Urteil der Woche (KW 38)

Im heutigen Urteil der Woche (II R 1/21) beschäftigt sich der BFH mit der Frage, ob die Erbschaftsteuerbefreiung des § 13 Abs. 1 Nr. 4b ErbStG entfällt, wenn die Selbstnutzung des Familienheims auf Grund von gesundheitlichen Gründen frühzeitig beendet wird.

Die Klägerin wurde nach dem Tod ihres Ehemannes Alleineigentümerin des von den Eheleuten gemeinsam bewohnten Einfamilienhauses. Zunächst nutzte sie das Haus weiterhin selbst. Nach knapp zwei Jahren veräußerte sie das Haus und zog in eine Eigentumswohnung. Das Finanzamt lehnte die Steuerbefreiung für ein Familienhaus (§ 13 Abs. 1 Nr. 4b ErbStG) wegen Aufgabe der Selbstnutzung innerhalb des 10-Jahres-Zeitraums ab. Hiergegen wehrte sich die Klägerin. Sie begründet ihre Klage damit, dass sie das Haus wegen einer depressiven Erkrankung, die sich nach dem Tod des Ehemannes durch die Umgebung des ehemals gemeinsam bewohnten Hauses verschlechtert habe, auf ärztlichen Rat verlassen habe. Die Umgebung des ehemals gemeinsamen Hauses lasse psychische Folgeschäden erwarten. Das FG war der Ansicht, es habe keine zwingenden Gründe für den Auszug gegeben, da die Führung eines Haushaltes für die Klägerin nicht schlechthin unmöglich gewesen sei.

Der BFH hat das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Sache an das FG zurückverwiesen. Grundsätzlich setze die Steuerbefreiung des § 13 Abs. 1 Nr. 4b ErbStG voraus, dass der Erbe für zehn Jahre das geerbte Familienheim selbst nutzt, es sei denn, er ist aus "zwingenden Gründen" daran gehindert (§ 13 Abs. 1 Nr. 4b S. 5 ErbStG). Die Hinderungsgründe müssen sich auf die Selbstnutzung des vorliegenden Familienheims beziehen. Ob der Erwerber an einem anderen Ort einen Haushalt führen kann, sei nicht entscheidend. Zwingende Gründe beschränken sich zudem nicht auf Fälle der Unmöglichkeit: der Erwerber sei aus zwingenden Gründen an einer Selbstnutzung gehindert, wenn ihm diese unter den konkreten Umständen objektiv unmöglich oder unzumutbar werde. Gründe der Unzumutbarkeit seien beispielsweise gesundheitliche Gründe, wenn der Erwerber im Fall der weiteren Selbstnutzung des Familienheims eine erhebliche Beeinträchtigung seines Gesundheitszustandes zu gewärtigen habe. Das FG hat nun festzustellen, ob die Erkrankung tatsächlich bestand und so beschaffen war, dass sie der Klägerin die weitere Selbstnutzung unzumutbar machte.

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