Veranstaltungsbericht – Lecture Series Law and Religion – Assisted Suicide

Ein schwieriges Thema, welches bis heute nicht abschließend gesetzlich geregelt und weiterhin zu Debatten in Politik, Medizin, Ethik und Religion führt, ist die Sterbehilfe.

Nachdem das Bundesverfassungsgericht in Deutschland in seinem Urteil vom 26. Februar 2020 - 2 BvR 2347/15 die Selbstbestimmung des Einzelnen auch zur Selbsttötung anerkennt und dazu aufruft, eine gesetzliche Grundlage zu schaffen (Rn.. 340), aber eine kommerzielle Form der aktiven Sterbehilfe ablehnt, ist die aktuelle, prekäre Lage erneut in den Fokus gerückt. Ein regelrechtes Spannungsfeld zwischen Moral und Religion entsteht, während der Gesetzgeber versucht, eine Lösung zu finden, ohne die niedergelegten Grundsätze zu verletzen.

Erschwert wird die Lage zusätzlich dadurch, dass die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union und deren Nachbarländer dabei nicht an einem Strang ziehen.

Zuerst denkt man dabei an die Schweiz. Hier ist die aktive Sterbehilfe zwar strafbar, die anderen drei Formen hingegen – also die indirekte, die passive, sowie der assistierte Suizid – sind erlaubt. Schweizer Organisationen wie Dignitas vermitteln Patienten auf Wunsch an Ärzte in der Schweiz, die bereit sind, zum Tode führende Medikamente zu verschreiben.

Allerdings verabschiedeten die Niederlande bereits 2001 das „euthanasiewet“ („Sterbehilfegesetz“). Belgien (2002) und Luxemburg (2009) folgten. Während die aktive Herbeiführung des Todes, sowie die Beihilfe zur Selbsttötung noch immer unter Strafe stehen, ist ein Arzt nicht strafbar wenn:

  • er überzeugt ist, dass der Wunsch des Patienten freiwillig und nach reiflicher Überlegung geäußert wurde,
  • er überzeugt ist, dass der Zustand des Patienten aussichtslos und sein Leiden unerträglich ist,
  • er den Patienten über Situation und Aussichten aufgeklärt hat,
  • er zusammen mit dem Patienten zum Schluss gelangt ist, dass es für die Situation keine andere annehmbare Lösung gibt,
  • er mindestens einen anderen, unabhängigen Arzt konsultiert, der den Patienten untersucht und zu den unter 1 bis 4 genannten Kriterien eine schriftliche Stellungnahme verfasst hat,
  • die Lebensbeendigung oder die Hilfe bei der Selbsttötung mit der gebotenen Sorgfalt erfolgt.

Erst kürzlich hatte auch Spanien, nicht zuletzt infolge der Corona – Pandemie, ein entsprechendes Gesetz verabschiedet (18.03.2021), welches am 25.06.2021 in Kraft trat. Einen etwas anderen Weg haben Deutschland und Österreich gewählt. Die passive und die indirekte Sterbehilfe sind erlaubt, sofern sie den Wunsch des Sterbenden widerspiegeln. Es können Patientenverfügungen verfasst werden, deren Erklärungen bindend sind. Besonders interessant daran ist, dass Patienten schon für bestimmte Fälle vorsorgen, sollten sie später ihren Willen nicht mehr äußern können.

In Frankreich und Italien gab es bisher keine klaren Anhaltspunkte, da beide mit ethisch, moralischen Fragen ringen und dies zunehmend zur Spaltung der Parlamente, sowie Fraktionen führte. Dieser Umstand verleitet Menschen, die zu sterben wünschen häufig dazu ein anderes Land aufsuchen, das dies vereinfacht.

Im Rahmen der Vorlesungsreihe Recht und Religion (Lecture Series Law and Religion) warf das Institut für Rechtspolitik am 28.06.2021 einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen zum Thema Sterbehilfe in Italien.

Ausschlaggebend für das erneute Entfachen einer landesweiten Diskussion war auch hier ein umstrittenes Urteil (No. 242/2019) des italienischen Bundesverfassungsgerichts (Corte Costituzionale), informierte uns die Referentin, Frau Prof. Dr. Adelaide Madera, welche als Professorin für Staatskirchenrecht an der Universität von Messina tätig ist.

Der Mailänder Fabio Antoniani war infolge eines schweren Verkehrsunfalls querschnittsgelähmt und erblindet. Bekannt war der Musiker unter seinem Künstlernamen DJ Fabo. Nach mehreren erfolglosen Therapien äußerte er den Wunsch zu sterben. Unter anderem bat er den Präsidenten Italiens Sergio Mattarella in einer Videobotschaft um Hilfe, da das Leben für ihn durch die ständigen Schmerzen nur noch eine Last sei. Ohne einen anderen Ausweg ersuchte Antoniani bei dem Politiker Marco Cappato um Hilfe, der ihn daraufhin 2017 in die Schweiz fuhr, wo er mithilfe des Vereins Dignitas aus dem Leben trat.

