde; Friedrich von Spee, der durch sein Werk Cautio Criminalis dem damaligen Hexenwahn den Spiegel vorhielt; oder Oswald von Nell-Breuning, dessen katholische Soziallehre weitaus mehr Verbindungen zu einer bedeutenden Trierer Tradition vorweisen kann als der historische und dialektische Materialismus.
Wie schön ist da doch die überzeugte Verbundenheit mit dem Namen der Stadt, was nun wahrlich nichts mit „namenlos“ zu tun hat. Trier selbst hat übrigens, z.B. in Briefen, selten positive Würdigungen erfahren. In einem Brief von Jenny an Karl Marx heißt es beispielsweise: „… das kleinste, erbärmlichste Nest, voll von Klatsch und lächerlicher Lokalvergötterung.“ Oder, in einem früheren Brief: „… das alte Pfaffennest mit seiner Miniatur-Menschheit.“
Die Universität Trier steht für die konsequente Verbindung von kulturellem Erbe und moderner Wissenschaft. Ein bestimmter Name dagegen ist und bleibt entweder ein Kompromiss oder eine vieldeutige Botschaft. Schließlich: Auch der berühmte Marx-Satz über das gesellschaftliche Sein und das Bewusstsein würde bei konsequenter Anwendung wohl im Verzicht münden.