Tagungsberichte
Über die Tagung "Subjekt und Liminalität in der Gegenwartsliteratur (Lyrik, Prosa, Drama)":
Galina Kuchumova Russische Professoren на родине Карла Маркса
Galina Kuchumova Субъект и лиминальность в новейшей словесности: IV международная конференция славистов и германистов (Трир, Германия)
Alexander Ulanov Субъект поверх границ (о филологической конференции в Трире, июль 2017)
Bericht zur Konferenz
Subjekt und Liminalität in der Gegenwartsliteratur (Lyrik, Prosa, Drama)
(6.-10.07.2017 – Robert-Schuman-Haus, Trier)
Anfang Juli 2017 fand im Rahmen des bilateralen Projekts Typologie des Subjekts in der russischen Dichtung 1990–2010 (DFG und RGNF, 2015–2018) die letzte (vierte) internationale Konferenz „Subjekt und Liminalität in der Gegenwartsliteratur (Lyrik, Prosa, Drama)“ statt. Die Tagung wurde am 6. Juli 2017 im Konferenzsaal des Robert-Schuman-Hauses mit einem Grußwort der deutschen Projektleiterin Prof. Dr. Henrieke Stahl (Slavistik, Universität Trier) eröffnet. Nach der Initiative von Prof. Natalija Azarova (Moskau) hat zur Tagungseröffnung der bekannte Moskauer Dichter Nikolaj Zvjagincev mit einem poetischen Beitrag aufgetreten; die Originaltexte wurden mit Übersetzungen ins Englische von David Hock (Princeton) begleitet.
An der dreitägigen Konferenz, die im Konferenzzentrum „Robert-Schuman-Haus“ in Trier durchgeführt wurde, haben 44 WissenschaftlerInnen aus Russland, Deutschland, Italien, den USA, Japan, Taiwan, Südkorea und Neuseeland teilgenommen, darunter NachwuchsforscherInnen. Neben der Erweiterung der Geographie der präsenten Forschungsländer hat die aktuelle Konferenz auch andere quantitative und qualitative Besonderheiten aufgewiesen: Wie im November 2015 (an der ersten Projekttagung „Grundlagen: Theorie des Subjekts und die Gegenwartsdichtung in Russland und Deutschland“) wurde erneut eine Zusammenarbeit mit der Germanistik aufgegriffen, und zwar nicht nur mit der deutschen und russischen, sondern auch japanischen und koreanischen Germanistik. Außerdem hat das Tagungsprogramm auch Beiträge aus der Sinologie enthalten. Diese Aspekte stellen die letzte Projekttagung selbst, die sich unter anderem auf die Liminalitätsforschung in der Gegenwartsliteratur ausgerichtet hat, in eine gewisse liminale Position auch in Bezug auf das neue Forschungsprogramm „Russischsprachige Lyrik in Transition: Poetische Formen des Umgangs mit Grenzen der Gattung, Sprache, Kultur und Gesellschaft zwischen Europa, Asien und Amerika“, das von der DFG für die kommenden 4 Jahre finanziert wird und schon am 1.10.2017 startet.
Die aktuelle Tagung hat sich von den früheren Konferenzen und Workshops des Projekts dadurch unterscheidet, dass der Fokus über die Lyrik hinaus auch auf andere literarische Genres ausgeweitet wurde, mit dem Ziel, Spezifika des Subjekts in der Lyrik sichtbar machen zu können, aber auch grundlegend gemeinsame Tendenzen im Umgang mit dem Subjekt in der Gegenwartsliteratur herausfinden zu können. Während die erste Konferenz im November 2015 in Trier die Theorie des lyrischen Subjekts und die Entwicklung eines relevanten Beschreibungsinstrumentariums in den Mittelpunkt gerückt hat und der Schwerpunkt der Moskauer Konferenz im Juli 2016 auf der Untersuchung der Vielfalt an Subjektformen in der russischen Gegenwartslyrik lag, wurde die aktuelle Tagung dem Wesen des liminalen Subjekts gewidmet, sowie vielseitigen Grenzerscheinungen in der Gegenwartsliteratur und derer Auswirkung auf die Subjektkonstitution und Subjektivität als jeweilige Textinstanz, indem die Forschung im hohen Masse auf gattungsspezifische und besondere transgenerische Formen liminaler Subjektivität gerichtet wurde. Die Tagung war in folgende Sektionen unterteilt: „Liminalität und Sprache der Lyrik“, „Liminalität und Kommunikation“ und „Liminalität und Medien“, „Liminalität des Subjekts in der Gegenwartsliteratur“ und „Das entgrenzte Subjekt“, „Schwellengänge in der Gegenwartslyrik“ und „Liminalität und Gegenwartsdichtung in Asien“.
