Hyperhidrose

Schwitzen im engeren Sinne kommt bei nur wenigen Säugetierarten, insbesondere unter den Equiden und Primaten, vor und dient vornehmlich der Regulation der Körpertemperatur. Neben dem thermoregulatorischen Schwitzen existiert auch noch das so genannte „emotionale Schwitzen“, bei welchem hauptsächlich Gesicht, Achseln, Handfächen und Fußsohlen betroffen sind. Dieses durch Emotion, Stress oder sonstige Reize bedingte Schwitzen kann bei einigen Personen verstärkt auftreten und dann mit einem erheblichen Leidensdruck einhergehen (eine Übersicht bieten Schlereth et al., 2009).

Bei der Hyperhidrose, also dem vermehrten Schwitzen, handelt es sich um ein komplexes Krankheitsbild mit multifaktoriellen Ursachen. Die Idiopathischen Hyperhidrose stellt eine Störung der Regulation der Körpertemperatur dar, die sich in übermäßigem Schwitzen, insbesondere an den Händen, äußert. Dies führt bei Betroffenen zu einem erheblichen Leidensdruck sowie zu psychosozialem Stress. Die Störung gilt als kaum hinreichend beforscht, das heißt, es wurden bisher vergleichsweise wenige Studien zur ihrer Ätiologie, Pathogenese und Genetik durchgeführt. Ziel unseres Projekts ist daher zunächst die Erweiterung einer bereits aus unserer Pilotstudie (Gross et al., 2014) vorhandenen Stichprobe von Probanden und Familien mit Idiopathischer Hyperhidrose und deren Untersuchung. Im Verlauf des Vorhabens sollen als Schwerpunkte genetische, aber auch psychosoziale Faktoren, die zur Entstehung der Störung beitragen könnten, betrachtet werden. Die Identifizierung verursachender genetischer Varianten hätte mit hoher Wahrscheinlichkeit Implikationen auch für die Therapie der Störung.

 

Psychosoziale Faktoren der Hyperhidrose

Außer den genetischen Faktoren gelten Emotionen als Auslöser der Symptomatik. Wie wir in unserer Pilotstudie „Elevated Social Stress Levels and Depressive Symptoms in Primary Hyperhidrosis“ zeigen konnten, stellt Stress einen wesentlichen Trigger dar (Gross et al., 2013). Diesem Zusammenhang gehen wir aktuell weiteren Studien nach und untersuchen psychosoziale Aspekte von Betroffenen hinsichtlich akutem (abgeschlossenes Projekt, zur Publikation eingereicht) und chronischen Stress, aber auch mit Blick auf mögliche Coping-Strategien. Die Erkenntnisse aus diesen Untersuchung könnten einen Einfluss auf mögliche Behandlungsstrategien von Hyperhidrose haben und vor allem das psychologische Wohlbefinden im Blick halten.

Genetik der Hyperhidrose

Hyperhidrose (übermäßiges Schwitzen, OMIM %114110) stellt eine wenig beforschte psychologische und physiologische Beeinträchtigung des Wohlbefindens dar, welche bei Betroffenen mit einem enormen Leidensdruck einhergeht. Zwar ist aus der Literatur bekannt, dass genetische Faktoren für die Pathogenese der primären Hyperhidrose eine bedeutsame Rolle spielen, jedoch wurde nach kausativen Genen bisher noch nicht intensiv gesucht. Durch eine genetische Kopplungsstudie in betroffenen Großfamilien  sowie eine weiterführende genomweite Assoziationsstudie in ca. 200 Hyperhidrotikern sollen die Ursachen der idiopathischen Hyperhidrose aufgeklärt werden. Mit Hilfe unserer Untersuchungen sollen zunächst chromosomale Bereiche bestimmt und abschließend Mutationen in kausativen Genen identifiziert werden. Die Identifizierung verursachender genetischer Varianten hätte mit hoher Wahrscheinlichkeit Implikationen für die Therapie der Störung.

