64. Bitburger Gespräche 2021: Der Klimawandel als Herausforderung für das Recht

Am 30. September und 1. Oktober 2021 fanden die 64. Bitburger Gespräche zum Thema „Der Klimawandel als Herausforderung für das Recht“ statt. Auf der von der der Gesellschaft für Rechtspolitik (gfr) und dem Institut für Rechtspolitik Trier (IRP) ausgerichteten Tagung diskutierten hochrangige Juristinnen und Juristen aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Justiz und Verwaltung darüber, auf welchen Wegen und mittels welcher Instrumente das Recht auf den Klimawandel reagiert, und welche Maßnahmen zur Bekämpfung der Erderwärmung zukünftig getroffen werden sollten. Die besondere Aktualität des Themas ergab sich nicht nur daraus, dass das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) am 24. März 2021 das Bundes-Klimaschutzgesetz (KSG) für teilweise verfassungswidrig erklärt hat. Vielmehr ist es auch auf europäischer Ebene zuletzt zu potentiell weitreichenden Entwicklungen gekommen: Zum einen ist am 29. Juli 2021 das sog. europäische Klimaschutzgesetz in Kraft getreten, mit dem sich die EU das verbindliche Ziel auferlegt hat, bis 2030 eine Reduzierung der Treibhausgas-Nettoemissionen um mindestens 55% gegenüber 1990 und bis 2050 Klimaneutralität zu erreichen. Zum anderen hat die EU-Kommission im Juli 2021 ihre Mitteilung zum „Fit for 55-Paket“ veröffentlicht, das ehrgeizige Vorschläge für Änderungen bestehender Legislativakte (u.a. Ausbau und Verschärfung des Emissionshandels) und für neue Gesetzgebungsinitiativen für verschiedene Politikbereiche und Wirtschaftssektoren (Klima, Energie und Kraftstoffe, Verkehr, Gebäude sowie Landnutzung und Forstwirtschaft) enthält.

Wie bereits in den einführenden Worten des wissenschaftlichen Leiters der Tagung, Professor Dr. Alexander Proelß (Hamburg), deutlich wurde, verkörpert der Klimawandel nicht nur für die Bewahrung von Biodiversität und Ökosystemen, für Politikgestaltung, Wirtschaftswachstum und gesellschaftliche Entwicklung, sondern gerade auch für das Recht und die Rechtswissenschaft eine epochale Herausforderung. Den Ursachen und Konsequenzen dieser Beschreibung ging die Tagung anhand der Referate anerkannter Expertinnen und Experten des Klimaschutzrechts nach, die drei Themenblöcken zugeordnet waren und von einem Eröffnungs- und einem Schlussvortrag eingefasst wurden.

Im Eröffnungsvortrag beleuchtete Rechtsanwältin Dr. Juliane Hilf (Düsseldorf) den Klimaschutz vor Gerichten aus der Perspektive der Rechtspraxis. Anhand von Entwicklungslinien, Maßstäben und Komplexitätsanforderungen differenzierte sie zwischen verschiedenen Kategorien von Klimaklagen. Dabei beschränkte sie sich nicht auf die deutsche Rechtslage, sondern bezog Rechtsentwicklungen in verschiedenen Jurisdiktionskreisen in ihre Analyse ein. Aktuelle Trends erblickte sie in der Erweiterung des Kreises der Beklagten, in einer auch rechtsvergleichend feststellbaren Ausweitung gerichtlicher Kontrollmaßstäbe sowie in Versuchen eines „forum shopping“ zugunsten „klagefreundlicher“ Rechtsordnungen. Professor Dr. Bernhard Wegener griff das Thema im dritten Block der Tagung, der steigenden Relevanz privater Akteure im Rahmen des Klimaschutzrechts gewidmet, wieder auf. „Climate Change Litigation“ sei bislang ein Phänomen westlicher Rechtskultur – ein Umstand, der der globalen Natur des Klimaschutzes widerspreche. Wegener setzte sich ausführlich mit dem Beschluss des BVerfG zum Klimaschutzgesetz, den in der Tradition der Entwicklung der verfassungsgerichtlichen Judikatur zum Prozess der europäischen Integration verortete, auseinander. Seine sowohl rechtsdogmatisch als auch rechtspolitisch begründete These, das Gericht habe „responsiv“ judiziert, wurde von einigen Tagungsteilnehmerinnen und -teilnehmern geteilt, von anderen hingegen kritisiert.