Marco Cappato, der sich schon lange für Sterbehilfe einsetzt, stellte sich bei seiner Rückkehr nach Italien unverzüglich der Polizei. Neben seiner Bereitschaft Fabio Antoniani zu unterstützen, wollte er damit auf das Thema aufmerksam machen und mit dem zu erwartenden Prozess ein Umdenken erwirken. Seine Bemühungen wurden partiell belohnt. Die Beihilfe zur Sterbehilfe soll nun unter bestimmten Bedingungen nicht mehr strafbar sein (Art. 580 des italienischen Strafgesetzbuches). Der Wille muss bewusst und aktiv geäußert werden können, die Krankheit oder der Zustand dürfen keine Hoffnung auf Besserung geben und müssen mit extremen Schmerzen verbunden sein. Der rechtliche Rahmen, den das Corte Costituzionale damit schuf, bleibt aber sehr eng. Wie auch in Deutschland nahm das italienische Bundesverfassungsgericht den ersten Schritt selbst vor, um im nächsten den Gesetzgeber zu verpflichten, schnellstmöglich tätig zu werden.

Bislang konnten nur die Patienten selbst lebenserhaltenden Maßnahmen ablehnen. Auch hierfür bedarf es einer speziellen Ausgangslage. Die Person muss sich im vollen Besitz ihrer geistlichen Fähigkeiten befinden und zudem in einem irreversiblen Zustanden sein, der starke Schmerzen mit sich bringt und ohne Maßnahmen zum Tod führt. Wie es mit einer Patientenverfügung aussieht, wenn sich der Behandelnde nicht mehr selbst äußern kann, ist noch nicht gesetzlich geregelt. Für die Angehörigen bedeutet dies, dass sie ihre Liebsten oftmals sehr lange leiden sehen müssen.

Prof. Madera erklärte, dass durch den Cappato-Fall eine neue Situation entstand. Hier hätte die Person ohne lebenserhaltende Maßnahmen überlebt, erbittet aber ein letales Medikament zur Selbsttötung. Dies stellt das medizinische Personal vor eine Entscheidung, die nicht mit dem sog. hippokratischen Eid bzw. dem Genfer Gelöbnis vereinbar ist. Demnach sind die Gesundheit und das Wohlergehen der Patienten das oberste Anliegen. Der höchste Respekt vor menschlichem Leben soll gewahrt und nichts entgegen der Menschen – oder Freiheitsrechte unternommen werden. Sollte es in Zukunft ein entsprechendes Gesetz geben, welches diese Vorgehensweise erlaubt, müssten dann die Ärzte entgegen ihren Vorstellungen agieren? Oder könnte man diese unter „das Wohlergehen des Patienten“ subsumieren? Wer würde dieses Medikament verabreichen? Was passiert, wenn der Wille nicht mehr selbst geäußert werden kann?

Diese und viele weitere Fragen beschäftigen den italienischen Gesetzgeber, der sich bis heute vor einer Regelung drückt. Auf die Frage hin, ob sich der Gesetzgeber noch von der katholischen Kirche beeinflussen lässt und wie diese die Entscheidung des Corte Costituzionale aufgenommen hat, schilderte Prof. Madera, dass auch in Italien die Säkularisierung in vollem Gange ist. Für die katholische Kirche, sollte es Sterbehilfe in keinerlei Form geben. Anfang und Ende des Lebens sollten nicht menschenbestimmt sein. Schmerzlinderung ist in dargestellten Fällen deren Mittel der Wahl. Angetrieben durch ein Umdenken in der Bevölkerung, lassen sich der Gesetzgeber und die Gerichte nicht mehr durch die Kirche beeinflussen. Dies haben die Gerichte auch in einer Serie von Fällen bezüglich In-vitro-Fertilisation und künstlicher Befruchtung unter Beweis gestellt. Obwohl einige populistische, radikale Parteien katholische Werte vorschieben, um eine möglichst große Wählerschaft zu erreichen, spiegelt dies nicht die Ansicht der Gesellschaft wieder. Diese möchte vermehrt selbstbestimmte Entscheidungen auch im Hinblick auf Toleranz und Anti-Diskriminierung der LBTQIA+ Gemeinschaft, deren Existenz die Kirche als Bedrohung der Jugend ansieht.

Besonders ergriffen war Prof. Madera, die sich mit Marco Cappato persönlich unterhalten hat, von seiner Aussage, dass es Situationen gibt, die der Gesetzgeber nicht vollumfänglich ausgestalten kann. Stattdessen sollte der eigene Moralkompass die richtige „Richtung“ weisen.

Wie Prof. Madera uns schon zu Beginn des Vortrags vorwarnte, wirft das Thema mehr Fragen auf, als es Antworten gibt. In diesem Sinne bleibt es abzuwarten, wie Italien mit ähnlichen Fällen umgehen wird und wann mit einer gesetzlichen Regelung zur Sterbehilfe zu rechnen ist.

Interessierte finden nachstehend eine Liste mit weiterführender Literatur.