Das Tagungskonzept basierte auf der Annahme, dass seit 1990 das Bewusstsein von Schwellen, Schwellenräumen, Übergängen oder aber auch der Transformation von Schwellen verschärft ist, was auf unterschiedenen Ebenen in der Gegenwartsdichtung zum Ausdruck kommt und poetisch reflektiert wird. Die Gegenwartsdichtung stellt den Bereich des Möglichen dar, wobei Schwellen, die traditionell für unverrückbar gehalten werden, fiktiv wie real überschritten oder verschoben werden, seien es Schwellen zwischen Realität und Virtualität, Bewusstsein und Unbewusstem oder Überbewusstem, zwischen Körper und Geist usw. Diese Verschiebungen scheinbar unverrückbarer Schwellen oder das Ausmessen etablierter Schwellenräume verändern das Selbstverständnis und -erleben des Subjekts: Das Subjekt selbst ist Schwelle geworden, ist es doch das Agens, welches die Schwellen ausmisst, verschiebt oder transformiert und dadurch zugleich sich selbst konstituiert. Die Mehrdimensionalität und komplexes Wesen des lyrischen Subjekts wird durch Überlagerung mehrerer Liminalitätsaspekte geschaffen: linguistischer und kommunikativer (Grenzen der Sprache(n) und mehrsprachiges Subjekt, Liminalität der Subjekt-Adressat-Beziehungen), literaturtheoretischer und -philosophischer (Korrelation der Subjektebenen, liminale Erfahrungen und Subjektkonstitution), gattungsspezifischer (Subjekt in lyrischer Prosa und Drama, transgenerische Subjektsformen), soziologischer und medialer (liminale Subjektformen in Migrantenlyrik und in politischer Dichtung, liminales Subjekt und Globalisierungsprozesse) u.a.m. Die Liminalität gilt also als Lakmusstreifen für Bestimmung und Definition des Subjekts, dessen Grenzen zur Umwelt, zum Körper, zum Mitmenschen oder sogar einer metaphysischen Dimension transzendiert werden.
Die aktuelle Konferenz ist die letzte geplante Projektveranstaltung. Im letzten Projektjahr wird Redaktionsarbeit an einer Reihe der Projektpublikationen fortgesetzt und zum Schluss gebracht. Die erste Sammelpublikation des Projekts ist fertig und zum Druck angenommen: ein Sonderband der internationalen Fachzeitschrift „Russian Literature“ zum Thema „Formy subjekta v novejšej russkoj poėzii“ [Subjektformen in der neuesten russischen Lyrik], der Band erscheint 2019. Die weiteren Sammelbände sind „Tipy subjekta i sposoby ego reprezentacii v novejšej poėzii (1990–2015)“ [Typen des Subjekts und ihre Darstellungsformen in der neuesten Lyrik (1990–2015)] (erscheint voraussichtlich im Herbst 2017), „Das Subjekt nach der Postmoderne ‒ Neue Theorien und Methoden aus Philosophie und Lyrikologie in interkultureller Sicht“ (erscheint voraussichtlich im Frühjahr 2018) und ein dreisprachiger Band „Subjekt und Liminalität in der Gegenwartsdichtung“ (erscheint voraussichtlich im Sommer 2018).
(Ekaterina Evgrashkina)