Die beiden Vorträge des ersten Themenblocks befassten sich mit den relevanten Rechtsentwicklungen auf inter- und supranationaler Ebene, indem sie die rechtlichen Vorgaben, die Deutschland bei der Entwicklung seines eigenen Klimaschutzrechts umsetzen muss, identifizierten und bewerteten. Professor Dr. Dr. Wolfgang Durner LL.M. zeigte auf, dass das internationale Klimaschutzrecht seit dem Klimaschutzabkommen von Paris auf einem planerischen, auf globalen Temperaturzielvorgaben gründenden Ansatz beruht. Materiell-rechtliche Pflichten statuiere es, nachdem eine Verlängerung und Verschärfung der individuellen Emissionsreduktionspflichten gemäß Kyoto Protokoll auf globaler Ebene gescheitert sei, hingegen kaum. Daher fehle es international an hinreichenden Anstößen für eine Harmonisierung der nationalen Klimaschutzmaßnahmen sowie an Beitragen zur Komplexitätsreduzierung. Professorin Dr. Charlotte Kreuter-Kirchhof kritisierte, dass die Ziele und Instrumente des Klimaschutzrechts auf internationaler, supranationaler und nationaler Ebene nicht kohärent aufeinander abgestimmt seien. So suggeriere das deutsche KSG mit seiner Bezugnahme auf ein nationales Emissionsbudget und Fristenregelungen eine Planungssicherheit, die der Dynamik des dem Abkommen von Paris zugrundeliegenden Regulierungsansatzes widerspreche. In ähnlicher Weise gefährde ein ordnungsrechtlich geregelter Ausstieg aus der Kohle durch Stilllegungsverfügungen potentiell den Erfolg des auf europäischer Ebene vorgesehenen Emissionshandels.

Im Rahmen des zweiten Themenblocks setzte sich Professorin Dr. Sabine Schlacke mit den auf Bundesebene zur Umsetzung der völker- und europarechtlichen Vorgaben ergangenen Maßnahmen (KSG und Klimaschutzplan) auseinander. Am Beispiel des KSG kritisierte sie, dass die auf nationaler Ebene ergangenen Maßnahmen nicht hinreichend mit den supranationalen Regulierungsansätzen verzahnt worden seien. Auf beiden Ebenen fehle es bislang an einer hinreichend konkreten inhaltlichen Ausgestaltung der globalen Zielvorgaben. Die grundlegenden Entscheidungen sollten auf EU-Ebene getroffen werden; der energiepolitische Souveränitätsvorbehalt des Art. 194 Abs. 2 AEUV stehe dem indes partiell entgegen. Mit Blick auf die anschließend im Vordergrund stehenden verfassungsrechtlichen Konfliktlagen konstatierte Professor Dr. Johannes Saurer LL.M., dass Verfassungsaufträge wie das umwelt- und klimapolitische Staatsziel des Art. 20a GG über ambivalente Wirkungsrichtungen verfügten. Abstrakter Vorrang komme dem Klimaschutz nicht zu. Jedoch wirkten sich die im Realbereich zu beobachtenden Veränderungen im Sinne eines Übergangs von der Risikovorsorge zur Gefahrenabwehr aus, mit der Folge, dass das relative Gewicht des Klimaschutzes im Rahmen der zwecks Auflösung von Konfliktlagen durchzuführenden Güterabwägungen zunehme.

Am Ende der Tagung stellte Professor Dr. Ottmar Edenhofer (Potsdam) in seinem Schlussvortrag die zuvor diskutierten rechtswissenschaftlichen Fragen in ihren ökonomischen und klimapolitischen Kontext. Unter den von ihm in den Blick genommenen Strategien zur Eindämmung des Klimawandels nach dem Pariser Klimaschutzabkommen nahm die CO2-Bepreisung, vorzugsweise umgesetzt durch mit Kompensationsmechanismen verknüpfte marktwirtschaftliche Instrumente wie den Emissionshandel, eine prominente Rolle ein. Edenhofer betonte nicht nur die Dringlichkeit strengerer, kohärenter und langfristig ausgerichteter klimaschutzpolitischer Maßnahmen, sondern auch das Erfordernis, die Öffentlichkeit über die bevorstehenden Herausforderungen transparent und umfassend zu informieren.

Weitere Eindrücke der 64. Bitburger Gespräche können auch im LTO Beitrag von Frau Dr. Kring nachgelesen werden.

Interessierte finden hier weiterführende Literatur.