Genorte für übermäßiges Schwitzen identifiziert

Erkenntnisse von Genetikern der Universität Trier könnten helfen, die sogenannte Primäre Hyperhidrose besser zu behandeln.

Petra H. muss bei einem Vorstellungsgespräch Briefe nach Wichtigkeit sortieren. Dabei hinterlässt sie große nasse Flecken auf den Briefen. Petra H. leidet unter übermäßigem Schwitzen ohne erkennbare organische Ursache, auch Primäre Hyperhidrose genannt. Etwa 2,5 Prozent der Bevölkerung sind von dieser Störung betroffen. „Die Betroffenen haben mehr als nur Schweißflecken unter den Armen. Oftmals geht bei ihnen die Hyperhidrose mit beruflichen Nachteilen, sozialer Isolation, Depression und Stress einher“, sagt Professor Jobst Meyer, Verhaltensgenetiker der Universität Trier.

Einer Arbeitsgruppe um ihn und seine Kollegin Dr. Andrea Schote-Frese ist es nun gelungen, mittels einer Kopplungsanalyse chromosomale Genorte für das übermäßige Schwitzen in Familien mit mehreren Betroffenen zu identifizieren. Die an der Universität Trier an dem dort etablierten Stressschwerpunkt forschenden Genetiker vermuteten seit Langem eine genetische Ursache für die Hyperhidrose, die sie jetzt durch ihre Arbeit bestätigen konnten.

Fehlregulation eines oder mehrerer Gene

Die Wissenschaftler haben Erbfaktoren von 89 Patienten und gesunden Familienangehörigen untersucht. Studienteilnehmer konnten unter anderem über das von Dr. Christoph Schick geleitete Deutsche Hyperhidrosezentrum (DHHZ) gewonnen werden. Für die durchgeführte Kopplungsanalyse wurden die Probanden auf jeweils mehr als 300.000 individuelle genetische Unterschiede, sogenannte Einzelnukleotid-Polymorphismen (SNPs), genotypisiert. Dabei wird betrachtet, welche SNP-Marker in den Familien zusammen mit der Störung vererbt werden. Auf diese Weise konnten die Forscher vier Bereiche auf verschiedenen Chromosomen identifizieren, in denen die für die Hyperhidrose verantwortlichen Gene lokalisiert sein müssen. Zusätzlich wurden von 31 Studienteilnehmern alle Gene sequenziert.

Da keine verursachende Mutation in einem Gen selbst gefunden wurde, gehen die Wissenschaftler davon aus, dass der Hyperhidrose eine Fehlregulation eines oder mehrerer Gene zugrunde liegt. Mutationen, die außerhalb des eigentlichen Gens liegen und dessen Fehlregulationen bewirken, sind für eine Reihe von Krankheiten verantwortlich, wie beispielsweise für Krebs. Die für die Hyperhidrose verantwortlichen genregulatorischen Elemente sollen nun durch weitere Sequenzierung bestimmt werden.

Grundlage für gezieltere Behandlung

„Wenn die Gene, die für die Störung verantwortlich sind, identifiziert wurden, kann das auch bei der Behandlung von übermäßigem Schwitzen helfen“, sagt Meyer. Die Therapie der Hyperhidrose beschränkt sich derzeit auf operative Eingriffe, bei denen bestimmte Nerven durchtrennt werden, sowie Medikamente wie das Botulinumtoxin-A („Botox“). Beides ist nicht frei von teils gravierenden Nebenwirkungen. „Mit der Studie haben wir die Grundlage für gezieltere Behandlung, beispielsweise durch entsprechende Medikamente, gelegt.“

Die Ergebnisse der Trierer Forscher wurden in dem angesehenen wissenschaftlichen „open access“-Magazin PLOS ONE veröffentlicht.

Kontakt

Prof. Dr. Jobst Meyer
Verhaltensgenetik
E-Mail: meyerjo(-at-)uni-trier.de

Forschung | 14.01.2021