Professionalisierung jenseits des Curriculums

In verschiedenen professionstheoretischen Ansätzen zur Professionalisierung wird darauf verwiesen, dass die Erste Phase der Lehrerbildung vor allem dem Erwerb von Wissen und der Reflexion vorbehalten sein solle, um das spätere berufliche Handeln zu fundieren und zur Orientierung zu dienen. Mit diesem Nacheinander-Denken von (akademisch gedachter) Theorie und (schulischer) Praxis sind allerdings Probleme verbunden, die sich bspw. in Berichten über den sogenannten „Praxisschock“ äußern. Ungeachtet dieser Fragen nach dem systematischen Aufbau professioneller Handlungskompetenz in den verschiedenen Phasen der Lehrer:innenbildung hat sich in den letzten Jahren im Kontext der personellen Bedarfskrise an den Schulen (Stichwort: Lehrermangel) eine hohe Nachfrage nach Lehramtsstudierenden entwickelt, die kurzfristig und flexibel für pädagogische Tätigkeiten (u.a. im Bereich des Vertretungsunterrichts, der Betreuung im Ganztag, der Inklusionsassistenz, der außerschulischen Unterstützung) eingesetzt werden. Wir fragen, inwiefern diese außeruniversitären pädagogischen Praxiserfahrungen die Professionalisierung der Lehramtsstudierenden für den Beruf der Lehrerin bzw. des Lehrers fördern oder im Gegenteil durch Überforderung oder fehlende Unterstützung sogar zu Rückschritten oder Fehlentwicklungen, verstanden als Deprofessionalisierungen, führen könnten.

Zwar werden Lehramtsstudierende als Vertretungslehrkräfte mittlerweile in allen Bundesländern eingesetzt, aber nicht nur von universitärer Seite wird diese Praxis kritisch gesehen, da zum Beispiel bestimmte Qualitätsansprüche an den Schulunterricht nicht garantiert werden können. In einer ersten Forschungsphase haben wir daher den Prozess der individuellen Verberuflichung fokussiert und untersucht, wie die Studierenden ihre Praxiserfahrungen selbst für ihre Professionalisierung relevant setzen.

Die Erforschung von Lernerträgen über Selbsteinschätzungen hinaus ist bislang bei dieser Personalmaßnahme jedoch noch kaum erfolgt. Auch wissen wir derzeit nicht viel über die Effekte studentischen Vertretungsunterrichts bezogen auf die Wahrnehmung, Nutzung und die Lernfortschritte der Schülerinnen und Schüler. Es mehren sich derweil die Hinweise, dass der Einsatz von Vertretungsunterricht schulformspezifische Ungleichheiten reproduziert, wenn dieser bspw. eher fachfremd an nicht-gymnasialen Schulformen erfolgt. Für unsere weitere Arbeit werden wir daher diese beiden Themen der Lernerträge und der Reproduktion von Bildungsungleichheiten adressieren.

Publikation:

  • Simonis, L. & Klomfaß, S. (2023): Ins kalte Wasser. Wie Lehramtsstudierende ihre Tätigkeit als Vertretungslehrkräfte für ihre Professionalisierung relevant setzen. In: D. Behrens; M. Forell; T.-S. Idel & S. Pauling (Hrsg.), Lehrkräftebildung in der Bedarfskrise. Programme – Positionierungen – Empirie. Bad Heilbrunn, Klinkhardt, S. 156–171.

Vortrag:

  • Klomfaß, S. & Simonis, L.: "Praxisprofessionalisierung im studentischen Vertretungsunterricht. Mitspielfähigkeit erwerben und Überforderung als Teil des Spiels." Vortrag im Rahmen des Symposiums "Zwischen Bewährung und Belastung. Studierende als Vertretungslehrkräfte" auf dem DGfE-Kongress "Krisen und Transformationen" vom 10.-13.03.2024 in Halle (Saale).