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Medien und Macht
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THEMA
 

Im Vorfeld der Funkausstellung 2006 veröffentlichte der Direktor der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen, Norbert Schneider, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung einen Beitrag mit dem Titel „Soviel Macht war noch nie“. Er plädiert darin für ein neues Medienrecht, weil sich die Übersichtlichkeit der analogen Welt in eine unübersichtliche der digitalen Welt zu verwandeln beginnt. „Funktionsschmelzen“ seien beobachtbar, die die klassische Trennung von Produktion, Distribution und Vermarktung aufheben. Gleichzeitig werde Konsumentensouveränität nun noch ernster genommen als in den Anfängen des dualen Rundfunks. Jetzt werde eben direkt mit dem Kunden abgerechnet. „Und der Nutzer der neuen Offerten scheint mindestens auf den ersten Blick seine Ohnmacht abzustreifen, auf dem Weg zum ewigen Königtum des Kunden.“ (Schneider 2006, S. 36)

In dieser Beobachtung fließen zahlreiche Bedenken zusammen, die in erster Linie die Vorstellungen von Medienaufsicht und Medienkontrolle betreffen. Der Kunde ist in der Vergangenheit schon häufig auf den Thron des Königs gehoben worden, nunmehr aber werden die klassischen „Schutzbereiche“ der Rundfunkstaatsverträge mit den Notwendigkeiten des Verbraucherschutzes vermischt.

Was in der Soziologie auf den ersten Blick mit „Medien und Macht“ in Verbindung gebracht wird, nämlich Konzentration von Meinungsmacht, gezielte Formen der Manipulation etc., versteckt sich hier offenbar hinter „individualisierten“ Geschäftsbeziehungen zwischen Anbietern und Kunden, die angesichts einer Vervielfältigung der Distributionswege viele Wege zu Medienprodukten beschreiten können. Damit wird erkennbar, dass die Institution des Rundfunks auf der organisatorischen Ebene uns nicht mehr nur an Fernsehanstalten oder Verlagshäuser denken lässt, sondern neue Player - Banken, Kapitalbeteiligungsgesellschaften, Netzbetreiber - am Werk sind, die eher weniger nach journalistischen als nach ökonomischen Kriterien die Entscheidungen vorbereiten, die dann irgendwann eine „normative Kraft des Faktischen“ entfalten können. Schneider befürchtet, dass die Ruhe auf der politischen Ebene eine solche Entwicklung begünstigen könnte.

Was bedeutet dies für den „ersten Blick“ der Soziologie? Brauchen wir einen neuen Blick oder treten uns die mit „Medien und Macht“ assoziierten Probleme nun in einem „entstrukturierten“ und „not-so-mass communication“-Kontext entgegen? Im Zuge der Debatte um die Individualisierung der Massenkommunikation sind diese Fragen bereits aufgetaucht, aber nicht wirklich nachhaltig behandelt worden. Jetzt, da erneut vermehrt über die Zukunft der Massenkommunikation diskutiert wird, wird nicht nur der zweite Blick erforderlich, sondern auch der zweite Atem des Phänomens deutlich. McQuail hat zu Beginn seiner fünften Auflage der „Mass Communication Theory“ zwei Beobachtungen festgehalten:

1) „There is really no reason to expect that mass communication will wither away or lose its importance for many key social purposes, such as attempts to influence collective behaviour or general public attitudes.”
2) “As a result of competition and adaptation between ‘new’ and ‘old’ media there is also an increasing overlap between public and private communication channels and a relatively diminished role for the old centre-peripheral (and hierarchical) pattern. These changes are gradually being reflected in new theory and research [...].” (McQuail 2005, S. VII)

Folgende Fragen sollen daher im Rahmen der Jahrestagung diskutiert werden:

  • Welche Konsequenzen ergeben sich aus neuen Formen von „media ownership“ für die Medienaufsicht und die Medienpolitik?
  • Welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang der öffentlich-rechtliche Rundfunk als Gegengewicht zum privaten Rundfunk?
  • Wie hat sich Medienmacht zu Beginn des 21. Jahrhunderts verändert, wenn das von McQuail als „old centre-peripheral pattern“ bezeichnete Modell an Bedeutung verliert?
  • Führen die neuen Distributionsformen zu einer zweiten digitalen Spaltung der Gesellschaft, nachdem die erste digitale Spaltung vornehmlich im Kontext von Computer- und Internetnutzung diskutiert wurde? Oder bedienen vielmehr die Angebote der Sender die Interessen des - als Folge des sozialen Wandels in der Moderne - fragmentierten Publikums, das damit zum Souverän wird?
  • Welche Rolle spielt in Zukunft das Publikum? Ist es - wie es deliberative Demokratietheorien erhoffen - eher eine aktive politische Öffentlichkeit oder eher passiver Konsument, der die eigentliche Macht in den Medien - die des souveränen Konsumenten - ausübt? Macht die Euphorie, die neue Beteiligungsformen und das Phänomen „Web2.0“ hervorgebracht haben, eine Neubestimmung der Sender-Empfänger-Relation notwendig?
 
 
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